Verspätete Anordnung eines Aufbauseminars

Wird ein Aufbauseminar erst fast drei Jahre nach Begehung einer erheblichen Ordnungswidrigkeit angeordnet, kommt in Betracht, dass die Anordnung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.

Verspätete Anordnung eines Aufbauseminars

In dem hier vom Verwaltungsgericht Freiburg entschiedenen Fall des einstweiligen Rechtsschutzes waren die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG wohl sämtlich erfüllt.

Laut der Mitteilung des Kraftfahrtbundesamts vom 07.08.2012 wurde gegen den Antragsteller ein Bußgeldbescheid des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald vom 13.10.2009 erlassen, weil er am 23.09.2009 vor Vollendung des 21. Lebensjahres als Führer eines Kraftfahrzeugs ein alkoholisches Getränk zu sich genommen habe (§ 24c Abs. 1, 2 StVG); ihm wurde deshalb eine Geldbuße von 125 EUR auferlegt. Den dagegen eingelegten Einspruch des Antragstellers hat das Amtsgericht Breisach am 25.01.2010 zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist seit dem 02.02.2010 rechtskräftig.

An diese Entscheidung, welche gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 StVG in das Verkehrszentralregister einzutragen war, ist das Landratsamt und damit auch das im vorliegenden Verfahren entscheidende Verwaltungsgericht gebunden (§ 2a Abs. 2 Satz 2 StVG).

Soweit der Antragsteller insoweit darauf hinweist, dass bei ihm nur eine Alkoholkonzentration von 0,09 mg/l gemessen worden sei (was allerdings in etwa einer Blutalkoholkonzentration von 0,18 Promille entspricht) und dass eine so geringe Konzentration nach der Rechtsprechung der zuständigen ordentlichen Gerichte noch nicht dazu führe, dass der Betroffene unter der Wirkung von Alkohol stehe, ändert dies am Vorliegen einer in seinem Fall rechtskräftigen und damit die Verwaltungsbehörde bindenden Entscheidung nichts; dem Antragsteller hätte es oblegen, gegen die Entscheidung des Amtsgerichts den zulässigen Rechtsbehelf einzulegen1.

Auch wenn somit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung eines Aufbauseminars vorliegen, kommt in Betracht, dass die gegenüber dem Antragsteller erlassene Anordnung unverhältnismäßig ist und damit das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt. § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG, wonach die Anordnung nicht im Ermessen der Verkehrsbehörde steht, sondern bei Vorliegen der Voraussetzungen zu erfolgen hat, ist verfassungskonform auszulegen und anzuwenden.

Unverhältnismäßig sein könnte die Verfügung, weil die am 23.09.2009 begangene Ordnungswidrigkeit des Antragstellers bei Erlass der angefochtenen Verfügung fast drei Jahre zurück lag. Die Notwendigkeit, dem Antragsteller insbesondere die Gefahren des Alkohols im Straßenverkehr vor Augen zu halten2, könnte wegen des Zeitablaufs entfallen sein. Insoweit ist von Folgendem auszugehen:

§ 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG bestimmt keine zeitlichen Grenzen für den Erlass einer Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar. Geregelt ist allein, dass eine solche Anordnung auch erlassen werden darf, wenn die Probezeit zwischenzeitlich, das heißt nach Begehung der Ordnungswidrigkeit oder Straftat, abgelaufen ist.

Einen Anhalt für eine äußerste Grenze für den Erlass einer solchen Anordnung könnte jedoch § 2a Abs. 2a Satz 1 StVG geben. Nach dieser Vorschrift verlängert sich die Probezeit um zwei Jahre, wenn die Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet worden ist.

In diesem Zusammenhang weist der Antragsteller möglicherweise auch zu Recht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung der Strafgerichte ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB in der Regel nicht mehr in Betracht kommt, wenn der verkehrsrechtliche Pflichtverstoß länger zurück liegt und der Zeitablauf nicht dem Betroffenen anzulasten ist3. Auch wenn die Zwecke des strafrechtlichen Fahrverbots und die der Anordnung eines Aufbauseminars für (ehemalige) Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe sich nicht in jeder Hinsicht entsprechen, könnte dieser Rechtsprechung doch ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen sein, wie in Fällen wie dem Vorliegenden § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG verfassungskonform einschränkend auszulegen ist.

Verwaltungsgericht Freiburg, Beschluss vom 30. Oktober 2012 – 5 K 2016/12

  1. zur Bindungswirkung vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23.08.2011 – 10 S 1809/10, VRS 122, 158[]
  2. vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.01.2008 – 10 S 1669/07[]
  3. OLG Hamm, Beschluss vom 07.02.2008 – 4 Ss 21/08: bei Ablauf von 2,5 Jahren, dort zitiert auch BGH, Beschluss vom 22.10.2011 – zfs 2004, 133: schon bei Ablauf von einem Jahr und neun Monaten[]