Der Hirschhof in Berlin-Pankow – der begrünte Hinterhof als öffentliche Verkehrsfläche

Die Begrünung eines privaten Hinterhofs kommt, auch wenn sie mit öffentlichen Mitteln finanziert worden ist, gewöhnlich weder der Öffentlichkeit insgesamt noch Teilen derselben, sondern allein den Bewohnern der Gebäude zugute, von denen aus der Hinterhof erreicht werden kann. Insoweit besteht mithin kein Verkaufsanspruch des Landes Berlin gegen den Eigentümer nach dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz.

Der Hirschhof in Berlin-Pankow – der begrünte Hinterhof als öffentliche Verkehrsfläche

Einem Verkaufsanspruch des Landes Berlin steht allerdings nicht entgegen, dass die Begrünung der Teilfläche eines privaten Hinterhofs keine tatsächliche Inanspruchnahme für eine Verwaltungsaufgabe im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 VerkFlBerG sein könnte. Das ist vielmehr möglich1.

Es kommt auch weder für die Frage, ob die Innenhoffläche vor dem 3.10.1990 als Verkehrsfläche in der Form einer öffentlichen Grünanlage im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VerkFlBerG tatsächlich in Anspruch genommen worden ist, noch für die Frage, ob die Hoffläche diesem Zweck weiterhin dient, auf eine förmliche Widmung als Grünanlage oder für einen anderen öffentlichen Zweck an2.

Für eine tatsächliche Inanspruchnahme der begrünten Fläche im Hinterhof für eine Verwaltungsaufgabe im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 VerkFlBerG genügt es allerdings nicht, dass die Sache – hier also der Hirschhof – „jedermann oder einem nicht individualisierten Personenkreis ohne besondere Zulassung eröffnet“ und damit „in Gemeingebrauch genommen worden“ ist. Eine solche Inanspruchnahme setzt vielmehr voraus, dass die zuständigen staatlichen Stellen vor dem 3.10.1990 die Sachherrschaft über den begrünten Teil eines solchen Hinterhofs ausgeübt und diesen für einen Außenstehenden erkennbar dem öffentlichen Verkehr geöffnet haben, dass dieser tatsächlich als solcher wahrgenommen worden ist und dass dieser Zustand heute noch besteht3.

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Die Begrünung eines privaten Hinterhofs kommt, auch wenn sie mit öffentlichen Mitteln finanziert worden ist, gewöhnlich weder der Öffentlichkeit insgesamt noch Teilen derselben, sondern allein den Bewohnern der Gebäude zugute, von denen aus der Hinterhof erreicht werden kann. Denn ein solcher Hinterhof ist anderen Interessierten normalerweise nicht zugänglich. Daran änderte es im Grundsatz nichts, wenn die Haustüren oder Hofeinfahrten der angrenzenden Häuser (tagsüber) offen stünden und der Hinterhof deshalb auch von anderen als den Bewohnern dieser Häuser betreten werden könnte. Denn er würde auch dann von jedem Außenstehenden als privates befriedetes Besitztum erkannt, zu dessen Betreten nicht jeder eingeladen ist. Das wäre im Kern nicht anders, wenn die Eigentümer der die Hoffläche umgebenden Häuser den Bewohnern dieser Häuser die Benutzung aller Teile des Innenhofs ohne Rücksicht auf deren Zuordnung zu den Grundstücken gestattet hätten. Denn zur Benutzung eines in diesem Sinne „bewohneröffentlichen“ Innenhofs ist ebenfalls nicht jeder zugelassen, sondern nur, wer zu dem Kreis der Bewohner zählt4.

Zu einer im Sinne des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes öffentlichen Fläche würde der Innenhof schließlich auch dann nicht, wenn er auf Veranlassung der privaten Eigentümer nicht nur den Nutzern der umgebenden Häuser, sondern ganz allgemein der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden wäre. Er hätte dann zwar einen Nutzen für die Allgemeinheit gewonnen, wäre aber eine private Fläche geblieben. Die Sachherrschaft der privaten Eigentümer hätte unverändert fortbestanden. Es hätte weiterhin allein in ihrem Belieben gestanden, welchen Teilen der Öffentlichkeit sie zu welchen Bedingungen die Hoffläche seinerzeit öffneten und künftig öffnen wollen. Einer solchen privatöffentlichen Nutzung fehlt das entscheidende Element, welches die öffentliche Nutzung eines privaten Grundstücks zu einer Inanspruchnahme des Grundstücks für die Erfüllung einer Verwaltungsaufgabe im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VerkFlBerG werden lässt: die öffentliche Sachherrschaft5.

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Es kommt deshalb neben der nicht notwendig ständigen, aber doch nennenswerten Zugänglichkeit des Hofs für die Öffentlichkeit, der Erkennbarkeit dieses Umstands und der tatsächlichen Nutzung des Hofs durch andere als die Bewohner der den Hof umgebenden Häuser maßgeblich darauf an, ob die Entscheidung darüber, ob und unter welchen Bedingungen der begrünte Teil des Hinterhofs der Öffentlichkeit zugänglich ist, vor dem 3.10.1990 den privaten Grundstückseigentümern aus der Hand genommen worden und dauerhaft auf die zuständigen staatlichen Stellen übergegangen war und ob dieser Zustand heute noch besteht. Andernfalls wäre der Hinterhof damals ein privates Refugium geblieben oder wieder ein solches Refugium geworden, für das ein Ankaufsrecht öffentlicher Nutzer nicht vorgesehen ist und auch nicht gerechtfertigt wäre6.

Die von dem Kammergericht – von seinem abweichenden Standpunkt7 aus getroffenen – Feststellungen ergeben nicht, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen. Sie schließen deren Vorliegen aber auch nicht von vornherein aus.

Dass die Begrünung des Innenhofs von der Stadtbezirksverwaltung geplant war und die Anwohner bei Einrichtung und Pflege finanziell und logistisch unterstützt wurden, besagt nichts darüber, wie der Staat sein Ziel erreichen wollte und erreicht hat: durch Ergreifen der öffentlichen Sachherrschaft über die begrünten Teile der Höfe oder durch Förderung der jeweiligen Eigentümer. Der Umstand, dass entsprechende Vorhaben angemeldet werden und bestimmten Anforderungen genügen mussten, z. B. den Zugang für die Öffentlichkeit herzustellen, spricht eher gegen ein Ergreifen der öffentlichen Sachherrschaft und für eine Förderung der jeweiligen Eigentümer.

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Entsprechendes gilt für die zur Erreichung des Ziels, dem Fehlen öffentlicher Spielplätze und Grünanlagen abzuhelfen, eingesetzte Maßnahme. Bei der von dem Kammergericht angesprochenen „1000-Höfe-Aktion“ sollten nicht einzelne größere öffentliche Spielplätze und Grünanlagen geschaffen werden, deren Sicherung und Unterhaltung für die staatlichen Stellen beherrschbar war. Beabsichtigt war vielmehr, grüne „Oasen“ in vielen Höfen entstehen zu lassen, um die sich die Anwohner der Höfe selbst kümmern sollten. Diese Gestaltungsform wird normalerweise eingesetzt, wenn der Staat ein erwünschtes Ziel nicht durch eigene Maßnahmen verfolgen will, sondern durch Förderung dem Ziel dienender Maßnahmen der Eigentümer. Dass der Hirschhof größer war als die dabei gestalteten Höfe, ändert daran nichts Entscheidendes.

Für eine Ergreifung der öffentlichen Sachherrschaft durch staatliche Stellen spricht im Fall der Klägerin auch nicht der Umstand, dass ihr Anwesen seinerzeit enteignet und im maßgeblichen Zeitpunkt Volkseigentum war und erst später restituiert worden ist. Zweifelhaft ist schon, ob aus dem Bestehen von Volkseigentum abgeleitet werden kann, dass die staatliche Sachherrschaft für eine auf Volkseigentum errichtete Anlage durch einen Rechtsträger ergriffen werden soll, dem das volkseigene Grundstück nicht zugeordnet ist. Hier genügt das Bestehen von Volkseigentum jedenfalls deshalb nicht für die Annahme, die öffentliche Hand habe die öffentliche Sachherrschaft über diese Fläche ergriffen, weil sich der Hirschhof auf den Teilflächen mehrerer Grundstücke befindet und das Ergreifen öffentlicher Sachherrschaft nur für die Anlage insgesamt bejaht oder verneint werden kann.

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Die aufgezeigten Gesichtspunkte schließen allerdings auch nicht vorn vornherein aus, dass der Staat über den Hirschhof im maßgeblichen Zeitraum Sachherrschaft hatte.

Nicht gesehen hat das Kammergericht ferner, dass eine etwaige Inanspruchnahme von Teilflächen der Hofgrundstücke, auf denen der Hirschhof eingerichtet ist durch die öffentliche Hand nur dann zu einem Ankaufsanspruch des Beklagten führt, wenn sie im Verhältnis zur privaten Nutzung des Innenhofs überwiegt.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 5 VerkFlBerG findet das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz nur im Fall überwiegender öffentlicher Nutzung Anwendung, wenn das von dem öffentlichen Nutzer in Anspruch genommene Gebäude oder die bauliche Anlage auch anderen als öffentlichen Zwecken dient. Hier geht es weder um die Nutzung eines Gebäudes noch um die Nutzung einer baulichen Anlage, sondern um die gemischte Nutzung einer privaten Hinterhoffläche. Sie wird vom Wortlaut der Vorschrift nicht erfasst. Auf diese Fallgestaltung ist die Vorschrift aber entsprechend anzuwenden8.

Für die Beantwortung der Frage nach einem Überwiegen der öffentlichen Nutzung kommt es auf die Verhältnisse am 3.10.1990 an9. Die überwiegende öffentliche Nutzung muss auch heute noch gegeben sein. Andernfalls diente das Grundstück nicht mehr im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 VerkFlBerG der Verwaltungsaufgabe.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. April 2014 – V ZR 17/13 –

  1. BGH, Urteil vom 12.07.2013 – – V ZR 85/12, ZOV 2013, 120 Rn. 15[]
  2. BGH, Urteil vom 12.07.2013 – – V ZR 85/12, ZOV 2013, 120 Rn. 1618[]
  3. BGH, Urteil vom 12.07.2013 – – V ZR 85/12, ZOV 2013, 120 Rn.19[]
  4. BGH, Urteil vom 12.07.2013 – – V ZR 85/12, ZOV 2013, 120 Rn.20[]
  5. BGH, Urteil vom 12.07.2013 – – V ZR 85/12, ZOV 2013, 120 Rn. 21[]
  6. BGH, Urteil vom 12.07.2013 – – V ZR 85/12, ZOV 2013, 120 Rn. 22[]
  7. KG, Urteil vom 19.12.2012 – 11 U 51/11[]
  8. BGH, Urteil vom 12.07.2013 – V ZR 85/12, ZOV 2013, 120 Rn. 26 f.[]
  9. BGH, Urteile vom 06.10.2006 – V ZR 138/05, LKV 2007, 190 Rn. 8; und vom 12.07.2013 – V ZR 85/12, ZOV 2013, 120 Rn. 28[]
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