Tätige Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB liegt erst dann vor, wenn der Täter das Opfer in seinen Lebensbereich zurückgelangen lässt und zudem auf die erstrebte Leistung verzichtet; dazu muss er vollständig von der erhobenen Forderung Abstand nehmen.

Eine Strafmilderung auf der Grundlage von § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB (i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB) kommt nämlich im Ergebnis nicht in Betracht, weil nicht alle Voraussetzungen der tätigen Reue gegeben sind. Erst dann ist aber das Ermessen des Tatrichters eröffnet, eine Strafmilderung zu gewähren.
Entgegen einer in der Strafrechtswissenschaft vertretenen Auffassung1 wird der Anwendungsbereich der tätigen Reue nach Ansicht des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht bereits dadurch eröffnet, dass der Täter die Leistung nicht mehr mit den Mitteln des § 239a Abs. 1 StGB anstrebt. Vielmehr liegen die Voraussetzungen der fakultativen Strafmilderung gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB erst dann vor, wenn der Täter das Opfer in dessen Lebensbereich zurückgelangen lässt und zudem auf die erstrebte Leistung verzichtet. Dazu muss der Täter vollständig von seiner Forderung Abstand nehmen2. Eine solche Abstandnahme wird allerdings regelmäßig konkludent in der Freilassung des Opfers zu sehen sein.
Die Notwendigkeit eines kumulativen Vorliegens ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, der den Verzicht auf die erstrebte Leistung neben der Freilassung des Opfers als Voraussetzung für das Vorliegen einer tätigen Reue gesondert hervorhebt.
Die Gesetzesmaterialien legen ebenfalls nahe, dass es sich bei den typischerweise zusammenfallenden Elementen der Freilassung des Opfers und dem Verzicht auf die erstrebte Leistung um zwei eigenständige Merkmale des § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB handelt. Der Gesetzeswortlaut des ursprünglich nur die Kindesentführung erfassenden § 239a StGB wurde mit dem 12. StrÄndG 1971 geändert und es wurde erstmals eine Regelung der tätigen Reue im damaligen Absatz 3 mit dem Wortlaut des heutigen Absatzes 4 aufgenommen. Während die Gesetzesfassung im Entwurf noch lautete „Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15), wenn der Täter aus freien Stücken das Kind, ohne es dabei zu gefährden, freiläßt. (…)“3, entschied sich der Gesetzgeber letztlich bewusst für die Aufnahme der Einschränkung „unter Verzicht auf die erstrebte Leistung“.
Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung des damaligen Absatzes 3 dem Täter im Interesse des Opfers auch nach Vollendung der Tat noch die Möglichkeit geben, Strafmilderung zu erlangen, wenn er das Opfer wieder in seinen Lebenskreis zurückkehren lässt. Die Einschränkung „unter Verzicht auf die erstrebte Leistung“ erschien dem Gesetzgeber jedoch nötig, da andernfalls auch Konstellationen unter den Wortlaut der Vorschrift subsumierbar gewesen wären, bei denen der Täter das Opfer nach Erhalt des Lösegeldes freilässt. Dies dürfe jedoch keinesfalls zu einer Strafmilderung führen. Die gewählte Formulierung gebe der Rechtsprechung die Möglichkeit, auch in Grenzfällen sachgerechte Lösungen zu finden4. Der Gesetzgeber nahm dabei sowohl den Präventivzweck der Strafe als auch Opferschutzbelange in den Blick, gelangte jedoch zu dem Ergebnis, dass ein Täter, der sich nicht von der Strafdrohung an sich, insbesondere bei der leichtfertigen Tötung nach dem heutigen Absatz 3, abschrecken lasse, sich auch nicht durch die Aussicht auf eine Strafmilderung von seinem Vorhaben abbringen lasse.
Letztlich belegen die Gesetzesgenese und die bewusste Entscheidung, den Entwurf noch um die einschränkende Voraussetzung „unter Verzicht auf die erstrebte Leistung“ zu erweitern, dass der Gesetzgeber dieser Komponente einen eigenständigen Bedeutungsgehalt neben dem Abstandnehmen vom Menschenraub zukommen lassen wollte. Diese klare gesetzgeberische Entscheidung würde umgangen, wenn man „unter Verzicht auf die erstrebte Leistung“ so auslegen würde, dass hiervon bereits jedes Abstandnehmen von einem Verfolgen des Ziels mit den Mitteln des § 239a Abs. 1 StGB erfasst wäre.
Diese Auslegung widerspricht auch nicht der Gesetzessystematik. Andere Vorschriften zur tätigen Reue gewähren dem Täter ebenfalls keine uneingeschränkte „goldene Brücke“ zur Strafmilderung. Das bloße Abstand nehmen von der weiteren Tatbestandsverwirklichung genügt in der Regel nicht. So setzt etwa § 306e StGB voraus, dass der Täter den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht (ähnlich die Regelung des § 320 Abs. 2 StGB). Es ist hierbei immer im Blick zu behalten, dass die tätige Reue nur aus nahmsweise zu einer Strafmilderung führen soll, obwohl die Schwelle zur Vollendung bereits überschritten war. Welche Anforderungen an die tätige Reue zu stellen sind, ist daher durchaus auch mit Blick auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift zu beurteilen.
Schließlich harmoniert die hier vertretene Gesetzesauslegung auch mit den Anforderungen, die bei der parallelen Problematik des Rücktritts vom unbeendeten Versuch gestellt werden. Für diesen ist anerkannt, dass der Täter die Durchführung seines Entschlusses im Ganzen und endgültig aufgeben muss, um die Voraussetzungen eines Rücktritts i.S.d. § 24 StGB zu erfüllen5. Da es oft vom Zufall abhängt, ob sich eine Tat noch im Versuchsstadium befindet oder bereits vollendet ist, liegt es nahe, bei der tätigen Reue ähnliche Anforderungen zu stellen wie beim Rücktritt vom Versuch.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. September 2016 – 1 StR 293/16
- Fischer, StGB, 63. Aufl., § 239a Rn.20; MünchKomm-StGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 239a Rn. 96[↩]
- so auch LK-StGB/Schluckebier, 12. Aufl., § 239a Rn. 58; vgl. zur parallelen Problematik bei § 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB auch: BGH, Beschlüsse vom 21.05.2003 – 1 StR 152/03, NStZ 2003, 605; vom 31.05.2001 – 1 StR 182/01, NJW 2001, 2895; und vom 08.12 1999 – 3 StR 516/99, BGHR StGB § 239a Abs. 3 Verzicht 2[↩]
- BT-Drs. VI/2139, S. 2[↩]
- so BT-Drs. VI/2722, S. 3[↩]
- vgl. z.B. schon BGH, Urteile vom 14.04.1955 – 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296; und vom 23.08.1979 – 4 StR 379/79, NJW 1980, 602[↩]