Rechtsmittelbelehrung und Zustellurkunde

Fehlt auf einer Zustellungsurkunde entgegen Nr. 142 Abs. 3 Satz 1 RiStBV der Vermerk, dass eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, beweist dies nicht das Fehlen der Belehrung. Ob eine fehlende Belehrung nach den §§ 44 Satz 2, 45 Absatz 2 Satz 1 StPO glaubhaft gemacht ist, muss unter Würdigung auch des Erledigungsvermerks der Geschäftsstelle beurteilt werden.

Rechtsmittelbelehrung und Zustellurkunde

Nach § 44 Satz 2 StPO ist die Versäumung einer Rechtsmittelfrist als unverschuldet anzusehen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn die erforderliche Rechtsmittelbelehrung unterblieben ist. In dem jetzt vom Oberlandesgericht Stuttgart entschiedenen Fall beruft sich der Beschwerdeführer zutreffend darauf, dass die Rechtsmittelbelehrung in der vom Postzusteller ausgestellten Zustellungsurkunde nicht als Gegenstand der Zustellung aufgeführt ist. Dies könnte ein Anhaltspunkt dafür sein, dass dem Beschluss, der selbst keine Rechtsmittelbelehrung enthält, auch kein Merkblatt mit einer Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, da in solchen Fällen entsprechend Nr. 142 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz RiStBV die Rechtsmittelbelehrung regelmäßig auf der Zustellungsurkunde vermerkt wird.

Dieser Anhaltspunkt wird hier aber, so das OLG Stuttgart, dadurch entkräftet, dass die zuständige Urkundsbeamtin des Amtsgerichts die Beifügung der Rechtsmittelbelehrung auf der Begleitverfügung zum Beschluss vermerkt hat. Sie hat weiter in ihrer dienstlichen Äußerung, die das OLG zum Ausschluss eines Missverständnisses eingeholt hat, dargelegt, sie sei sich sicher, der für den Beschwerdeführer bestimmten Beschlussausfertigung die Rechtsmittelbelehrung beigefügt zu haben.

In Rechtsprechung und Literatur1 wird freilich die Auffassung vertreten, dass ausschließlich der Eintrag der Rechtsmittelbelehrung in der Zustellungsurkunde als Gegenstand der Zustellung Beweis dafür erbringt, ob sie erfolgt ist oder nicht.

Dem folgt das Oberlandesgericht Stuttgart nicht. Mangels einer Rechtsgrundlage für eine solche Beweisregel ist vielmehr im Freibeweisverfahren unter Nutzung aller zur Verfügung stehenden Beweismittel zu bewerten, ob das Unterbleiben der erforderliche Rechtsmittelbelehrung glaubhaft gemacht ist.

Zwar lässt sich den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren in Nr. 142 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz für die Zustellung von Abwesenheitsurteilen die Empfehlung entnehmen, dass die Beifügung der Rechtsmittelbelehrung in der Zustellungsurkunde vermerkt werden soll. Als Rechtsgrundlage für eine die Beweisführung beschränkende Beweisregel taugt die Verwaltungsanordnung ohne Gesetzeskraft2 aber nicht. Dies will die Empfehlung ihrem Wortlaut nach, wonach der Vermerk in der Zustellungsurkunde über die Beifügung eines Merkblatts genügt , auch gar nicht sein.

Die Beweisregel in § 274 StPO, wonach mündlich erteilte Rechtsmittelbelehrungen in der Hauptverhandlung ausschließlich durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen werden können, gilt für Rechtsmittelbelehrungen außerhalb der Hauptverhandlung nicht.

Auch aus der Eigenschaft der Zustellungsurkunde als einer öffentlichen Urkunde (§§ 418 Abs. 1 i. V. m. 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO, 37 Abs. 1 StPO) folgt nicht ihre negative Beweiskraft in dem Sinn, dass eine Rechtsmittelbelehrung nicht erteilt ist, wenn sie in der Zustellungsurkunde nicht eingetragen ist. An der vollen Beweiskraft der Zustellungsurkunde nimmt nur das in Formularform (§ 176 Abs. 1 ZPO) erteilte Zeugnis des Postzustellers teil, dass er „das mit umseitiger Anschrift und Aktenzeichen versehene Schriftstück (verschlossener Umschlag)“ auf bestimmte Weise übergeben oder zu übergeben versucht hat. Über den Inhalt des Umschlags, der ihm gemäß § 176 Abs. 1 ZPO in verschlossenem Zustand zu übergeben ist, kann der Zusteller dagegen kein Zeugnis ablegen3. Es ist im Formular über die Beurkundung der Zustellung auch nicht enthalten. Im Übrigen ist nach § 418 Abs. 2 ZPO der Beweis der Unrichtigkeit der in der Urkunde bezeugten Tatsachen zulässig.

Weiter spricht die Vorschrift des § 189 ZPO gegen eine Einschränkung des Freibeweisverfahrens im vorliegenden Zusammenhang. Danach gilt ein Schriftstück im Falle von Zustellungsmängeln in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem Zustellungsadressaten tatsächlich zugegangen ist. Diese Feststellung wird im Freibeweisverfahren unter Nutzung aller zur Verfügung stehenden Beweismittel getroffen4. Nach § 35a StPO ist die Rechtsmittelbelehrung bei der Bekanntmachung einer Entscheidung zu erteilen, weshalb die Vorschrift als zwingende Zustellungsvorschrift von der Heilungsvorschrift in § 189 ZPO erfasst wird. § 189 ZPO gilt gemäß § 37 Abs. 1 StPO im Strafverfahren entsprechend5.

Nachdem das OLG mithin auf andere Weise als durch einen Eintrag auf der Zustellungsurkunde festzustellen vermag, dass der Nichtaussetzungsbeschluss des Amtsgerichts B. dem Beschwerdeführer mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung zugestellt worden ist, ist das Rechtsmittel des Beschwerdeführers kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.

Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 10. August 2010 – 2 Ws 107/10

  1. OLG Düsseldorf NStZ 1986, 233 f.; zustimmend Julius u.a. – Gercke, StPO, 4. Aufl., § 35 a Rdnr. 7; zurückhaltender Löwe/Rosenberg – Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 35 a, Rdnr. 18[]
  2. Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage, Vorbemerkung zur RiStBV[]
  3. zutreffend Münchner Kommentar – Häublein, ZPO, 3. Auflage, § 182, Rdnr. 4[]
  4. Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 189, Rn. 14[]
  5. Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage, § 37, Rdnr. 28[]