Die zugleich angeordnete Sicherungsverwahrung ist nach Ansicht des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs kein bestimmender Strafzumessungsumstand.

Soweit der 1. und der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in früheren Entscheidungen ausgeführt haben, dass zu den nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB zu berücksichtigenden Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Angeklagten in der Gesellschaft zu erwarten sind, auch die Wechselwirkung zwischen der verhängten Strafe und einer angeordneten Maßregel der Besserung und Sicherung gehören könne, und deshalb die Bemessung von (Einzel)Strafen bei zugleich angeordneter Sicherungsverwahrung beanstandet haben, weil dieser Aspekt nicht ausdrücklich erörtert worden ist1, vermag der 4. Strafsenat dem nicht zu folgen. Ein derartiger bestimmender Strafzumessungsgrund besteht nach seiner Ansicht nicht.
Die Strafe und der präventive Freiheitsentzug der Sicherungsverwahrung verfolgen verschiedene Zwecke. Während die Strafe dem Schuldgrundsatz unterliegt, dient die Maßregel dem Schutz der Allgemeinheit durch die Verhinderung künftiger Straftaten und knüpft an die Gefährlichkeit des Täters an2. Für ihre Anordnung gelten kategorial verschiedene Voraussetzungen, die getrennt voneinander zu beurteilen sind3. Daraus ergibt sich, dass zwischen der Strafe und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung grundsätzlich keine Wechselwirkung besteht4. Strafe und Maßregel sollen vielmehr unabhängig voneinander bemessen bzw. verhängt werden5. Hiermit ist die Annahme unvereinbar, die Anordnung der Sicherungsverwahrung sei als ein bestimmender Strafzumessungsumstand bei der Festsetzung der Strafe zu erörtern.
Eine solche Verpflichtung des Tatgerichts, die auch den vom 01. und 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zur Stützung ihrer Rechtsauffassung herangezogenen Entscheidungen nicht zugrunde liegt6, würde voraussetzen, dass sich die Würdigung im Rahmen der Strafzumessung aufdrängt oder unverzichtbar erscheint7. Dies ist mit Blick auf den Zweck der Sanktionen für die neben der Strafe angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht der Fall.
Auch aus § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB folgt kein anderes Ergebnis. Die Norm soll verhindern, dass die Rechtsfolgen zur Entsozialisierung des Täters führen oder seiner Resozialisierung entgegenstehen8. Die Gesamtheit der verhängten Rechtsfolgen muss verhältnismäßig sein, und die Kumulierung von Strafe und Maßregel darf nicht übermäßig sein9. Dies ist bei der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch die Anordnungs- und Vollstreckungsregelungen gewährleistet10. Das Tatgericht hat gemäß § 62 StGB die Verhältnismäßigkeit der Maßregel, mit der ein besonders schwerwiegender Eingriff in das Freiheitsgrundrecht verbunden ist, zu prüfen. Deren Vollstreckung ist zudem durch eine behandlungsorientierte Ausgestaltung des Strafvollzugs möglichst zu vermeiden (vgl. § 66c Abs. 1, 2, § 67c Abs. 1 StGB). Mit dem Strafmaß korreliert daher keine maßregelspezifische Mehrbelastung des Angeklagten, aus der sich ein bestimmender Strafzumessungsumstand zu seinen Gunsten ergeben könnte. Die ggf. erst später erfolgende Prüfung gemäß § 67d Abs. 3 StGB nach dem Vollzug von zehn Jahren der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung genügt hierfür aufgrund der vorgesehenen besonderen Ausgestaltung des Straf- wie des Maßregelvollzugs nicht.
Der 4. Strafsenat sah sich jedoch nicht gehalten, beim 1. und 2. Strafsenat anzufragen, ob diese an ihrer Rechtsauffassung festhalten (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG), da die Revision des Angeklagten im vorliegenden Fall auch unter Zugrundelegung der Rechtsmeinung der anderen Bundesgerichtshofe zu verwerfen wäre. Denn der Bundesgerichtshof vermag auszuschließen, dass die Strafkammer auf eine mildere Strafe erkannt hätte, wenn von ihr die angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausdrücklich in den Blick genommen worden wäre. Das Landgericht hat angesichts des Tatbilds und des Vorlebens des Angeklagten die Strafe maßvoll zugemessen und hierbei dessen schwierige Lebenssituation durch die Suchtproblematik strafmildernd bedacht, in der es rechtsfehlerfrei die Wurzel des Hangs des Angeklagten gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB gesehen hat. Damit fehlt es im Ergebnis an den Voraussetzungen für ein Vorlageverfahren11.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. Mai 2022 – 4 StR 99/22
- vgl. BGH, Beschluss vom 22.03.2022 – 1 StR 455/21 Rn. 4 f. [unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Einzelfall]; Beschluss vom 30.03.2021 – 2 StR 18/21 Rn. 4; Beschluss vom 21.01.2021 – 2 StR 188/20 Rn. 16[↩]
- vgl. BVerfGE 128, 326, 374; BVerfGE 109, 133, 174; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 389 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2013 – 4 StR 124/13, BGHSt 59, 56 Rn. 22 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 09.09.2021 – 3 StR 327/20 Rn. 11; Urteil vom 19.08.2020 – 5 StR 616/19 Rn. 24; Urteil vom 08.08.2017 – 5 StR 99/17 Rn. 12; Urteil vom 24.05.2018 – 4 StR 643/17 Rn. 13; jew. zur Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 07.10.1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 365; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 433[↩]
- vgl. etwa BGH, Urteil vom 19.06.2008 – 4 StR 114/08 Rn. 18[↩]
- vgl. Wenske in MünchKomm-StPO, § 267 Rn. 320 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 05.12.2002 – 3 StR 297/02 Rn. 10; s. ferner bereits BGH, Urteil vom 08.12.1970 – 1 StR 353/70, BGHSt 24, 40, 42 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 91, 1, 32[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2013 – 4 StR 124/13, BGHSt 59, 56 Rn. 22 ff.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 22.04.1997 – 1 StR 701/96, BGHSt 43, 53, 58 mwN[↩]