Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen

§ 298 Abs.1 StGB stellt es unter Strafe, wenn bei einer Ausschreibung über Waren oder gewerbliche Leistungen ein Angebot abgegeben wird, das auf einer rechtswidrigen Absprache beruht, die darauf abzielt, den Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen. Dieser Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB erfasst auch beschränkte Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber gemäß § 3 Nr. 3 VOB/A (2006) (heute § 3 Abs. 3 und 4 VOB/A) auch dann, wenn diesen kein öffentlicher Teilnahmewettbewerb vorausgegangen ist. Auch ein Angebot, das an so schwerwiegenden vergaberechtlichen Mängeln leidet, dass es zwingend vom Ausschreibungsverfahren ausgeschlossen werden müsste, kann den Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB erfüllen.

Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen

Der Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB erfasst – unabhängig von der Frage eines vorausgegangenen öffentlichen Teilnahmewettbewerbs – beschränkte Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber gemäß § 3 Nr. 3 VOB/A (2006) (heute § 3 Abs. 3 und 4 VOB/A).

Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen richtet sich – je nachdem, ob der Schwellenwert gemäß § 2 Vergabeverordnung über- oder unterschritten ist – nach den Regelungen des vierten Teils des GWB (§ 100 Abs. 1 GWB) oder § 3 VOB/A bzw. VOL/A. Im letzteren Fall werden die Aufträge nach öffentlicher oder beschränkter Ausschreibung bzw. nach freihändigem Verfahren vergeben. Dabei wird hinsichtlich der beschränkten Ausschreibung, bei der nur eine ausgewählte Anzahl von Unternehmern zur Einreichung von Angeboten aufgefordert wird, weiter zwischen der ohne (§ 3 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A (2006)) und der nach öffentlichem Teilnahmewettbewerb (§ 3 Nr. 3 Abs. 2 VOB/A (2006)) unterschieden.

Mit Blick auf diese Regelungen ist umstritten, ob § 298 Abs. 1 StGB auch beschränkte Ausschreibungen ohne vorangegangenen öffentlichen Teilnahmewettbewerb im Sinne der VOB/A erfasst. Während nach einer Auffassung ein solcher zu verlangen ist1, subsumiert eine andere Ansicht beide Formen der beschränkten Ausschreibung unter den Tatbestand2. Bei dem Streit geht es letztlich um die Frage, ob unter Ausschreibung bereits ein Verfahren verstanden werden kann, das von Beginn an darauf beschränkt ist, Angebote von einer begrenzten Mehrzahl von Unternehmern einzuholen, oder ob zu verlangen ist, dass es sich jedenfalls derart an einen unbestimmten Adressatenkreis richtet, dass diesem die Möglichkeit eingeräumt wird, einen Antrag auf Teilnahme an der Ausschreibung zu stellen3.

Der Bundesgerichtshof entscheidet die Frage dahin, dass auch beschränkte Ausschreibungen ohne vorangegangenen öffentlichen Teilnahmewettbewerb dem Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB unterfallen4. Dafür spricht bereits der Wortlaut des § 298 Abs. 1 StGB, der eine Einschränkung auf bestimmte Formen der Ausschreibung nicht erkennen lässt. Es finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Begriff der Ausschreibung im Sinne des § 298 Abs. 1 StGB einschränkender zu verstehen wäre als in § 3 VOB/A definiert. Der Wille des Gesetzgebers zielte ausdrücklich auf eine Einbeziehung der beschränkten Ausschreibung in den Tatbestand5. Da die Möglichkeit einer solchen mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb erst 2000, mithin nach Inkrafttreten des § 298 StGB in die VOB/A eingeführt wurde (hierzu Bender aaO), ist offensichtlich, dass er dabei lediglich beschränkte Ausschreibungen ohne Vorverfahren im Blick haben konnte.

Für dieses Ergebnis streiten auch Systematik und Telos der Norm, denn in § 298 Abs. 2 StGB wird sogar die freihändige Vergabe den Ausschreibungen gleichgestellt, wenn ihr ein öffentlicher Teilnahmewettbewerb vorausging. Daraus wird deutlich, dass Verstöße im Vergabeverfahren nur, aber auch stets dann erfasst werden sollen, wenn das Verfahren eine bestimmte Wettbewerbsintensität erzielt6. Diese ist aber in allen Fällen der beschränkten Ausschreibung wegen der eng umgrenzten Anzahl an Teilnehmern erreicht. Gerade dieser Umstand lässt diese Form der Ausschreibung für Absprachen besonders anfällig und dementsprechend besonders schutzbedürftig erscheinen, steigt doch die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs einer Absprache, je weniger mitbietende Konkurrenten insgesamt am Wettbewerb beteiligt sind, die an der Absprache nicht mitgewirkt haben.

Die Angeklagten trafen im vorliegenden Fall auch jeweils mit ihren Gesprächspartnern kartellrechtswidrige7 Absprachen, die darauf abzielten, den jeweiligen Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen. Dabei dienten die Gespräche nicht nur der gegenseitigen Kenntnisnahme der Angebote des anderen, stellten mithin nicht nur einen vom Tatbestand nicht erfassten Informationsaustausch dar8. Die für die Absprache maßgebliche, von Koordinationserwartung9 bzw. einem faktischen Bindungswillen der Angeklagten10 getragene Verständigung über das Verhalten im Ausschreibungsverfahren kommt vielmehr darin zum Ausdruck, dass in den Telefonaten zunächst eine Gebotsreihenfolge festgelegt und sodann – im selben oder in einem weiteren Gespräch – die Auftragssumme dem jeweils anderen mitgeteilt wurde, damit diese gegebenenfalls der abgesprochenen Reihenfolge entsprechend angepasst werden konnte. Weder der Umstand, dass – mit Ausnahme eines Falles – die abgesprochene Reihenfolge von vornherein den Vorstellungen beider Absprachepartner entsprach, noch die Tatsache, dass dementsprechend die kalkulierten Angebote bereits mit dieser Gebotsreihenfolge in Einklang stehende Auftragssummen auswiesen, lassen die entsprechende Zielrichtung der Gespräche entfallen. Dies gilt umso mehr, als nach den Feststellungen ein Verzicht des an dem Auftrag nicht interessierten Absprachepartners auf die Teilnahme an den beschränkten Ausschreibungen nicht in Betracht kam, weil nur durch die Angebotsabgabe sichergestellt werden konnte, dass der gewollt unterlegene Bieter auch bei der nächsten beschränkten Vergabe wieder Berücksichtigung fand.

Dem Schuldspruch steht auch nicht der Umstand entgegen, dass einem seiner Angebote Unterlagen gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 1 Buchst. c bis e VOB/A (2006) nicht beigefügt waren, was – so die Revision – dazu hätte führen müssen, dass das Angebot nicht hätte berücksichtigt werden dürfen. Der Bundesgerichtshof muss nicht entscheiden, ob dieser Mangel überhaupt einen zwingenden Ausschluss des Angebots gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 Buchst. b VOB/A (2006) hätte nach sich ziehen müssen11. Denn die Strafbarkeit nach § 298 StGB besteht grundsätzlich unabhängig von der Frage, ob das Angebot zu Recht Berücksichtigung fand.

Dies hat der Bundesgerichtshof bereits in einem Fall entschieden, in dem das Angebot des Bieters verspätet im Sinne des § 22 Nr. 2 VOB/A aF bei dem Veranstalter eingegangen war und deshalb der zwingenden Ausschließung nach § 25 Nr. 1 Abs. 1 Buchst. a VOB/A aF unterlag12. Das Bundesverfassungsgericht hat die dieser Rechtsprechung zugrunde liegende Auslegung für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet13.

In der Literatur wird dem allerdings entgegengehalten, ein Angebot, das an so schwerwiegenden vergaberechtlichen Mängeln leide, dass es zwingend vom Ausschreibungsverfahren ausgeschlossen werden müsste, könne den Tatbestand des § 298 StGB nicht erfüllen14. Das Schutzgut der Vorschrift, das Vertrauen des Einzelnen in den freien und fairen Wettbewerb, werde durch solche Angebote nicht berührt15, weil sie sich auf die Vergabeentscheidung von vornherein nicht auswirken und deshalb eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung nicht entfalten könnten16. Andere Autoren stellen darauf ab, dass es sich bei § 298 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handele: Könne eine Gefährdung des Schutzgutes – dies sei bei vergaberechtlich auszuschließenden Angeboten der Fall – im Einzelfall nicht eintreten, sei eine Bestrafung verfassungsrechtlich nicht mehr legitim17; insoweit wird zudem vertreten, ein wesentliches Element der Strafwürdigkeit wettbewerbsbeschränkender Absprachen liege in der möglichen Schädigung oder Gefährdung des Vermögens der Ausschreibenden; könne dessen Gefährdung ausgeschlossen werden, müsse die Strafbarkeit entfallen18.

Zu einer solchen – methodisch im Wege einer teleologischen Reduktion zu erreichenden19 – Auslegung besteht indes kein Anlass. Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei § 298 StGB – mit Blick auf die Beeinträchtigung des Ausschreibungswettbewerbs – überhaupt um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt20 und ob gegebenenfalls eine tatbestandliche Reduktion zulässig wäre21. Denn es trifft schon nicht zu, dass durch die Abgabe eines zwingend auszuschließenden Angebots das Rechtsgut des § 298 StGB nicht verletzt und nicht einmal gefährdet wird:

Die Vorschrift des § 298 StGB schützt zuvorderst den freien Wettbewerb; die Vermögensinteressen des Veranstalters (und gegebenenfalls der Mitbewerber) werden lediglich mittelbar in den Schutzbereich einbezogen. Insoweit hat sich der Gesetzgeber von vorangegangenen Reformvorschlägen, die einen Straftatbestand des Ausschreibungsbetrugs als abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betruges vorgesehen und den Schutz des Vermögens des Veranstalters in den Vordergrund gerückt hatten, bewusst gelöst22. Der Zweck von Ausschreibungen besteht darin, dem Veranstalter durch Heranziehung von auf selbständiger und verantwortlicher Rechnung beruhenden Angeboten einen verlässlichen Überblick über die tatsächlich erforderlichen Aufwendungen und die Güte der dafür zu erwartenden Leistungen zu ermöglichen23. Daraus ergibt sich, dass bei einer Ausschreibung das nur vom freien Wettbewerb geprägte Verfahren die Grundlage des konkreten Preisbildungsprozesses darstellt. Dieser Prozess als realer Vorgang ist Angriffsobjekt der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen24 und wird von ihnen auch betroffen, wenn ein darauf beruhendes Angebot wegen vergaberechtlicher Mängel nicht hätte berücksichtigt werden dürfen. Dies zeigt sich hier schon daran, dass das Angebot tatsächlich berücksichtigt wurde und sogar den Zuschlag erhielt. Darüber hinaus gilt Folgendes: Eine wettbewerbsbeschränkende, den Preisbildungsprozess betreffende Wirkung liegt bereits in der für Submissionsabsprachen typischen Wiederholung und allmählichen Steigerung der Angebotspreise in zukünftigen Vergabeverfahren25. Diese entsteht durch die Abgabe der abgesprochenen Angebote unabhängig davon, ob sie hätten ausgeschlossen werden müssen. Erst recht wird der Eintritt dieser Wirkung nicht dadurch gehindert, dass im konkreten Fall keine Vermögensschädigung eines Einzelnen eintritt26.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. Oktober 2013 – 3 StR 167/13

  1. MünchKomm-StGB/Hohmann, 2. Aufl., § 298 Rn. 35; SSW-StGB/Bosch, § 298 Rn. 3; SK-StGB/Rogall, Stand: März 2012, § 298 Rn. 10; S/S-Heine, StGB, 28. Aufl., § 298 Rn. 4[]
  2. NK-StGB-Dannecker, 4. Aufl., § 298 Rn. 36; Matt/Renzikowski/Schröder/Bergmann, StGB, § 298 Rn. 9; G/J/W/Böse, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 298 StGB Rn. 8; Bender, Sonderstraftatbestände gegen Submissionsabsprachen, 2005, S. 64 f.[]
  3. vgl. Wiesmann, Die Strafbarkeit gemäß § 298 StGB bei der Vergabe von Bauleistungen und die Implementierung eines Straftatbestands verbotener Submissionsabsprachen in ein Strafgesetz der Europäischen Union, 2006, S. 86; G/J/W/Böse aaO[]
  4. ebenso OLG Celle, Beschluss vom 29.03.2012 – 2 Ws 81/12, wistra 2012, 318, 321[]
  5. BT-Drs. 13/5584, S. 14[]
  6. Wiesmann aaO, S. 95 f., zum Schutzzweck der Norm BT-Drs. aaO, S. 13[]
  7. BGH, Beschluss vom 25.07.2012 – 2 StR 154/12, NJW 2012, 3318[]
  8. vgl. G/J/W/Böse aaO, Rn. 22[]
  9. so Wiesmann aaO, S. 126[]
  10. so SK-StGB/Rogall aaO, Rn. 22; LK/Tiedemann aaO, Rn. 32; NK-StGB-Dannecker aaO, Rn. 56 ff; MünchKomm-StGB/Hohmann aaO, Rn. 66 ff.; Otto, wistra 1999, 41[]
  11. dagegen: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.10.2005 – VII-Verg 40/05, NZBau 2006, 525, 526; dafür: BGH, Urteil vom 03.04.2012 – X ZR 130/10, NZBau 2012, 513[]
  12. BGH, Beschluss vom 19.12 2002 – 1 StR 366/02, NStZ 2003, 548[]
  13. BVerfG, Beschluss vom 02.04.2009 – 2 BvR 1468/08, wistra 2009, 269 f.[]
  14. MünchKomm-StGB/Hohmann aaO, Rn. 58; NK-StGB-Dannecker aaO, Rn. 51, 53[]
  15. MünchKomm-StGB/Hohmann aaO, Rn. 58, 62[]
  16. NK-StGB-Dannecker aaO[]
  17. Wiesmann aaO, S. 52, 68 ff. mwN[]
  18. Otto, wistra 1999, 41, 42 f., 46[]
  19. Wiesmann aaO, S. 68 ff.[]
  20. aA LK-Tiedemann aaO, Rn. 9; MünchKomm-StGB/Hohmann aaO, Rn. 6 f.; NK-StGB-Dannecker aaO, Rn. 17: Verletzungsdelikt[]
  21. vgl. LK-Tiedemann aaO, Rn. 11 f.[]
  22. BT-Drs. 13/5584, S. 13[]
  23. BT-Drs. aaO, S. 12 f.[]
  24. LK/Tiedemann aaO, Rn. 9[]
  25. LK/Tiedemann aaO, Rn. 12; G/J/W/Böse aaO, Rn. 31; NK-StGB-Dannecker aaO, Rn. 18[]
  26. LK/Tiedemann aaO, Rn. 12; NK-StGB-Dannecker aaO, Rn. 18; Kuhlen in Festschrift für Lampe, 2003, 743, 751[]