Es liegt kein Drittschutz in dem Verwaltungsakt, der über die Aufnahme eines Schülers in eine Grundschule entscheidet.

Mit dieser Entscheidung hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Anfechtungsklage eines Mitschülers abgewiesen. Der im Juli 2002 geborene Kläger besucht seit seinem ersten Schuljahr 2008/2009 die Grundschule in A. In der zweiten Klasse kam der im März 2001 geborene Beigeladene in die Klasse des Klägers. Schon damals, aber insbesondere während des gemeinsamen Besuchs der dritten Schulklasse kam es zu Zwischenfällen zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen, die von den Beteiligten und Dritten zum Teil abweichend geschildert werden (u.a.: Aufsuchen eines Krankenhauses zur ambulanten Behandlung, Mitbringen eines Messers). Nachdem der Beigeladene einige Zeit zu seiner in F. lebenden Mutter gezogen war und die dortige Grundschule besucht hatte, kam er am 26.1.2011 in die Schule und die Klasse 3 b des Klägers zurück. Der Kläger erhob Widerspruch gegen die Aufnahme des Beigeladenen in die von ihm besuchte Grundschule. Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den Widerspruch zurück. Dagegen hat der Kläger Klage erhoben sowie vorläufigen Rechtsschutz begehrt. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes1 wurde der Eilantrag abgelehnt.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Klage mit allen Anträgen bereits unzulässig. Das gilt zunächst für den Hauptantrag, die Anfechtung der Wiederaufnahme des Beigeladenen in die Grundschule des Klägers.
Es spricht zwar Vieles dafür, dass dieser Anfechtungsantrag (§ 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO) statthaft ist, weil der Schulleiter im Januar 2011 einen Verwaltungsakt erlassen haben dürfte. Wenn auch Kinder in einem bestimmten Alter bereits kraft Gesetzes und damit ohne behördlichen Aufnahmeakt2 Schüler der ersten Klasse der Grundschule ihres Schulbezirks werden (vgl. § 76 Abs. 2 Satz 1 SchG), dürfte hier ein – formloser – Verwaltungsakt des Schulleiters über die Wiederaufnahme des Beigeladenen nach unklarem vorübergehendem anderweitigem Schulbesuch ergangen sein.
Doch fehlt dem Kläger die nach § 42 Abs. 2 VwGO notwendige Klagebefugnis zur Anfechtung dieses an einen anderen, den Beigeladenen, gerichteten Verwaltungsakts. Nach dieser Bestimmung ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Zweck dieser Bestimmung ist der Ausschluss von „Popularklagen“, d.h. die Verhinderung, dass beliebig Viele gegen einzelne Verwaltungsakte klagen und damit die Verwaltung nahezu lahmlegen können3. Zwar muss die Verletzung eigener Rechte nur möglich sein, was beim Adressat eines Verwaltungsakts stets vermutet werden kann.
Der Kläger ist aber nicht Adressat der Entscheidung, den Beigeladenen (wieder)aufzunehmen, sondern Dritter. Geht es um die Klage eines solchen Dritten, ist zur Bejahung einer Klagebefugnis erforderlich, dass er sich auf eine öffentlich-rechtliche Norm stützen kann, die ihm eine eigene schutzfähige Rechtsposition einräumt. Drittschutz vermitteln jedoch nur solche Vorschriften, die nach dem in ihnen enthaltenen, durch Auslegung zu ermittelnden Entscheidungsprogramm für die Behörde auch der Rücksichtnahme auf Interessen eines individualisierbaren, d.h. sich von der Allgemeinheit unterscheidenden Personenkreises dienen4. Dazu reicht es entgegen der Ansicht des Klägers nicht aus, dass sich bestimmten Normen „eine Schutzkonzeption“ entnehmen lässt. Denn die allermeisten öffentlich-rechtlichen Normen, auch solche, die die Abwehr von Gefahren bezwecken, sind nicht dem Schutz Einzelner zu dienen bestimmt, sondern dem Schutz der Allgemeinheit, und bewirken lediglich als Reflex den Schutz Einzelner. So bestimmt etwa § 11 Abs. 1 der Fahrerlaubnisverordnung – FeV -, dass nur geeigneten Personen eine Fahrerlaubnis zu erteilen ist, und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV, dass einem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. Beiden Normen liegt ohne Zweifel „eine Schutzkonzeption“ (Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Kraftfahrern) zugrunde. Gleichwohl hat kein Bürger einen einklagbaren Anspruch darauf, dass seinem von ihm als unfähig eingestuften Nachbarn schon keine Fahrerlaubnis erteilt oder die erteilte Fahrerlaubnis wieder entzogen wird. Denn den maßgeblichen Normen der Fahrerlaubnisverordnung lässt sich keine drittschützende Wirkung entnehmen. Anderes gilt etwa für § 4 der Baunutzungsverordnung – BauNVO – , der die zulässige Bebauung in einem allgemeinem Wohngebiet regelt. Aus der Verwendung der dortigen Begrifflichkeit („nicht störende Gewerbebetriebe“) und der Gesamtschau der Vorschriften der §§ 2 ff. BauNVO lässt sich schließen, dass hier auch einzelne Dritte, die „Nachbarn“, geschützt werden sollen.
Entgegen der Ansicht des Klägers lassen weder die Normen des Schulgesetzes über die Aufnahme in eine Grundschule noch über deren Schulbezirke drittschützende Wirkung erkennen.
Die Befugnis des Schulleiters zur Aufnahme eines Grundschülers ist in § 41 Abs. 1 Satz 3 1. Var. SchG geregelt (vgl. dazu auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 24.11.1995, VBlBW 1996, 148)). Die materiellen Voraussetzungen dafür enthalten die §§ 73 ff. SchG. Relevant ist dabei unter anderem § 73 Abs. 1 Satz 1 SchG, wonach Kinder in einem bestimmten Alter verpflichtet sind, die Grundschule zu besuchen. Schon der Wortlaut der Bestimmungen enthält keinen Hinweis auf Drittschutz. Das gilt auch für den Sinnzusammenhang. Denn anderenfalls könnten Mitschüler aller Grundschulen des Landes die Aufnahme eines Schülers im Einschulungsalter, der im Kindergarten „gefährliche Tendenzen“ aufgewiesen hat, verhindern und damit einen Konflikt mit dessen Schulpflicht entstehen lassen. Das lässt hinreichend erkennen, dass §§ 73 ff. SchG alleine dem öffentlichen Interesse (und dabei durchaus auch dem Schutz der Schule und ihrer Schüler insgesamt) dienen und nicht auch dem Schutz konkreter einzelner Mitschüler. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg5. Denn Gegenstand dieser Entscheidung war die Befugnis des Schulleiters, bei der Aufnahme in ein Gymnasium die Gefährlichkeit eines Schülers zu berücksichtigten. Diese Befugnis ist (ebenso wie die Befugnis der Fahrerlaubnisbehörden zur Prüfung der Geeignetheit der Fahrerlaubnisbewerber) unbestritten, führt aber noch nicht zu einem einklagbaren Anspruch eines Dritten auf „Nichtaufnahme“. Einen solchen Drittanspruch hat der Verwaltungsgerichtshof schon nicht geprüft. Schließlich ist auch die faktische Auswirkung einer Aufnahme des Beigeladenen auf Rechte des Klägers nicht erkennbar. Denn alleine die Aufnahme eines Schülers in eine Schule kann noch keine Rechte von Mitschülern verletzen, erst das der Aufnahme nachfolgende Verhalten des Aufgenommenen.
Vergleichbares gilt für die Regelungen über die Schulbezirke. § 76 Abs. 2 SchG führt für Grundschüler Schulbezirke ein. Diese Regelung dient nach einhelliger Auffassung der möglichst gleichmäßigen Kapazitätsauslastung6. Schon das spricht gegen den Schutz der Rechte einzelner. Weiter bedeutsam ist § 76 Abs. 2 Satz 1 SchG, wonach der Schulpflichtige die Grundschule seines Schulbezirks zu besuchen hat. § 76 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SchG lässt zwar eine Ausnahme von der Pflicht zum Besuch der Grundschule des Schulbezirks in sonstigen Fällen (d.h. außer zum Kapazitätsausgleich) bei wichtigen Gründen zu (darauf stellt erkennbar auch der „Leitfaden für den Umgang mit Anträgen auf Ausnahmen vom Schulbezirk“ ab). Das führt jedoch noch nicht zu Rechten Dritter auf Einhaltung des Schulbezirks. Denn auch hier beeinträchtigt noch nicht ein etwaiger Bezirksverstoß Rechte von Mitschülern, sondern erst ein nachfolgendes Verhalten des etwa fälschlich aufgenommenen Schülers.
Auch die beiden Hilfsanträge auf Verpflichtung des Beklagten zum „Einschreiten“ sind unzulässig. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob auch ihnen die notwendige Klagebefugnis (§ 42 Abs. 1 2. Alt. u. Abs. 2 VwGO) fehlt7.
Denn es mangelt diesen Verpflichtungsbegehren an der nicht nachholbaren Sachurteilsvoraussetzung des vorherigen Behördenantrags8. Diese trägt dem Umstand Rechnung, dass ein Verpflichtungsbegehren erst konkret an die zuständige Behörde zu richten ist, damit diese zunächst den Sachverhalt aufklären und sodann über das Begehren entscheiden kann. Nur so kann dem Grundsatz der Gewaltenteilung Rechnung getragen werden. Diesem Erfordernis hat die Klägerseite nicht genügt, ungeachtet dessen, dass sie zu keinem Zeitpunkt anwaltlich vertreten war. Die Schreiben wurden stattdessen vom Verhandlungsbeistand (vgl. § 67 Abs. 7 VwGO) gefertigt, der durchaus spezifische juristische Begriffe verwendete. Diese Schreiben ab Januar 2011 waren ihrem Wortlaut nach eindeutig auf die Anfechtung der Wiederaufnahme des Beigeladenen gerichtet. Das belegt besonders deutlich die mit Klageeinreichung vorgelegte Klagebegründung, in der sogar ausdrücklich eine Aufhebung der Wiederaufnahme der Beigeladenen ohne das (aufwändige) Verfahren eines Schulausschlusses beantragt wurde. Noch im Schriftsatz vom 12.9.2011 wurde ausgeführt, im Verlangen der Klägerseite (auf Aufhebung der Wiederaufnahme des Beigeladenen) liege „eine Umgehung des § 90 SchulG… nicht vor“. Damit war für den Beklagten vor Klageerhebung nicht hinreichend erkennbar, dass der Kläger nicht nur eine Aufhebung der Wiederaufnahme, sondern ebenso den Erlass eines Schulausschlusses oder einer minderen Ordnungsmaßnahme oder anderer organisatorischer Sicherungsmaßnahmen begehrte (zumal solche auch teilweise erfolgt waren). Diese Klarstellung – im Übrigen auch nur auf den Erlass eines Schulausschlusses gerichtet – erfolgte erst im Schriftsatz vom 1.11.2011 und sogar dort wurde dies „zusätzlich und getrennt“ beantragt.
Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 16. November 2011 – 12 K 2286/11
- VG Stuttgart, Beschluss vom 09.08.2011 – 12 K 2293/11[↩]
- so Lambert u.a., Komm. z. Schulgesetz Baden-Württemberg – SchG -, § 73 Rn. 1[↩]
- vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 28.07.1994, NVwZ 1995, 598; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 42 Rn. 59; Ehlers, VerwArch 1993, 139, 171[↩]
- so insbes. BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, BVerwGE 111, 354 m.w.N.; Wysk in: Wysk, Komm. z. VwGO, § 42 Rn. 129[↩]
- VGH Baden-Württb., Urteil vom 24.11.1995 – 9 S 3100/95, VBlBW 1996, 148[↩]
- Avenarius, Schulrecht, 8. Aufl., 4.13; Rux in: Niehues/Rux, Schulrecht, 4. Aufl., Rn. 608[↩]
- offengelassen im Beschluss zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vom 09.08.2011 – 12 K 2293/11[↩]
- vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, Urt. v. 31.08.1995, BVerwGE 99, 158; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 09.11.2006 – 13 S 2193/06[↩]