Die Anordnung von Rufbereitschaft ist eine Festlegung zu Beginn und Ende der Arbeitszeit im Sinne von § 74 Abs. 1 Nr. 9 Hess. PersVG und unterliegt daher der Mitbestimmung der Personalvertretung.

Das Bundesverwaltungsgericht hält nicht an seiner entgegenstehenden älteren Rechtsprechung fest1. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich insofern der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG an2.
Zeiten einer Rufbereitschaft unterfallen zwar nicht dem arbeitszeitrechtlichen Begriff der Arbeitszeit, wie er verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen zugrunde liegt (vgl. etwa § 12 Satz 1 AZV3. Dies ist für die Auslegung einer personalvertretungsrechtlichen Vorschrift wie § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG jedoch dann nicht ausschlaggebend, wenn der mit dieser Vorschrift verfolgte Schutzzweck nach einer abweichenden Beurteilung verlangt4. So liegt es hier:
Die Mitbestimmung über die Festlegung von Beginn und Ende der Arbeitszeit gemäß § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG soll dem Personalrat unter anderem ermöglichen, darauf hinzuwirken, dass berechtigte Wünsche einzelner Beschäftigter hinsichtlich der zeitlichen Lage ihrer Arbeitszeit in Einklang mit den dienstlichen Erfordernissen gebracht, d.h. im Rahmen des Möglichen berücksichtigt werden5. Dem liegt zugrunde, dass die Lage der Arbeitszeit die Interessen der Beschäftigten in erheblicher Weise berührt. Durch sie wird zugleich ihre Freizeit zeitlich fixiert, d.h. festgelegt, welche Zeiten ihnen für die Gestaltung ihres Privatlebens zur Verfügung stehen6.
Die Festlegung der Zeiten von Rufbereitschaft berührt die Interessen der Beschäftigten in hinreichend vergleichbarer Weise wie die Festlegung der Arbeitszeiten innerhalb der Dienststelle. Ist ein Beschäftigter zur Rufbereitschaft verpflichtet, so ist er hierdurch in der Gestaltung seiner Freizeit in erheblicher Weise beschränkt. Er muss für die Dienststelle ständig erreichbar sein, sich in einem Zustand der Arbeitsfähigkeit halten und seinen Aufenthaltsort so wählen, dass er sich im Bedarfsfall jederzeit zügig in die Dienststelle begeben kann. Kurzfristige private Dispositionen oder Absprachen jedweder Art, die ihm dies unmöglich machen würden, sind ihm verwehrt; waren sie bereits getroffen, werden sie entwertet. Hiervon kann nicht nur der Beschäftigte persönlich, sondern darüber hinaus auch sein familiäres Umfeld betroffen sein.
Folgerichtig ist die Rufbereitschaft in die tarifrechtliche Typologie der „Sonderformen“ der Arbeit in § 7 TV-L bzw. § 7 TVöD eingeordnet (§ 7 Abs. 4 TV-L, § 7 Abs. 4 TVöD) und kann sie eine tarifliche Vergütungspflicht auslösen (vgl. § 8 Abs. 5 TV-L, § 8 Abs. 3 TVöD). Den „Sonderformen“ ist gemeinsam, dass sie für die betroffenen Beschäftigten mit Belastungen in qualitativer und quantitativer Hinsicht verbunden sind. Dem entspricht es, dass nach § 6 Abs. 5 TV-L bzw. § 6 Abs. 5 TVöD die Beschäftigten nur im Rahmen begründeter betrieblicher oder dienstlicher Notwendigkeit zur Arbeitsleistung in Gestalt der genannten Sonderformen verpflichtet sind. Es liegt im Rahmen der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten Zielrichtung der arbeitszeitbezogenen Mitbestimmung, die Einhaltung tariflicher Maßgaben dieser Art einer Überwachung durch die Personalvertretung zuzuführen7.
Die dienstliche Aufgabenerfüllung wird durch die Mitbestimmungspflichtigkeit der Anordnung von Rufbereitschaft nicht unangemessen erschwert. Muss für Gruppen von Beschäftigten Rufbereitschaft nach Erfordernissen, die die Dienststelle nicht voraussehen kann, unregelmäßig und kurzfristig festgesetzt werden, darf diese Festsetzung mitbestimmungsfrei ergehen und beschränkt sich die Mitbestimmung des Personalrats auf die Festlegung von Grundsätzen über die Aufstellung der Dienstpläne (§ 74 Abs. 3 HePersVG). Die letztgenannte Sondervorschrift wird allerdings im Allgemeinen nicht bei der Anordnung von Rufbereitschaft als solcher, sondern bei der Festsetzung der nicht im Vorhinein planbaren Arbeitseinsätze im Rahmen angeordneter Rufbereitschaft zum Zuge kommen8.
Die Änderung von § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG durch das Zweite Gesetz zur Verwaltungsstrukturreform9 begründet keine abweichende Sichtweise. Sie beschränkte sich auf die Streichung der Tatbestandsvariante der „sonstigen die Dienstdauer beeinflussenden Regelungen“. Dem lag offensichtlich die Absicht zugrunde, das Mitbestimmungsniveau auf dasjenige nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz zurückzuführen10. Für die Auslegung der hier interessierenden – durch die Änderung unberührt gebliebenen – Tatbestandsvariante „Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit“ lässt sich daraus nichts herleiten.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 4. September 2012 – 6 P 10.11
- vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 01.06.1987 – 6 P 8.85, Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 48 S. 1 ff.; und vom 26.04.1988 – 6 P 19.86, Buchholz 251.6 § 75 NdsPersVG Nr. 2 S. 2 ff.; bereits offen gelassen im Beschluss vom 23.08.2007 – 6 P 7.06, Buchholz 251.4 § 86 HmbPersVG Nr. 13 Rn. 34[↩]
- vgl. insbes. BAG, Beschlüsse vom 21.12.1982 – 1 ABR 14/81, BAGE 41, 200, 208 f., vom 23.07.1996 – 1 ABR 17/96, AP Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes Bl. 320, vom 29.02.2000 – 1 ABR 15/99, AP Nr. 81 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Bl. 1514, vom 23.01.2001 – 1 ABR 36/00, AP Nr. 78 zu § 75 BPersVG Bl. 963; und vom 14.11.2006 – 1 ABR 5/06, BAGE 120, 162, 169 f.[↩]
- siehe auch BAG, Beschluss vom 14.11.2006 a.a.O. S. 168[↩]
- vgl. hierzu in anderem Zusammenhang Beschluss vom 07.03.2011 – 6 P 15.10, Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 113 Rn.19[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.06.2005 – 6 P 9.04, BVerwGE 124, 34, 40 = Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 106 S. 43; stRspr[↩]
- vgl. BAG, Beschluss vom 21.12.1982, a.a.O. S.208[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.06.2005, a.a.O.[↩]
- vgl. dazu im Einzelnen BAG, Beschluss vom 23.01.2001, a.a.O. Bl. 962 ff.[↩]
- vom 20.12.2004, GVBl I S. 506[↩]
- vgl. LT-Drucks 16/2723 S. 52[↩]