Die ordnungsrechtlichen Maßnahmen der Präsidentin des Bayerischen Landtags zur Pandemiebewältigung im Maximilianeum verletzen jedenfalls nicht offenkundig organschaftliche Rechte der Abgeordneten.

So hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof in dem hier vorliegenden Fall den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgewiesen. Gegenstand der Verfassungsstreitigkeit sind Maßnahmen der Präsidentin des Bayerischen Landtags „im Zusammenhang mit der Bewältigung der durch die Ausbreitung des ‚Corona-Virus‘ bedingten besonderen Situation“. Die angegriffenen schriftlichen „Anordnungen und Dienstanweisung“ sind auf das öffentlich-rechtliche Hausrecht gemäß Art. 21 Abs. 1 Bayerische Verfassung (BV)und § 16 Abs. 2 der Hausordnung vom 15. April 2019 sowie die dienstrechtliche Fürsorgepflicht gestützt und am 3.Juli 2020 in Kraft getreten. Sie enthalten Regelungen u. a. zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Maximilianeum und zur Selbstauskunft der Besucher; der Empfang von Besuchergruppen wird untersagt.
Dagegen haben sich ein Abgeordneter und die AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag mit ihrem Antrag gewehrt. Sie beantragen festzustellen, dass die Anordnungen der Landtagspräsidentin Abgeordnetenrechte verletzen. Bis zur abschließenden Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs wollen die Antragsteller diese Feststellung im Wege der einstweiligen Anordnung erreichen. Sie sind der Auffassung, dass die Maßnahmen völlig überzogen seien. Es sei Sache der Abgeordneten selber, ob diese ihr Gesicht zeigen wollten. Die Antragsteller hätten das Recht, eine dementsprechende Politik zu vertreten und ihre die Regierungspolitik ablehnende Haltung durch die „Verweigerung des Maskenirrsinns“ auch im Parlament zum Ausdruck zu bringen. Für ihre Überzeugungen und ihre politische Oppositionsstrategie gebe es sehr gut vertretbare Gründe. Das Erfordernis der schriftlichen Auskunft bei Besuchen im Landtag habe eine abschreckende Wirkung. Auch durch das Verbot von Besuchergruppen werde die Kommunikationsbeziehung zwischen den Antragstellern und den Bürgern nachteilig beeinflusst.
In seiner Entscheidung hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof ausgeführt, dass sich aus Art. 13 Abs. 2, Art. 16 a BV ein subjektives Recht der Abgeordneten, ihr Mandat innerhalb der Schranken der Verfassung ungehindert auszuüben (sog. freies Mandat), ergebe. Ferner werde ein Kernbestand an Rechten auf Teilhabe am Verfassungsleben verbürgt, der unter anderem ein gewisses Maß an Rede- und Antragsbefugnissen umfasse. Der Minderheit solle ermöglicht werden, ihren Standpunkt in den Willensbildungsprozess des Parlaments einzubringen.
Inwieweit durch die von den Antragstellern beanstandete Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in die Ausübung dieser Rechte eingegriffen werden soll, erschließe sich nicht. Eine Beeinträchtigung des Kernbereichs der Mandatsausübung sei nicht ersichtlich, zumal Nr. 3 der Anordnungen eine Reihe von Ausnahmen von der Maskenpflicht vorsehe, wie unter anderem auch für das Tragen in Sitzungssälen und Besprechungsräumen am Platz sowie bei Presseinterviews, wenn ein Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden kann. Hinsichtlich der den Abgeordneten und Fraktionen zur Nutzung für parlamentarische Zwecke überlassenen Räumlichkeiten werde zudem lediglich geraten, den Anordnungen entsprechende eigene Regelungen zu erlassen. Dass die Parlamentsarbeit infolge der damit vor allem für die Verkehrsflächen des Maximilianeums sowie für Sitzungssäle und Besprechungsräume außerhalb des Platzes geltenden Maskenpflicht unzumutbar erschwert würde, erscheine fernliegend.
Die Antragsteller rügen darüber hinaus Beschränkungen des Besucherverkehrs im Landtag durch das Verbot von Besuchergruppen und das Erfordernis der Selbstauskunft. Diese Maßnahmen können zwar Auswirkungen auf die Kommunikationsbeziehung zwischen den Antragstellern und den Wählern haben, die als Grundbedingung für eine freie Willensbildung der Abgeordneten ebenfalls verfassungsrechtlich geschützt sei. Den Betroffenen werde allerdings insoweit mit dem Ziel der Bewältigung der durch die Ausbreitung des „Corona-Virus“ bedingten Situation keine anderen Einschränkungen auferlegt, als sie für alle Abgeordneten des Landtags und in vielen weiteren Bereichen des öffentlichen Lebens aufgrund der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung pandemiebedingt für alle Bürgerinnen und Bürger gelte. Die Maßnahmen der Antragsgegnerin dienen gleichermaßen dem Schutz von Leben und Gesundheit, somit von Grundrechten, die in der Bayerischen Verfassung gewährleistet seien (Art. 100, 101 BV) und zu den Abgeordnetenrechten in Konkurrenz treten.
Außerdem sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Präsidentin des Bayerischen Landtags zur Begründung der von ihr getroffenen Maßnahmen u. a. auf die Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts Bezug nehme, das die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland durch das Coronavirus SARS-CoV‑2 weiterhin als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch einschätzt. Trotz des umfangreichen Vortrags der Antragsteller sei auch nicht ersichtlich, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ungeeignet wäre, zur Eindämmung des Virus beizutragen. Aus der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung ergeben sich daher gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Antrag in der Hauptsache keinen Erfolg haben werde. Dass die pandemiebedingten Einschränkungen, wie die Antragsteller vorbringen, im Widerspruch zu ihrer politischen Agenda stehen, ändere an dieser Beurteilung nichts.
Weiter hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof erörtert, dass – selbst wenn aber von offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausgegangen werde – der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg habe. Bei der dann gebotenen Folgenabwägung überwiegen die gegen den Erlass einer solchen Anordnung sprechenden Gründe. Der durch die hausrechtlichen Anordnungen der Präsidentin des Bayerischen Landtags bezweckte Schutz von Leben und Gesundheit vor der nach wie vor bestehenden Gefahr, sich – auch bei Begegnungen im Landtag – mit dem Coronavirus SARS-CoV‑2 zu infizieren und an COVID-19 zu erkranken, und die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Landtags seien höher zu bewerten als die von den Antragstellern geltend gemachten Abgeordnetenrechte. Das Interesse der Antragsteller, sich im Hinblick auf die politische Wirkung einer „Unterwerfung unter die Maskenpflicht“ bei ihren Anhängern nicht den Anordnungen entsprechend verhalten zu wollen, könne von vornherein keinen in die Abwägung einzubeziehenden Gesichtspunkt darstellen.
Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 14. September 2020 – Vf. 70-IVa-20
Bildnachweis:
- Maximilianeum: Karsten Mylius | CC0 1.0 Universal