Spätaussiedlerbescheinigung – und die nicht zeitnahe Beantragung

Das Bundesvertriebenengesetz (BVFG) enthält keine Regelung, die die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG davon abhängig macht, dass der Antrag zeitnah nach der Einreise gestellt worden ist. Das gilt insbesondere auch für Personen, die vor dem 1.01.2005 eingereist sind, dabei in den Aufnahmebescheid einer volksdeutschen Bezugsperson einbezogen waren und vor der Einreise einen eigenen Aufnahmeantrag gestellt hatten, der nicht beschieden worden ist.

Spätaussiedlerbescheinigung – und die nicht zeitnahe Beantragung

Ein generelles Erfordernis zeitnaher Geltendmachung des Spätaussiedlerstatus lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

Eine solche Voraussetzung ergibt sich aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG weder in der vor dem 1.01.2005 noch in der seither geltenden Fassung. Ein Erfordernis zeitnaher Antragstellung lässt sich in den von der Fragestellung erfassten Fällen auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Härtefall-Aufnahmeantrag (§ 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG) herleiten. Unter welchen Voraussetzungen die Geltendmachung eines Rechts als verwirkt anzusehen ist, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schließlich geklärt. Allein der Umstand, dass ein Antragsteller nach Einreise im Wege des Aufnahmeverfahrens nur eine Bescheinigung als Abkömmling/Ehegatte gemäß § 15 Abs. 2 BVFG beantragt hatte und bis zur Geltendmachung eines Spätaussiedlerstatus seither viele Jahre hat verstreichen lassen, rechtfertigt danach noch nicht die Annahme einer Verwirkung.

Der Anspruch auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung richtet sich im Grundsatz nach § 15 Abs. 1 BVFG. Danach stellt das Bundesverwaltungsamt Spätaussiedlern zum Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft eine Bescheinigung aus. Eine solche Bescheinigung steht nach § 15 Abs. 1 BVFG nur demjenigen zu, der in dem für die Ausstellung der Bescheinigung maßgeblichen Zeitpunkt die Spätaussiedlereigenschaft besitzt, d.h. Spätaussiedler im Sinne von § 4 BVFG ist1. Bescheinigungsanträge von Personen, die im Wege der Einbeziehung in einen fremden Aufnahmebescheid in das Bundesgebiet eingereist sind, sind zudem an die – hier nicht problematischen – Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG gebunden2. Für die Beurteilung des klägerischen Begehrens ist dabei im Ausgangspunkt die Rechtslage maßgeblich, die im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts bestanden hat, mithin das Bundesvertriebenengesetz in der Fassung, die es durch das Gesetz zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes vom 07.11.20153 gefunden hat.

Die Beschwerde ist der Auffassung, aus der zum 1.01.2005 erfolgten Neufassung des § 15 Abs. 1 BVFG dahin, dass die Spätaussiedlerbescheinigung nunmehr von Amts wegen (und nicht mehr wie zuvor auf Antrag) ausgestellt wird, ergebe sich (jedenfalls) für den in der Fragestellung benannten Personenkreis ein Erfordernis zeitnaher Geltendmachung des Spätaussiedlerstatus nach der Einreise. Es bedarf keines Revisionsverfahrens um festzustellen, dass dieser Auffassung mangels hinreichender Anknüpfung im Gesetz nicht zu folgen ist. § 15 Abs. 1 BVFG enthält oder enthielt keine Frist für die Antragstellung; eine solche ergibt sich auch nicht aus dem Regelungszusammenhang oder den Beweisproblemen bei erst lange Zeit nach der Übersiedlung gestellten Anträgen.

Ohne Erfolg verweist die Beschwerde in diesem Zusammenhang auf die Entwurfsbegründung zum Zuwanderungsgesetz. Aus dieser wird deutlich, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung u.a. die „Beseitigung der zeitlich nicht befristeten Einleitung des Bescheinigungsverfahrens auf Antrag derjenigen, die die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 oder 2 begehren“ bezweckte. Die Bescheinigung nach § 15 BVFG soll daher „von Amts wegen ausgestellt und das Verfahren unmittelbar mit der Registrierung in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Bundes von Amts wegen eingeleitet und zügig abgeschlossen werden, um möglichst rasch abschließend über den Status zu entscheiden und Rückforderungen von Integrationsleistungen möglichst zu vermeiden“4.

Diese Motivlage lässt zunächst erkennen, dass die Spätaussiedlerbescheinigung auch nach der Auffassung des Gesetzgebers unter der bis zum 31.12 2004 geltenden Rechtslage zeitlich unbefristet beantragt werden konnte. Im Übrigen ergibt sich daraus lediglich, dass der Gesetzgeber diesen „Zustand“ aus den in der Begründung näher ausgeführten Gründen für unbefriedigend hielt und ändern wollte. Diese Änderung sollte indessen (allein) durch die Vorgabe bewirkt werden, dass das Bescheinigungsverfahren fortan unmittelbar nach Einreise durch das Bundesverwaltungsamt von Amts wegen einzuleiten ist. Dass in Fällen, in denen das Bundesverwaltungsamt entgegen dieser Vorgabe ein Bescheinigungsverfahren nicht von Amts wegen eingeleitet hat, das Begehren auf Ausstellung einer Bescheinigung fristgebunden wäre bzw. „zeitnah“ geltend gemacht werden müsste, lässt sich dem Gesetz hingegen nicht entnehmen. Im Übrigen ist das Vorbringen der Beschwerde bereits widersprüchlich, soweit sie einerseits meint, das Berufungsurteil beruhe auf einer „Nichtanwendung“ der Neufassung des § 15 Abs. 1 BVFG, andererseits aber ausführt, die durch diese Neufassung begründete Pflicht des Bundesverwaltungsamtes zur amtswegigen Einleitung des Bescheinigungsverfahrens erstrecke sich auf vor dem 1.01.2005 eingereiste Personen noch nicht. Der Sache nach möchte die Beklagte in diesen Übergangsfällen die Pflicht des Bundesverwaltungsamtes, von Amts wegen ein Bescheinigungsverfahren einzuleiten, durch eine Verpflichtung des Betroffenen zu einer zeitnahen Antragstellung ersetzt wissen. Dies ist zwar nachvollziehbar, mit den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aber nicht zu erreichen. Danach kommt Motiven und Absichten des Gesetzgebers nur insoweit Bedeutung zu, als es dafür zumindest irgendeinen Anhalt im Gesetzestext gibt; zu einer die Wortlautgrenze überschreitenden Auslegung können sie nicht führen. Rechtsfortbildung überschreitet die zulässigen Grenzen, wenn sie ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schafft5.

Ein Erfordernis zeitnaher Antragstellung lässt sich in den von der Fragestellung erfassten Fällen auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Härtefall-Aufnahmeantrag (§ 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG) herleiten. Danach muss der Antrag auf Aufnahme als Spätaussiedler im Bundesgebiet auch in den von § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG erfassten Härtefällen in zeitlichem Zusammenhang mit der Ausreise gestellt werden6. Für eine solche Voraussetzung sprachen nicht allein die Entstehungsgeschichte des § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG (a.F.), der Zweck des Aufnahmeverfahrens und weitere teleologische Argumente, wie etwa die Überlegung, dass eine zweifelsfreie behördliche Überprüfung der bei Wohnsitznahme vorhandenen Beherrschung der deutschen Sprache mit zunehmendem Zeitablauf seit der Einreise immer schwieriger wird. Vielmehr gab es dafür in §§ 26, 27 BVFG auch einen hinreichenden Anhalt im Gesetz. Diese Vorschriften boten vor allem mit der Formulierung „Personen, die die Aussiedlungsgebiete als Spätaussiedler verlassen wollen“ (§ 26 BVFG), eine textliche Grundlage für die Entscheidung des Gerichts, in dem bereits beim Verlassen der Aussiedlungsgebiete vorausgesetzten und zu betätigenden „Spätaussiedlerwillen“ ein eigenständiges verfahrensrechtliches Erfordernis für den Erhalt eines Aufnahmebescheides zu sehen7. An einem solchen Anknüpfungspunkt im Wortlaut des Gesetzes fehlt es in den im Bescheinigungsverfahren allein maßgeblichen Regelungen § 15 Abs. 1 und 2 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 BVFG. § 4 Abs. 1 BVFG verlangt für die Entstehung der Spätaussiedlereigenschaft neben der deutschen Volkszugehörigkeit und der Erfüllung bestimmter Stichtagsvoraussetzungen lediglich ein Verlassen der Aussiedlungsgebiete „im Wege des Aufnahmeverfahrens“. Dafür reicht es aus, wenn der Betroffene als Familienangehöriger in den Aufnahmebescheid einer Bezugsperson einbezogen war. Ein Erfordernis, den Willen, als deutscher Volkszugehöriger Aufnahme zu finden, nach einer derartigen Einreise zeitnah betätigen zu müssen, lässt sich dieser Vorschrift nicht entnehmen und wurde ihr bisher auch in der Praxis nicht entnommen8.

Hinzu kommt, dass alle von der Fragestellung erfassten Personen ihren Spätaussiedlerwillen bereits vor der Einreise betätigt haben, in dem sie einen – nicht beschiedenen – Antrag auf Aufnahme als Spätaussiedler gestellt haben. Nur unter dieser Voraussetzung kommt ein erfolgreicher „Höherstufungsantrag“ nach der Einreise überhaupt in Betracht (§ 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG)9. Eine Lage, bei der ein etwa fortbestehender Spätaussiedlerwille erneut erkennbar zu betätigen ist, hat das Bundesverwaltungsgericht auch in seiner Rechtsprechung zum Härtefallaufnahmeverfahren nur angenommen, wenn ein Aufnahmeantrag – anders als hier – vor der Übersiedlung bestandskräftig abgelehnt worden ist10. Die ausdrückliche Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG zu bestimmten Fallgruppen eines „Höherstufungsantrages“ schließt auch eine Regelungslücke aus, deren Schließung durch Rückgriff auf die Rechtsprechung zum Härtefallaufnahmeantrag oder eine gesetzesfreie Befristung des Antragsrechts erwogen werden könnte.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass aufgrund der von der Beschwerde angeführten praktischen Schwierigkeiten bei der Bearbeitung nicht zeitnah gestellter „Höherstufungsanträge“ sowie der Aufhebung des § 100a BVFG durch den Gesetzgeber für die zahlreichen Altfälle ein besonderes Bedürfnis nach einer Befristung der „Höherstufungsmöglichkeit“ im Bescheinigungsverfahren bestehen mag. Diesem kann angesichts der dargestellten Rechtslage aber nur der Gesetzgeber Rechnung tragen.

Ist damit eine generelle Befristung der Antragstellung nach § 15 Abs. 1 BVFG derzeit rechtlich nicht vorgesehen, kann sich eine zeitliche Grenze im Einzelfall lediglich aus den Grundsätzen der Verwirkung ergeben.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 5. Februar 2018 – 1 B 132.17

  1. BVerwG, Urteil vom 16.07.2015 – 1 C 29.14, BVerwGE 152, 283, 295[]
  2. vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 25.10.2017 – 1 C 21.16 []
  3. BGBl. I S.1922[]
  4. BT-Drs. 15/420 S. 118[]
  5. vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 10.08.2016 – 1 B 83.16 7 m.w.N.[]
  6. vgl. BVerwG, Urteile vom 13.12 2012 – 5 C 23.11, BVerwGE 145, 248; und vom 06.11.2014 – 1 C 12.14, Buchholz 412.3 § 27 BVFG Nr.19; Beschlüsse vom 04.03.2016 – 1 B 31.16 – juris; und vom 23.03.2016 – 1 B 29.16 []
  7. BVerwG, Urteil vom 13.12 2012 – 5 C 23.11, BVerwGE 145, 248 Rn. 14[]
  8. vgl. die oben wiedergegebene Begründung zum Entwurf des Zuwanderungsgesetzes BT-Drs. 15/420 S. 118[]
  9. zur Anwendbarkeit auch auf Einreisen vor dem 1.01.2005 vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2017 – 1 C 21.16[]
  10. vgl. BVerwG, Beschluss vom 04.03.2016 – 1 B 31.16 6[]