Auch sogenannte Nahversorgungsbereiche können zentrale Versorgungsbereiche sein, die vor schädlichen Auswirkungen durch Einzelhandel außerhalb dieses Bereichs zu schützen sind, entschied jetzt das Bundesverwaltungsgericht in zwei bei ihm anhängigen Revisionsverfahren.

Geklagt hatten zwei Lebensmitteldiscounter, die sich gegen die Versagung einer Baugenehmigung bzw. eines Vorbescheids für die Errichtung eines Lebensmitteleinzelhandelbetriebs in München bzw. Köln wenden.
Nach § 34 Abs. 3 BauGB dürfen von Bauvorhaben, die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils an sich zulässig sind, keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein. Ziel ist die Erhaltung gewachsener städtebaulicher Strukturen und die Entwicklung integrierter Lagen auch im Interesse der verbrauchernahen Versorgung. Zentrale Versorgungsbereiche sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde, denen auf Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen – häufig ergänzt durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote – eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt.
In dem Münchener Verfahren1 wendet sich die Klägerin, eine Lebensmitteldiscounter-Kette, gegen die Versagung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines großflächigen Lebensmitteleinzelhandelbetriebs in München. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof verneinte auf die Klage des Lebensmitteldiscounters, dass schädliche Auswirkungen zu erwarten seien, und verpflichtete die Bauaufsichtsbehörde, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen2. Zur Begründung verweist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auf die einschlägigen landesplanerischen Zielvorgaben, die er als Orientierungshilfe ansieht und die darauf abstellen, ob neu auszuweisende Flächen für Einzelhandelsgroßprojekte die Kaufkraftabschöpfung im Nahbereich von nicht mehr als 25% ermöglichen. Schädliche Auswirkungen im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB könnten grundsätzlich nicht schon bei einer diesen Grenzwert voraussichtlich nicht erreichenden Kaufkraftabschöpfung zu erwarten sein.
In dem Kölner Verfahren3, in dem es um einen unterhalb der Schwelle zur Großflächigkeit liegenden Lebensmitteleinzelhandelbetrieb in Köln geht, bejahte das Oberverwaltungsgericht Münster schädliche Auswirkungen des Vorhabens auf ein Nahbereichszentrum, das es als zentralen Versorgungsbereich ansieht4. Das Oberverwaltungsgericht stellt dabei nicht auf das Kriterium der Kaufkraft ab, sondern argumentiert unter anderem mit einem Vergleich der Verkaufsflächen und verweist darauf, dass die Funktionsfähigkeit des Nahbereichszentrums maßgeblich durch zwei bereits vorhandene, nahe beieinander liegende Lebensmittelmärkte mit insgesamt 1 200 qm Verkaufsfläche geprägt sei.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in beiden Fällen die Auffassung der Vorinstanzen bestätigt und klargestellt, dass auch solchen Einkaufsbereichen eine Funktion als zentraler Versorgungsbereich zukommen kann, die ein im Wesentlichen fußläufig erreichbares Einzugsgebiet haben und der Nahversorgung dienen.
In dem Kölner Fall hat es zudem die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bestätigt, wonach bei der Prognose, ob schädliche Auswirkungen zu erwarten sind, auch berücksichtigt werden könne, dass die Funktionsfähigkeit des Nahversorgungsbereichs bereits durch zwei andere nahe beieinander liegende Lebensmittelmärkte vorbelastet sei.
In dem Münchener Fall hat das Bundesverwaltungsgericht den Rechtsstreit dagegen an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zur erneuten Würdigung der tatsächlichen Umstände zurückverwiesen, weil dieser sich bei der Prognose der städtebaulichen Auswirkungen des Vorhabens allein an Schwellenwerten orientiert hat, die er den raumordnungsrechtlichen Regelungen des Landesentwicklungsprogramms entnommen hat. Solche landesplanerischen Zielvorgaben sind jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts für die Beurteilung der baurechtlichen Zulässigkeit eines einzelnen Vorhabens am Maßstab des § 34 Abs. 3 BauGB ungeeignet.
Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 17. Dezember 2009 – 4 C 1.08 und 4 C 2.08