Mit der Pflicht des Anlageberaters, den Anlageinteressenten über für die Kapitalanlage bedeutsame Gesetzesänderungen zu informieren und hierzu Er-kundigungen einzuziehen, hatte sich jetzt der Bundesgerichtshof zu befassen:

Die Pflichten des Anlageberaters reichen weiter als die Pflichten des Anlagevermittlers:
Der Anlagevermittler schuldet dem Interessenten eine richtige und vollständige Information über diejenigen tatsächlichen Umstände, die für dessen Anlageentschluss von besonderer Bedeutung sind1. Der Anlagevermittler muss das Anlagekonzept, bezüglich dessen er Auskunft erteilt, wenigstens auf Plausibilität, insbesondere wirtschaftliche Tragfähigkeit hin überprüfen. Ansonsten kann er keine sachgerechten Auskünfte erteilen2. Vertreibt er die Anlage anhand eines Prospekts, muss er, um seiner Auskunftspflicht nachzukommen, im Rahmen der geschuldeten Plausibilitätsprüfung den Prospekt jedenfalls darauf überprüfen, ob er ein in sich schlüssiges Gesamtbild über das Beteiligungsobjekt gibt und ob die darin enthaltenen Informationen, soweit er das mit zumutbarem Aufwand festzustellen in der Lage ist, sachlich vollständig und richtig sind3.
Demgegenüber ist ein Anlageberater zu mehr als nur zu einer Plausibilitätsprüfung verpflichtet. In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich seine Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Entscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Er muss deshalb eine Anlage, die er empfehlen will, mit üblichem kritischem Sachverstand prüfen oder den Anlageinteressenten auf ein diesbezügliches Unterlassen hinweisen. Ein Berater, der sich in Bezug auf eine bestimmte Anlageentscheidung als kompetent geriert, hat sich dabei aktuelle Informationen über das Objekt, das er empfehlen will, zu verschaffen. Dazu gehört die Auswertung vorhandener Veröffentlichungen in der Wirtschaftspresse4.
Gleichwohl ist auch ein Anlageberater nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht verpflichtet, über die Auswirkungen der 6. KWG-Novelle, insbesondere die damit verbundenen rechtlichen Risiken für die Kapitalanlage, zu informieren, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach der Neufassung von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG (Einlagengeschäft) durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen vom 22.10.19975 mit Wirkung ab dem 1. Januar 1998 bestand allerdings die nahe liegende Möglichkeit, dass die Aufsichtsbehörde die ratierliche Auszahlung des späteren Auseinandersetzungsguthabens der Anleger als ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft ansehen und gegen die Anlagegesellschaft eine entsprechende Verbotsverfügung erlassen würde. Jedenfalls war die Rechtslage mit Inkrafttreten der 6. KWG-Novelle insoweit unsicher geworden6. Der Bundesgerichtshof hat die Anlagegesellschaft (Emittentin) daher für verpflichtet gehalten, die Anlageinteressenten darauf hinzuweisen, dass aufgrund der Gesetzesänderung rechtliche Bedenken gegen die ratierliche Auszahlung der Auseinandersetzungsguthaben bestehen könnten7. Angesichts der Bedeutung dieses Gesichtspunkts für die Kapitalanlageentscheidung mussten die Interessenten darüber informiert werden, ob das Anlagemodell rechtlich abgesichert oder aber mit bankaufsichtsrechtlichen Maßnahmen und damit verbundenen Prozessrisiken zu rechnen war. Die Verletzung dieser Aufklärungspflicht kann, wenn der Gesellschaftsvertrag nach dem Inkrafttreten der 6. KWG-Novelle geschlossen worden ist, eine Schadensersatzpflicht der Anlagegesellschaft (Emittentin) nach sich ziehen8.
Aus den genannten Entscheidungen ergibt sich, nicht zugleich und ohne Weiteres eine entsprechende Aufklärungs- und Haftungspflicht des Anlageberaters9.
Für den Anlageberater gelten nicht dieselben Maßstäbe wie für die Anlagegesellschaft (Emittentin), die in eigener Verantwortung die rechtliche Einstufung ihrer Geschäftstätigkeit umfassend und unter Inanspruchnahme aller zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu prüfen und um die Erteilung etwaiger erforderlicher Genehmigungen oder Erlaubnisse nachzusuchen hat beziehungsweise die rechtliche Bewertung der zuständigen Genehmigungs- oder Aufsichtsbehörde abfragen kann („Negativattest“). Umfang und Art der Hinweis- und Ermittlungspflichten des Anlageberaters bestimmen sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Dabei kommt es insbesondere darauf an, wie der Anlageberater gegenüber dem Anlageinteressenten auftritt und ob und inwieweit dieser die berechtigte Erwartung hegt, über bestimmte Umstände informiert zu werden. Zu solchen Umständen zählen grundsätzlich zwar auch Gesetzesänderungen, sofern sie für die empfohlene Kapitalanlage erhebliche Auswirkungen haben können. Anders als die Anlagegesellschaft muss der Anlageberater aber nicht ohne besondere Anhaltspunkte infolge einer Gesetzesänderung auftretenden schwierigen und ungeklärten Rechtsfragen nachgehen, die er regelmäßig nur unter Inanspruchnahme sachkundiger Hilfe (Rechtsgutachten) abklären könnte.
Nach diesen Grundsätzen war der Anlageberater im Streitfall nicht gehalten, Erkundigungen über die damals bevorstehende Änderung der Gesetzeslage einzuziehen und seine Kunden hiervon in Kenntnis zu setzen.
Die 6. KWG-Novelle war zum Zeitpunkt der Zeichnung (04.11.1997) noch nicht in Kraft getreten war. Die Kläger haben auch nicht aufgezeigt, dass der Anlageberater von der damit verbundenen Problematik für die hier in Rede stehende Kapitalanlage aus der Wirtschaftspresse erfahren hätte oder jedenfalls hätte erfahren müssen. Gleiches gilt für etwaige sonstige Anhaltspunkte. Der Umstand allein, dass der Anlageberater seit 1991 Beteiligungen bei der „G. G. “ in seiner „Angebotspalette“ hatte, ist insoweit ohne Aussagekraft.
Musste dem Anlageberatern die mit der 6. KWG-Novelle verknüpfte Rechtsunsicherheit demnach nicht bekannt sein und durften die Kläger diesbezügliche Nachforschungen und Informationen nach Lage des Falles von dem Anlageberatern auch nicht erwarten, so musste der Anlageberater die Kläger auch nicht darüber aufklären, dass er eine dahingehende Überprüfung unterlassen habe.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 1. Dezember 2011 – III ZR 56/11
- st. Rspr.; z.B. BGH, Urteile vom 12.02.2004 – III ZR 359/02, BGHZ 158, 110, 116; vom 12.07.2007 – III ZR 145/06, WM 2007, 1608 Rn. 8; vom 05.03.2009 – III ZR 17/08, NZG 2009, 471, 472 Rn. 11 und vom 16.06.2011 – III ZR 200/09, BeckRS 2011, 17987 Rn. 14[↩]
- BGH, Urteile vom 05.03.2009 aaO mwN und vom 16.06.2011 aaO[↩]
- BGH, Urteile vom 12.02.2004 aaO; vom 05.03.2009 aaO Rn. 12 mwN und vom 16.06.2011 aaO[↩]
- vgl. z.B. BGH, Urteile vom 05.03.2009 – III ZR 302/07, WM 2009, 688, 690 Rn. 13 ff; vom 05.11.2009 – III ZR 302/08, WM 2009, 2360, 2362 Rn. 16, 18 und vom 16.09.2010 – III ZR 14/10, NZG 2010, 1272, 1273 Rn. 10[↩]
- BGBl. I S. 2518[↩]
- s. dazu BGH, Urteil vom 21.03.2005 – II ZR 149/03, NZG 2005, 476, 478[↩]
- BGH, Urteile vom 21.03.2005 aaO; vom 18.04.2005 – II ZR 21/04, BeckRS 2005, 07047; und vom 26.09.2005 – II ZR 314/03, NJW-RR 2006, 178, 181[↩]
- BGH, Urteile vom 21.03.2005 aaO; vom 18.04.2005 aaO; und vom 26.09.2005 aaO[↩]
- so auch OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 20.12.2007 – 24 U 98/07 – die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde ist vom Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 26.06.2008 – III ZR 22/08 zurückgewiesen worden; a.A. hingegen wohl Thüringer OLG, Urteil vom 28.04.2009 – 5 U 355/08[↩]