Krankenkassen dürfen keine Risikokriterien und Warnhinweise für Pflegeheime ins Internet stellen. So entschied jetzt das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zugunsten eines Altenpflegeheims aus Horn-Bad Meinberg, dass die allgemeinen Ortskrankenkassen keine von ihnen selbst definierten Risikokriterien und erklärende Warnhinweise für Pflegeheime hinzufügen dürfen, wenn sie die gesetzlich vorgesehenen Transparenzberichte mit den Prüfergebnissen über die Heime ins Internet stellen.

Damit hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen den allgemeinen Ortskrankenkassen vorläufig untersagt, auf ihrer Website AOK-Pflegeheim-Navigator.de von ihnen ausgewählte Risikokriterien und zur Erläuterung beigefügte Warnhinweise über das beschwerdeführende Pflegeheim zu veröffentlichen sowie eine entsprechende Sortierfunktion anzubieten.
Nach Einschätzung der gesetzlichen Krankenkassen sind diese Risikokriterien von besonderer Bedeutung für die Gesundheit der Pflegeheimbewohner. Zu den Kriterien zählen etwa Vorkehrungen gegen Dekubitus (Wundliegen), optimale Nahrungsversorgung oder Sturzvorbeugung.
Nach Ansicht des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen sieht aber die Pflege-Transparenzvereinbarung stationär (PTVS), die als rechtliche Grundlage für die Veröffentlichung von Prüfergebnissen über Pflegeheime in den Transparenzberichten dient, derzeit keinerlei Sortierung dieser Berichte nach Risikokriterien und auch keine entsprechenden Warnhinweise vor. Vielmehr sei nach dem Willen der Vertragsparteien der PTVS, zu denen unter anderem die Dachverbände der Pflegeheimbetreiber und die gesetzlichen Krankenkassen gehören, eine Gewichtung der Transparenzkriterien nach deren Bedeutung für die pflegebedürftigen Menschen bisher gerade nicht möglich.
Die zunächst geplante Anpassung der Vereinbarung an aktuelle pflegewissenschaftliche Erkenntnisse habe bislang nicht stattgefunden, so das Landessozialgericht weiter. Die Vereinbarung konnte daher von den gesetzlichen Krankenkassen nicht einseitig geändert werden. Eine Veröffentlichung der Transparenzberichte in anderer Form als von der PTVS vorgegeben sei grundsätzlich geeignet, Wettbewerbs- und Grundrechte der Pflegeheime, insbesondere deren Berufsfreiheit aus Artikel 12 GG, zu verletzen.
Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung von Transparenzberichten ist § 115 Abs. 1a SGB XI. Diese Rechtsgrundlage ist nach der ständigen Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen nicht verfassungswidrig und ihre rechtlichen Grenzen sind nicht überschritten1.
Allerdings ist die Veröffentlichung eines Transparenzberichts gerade im Hinblick auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen2 nur in dem von § 115 Abs.1a SGB XI iVm der PTVS vergebenen Rahmen zulässig. Überschreitet die Veröffentlichung diese Vorgaben oder ist sie inhaltlich offensichtlich fehlerhaft, ist sie im Hinblick auf mögliche Eingriffe in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerin nicht hinzunehmen. Denn durch unzutreffende öffentliche Bewertungen von Martkangeboten durch Hoheitsträger und entsprechende staatliche Marktsteuerung kann das Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit verletzt sein. Insofern ist eine Verletzung nicht nur möglich, wenn eine berufliche Tätigkeit unterbunden wird, sondern auch, wenn der Markterfolg behindert wird. Art. 12 Abs. 1 GG schützt Unternehmen in ihrer beruflichen Betätigung auch vor inhaltlich unrichtigen oder unsachlichen Informationen oder Bewertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen oder herabsetzend formuliert sind, wenn der Wettbewerb in seiner Funktionsweise durch sie gestört wird und sie in der Folge den betroffenen Wettbewerber in der Freiheit seiner beruflichen Tätigkeit beeinträchtigen3.
Mit der Feststellung der Beeinträchtigung des Schutzbereichs steht auch die Rechtswidrigkeit fest, da eine Rechtfertigung der Weiterverbreitung von unrichtigen Informationen ausgeschlossen ist. Auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat die Veröffentlichung von Transparenzberichten dann als unzulässig angesehen, wenn die Bewertung den Boden der Neutralität, der Ojektivität und der Sachkunde verlässt, insbesondere bei offensichtlichen oder gar bewussten Fehlurteilen, etc.4.
Entsprechendes gilt nicht nur dann, wenn die Bewertung an sich, also die im Transparenzbericht wiedergegebenen Noten, fehlerhaft sind bzw. den Boden der Neutralität, etc. verlassen haben, sondern auch dann, wenn sie nicht so veröffentlicht sind, wie dies in der PTVS vorgegeben ist. Gerade im Hinblick darauf, dass der Senat § 115 Abs 1a SGB XI nicht für verfassungswidrig ansieht und die Veröffentlichung von Transparenzberichten im Rahmen der mit der genannten Vorschrift in Übereinstimmung stehenden PTVS grundsätzlich gebilligt hat, ist es erforderlich, dass sich die Art und Weise der Veröffentlichung eben in dem von der PTVS gesteckten Rahmen hält. Da die Veröffentlichung der Transparenzberichte grundsätzlich geeignet sein kann, Wettbewerbs- und Grundrechte der Pflegeheimträger zu verletzen, ist sie nur in der Gestalt erlaubt, wie sie von der PTVS vorgegeben wird.
Diesen Vorgaben wird die von den Antragsgegnerinnen gewählte Art der Veröffentlichung im Internet auf der Plattform AOK Pflegeheim-Navigator nicht gerecht. Nach § 5 der PTVS werden die Prüfergebnisse bundesweit einheitlich auf zwei Darstellungsebenen veröffentlicht. Auf der ersten Darstellungsebene erscheinen die Prüfergebnisse der Qualitätsbereiche, das Gesamtergebnis sowie mögliche Ergebnisse gleichwertiger Prüfungen. Auf der zweiten Darstellungsebene werden die Prüfergebnisse zu den einzelnen Bewertungskriterien dargestellt. Weitere Einzelheiten sind in der Anlage 4 der PTVS geregelt. Dort ist im einzelnen beschrieben, wie die Darstellungsebenen auszusehen haben. In der Anlage 4 zur PTVS ist sodann ua ausdrücklich vorgegeben, dass die in der Darstellungsebene 1 aufzunehmenden Informationen „verbindlich“ aufgeführt sind. Zudem ergibt sich aus der Anlage, dass auch das Layout im einzelnen zwischen den Vertragsparteien abzustimmen ist und mithin nicht einseitig von einer Vertragspartei für ihren Bereich geändert werden kann.
Von der so umschriebenen Art und Weise der Veröffentlichung weicht die von den Antragsgegnerinnen gewählte Art der Veröffentlichung in rechtserheblicher Weise zum Nachteil der Antragstellerin ab. Zwar ist es richtig, dass die Nutzer auch die Möglichkeit haben, die Darstellung so aufzurufen, wie sie von der PTVS vorgegeben ist. In der gleichen Suchmaske, nicht auf einer anderen, hiervon getrennten Maske oder einer anderen Homepage, besteht aber eben auch die Möglichkeit, gerade dann, wenn die Nutzer sich nur die Pflegeheime mit bereits veröffentlichtem Transparenzbericht anzeigen lassen wollen, eine Sortierung nach den von den Antragsgegnerinnen gewählten sog. Risikokriterien vorzunehmen. Hierzu bedarf es allein des Anklickens des Kästchens „nur Einrichtungen mit MDK-Transparenzbericht“. Will sich der Nutzer nur solche Einrichtungen anzeigen lassen, so hat er nur die Möglichkeit, nach den Risikofaktoren zu sortieren. Zudem erscheint der sog. Warnhinweis, wenn über den auf der Suchmaske bereits vorgegeben Link „nähere Informationen“ diese Maske aufgerufen wird.
Abgesehen davon, dass eine Sortierung der Transparenzberichte nach irgendwelchen Risikokriterien in der PTVS überhaupt nicht vorgegeben ist, findet die von den Antragsgegnerinnen vorgenommene Auswahl der neun Risikokriterien nirgendwo in der PTVS eine Stütze. Mit der Auswahl dieser Risikokriterien geben die Antragsgegnerinnen der Überzeugung Ausdruck, dass diese Kriterien für die Wahl des Pflegeheims für die Nutzer von überragender Bedeutung sind. Dies wird durch den Inhalt des sog. Warnhinweises noch unterstrichen. Die PTVS selbst gewichtet jedoch an keiner Stelle ihre Transparenzkriterien oder gibt bestimmten Kriterien vor anderen den Vorrang. Nach dem Willen der Vertragsparteien ist eine Gewichtung der Transparenzkriterien nach deren Bedeutung für die pflegebedürftigen Menschen bislang nicht möglich; eine, zunächst geplante, Anpassung der PTVS an aktuelle pflegewissenschaftliche Erkenntnisse, hat bislang nicht stattgefunden. Es ist den Antragsgegnerinnen zur Überzeugung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen auch verwehrt, sich auf das Ergebnis im Abschlussbericht über die „quantitative und qualitative Auswertung der Transparenzergebnisse der Medizinischen Dienste für die stationäre und ambulante Pflege“ (Stand: 16.02.2010) sowie den wissenschaftlichen Evaluationsbericht der Professorinnen Dr. I und Dr. X zu beziehen. Es mag sein, dass dort, ggf. pflegewissenschaftlich zu Recht, Risikofaktoren empfohlen bzw. festgelegt werden, die für die Versorgung der Versicherten von höherer Bedeutung als die anderen Transparenzkriterien, ja von essentieller Bedeutung sind. Diese Berichte sind in der PTVS bislang aber nicht umgesetzt worden. Damit können sie bei der Art und Weise der Veröffentlichung auch keine Berücksichtigung finden. Die Festlegung der Kriterien der Veröffentlichung sind durch § 115 Abs. 1a S. 6 SGB XI allein den dort genannten Spitzenverbänden (Spitzenverband Bund der Pflegekassen, Vereinigung der Träger der Pflegeeinrichtung auf Bundesebene, Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen) vorbehalten. Solange diese die Ergebnisse etwaiger Evaluationsberichte noch nicht umgesetzt haben, können die in der PTVS vorgenommenen Regelungen zur Veröffentlichung auch nicht geändert werden.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen weist allerdings auch darauf hin, dass er gegen die von den Antragsgegnerinnen angebotene Sortierfunktion dann keine Bedenken hätte, wenn sie mit der Suchmaske für die Transparenzberichte, wie sie nach der PTVS vorgegeben ist, nicht verknüpft wäre, also als eine gesonderte und insbesondere nicht verlinkte Leistung zur Verfügung stünde. Dies ist jedoch – bislang – nicht der Fall.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Mai 2011 – L 10 P 7/11 B ER
- vgl. zuletzt LSG NRW, Beschluss vom 15.11.2010 – L 10 P 76/10 B ER, m.w.N.[↩]
- vgl. insbesondere auch LSG NRW, Beschluss vom 10.05.2010 – L 10 P 10/10 B ER[↩]
- vgl. hierzu die Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg zur Verfassungsmäßigkeit der PTVS und der entsprechenden Pflege-Transparenzvereinbarung ambulant – PTVA -, zuletzt LSG Berlin-Brdbg., Beschluss vom 11.05.2010 – L 27 P 18/10 B ER[↩]
- vgl. LSG NRW, Beschluss vom 10.05.2010 – L 10 P 10/10 B ER[↩]
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