Ein Betriebsrat kann nicht wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten aufgelöst werden, wenn er nach dem Untergang des Betriebs nur noch ein Restmandat innehat. Möglich ist aber der Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten in dem Sinn, dass es von der Wahrnehmung des Restmandats ausgeschlossen ist.

Hat ein Betriebsrat ein Restmandat nach § 21b BetrVG inne, kann er nicht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG aufgelöst werden.
Zwar kann nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG ua. der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Diese Regelung ist auf den nach § 21b BetrVG restmandatierten Betriebsrat aber nicht anzuwenden. Maßgeblich ist die Mandatsverfassung – Voll- oder Restmandat – im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Auflösungsantrag.
Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG können mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft beim Arbeitsgericht die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Ein dahingehender gerichtlicher Beschluss wirkt rechtsgestaltend. Mit Eintritt seiner Rechtskraft hört der Betriebsrat auf zu bestehen; nach § 24 Nr. 5 Alt. 2 BetrVG erlischt die (Ersatz-)Mitgliedschaft im Betriebsrat. Ein laufendes Einigungsstellenverfahren wird wegen Wegfalls eines der Beteiligten gegenstandslos1.
Der restmandatierte Betriebsrat unterliegt keiner Auflösung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG2. Diesbezüglich ist der Anwendungsbereich der Norm teleologisch zu reduzieren.
Die teleologische Reduktion einer Vorschrift gehört zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen und ist als solche von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden3. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die nach ihrem Wortlaut anzuwendende Vorschrift hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für gleichwohl unanwendbar hält, weil Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und Zusammenhang der einschlägigen Regelung gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen4. Ausgehend vom Gesetzeszweck wird der zu weit gefasste Wortlaut auf den Anwendungsbereich reduziert, welcher der ratio legis entspricht5. Sie kommt allerdings nur in Betracht, wenn sich eine verdeckte Regelungslücke im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes feststellen lässt. Dies setzt voraus, dass sich die betreffende Vorschrift – hier § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG – gemessen an ihrer zugrunde liegenden Regelungsabsicht in dem Sinn als unvollständig erweisen würde, dass sie einen erforderlichen Ausnahmetatbestand nicht aufweist und ihre wortgetreue Anwendung demnach zu zweckwidrigen Ergebnissen führen und das gesetzgeberische Ziel deutlich verfehlen würde6. Ob eine solche Regelungslücke vorhanden ist, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen. Sie kann sich auch erst aus einer weiteren Rechtsentwicklung ergeben7.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG geboten. Die Norm weist hinsichtlich der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten und mit § 21b BetrVG kodifizierten Maßgabe, dass der Betriebsrat zur Wahrnehmung seiner Beteiligungsrechte anlässlich (unter anderem) einer Betriebsstilllegung auch nach dem Untergang des Betriebs – und nach Beendigung der Arbeitsverhältnisse der Betriebsratsmitglieder – ein Restmandat behält, eine verdeckte, planwidrige Regelungslücke auf. Diese ist dahingehend zu schließen, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG in solch einem Fall unanwendbar ist. Die uneingeschränkte Normanwendung auf den restmandatierten Betriebsrat verfehlte das gesetzgeberische Ziel des Auflösungsverfahrens und stünde in einem Wertungswiderspruch zu der mit der Schaffung des Restmandats verfolgten Zielsetzung.
Bei reiner Wortlautbetrachtung von § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG besteht auch für den restmandatierten Betriebsrat iSd. § 21b BetrVG die Möglichkeit dessen Auflösung; zumindest enthält die Vorschrift insoweit keine ausdrückliche Ausnahme. Allerdings bietet der Wortlaut von § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG auch Anhaltspunkte dafür, dass das Gesetz nicht die Konstellation in den Blick nimmt, in welcher dem Betriebsrat trotz Untergangs der betrieblichen Einheit, für die er gewählt worden ist, noch ein Mandat zukommt. Denn nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG können – neben dem Arbeitgeber – nur „[m]indestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer … oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft“ beim Arbeitsgericht die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen; im Falle des mit dem Untergang des Betriebs verknüpften Restmandats des Betriebsrats iSd. § 21b BetrVG gibt es diesen Kreis der Antragsberechtigten aber nicht (mehr). Selbst wenn man annähme, dass die Antragsbefugnis allein im Zeitpunkt des Eingangs eines Auflösungsantrags bei Gericht vorliegen müsste8, könnte er erstmals hinsichtlich eines – mit dem Untergang des Betriebs überhaupt erst anzunehmenden – restmandatierten Betriebsrats entsprechend dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG jedenfalls von einem Arbeitnehmerquorum oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft nicht gestellt werden, da – rein formal betrachtet – die ehemaligen Arbeitnehmer keine solchen „des Betriebs“ iSd. § 7 BetrVG (mehr) sind und eine Gewerkschaft im untergegangenen Betrieb nicht mehr vertreten sein kann.
Systematische und regelungskonzeptionelle Erwägungen sprechen zum einen für eine verdeckte Regelungslücke bei § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG in Bezug auf den restmandatierten Betriebsrat und zum anderen gegen die Möglichkeit dessen Auflösung.
Die Regelung des Restmandats in § 21b BetrVG findet sich gesetzessystematisch im Zweiten Abschnitt des Zweiten Teils des Betriebsverfassungsgesetzes mit der Überschrift „Amtszeit des Betriebsrats“ und ist im Übrigen der Regelung von § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG vorangestellt. Das spricht dafür, dass der Betriebsrat auch während seines „Amts im Restmandat“ – antragsgebunden – aufgelöst werden können soll. Aus normsystematischen Gründen erweist sich allerdings die Erstreckung des Auflösungstatbestands auf den restmandatierten Betriebsrat als inkohärent. Denn nach § 23 Abs. 2 Satz 1 BetrVG setzt das Arbeitsgericht unverzüglich einen Wahlvorstand für die Neuwahl ein, wenn der Betriebsrat nach § 23 Abs. 1 BetrVG aufgelöst wird. Hintergrund ist, dass nach § 13 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG außerhalb der Zeiten regelmäßiger Betriebsratswahlen ein Betriebsrat zu wählen ist, wenn dieser durch eine (rechtskräftige) gerichtliche Entscheidung aufgelöst ist. Da ein Betriebsrat, der einen Wahlvorstand zu bestellen hätte, nicht mehr besteht, weist § 23 Abs. 2 Satz 1 BetrVG dem Arbeitsgericht die Wahlvorstandsbestellung zu9. Diese Intention läuft nach der Auflösung eines Betriebsrats im Restmandat von vornherein ins Leere, denn mangels (Fort-)Bestehens eines Betriebs kommt eine Neuwahl des Betriebsrats nicht in Betracht10.
Konzeptionell ist es der gesetzlichen Ausgestaltung von Ämtern betriebsverfassungsrechtlicher Organe nicht fremd, in Fällen grober Pflichtverletzung keine den Bestand des Gremiums – und dessen Neubildung – betreffende Rechtsfolge anzuordnen. Das gilt vornehmlich für Gesamt- und Konzernbetriebsrat (vgl. §§ 48, 56 BetrVG). Für diese jeweiligen Dauereinrichtungen beim Unternehmen bzw. der Konzernspitze11 ist keine Auflösung vorgesehen12. Ähnlich wie Gesamt- und Konzernbetriebsrat nicht (amts-)zeitbezogen ausgestaltet sind, sondern an die jeweiligen Errichtungsvoraussetzungen anknüpfen13, unterliegt auch das Restmandat keiner strikt zeitlichen, sondern einer funktional-aufgabenbezogenen Begrenzung14. Das deutet auf einen Regelungsplan, der es gebietet, im Falle von Amtspflichtverstößen eine beim Gesamt- und Konzernbetriebsrat nicht angeordnete Rechtsfolge auch beim restmandatierten Betriebsrat als nicht eröffnet anzusehen.
Sinn und Zweck von § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG sowie dessen Zusammenhang mit § 23 Abs. 2 BetrVG unter Heranziehung der Normhistorie sprechen deutlich für eine Unanwendbarkeit der Vorschrift auf den restmandatierten Betriebsrat. Das geben ebenso die Entstehungsgeschichte von § 21b BetrVG und teleologische Erwägungen zum Restmandat vor.
§ 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG soll ein Mindestmaß gesetzmäßigen Verhaltens des Betriebsrats und seiner Mitglieder im Rahmen der betriebsverfassungsmäßigen Ordnung für die Zukunft sicherstellen, nicht aber vergangenes Verhalten bestrafen15. In ihrer Alternative der Auflösung des Betriebsrats trägt die zukunftsbezogene Normbestimmung dem Gedanken Rechnung, dass sich eine weitere Amtstätigkeit des Betriebsrats als Organ der Betriebsverfassung angesichts dessen – ggf. auch einmaliger – grober Pflichtverletzung unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände als untragbar erweisen kann. Das mit dem Wegfall der betrieblichen Organisation entstehende Restmandat eines Betriebsrats ist allerdings kein die weitere Amtstätigkeit des Betriebsrats betreffendes Vollmandat, sondern setzt seinerseits einen funktionalen Bezug zu den durch den Untergang des Betriebs aufgrund einer Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung ausgelösten Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten voraus. Ihm ist immanent, dass die im originären Vollmandat bestehenden Rechte des Betriebsrats, die in keinem funktionalen Bezug zu den in § 21b BetrVG angeführten Tatbeständen stehen, ebenso wenig (mehr) bestehen wie dessen keine diese Tatbestände tangierenden betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten (was bspw. offensichtlich ist etwa für die nach § 43 Abs. 1 BetrVG bestehende Pflicht zur Einberufung regelmäßiger Betriebs- und Abteilungsversammlungen). Die im Rahmen von § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erforderliche Prognose der Untragbarkeit vermag sich beim Restmandat daher von vornherein nicht auf eine umfassende weitere Amtstätigkeit des Betriebsrats zu beziehen.
Die Auflösung des restmandatierten Betriebsrats bewirkte einen endgültigen Wegfall der im Zusammenhang mit dem Untergang eines Betriebs bestehenden – das Restmandat überhaupt erst auslösenden – Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte, wozu insbesondere der Abschluss eines Sozialplans gemäß § 112 BetrVG gehört16. Die Rechtsfolge des Wegfalls einer betrieblichen Mitbestimmung hat der Gesetzgeber mit dem Auflösungstatbestand aber gerade nicht intendiert, wie insbesondere § 23 Abs. 2 BetrVG zeigt. Das spiegelt sich auch in der Normhistorie. Das Auflösungsverfahren des § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG war – ebenso wie das Ausschlussverfahren des § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BetrVG – bereits im Betriebsverfassungsgesetz vom 11.10.1952 (BetrVG 1952)17 vorgesehen und ist seitdem – ungeachtet späterer Maßgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Restmandat18 – in mehreren Novellierungen und Reformen des Betriebsverfassungsrechts inhaltlich unverändert fortgeschrieben worden. § 23 Abs. 2 BetrVG 1952 dokumentiert, dass schon der historische Gesetzgeber die Auflösung des Betriebsrats mit der arbeitsgerichtlichen Einsetzung eines Wahlvorstands für Neuwahlen verknüpft und allenfalls einen kurzzeitigen vertretungslosen Zustand für die Arbeitnehmer akzeptiert hatte19. Dieser Regelungsgehalt ist in der Folge weder relativiert noch modifiziert worden20. Das belegt, dass die Auflösung des Betriebsrats auch von der aktuellen gesetzgeberischen Vorstellung eines nur vorübergehend hinzunehmenden vertretungslosen Zustands geprägt und strikt an die – im Fall des das Restmandat auslösenden Untergangs des Betriebs nicht gegebene – zeitnahe Neuwahl eines Betriebsrats gebunden ist. In diesem Zusammenhang soll nicht verkannt werden, dass auch die Auflösung des vollmandatierten Betriebsrats einen endgültigen Verlust von Mitbestimmungsrechten bewirken kann, etwa bei einer vor der Neuwahl vorgenommenen Versetzung (§ 99 BetrVG) oder Kündigung (§ 102 BetrVG) eines Arbeitnehmers. Hierbei handelt es sich aber typischerweise um die bei personellen Einzelmaßnahmen fristgebunden bestehenden Beteiligungsrechte; ein endgültiger „Ausfall“ (mit-)gestaltender Mitbestimmung „an sich“ soll mit der Konzeption von § 23 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gerade vermieden sein.
Des Weiteren gebieten Sinn und Zweck von § 21b BetrVG unter Berücksichtigung dessen Entstehungsgeschichte und konkreter inhaltlicher Ausgestaltung die teleologische Reduktion des § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG.
Die Vorschrift zum Restmandat nach § 21b BetrVG ist – ebenso wie die zum Übergangsmandat nach § 21a BetrVG – mit dem Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23.07.2001 (BetrVG-ReformG)21 in das Gesetz aufgenommen worden. Mit der entsprechenden Kodifikation wollte der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung entwickelte und allgemein anerkannte Rechtsfigur gesetzlich verankern und das Recht des Betriebsrats sichern, im Falle der Betriebsstilllegung oder einer anderen Form der Auflösung des Betriebs die damit zusammenhängenden gesetzlichen Aufgaben zum Schutze der Arbeitnehmer, insbesondere die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte nach den §§ 111 ff. BetrVG, auch über seine Amtszeit hinaus wahrzunehmen22. Die Auslegung des § 21b BetrVG hat daher unter Berücksichtigung der zuvor ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Restmandat zu erfolgen23. Diese Rechtsprechung wiederum hat von vornherein dem Gedanken der Sicherung betrieblicher Mitbestimmung Rechnung getragen, wenn die für eine Bildung des Betriebsrats notwendige betriebsorganisatorische Organisationseinheit untergegangen ist. Das Restmandat setzt demnach einerseits die Notwendigkeit der Wahrnehmung noch offener, sich im Zusammenhang mit dem Betriebsuntergang ergebender Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte voraus und ist andererseits darauf beschränkt24. Nur insoweit soll der Betriebsrat ein „restliches“ Mandat behalten. Entsprechend hat die dem kodifizierten Restmandat zugrunde liegende Rechtsprechung im Ausgangspunkt auch – anders als in der gesetzessystematischen Stellung von § 21b BetrVG angelegt – keine (Fort-)Dauer der Amtszeit betont, sondern darauf abgehoben, der Betriebsrat müsse zur Sicherung seiner gerade auch für die Betriebsstilllegung im Interesse der Belegschaftsangehörigen vom Gesetz festgelegten Beteiligungsrechte als „funktionsfähig – als im Amt befindlich – angesehen werden“25.
Dieser – vom Gesetzgeber übernommene – Regelungsinhalt entkoppelt die Ausübung der durch den Untergang der betriebsorganisatorischen Einheit ausgelösten Mitbestimmung des Betriebsrats von dessen Amt im Sinn eines abgegrenzten und genau bestimmten Zeitabschnitts. Der Betriebsrat ist nicht (noch für eine bestimmte Dauer) im Amt mit limitierten Aufgaben, sondern bleibt im Amt, weil und solange noch limitierte Aufgaben bestehen. Er hat ein nachwirkendes Mandat, das funktionell auf alle mit dem Untergang des Betriebs verbundenen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte begrenzt ist. Dieses ist von dem Betriebsrat auszuüben, der im Zeitpunkt des Wegfalls der betrieblichen Organisation und der damit verbundenen Beendigung des Vollmandats im Amt war. Ist in diesem Zeitpunkt die Anzahl der Betriebsratsmitglieder aufgrund des früheren Ausscheidens von Betriebsratsmitgliedern sowie des Fehlens von Ersatzmitgliedern, die noch hätten nachrücken können, bereits unter die in § 9 BetrVG vorgeschriebene Mitgliederzahl gesunken, führen die verbliebenen Betriebsratsmitglieder die Geschäfte gemäß §§ 22, 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG weiter. Von diesen ist das Restmandat wahrzunehmen26. Insoweit ist es auch entkoppelt von der betriebsverfassungsrechtlichen Maxime einer Ausübung der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte durch ein Gremium, dessen Mitgliederzahl sich grundsätzlich durch die Betriebsgröße – definiert mittels der Anzahl der in der Regel beschäftigten wahlberechtigten Arbeitnehmer – bestimmt.
Das Verständnis von § 21b BetrVG vor dem Hintergrund der Kodifizierung der von der Rechtsprechung entwickelten Maßgaben bedingt es, die typischerweise für das Vollmandat statuierten – allerdings nach Einfügung der Norm mit dem BetrVG-ReformG auch unverändert belassenen – betriebsverfassungsorganisatorischen Vorschriften unter Einbeziehung von Sinn und Zweck des Restmandats zu interpretieren und ggf. in ihrem Anwendungsbereich einzuschränken. Das gilt für § 24 Nr. 3 und Nr. 4 BetrVG27. Ebenso ist für § 24 Nr. 1 BetrVG bei Ablauf der Amtszeit im Restmandat kein Raum28. Desgleichen ist § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG wegen der anderenfalls entstehenden Wertungswidersprüche dahingehend einzuschränken, dass die Vorschrift nicht anzuwenden ist auf einen Betriebsrat, dem kein Vollmandat (mehr), sondern ein Restmandat zukommt.
Die mit § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG bezweckte Sicherstellung eines Mindestmaßes an gesetzmäßigem Verhalten des Betriebsrats im Rahmen der betriebsverfassungsmäßigen Ordnung für die Zukunft29 gebietet ihrerseits kein anderes Ergebnis. Dabei verkennt das Bundesarbeitsgericht nicht, dass eine grobe Pflichtverletzung durch den Betriebsrat in der Vergangenheit eine Wiederholungsgefahr indizieren kann. Jedoch ist die dem Auflösungstatbestand immanente Intention der Untragbarkeit einer weiteren Amtsausübung bereits aufgrund der limitierten Aufgaben im Restmandat marginalisiert. § 21b BetrVG begründet gerade kein allgemeines Mandat für alle im Zeitpunkt der betrieblichen Umstrukturierung noch nicht erledigten Betriebsratsaufgaben. Vielmehr sind die Befugnisse des Betriebsrats über seine Amtszeit hinaus ausgeweitet, jedoch beschränkt auf solche Gegenstände, die gerade durch einen Betriebsuntergang bedingt sind, aber wegen dessen faktischer Verwirklichung nicht mehr während der regulären Amtszeit geregelt werden können30. Das betrifft in erster Linie die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG22 und damit vor allem den nach § 112 BetrVG vorgesehenen Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile (Sozialplan) für die von einer das Restmandat überhaupt erst bedingenden Sachlage betroffenen Arbeitnehmer. Angesichts dessen, dass anderenfalls ggf. eine Einigung der Betriebsparteien über einen Sozialplan bzw. dessen Aufstellung durch die Einigungsstelle endgültig unterbliebe, ist es dem Arbeitgeber zumutbar, keine Auflösung des restmandatierten Betriebsrats bewirken zu können. Fälle, in denen von der Betriebsauflösung betroffene Arbeitnehmer oder eine im (früheren) Betrieb vertretene Gewerkschaft – ihre Antragsberechtigungen trotz der formalen Bedenken unterstellt – ein Interesse an der Auflösung des restmandatierten Betriebsrats haben könnten, erscheinen von vornherein ausgeschlossen.
Diese teleologische Reduktion des § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG führt nicht zu einem „Freibrief“ für grobe Pflichtverletzungen seitens eines restmandatierten Betriebsrats. Es handelt sich nicht um die Einführung eines allgemeinen Rechtfertigungsgrunds für objektiv erhebliche und offensichtlich schwerwiegende Pflichtverletzungen. Es wird lediglich eine bestimmte Rechtsfolge ausgeschlossen. Grobe Pflichtverletzungen des restmandatierten Betriebsrats in der Vergangenheit oder im Zusammenhang mit der Ausübung des Restmandats können die Tatbestände anderer Normen erfüllen und die entsprechenden Rechtsfolgen zeitigen. Sind sie einzelnen (oder allen) Betriebsratsmitgliedern zurechenbar, können die Voraussetzungen für den Ausschluss von der Wahrnehmung des Restmandats nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BetrVG gegeben sein. Das trägt den berechtigten Interessen des Arbeitgebers ausreichend Rechnung, schwere Amtspflichtverletzungen auch im Restmandat nicht hinnehmen zu müssen.
Aber: Ausschluss einzelner Mitglieder
emäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BetrVG kann ua. der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Ein solcher Amtsenthebungsantrag kann hilfsweise zu dem Begehren der Betriebsratsauflösung angebracht werden31. Der Ausschluss aus dem Betriebsrat kommt nur bei einer objektiv erheblichen und offensichtlich schwerwiegenden sowie dem Betriebsratsmitglied zuzurechnenden Pflichtverletzung in Betracht. Dessen weitere Amtsausübung muss unter Berücksichtigung aller Umstände als untragbar erscheinen32. Mit der Rechtskraft des gerichtlichen Beschlusses erlischt die Mitgliedschaft im Betriebsrat und die in anderen betriebsverfassungsrechtlichen Gremien wie Gesamt- und Konzernbetriebsrat.
Im Falle des Ausschlusses aus einem Betriebsrat, der ein Restmandat innehat, bildet das Begehren gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BetrVG der Sache nach den Ausschluss von der Wahrnehmung des Restmandats. In diesem Sinn ist ein – wie vorliegend – dem Gesetzeswortlaut entsprechender Antrag ohne Weiteres zu verstehen.
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BetrVG greift auch beim restmandatierten Betriebsrat33. Der Anwendungsbereich der Norm ist insoweit nicht teleologisch zu reduzieren. Es fehlt an der erforderlichen verdeckten Regelungslücke im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit. Weder bewirkt der Ausschließungstatbestand einen nach der gesetzgeberischen Intention ersichtlich zu vermeidenden nicht nur vorübergehenden betriebsratslosen Zustand noch ist das Restmandat streng (betriebsrats-)mitgliederbezogen ausgestaltet. Zwar kann seine faktische Ausübung zumindest in der Konstellation leerlaufen – und damit die mit § 21b BetrVG zu sichernde Wahrnehmung der mit dem Betriebsuntergang im Zusammenhang stehenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte unmöglich machen, in welcher die Ausschließungsvoraussetzung hinsichtlich aller (oder des einzigen) das Restmandat ausübenden Betriebsratsmitglieder (Betriebsratsmitglieds) vorliegen. Zum einen kommt es insoweit aber auf die konkreten Einzelfallumstände an. Ist etwa das ausgeschlossene Betriebsratsmitglied Beisitzer einer bereits eingesetzten Einigungsstelle über die Aufstellung eines Sozialplans, bewirkte allein sein Ausschluss von der Wahrnehmung des Restmandats keine Beendigung seiner Mitgliedschaft in der Einigungsstelle34. Zum anderen sind die Konsequenzen einer faktischen Nichtausübung des Restmandats in der Regelung des § 21b BetrVG angelegt. Das Restmandat ist als nachwirkendes Mandat eine Fortsetzung des originären Mandats; ein bereits erloschenes Mandat kann nicht als Restbefugnis wiederaufleben. Entsprechend wird es von dem Betriebsrat ausgeübt, der bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 21b BetrVG im Amt war. Sinkt die Zahl der ursprünglichen Betriebsratsmitglieder (und Ersatzmitglieder), rücken in den restmandatierten Betriebsrat keine bereits ausgeschiedenen (Ersatz-)Mitglieder nach. Das Restmandat wird dann vielmehr von den verbliebenen Mitgliedern wahrgenommen und besteht fort, solange noch mindestens ein Mitglied des Betriebsrats vorhanden und willens ist, es wahrzunehmen, wobei die das Restmandat ausübenden Betriebsratsmitglieder nicht gehindert sind, ihr Amt niederzulegen35. Ebenso wie das Restmandat demnach enden kann, wenn es kein hierzu berufenes Betriebsratsmitglied mehr ausüben will, kann es enden, wenn die einzig hierzu berufenen Betriebsratsmitglieder wegen grober Amtspflichtverletzung von seiner Wahrnehmung ausgeschlossen sind.
Bei dem Begriff der „groben Pflichtverletzung“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der den Tatsacheninstanzen einen Beurteilungsspielraum lässt36. Das Rechtsbeschwerdegericht kann nur nachprüfen, ob das Landesarbeitsgericht den Begriff selbst verkannt hat, ob die Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob die Beurteilung wegen des Übersehens wesentlicher Umstände offensichtlich fehlerhaft ist37.
Allein das Verstreichen einer bestimmten Zeitspanne zwischen der Verletzung gesetzlicher Pflichten und der letzten Anhörung vor Gericht ist nicht geeignet, die Rechtsfolge des Ausschlusses aus dem (restmandatierten) Betriebsrat zu verneinen. Dies gilt unabhängig davon, ob das Landesarbeitsgericht – was seinen Ausführungen nicht eindeutig zu entnehmen ist – aufgrund des Zeitablaufs eine grobe Verletzung der gesetzlichen Pflicht oder die damit verbundene Rechtsfolge des Ausschlusses aus dem Betriebsrat verneint hat. Eine schwerwiegende Pflichtverletzung indiziert die Wiederholungsgefahr38. Diese ist nur dann ausgeschlossen, wenn aus faktischen oder rechtlichen Gründen eine Wiederholung des gesetzwidrigen Verhaltens ausscheidet39. Der bloße Ablauf von zwei Jahren rechtfertigt eine solche Annahme nicht.
Dem steht nicht entgegen, dass eine Pflichtverletzung, die während einer vorangegangenen Amtszeit des Betriebsrats begangen wurde, den Ausschluss des Betriebsratsmitglieds aus dem neu gewählten Betriebsrat nicht zu rechtfertigen vermag40. Denn die Amtszeit des Betriebsrats bildet prinzipiell den zeitlichen Rahmen, auf den das Betriebsverfassungsgesetz die Konsequenzen betriebsverfassungsrechtlicher Pflichtverletzungen begrenzt41. Vorliegend ist der Betriebsrat hingegen unabhängig von der Dauer der Amtszeit iSd. § 21 BetrVG42 nach § 21b BetrVG im Amt geblieben.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24. Mai 2023 – 7 ABR 21/21
- ErfK/Koch 23. Aufl. BetrVG § 23 Rn. 15[↩]
- aA Buschbaum Das Restmandat des Betriebsrats nach § 21b BetrVG S. 189 f.[↩]
- vgl. BVerfG 30.03.1993 – 1 BvR 1045/89 ua., zu C II 2 der Gründe mwN, BVerfGE 88, 145[↩]
- BAG 12.06.2019 – 7 AZR 317/17, Rn. 27 mwN, BAGE 167, 93[↩]
- BAG 27.01.2022 – 6 AZR 216/21, Rn.20[↩]
- vgl. BAG 29.04.2021 – 8 AZR 276/20, Rn. 36 mwN, BAGE 175, 25; BGH 18.12.2015 – V ZR 269/14, Rn. 11 mwN[↩]
- vgl. BGH 28.06.2022 – II ZB 8/22, Rn. 12 mwN; BAG 27.01.2022 – 6 AZR 216/21, Rn.20 mwN[↩]
- vgl. dazu Richardi/Thüsing BetrVG 17. Aufl. § 23 Rn. 31[↩]
- vgl. zB Oetker GK-BetrVG 12. Aufl. § 23 Rn. 135[↩]
- vgl. BAG 5.05.2010 – 7 AZR 728/08, Rn. 22, BAGE 134, 233[↩]
- vgl. BAG 27.07.2016 – 7 ABR 14/15, Rn. 24, BAGE 156, 1[↩]
- vgl. Fitting 31. Aufl. § 49 Rn. 6 und § 56 Rn. 4; Oetker GK-BetrVG 12. Aufl. § 23 Rn. 4[↩]
- vgl. zum Gesamtbetriebsrat BAG 15.10.2014 – 7 ABR 53/12, Rn. 33, BAGE 149, 261[↩]
- vgl. die Formulierung von § 21b BetrVG, wonach der Betriebsrat „so lange“ im Amt bleibt …; ausf. BAG 5.05.2010 – 7 AZR 728/08, Rn. 17 mwN, BAGE 134, 233; vgl. auch BAG 11.10.2016 – 1 ABR 51/14, Rn. 11[↩]
- BAG 27.07.2016 – 7 ABR 14/15, Rn. 28 mwN, BAGE 156, 1[↩]
- zu Letzterem vgl. BAG 6.12.2006 – 7 ABR 62/05, Rn. 24 mwN[↩]
- BGBl. I S. 681[↩]
- als Begriff erstmals – soweit ersichtlich – verwandt in BAG 14.11.1978 – 6 ABR 85/75, zu II 2 der Gründe[↩]
- vgl. Bericht des Ausschusses für Arbeit, BT-Drs. I/3585 S. 6[↩]
- zum Betriebsverfassungsgesetz vom 15.01.1972 vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drs. VI/1786 S. 37; in der Begründung zum Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23.07.2001 nicht mehr gesondert erwähnt[↩]
- BGBl. I S. 1852[↩]
- BT-Drs. 14/5741 S. 39[↩][↩]
- vgl. HWK/Reichold 10. Aufl. § 21b BetrVG Rn. 2[↩]
- so zB BAG 16.06.1987 – 1 AZR 528/85, BAGE 55, 344, worauf die Begründung zum BetrVG-ReformG ausdrücklich verweist, vgl. BT-Drs. 14/5741 S. 39[↩]
- so explizit BAG 30.10.1979 – 1 ABR 112/77, zu B II 1 der Gründe[↩]
- vgl. BAG 6.12.2006 – 7 ABR 62/05, Rn. 26 mwN[↩]
- dazu ausf. BAG 5.05.2010 – 7 AZR 728/08, Rn. 18 ff., BAGE 134, 233; anders bei § 24 Nr. 2 BetrVG, vgl. hierzu BAG 12.01.2000 – 7 ABR 61/98, zu B II 2 d dd der Gründe[↩]
- vgl. BAG 5.05.2010 – 7 AZR 728/08, Rn.19, aaO[↩]
- vgl. BAG 27.07.2016 – 7 ABR 14/15, Rn. 28, BAGE 156, 1[↩]
- vgl. BAG 11.10.2016 – 1 ABR 51/14, Rn. 13[↩]
- vgl. ErfK/Koch 23. Aufl. BetrVG § 23 Rn. 10[↩]
- vgl. BAG 27.07.2016 – 7 ABR 14/15, Rn. 21 mwN, BAGE 156, 1[↩]
- ebenso Buschbaum Das Restmandat des Betriebsrats nach § 21b BetrVG S. 189 f.[↩]
- vgl. dazu Oetker GK-BetrVG 12. Aufl. § 23 Rn. 105[↩]
- zu all dem ausf. BAG 5.10.2000 – 1 AZR 48/00, zu II 1 b der Gründe, BAGE 96, 15[↩]
- BAG 22.06.1993 – 1 ABR 62/92, zu B III 3 a der Gründe, BAGE 73, 291[↩]
- Fitting 31. Aufl. § 23 Rn. 14; vgl. zu § 23 Abs. 3 BetrVG BAG 18.03.2014 – 1 ABR 77/12, Rn. 16[↩]
- Fitting 31. Aufl. § 23 Rn. 17[↩]
- vgl. zu § 23 Abs. 3 BetrVG BAG 18.03.2014 – 1 ABR 77/12, Rn. 15 mwN[↩]
- vgl. BAG 27.07.2016 – 7 ABR 14/15, Rn. 21, BAGE 156, 1[↩]
- ausführlich BAG 27.07.2016 – 7 ABR 14/15, Rn. 21 ff., aaO[↩]
- vgl. BAG 1.04.1998 – 10 ABR 17/97, zu B II 2 der Gründe, BAGE 88, 247; DKW/Buschmann 18. Aufl. § 21b Rn. 27 mwN[↩]