Tariflicher Entgeltausgleich bei Leistungsminderung

Der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie gewährt keinen Entgeltausgleich für den Fall, dass der Arbeitnehmer in der beruflichen Tätigkeit verbleiben kann und lediglich die Leistungsfähigkeit zur Nachtschicht wegfällt.

Tariflicher Entgeltausgleich bei Leistungsminderung

Insoweit bestimmt der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie:

§ 17 – Entgeltausgleich bei Leistungsminderung

A.

  1. Arbeitnehmer,
    • die … das 50. Lebensjahr vollendet und dem Betrieb oder Unternehmen zu diesem Zeitpunkt mindestens 20 Jahre angehört haben,
    • und die aufgrund gesundheitsbedingter Minderung ihrer Leistungsfähigkeit nicht mehr in der Lage sind, ihre bisherige Tätigkeit auszuüben oder in dieser die bisherige Leistung zu erbringen
    • und bei denen hierdurch eine Verdienstminderung eingetreten ist oder eintreten würde,

    haben auf schriftlichen Antrag Anspruch auf einen Entgeltausgleich.

  2. Voraussetzung ist ferner die Vorlage eines ärztlichen Attestes, …
  3. Die Antragstellung schließt die Bereitschaft des Arbeitnehmers zur Versetzung an einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz … ein. …
  4. Anstelle des Entgeltausgleichs kann – unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen – eine Versetzung auf einen anderen zumutbaren, die bisherige Entgelthöhe sichernden Arbeitsplatz erfolgen, der der geminderten Leistungsfähigkeit Rechnung trägt.

Das gesundheitlich begründete Unvermögen zur Leistung von Nachtschicht führt nicht dazu, dass der Arbeitnehmer seine „bisherige Tätigkeit“ im tariflichen Sinne nicht mehr ausüben könnte. Dies folgt für das Bundesarbeitsgericht bereits aus dem Wortlaut des § 17 MTV.

Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist die „Tätigkeit“ das sich Beschäftigen mit etwas, das Tätigsein1 bzw. die Arbeit, der Beruf, die Gesamtheit der beruflichen Verrichtungen2 bzw. die Gesamtheit derjenigen Verrichtungen, mit denen jemand in Ausübung seines Berufs zu tun hat1. Dieses allgemeine Sprachverständnis basiert auf inhaltlichen Komponenten („was“, „wie“, „wozu“), die aus der konkreten Arbeitsaufgabe herzuleiten sind. „Tätigkeit“ meint die jeweils auszuübende Tätigkeit. Zeitliche Komponenten lassen sich dem Begriff nicht entnehmen3.

Entgegen der Revision steht dieser Auslegung nicht die möglicherweise umfassendere Verwendung des Begriffs „Tätigkeit“ in anderen Tarifverträgen entgegen. Der Regelungsgegenstand der Tarifverträge wird von den jeweiligen Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer durch die Verfassung verbürgten Tarifautonomie selbst bestimmt. Dasselbe gilt für die von der Revision zur Auslegung herangezogene Norm des § 6 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a ArbZG. Die Regelung von Nachtarbeit durch den Gesetzgeber lässt keine Rückschlüsse auf den von den Tarifvertragsparteien gewollten Gehalt einer Vergütungsregelung zu.

Diese Auslegung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach bei einem Wechsel von Tag- in Nachtschicht keine Versetzung iSd. § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG vorliegt. Danach wird das Bild der Tätigkeit nicht dadurch geprägt, dass diese zu einer bestimmten Tageszeit erbracht wird4. Ein Wechsel der Schicht ändert zwar die Umstände, unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist. Die Änderung der Arbeitszeit allein ist aber nicht so bestimmend, dass deshalb das Gesamtbild der Tätigkeit ein anderes wird5.

Ein Wille der Tarifvertragsparteien, Arbeit in Nachtschicht als „Tätigkeit“ iSd. Tarifnorm zu verstehen, lässt sich dem Tarifvertrag nicht entnehmen.

Die Tarifvertragsparteien haben die Leistung von Nachtarbeit zwar als zu regelnden Gegenstand erkannt. So finden sich in § 5 MTV Regelungen zur Einführung ua. von Nachtarbeit und in § 6 MTV ua. zu Nachtarbeitszuschlägen. Doch lassen sich § 17 Buchst. A. Nr. 1 MTV keine Anhaltspunkte dafür entnehmen; vom verwendeten Tätigkeitsbegriff sollte auch die Nachtarbeit umfasst sein. Im Gegenteil zeigt die Anmerkung zu § 6 Ziff. 3 Abs. (II) MTV, dass die Tarifvertragsparteien durch eine entsprechend zuschlagspflichtige „Tätigkeit zur Nachtzeit“ zwischen der eigentlichen Arbeitsaufgabe und dem Zeitraum, zu dem diese zu erfüllen ist, differenzieren.

Auch der tarifliche Gesamtzusammenhang spricht für das Auslegungsergebnis.

Nach § 17 Buchst. A. Nr. 4 MTV kann anstelle des Entgeltausgleichs eine Versetzung auf einen anderen, zumutbaren und die geminderte Leistungsfähigkeit berücksichtigenden Arbeitsplatz erfolgen, um die bisherige Entgelthöhe zu sichern. Diese Regelung ist verknüpft mit dem finanziellen Ausgleich bei Leistungsminderung in § 17 Buchst. A. Nr. 1 MTV, denn beide zielen darauf ab, eine Verdienstsicherung zu gewährleisten. Geschieht dies durch Einsatz auf einem „anderen Arbeitsplatz“, zeigt sich im Zusammenhang mit der „bisherigen Tätigkeit“, dass dem Tarifvertrag ein Verständnis zugrunde liegt, das der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.11.19936 nahekommt. Danach ist ein bloßer Wechsel zu einer anderen Schicht keine Versetzung. Dem entspricht der Inhalt von § 17 Buchst. A. Nr. 3 MTV, wenn der Antrag die Bereitschaft des Arbeitnehmers ua. zur Versetzung an einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz einschließt.

Hier unterscheidet sich die tarifliche Regelung von der, die der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.03.20097 zugrunde lag und ebenfalls eine tarifliche Regelung zur Verdienstsicherung betraf. Dort bestimmte der Tarifvertrag durch eine Fußnote den Begriff des Arbeitsplatzwechsels bzw. der Versetzung als den die Verdienstsicherung auslösenden Umstand selbst in einer über das übliche Begriffsverständnis hinausgehenden Weise8.

Schließlich führt die Einbeziehung äußerer Umstände, unter denen Arbeit zu leisten ist, nicht zu einem anderen Auslegungsergebnis.

Äußere Umstände wie Staub, Lärm oder Hitze können zur „bisherigen Tätigkeit“ im Sinne der tariflichen Regelung zu rechnen sein, wenn diese mit der Erfüllung der konkreten Arbeitsaufgabe zwingend verbunden sind. Doch ist die vom Arbeitnehmer zu leistende Arbeit nicht zwingend mit ihrer zeitlichen Lage verbunden. Der Arbeitnehmer erfüllt nach wie vor die gleichen Arbeitsaufgaben, nur nicht mehr in Nachtschicht.

Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Wechsel von Arbeit im Akkord- zu solcher in Zeitlohn nicht herangezogen werden. Danach beinhaltet der Wechsel von Akkord- zu Zeitlohn nicht nur eine Änderung der Entlohnungsart. Vielmehr werde die Art der Arbeit selbst geändert, weil der Arbeitnehmer im Akkordlohn die Höhe seiner Vergütung durch Geschwindigkeit und Intensität der Arbeitsleistung selbst bestimmen könne und deshalb im Gegensatz zum Zeitlöhner einem besonderen psychischen und physischen Druck ausgesetzt sei. Die Anstrengung gehöre zur Art der Arbeitsleistung9. Bei Arbeit im Akkord ist die zu erfüllende Arbeitsaufgabe selbst dadurch gekennzeichnet, dass bei entsprechender Geschwindigkeit bzw. Quantität ein höherer Verdienst möglich ist. Der Verdienst des Arbeitnehmers bestimmt sich durch einen mit der Arbeitsaufgabe zwingend verbundenen Umstand, was die Parallele zu Arbeiten bei Staub, Lärm etc. zeigt. Dagegen fehlt im Streitfall für Arbeit während der Nacht diese zwingende Verbindung. Die erhöhte Belastung, die mit Nachtarbeit verbunden ist, ist der konkreten Arbeitsaufgabe nicht immanent.

Ein Anspruch auf tariflichen Entgeltausgleich folgt auch nicht aus § 17 Buchst. A. Nr. 1 MTV in der 2. Alternative der „bisherigen Leistung“. Zutreffend verneint das Landesarbeitsgericht einen Entgeltausgleichsanspruch auf dieser Grundlage mit den gleichen Erwägungen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Februar 2016 – 5 AZR 225/15

  1. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl.[][]
  2. Brockhaus/Wahrig Deutsches Wörterbuch[]
  3. ebenso LAG Saarland 14.11.2012 – 1 Sa 13/12, Rn. 100 zu einer vergleichbaren tariflichen Verdienstsicherungsregelung[]
  4. vgl. BAG 23.11.1993 – 1 ABR 38/93, zu B 2 a der Gründe, BAGE 75, 97[]
  5. vgl. BAG 23.11.1993 – 1 ABR 38/93, zu B 1 b der Gründe, BAGE 75, 97[]
  6. BAG 23.11.1993 – 1 ABR 38/93, BAGE 75, 97[]
  7. BAG 18.03.2009 – 5 AZR 303/08[]
  8. vgl. BAG 18.03.2009 – 5 AZR 303/08, Rn. 16[]
  9. vgl. BAG 6.02.1985 – 4 AZR 155/83; so im Ergebnis auch BAG 30.11.1983 – 4 AZR 374/81[]
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