Eine leibliche Mutter ist auch nach einer Adoption ihrem Kind grundsätzlich zur Auskunft über die Identität des leiblichen Vaters verpflichtet.

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es um eine im Jahr 1984 geborene Tochter, die von ihrer leiblichen Mutter Auskunft über die Person des leiblichen Vaters verlangte. Bei der Geburt war die in problematischen Familienverhältnissen aufgewachsene Mutter gerade 16 Jahre alt geworden. Sie hatte die Schwangerschaft erst im siebten Monat bemerkt und die Hauptschule, deren siebte Klasse sie damals besuchte, ohne Schulabschluss verlassen. Nach der Geburt lebte sie mit der Tochter zunächst in einem Mutter-Kind-Heim und später in einer Mädchen-Wohngemeinschaft, ehe die Tochter von einem Ehepaar adoptiert wurde. Ein im Jahr 1985 durchgeführtes Vaterschaftsfeststellungsverfahren blieb ebenso erfolglos wie ein außergerichtlicher Vaterschaftstest mit einem weiteren Mann. Ende 2003 kam es auf Vermittlung des Jugendamts zu einem Treffen zwischen Tochter und Mutter.
Nachdem die Tochter die Mutter im März 2018 erfolglos aufgefordert hatte, Namen und Anschrift des leiblichen Vaters zu benennen, hat sie sie nun im gerichtlichen Verfahren diese Auskunft verlangt. Das erstinstanzlich hiermit befasste Amtsgericht Stuttgart hat den Antrag zurückgewiesen, weil der Mutter die Auskunftserteilung unmöglich sei1. Auf die Beschwerde der Tochter hat das Oberlandesgericht Stuttgart diese Entscheidung abgeändert und die Mutter antragsgemäß verpflichtet, der Tochter alle Männer mit vollständigem Namen und Adresse zu benennen, die der Mutter in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt haben2. Der Bundesgerichtshof bestätigte nun die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart und wies die dagegen von der Mutter eingelegte Rechtsbeschwerde als unbegründet zurück:
Anspruchsgrundlage für die begehrte Auskunft ist die Bestimmung des § 1618 a BGB, nach der Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig sind. Auch wenn die Vorschrift keine konkreten Sanktionen bei einem Verstoß vorsieht, können Eltern und Kindern aus ihr wechselseitig Rechtsansprüche erwachsen. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates, der Schutzbedürftigkeit des Einzelnen vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung bei der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen. Dies ist bei der Auslegung des § 1618 a BGB* zu berücksichtigen, zumal der Gesetzgeber einen Auskunftsanspruch nicht ausdrücklich normiert hat. Anders als beim Anspruch des sog. Scheinvaters gegen die Kindesmutter auf Auskunft über die Identität des leiblichen Kindesvaters, für den das Bundesverfassungsgericht einer Herleitung aus den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB**) eine Absage erteilt und eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage gefordert hat, geht es hier nicht allein um die Durchsetzung finanzieller Interessen. Vielmehr wird mit dem Auskunftsanspruch eine Rechtsposition von ganz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedeutung, nämlich das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, gestärkt.
Dass die Mutter wegen der Adoption der Tochter und dem aus § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB folgenden Erlöschen des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses aufgrund Adoption nicht mehr die rechtliche Mutter ihrer Tochter ist, steht dem Anspruch nicht entgegen. Denn das Auskunftsschuldverhältnis zwischen Kind und Mutter ist vor der Adoption entstanden. Würde man dies anders sehen, würde die Adoption hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung gegenüber Kindern führen, deren rechtliche Eltern-Kind-Beziehung zu ihrer leiblichen Mutter fortbesteht. Im vorliegenden Fall hat die Mutter auch keine erheblichen, gegen ihre Auskunftsverpflichtung sprechenden Abwägungsgesichtspunkte vorgetragen, sondern im Gegenteil zu keinem Zeitpunkt bestritten, dass der Auskunftsanspruch der Tochter grundsätzlich besteht. Somit hat sie sich nicht auf konkrete Belange berufen, die mit Blick auf ihr ebenfalls verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Achtung ihrer Privat- und Intimsphäre dazu führen könnten, das Bestehen des Auskunftsanspruchs zu verneinen.
Mit der bloßen Mitteilung, sie könne sich an keinen möglichen Erzeuger erinnern, hat die Mutter den Auskunftsanspruch nicht erfüllt. Sie hat auch nicht dargelegt, dass ihr eine Erfüllung auch nach Einholung der ihr zumutbaren Erkundigungen unmöglich ist. Das Oberlandesgericht hat eine Reihe von möglichen Kontaktpersonen aufgelistet, an die sich die Mutter wenden kann, um Hinweise zu potenziellen leiblichen Vätern der Tochter zu erhalten. Diesen Nachfragemöglichkeiten fehlt es weder an der Erfolgsaussicht noch sind sie der Mutter unzumutbar.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19. Januar 2022 – XII ZB 183/21
- AG Stuttgart, Beschluss vom 30.10.2019 – 23 F 642/18[↩]
- OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.03.2021 – 17 UF 52/20[↩]
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