Für die Bemessung des angemessenen Unterhalts eines Beschenkten gemäß § 529 Abs. 2 BGB kommt der nach § 94 Abs. 1a SGB XII für den Übergang von Unterhaltsansprüchen auf Sozialhilfeträger maßgeblichen Einkommensgrenze von 100.000 Euro pro Jahr keine Bedeutung zu.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall macht der Sozialhilfeträger gegen den Beschenkten aus übergeleitetem Recht einen Anspruch auf Herausgabe einer Schenkung wegen Verarmung geltend. Die am 30.10.2018 verstorbene Mutter des Beschenkten hatte diesem am 11.07.2003 eine Kontovollmacht für ein Sparkonto erteilt. Am 19.09.2011 wurde dieses Konto mit einem Guthaben von 20.494, 59 € schenkweise auf den Beschenkten übertragen. Der Sozialhilfeträger trägt vor, er habe für die Mutter des Beschenkten ab dem 27.02.2018 bis zu ihrem Tod Pflegewohngeld nach § 14 APG NRW sowie Leistungen nach §§ 61 ff. SGB XII in Höhe von insgesamt 6.811, 74 Euro erbracht. Der Beschenkte sei in der genannten Höhe zur Herausgabe der Schenkung verpflichtet, weil dessen Mutter spätestens ab dem 27.02.2018 bedürftig gewesen sei. Mit Überleitungsanzeigen gemäß § 93 SGB XII und § 14 APG NRW vom 04.03.2020 habe der Sozialhilfeträger den Herausgabeanspruch auf sich übergeleitet. Der Beschenkte beruft sich auf Entreicherung und macht zudem geltend, bei Herausgabe des Geschenks sei sein angemessener Unterhalt gefährdet.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht München – I hat die auf Zahlung von 6.811, 74 € gerichtete Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Sozialhilfeträgers ist vor dem Oberlandesgericht München erfolglos geblieben. Auf die vom Oberlandesgericht München zugelassene Revision des Sozialhilfeträgers hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen:
Zu Recht ist das Oberlandesgericht München davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für einen Herausgabeanspruch gemäß § 528 Abs. 1 und § 818 BGB dem Grunde nach erfüllt sind und dass der Sozialhilfeträger diesen Anspruch wirksam auf sich übergeleitet hat.
Die tatrichterliche Würdigung des Oberlandesgerichts München beruht insoweit auf den Feststellungen, die das Landgericht anhand der vorgelegten Leistungsbescheide und der Überleitungsschreiben des Sozialhilfeträgers getroffen hat.
Das Oberlandesgericht München war aus Rechtsgründen nicht daran gehindert, den vom Beschenkten bestrittenen Vortrag aufgrund der vorgelegten Unterlagen als bewiesen anzusehen. Die Revisionserwiderung zeigt mit ihrer Gegenrüge keinen Vortrag auf, der diese Beurteilung als rechtsfehlerhaft erscheinen lassen könnte.
Zu Recht hat das Oberlandesgericht München angenommen, dass ein Herausgabeanspruch aus § 528 Abs. 1 und § 818 BGB gemäß § 93 Abs. 1 SGB XII übergeleitet werden kann und dass eine solche Überleitung auch nach dem Tod des Schenkers möglich ist, da der Anspruch auch dann nicht mit dem Tod des Schenkers untergeht, wenn der Beschenkte dessen Erbe wird1.
Zutreffend ist das Oberlandesgericht München dem Landgericht ferner darin beigetreten, dass die in § 529 Abs. 1 BGB normierte Frist von zehn Jahren bei Eintritt der Bedürftigkeit noch nicht abgelaufen war.
Die Würdigung des Landgerichts, das in der Erteilung der Kontovollmacht im Jahr 2003 noch keine Schenkung im Sinne von § 518 BGB gesehen hat, ist lebensnah und lässt keine Rechtsfehler erkennen. Die Zehnjahresfrist hat deshalb erst im Jahr 2011 begonnen und war bei Eintritt der Bedürftigkeit im Jahr 2018 noch nicht verstrichen.
Mit der vom Oberlandesgericht München gegebenen Begründung kann die auf § 529 Abs. 2 BGB gestützte Einrede des Beschenkten nicht als durchgreifend erachtet werden.
Gemäß § 529 Abs. 2 BGB ist der Anspruch auf Herausgabe des Geschenks ausgeschlossen, soweit der Beschenkte unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, das Geschenk herauszugeben, ohne dass sein standesgemäßer Unterhalt oder die Erfüllung der ihm kraft Gesetzes obliegenden Unterhaltspflichten gefährdet wird.
Der Begriff des standesgemäßen Unterhalts ist mit dem des angemessenen Unterhalts im Sinne von § 528 Abs. 1 BGB gleichzusetzen2.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht kein Anlass, für das Schenkungsrecht eigenständige Grundsätze zu den Voraussetzungen und zur Bemessung des Unterhalts zu entwickeln. Vielmehr sind die jeweils einschlägigen familienrechtlichen Bestimmungen und die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Maßstäbe auch im Rahmen des § 529 Abs. 2 BGB heranzuziehen3.
Bei Schenkungen durch Verwandte, die einander nicht zur Leistung von Unterhalt verpflichtet sind, ist es sachgerecht, die Maßstäbe heranzuziehen, die die Rechtsprechung auf der Grundlage von § 1603 Abs. 1 und § 1610 Abs. 1 BGB zur Unterhaltspflicht gegenüber den eigenen Eltern entwickelt hat. Auch einem Beschenkten, den keine Unterhaltspflicht gegenüber dem Schenker trifft, ist bei der Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit im Rahmen des § 529 Abs. 2 BGB grundsätzlich so viel zu belassen, wie er auch gegenüber seinen eigenen Eltern beanspruchen könnte4.
Nach der familiengerichtlichen Praxis vor Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes wurde der Mindestselbstbehalt anhand eines Sockelbetrages zuzüglich rund der Hälfte des darüber hinausgehenden Einkommens bestimmt. Diese Praxis hat der Bundesgerichtshof gebilligt5.
Für die Bemessung des angemessenen Unterhalts gemäß § 529 Abs. 2 BGB kommt der Regelung in § 94 Abs. 1a SGB XII keine Bedeutung zu.
Der in § 94 Abs. 1a Satz 2 SGB XII vorgesehene Ausschluss des Übergangs von Unterhaltsansprüchen auf Sozialhilfeträger bei einem jährlichen Gesamteinkommen des Schuldners von nicht mehr als 100.000 Euro ist auf Ansprüche aus § 528 Abs. 1 BGB nicht entsprechend anzuwenden.
Die Regelung in § 93 und § 94 SGB XII lässt insoweit keine planwidrige Lücke erkennen.
Nach § 94 Abs. 1 SGB XII gehen Unterhaltsansprüche des Leistungsberechtigten grundsätzlich kraft Gesetzes auf den Träger der Sozialhilfe über. Für andere Ansprüche sieht § 93 SGB XII demgegenüber die Möglichkeit der Überleitung durch Verwaltungsakt vor. Der in § 94 Abs. 1a Satz 2 SGB XII vorgesehene Ausnahmetatbestand bezieht sich nur auf den kraft Gesetzes eintretenden Übergang von Unterhaltsansprüchen, nicht hingegen auf die Befugnis zur Überleitung anderer Ansprüche nach § 93 SGB XII.
Aus dieser Unterscheidung ergibt sich keine Regelungslücke. Der im Jahr 2020 neu eingeführte Ausnahmetatbestand des § 94 Abs. 1a Satz 2 SGB XII fügt sich vielmehr in die schon zuvor bestehende Differenzierung zwischen Unterhaltsansprüchen und sonstigen Ansprüchen ein.
Vor diesem Hintergrund kann eine entsprechende Anwendung von § 94 Abs. 1a Satz 2 SGB XII auch nicht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gestützt werden, wonach die Grundsätze zur Bemessung des angemessenen Unterhalts eines seinen Eltern zum Unterhalt verpflichteten Kindes auch bei der Anwendung von § 529 Abs. 2 BGB maßgeblich sind.
Aufgrund dieses Zusammenhangs ist der Herausgabeanspruch aus § 528 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Frage des Selbstbehalts zwar grundsätzlich einem Unterhaltsanspruch von Eltern gegenüber Kindern gleichgestellt. Der Gesetzgeber hat in § 94 Abs. 1a SGB XII aber nicht den Selbstbehalt geregelt, sondern die Möglichkeit zum Rückgriff durch den Sozialhilfeträger.
Ob das Angehörigen-Entlastungsgesetz Auswirkungen auf die zivilrechtlichen Regelungen zur Bemessung des angemessenen Unterhalts hat, ist umstritten.
Zahlreiche Stimmen in der familienrechtlichen Literatur gehen davon aus, dass an der bisher praktizierten Bestimmung des Selbstbehalts gegenüber dem Anspruch auf Elternunterhalt angesichts des Angehörigen-Entlastungsgesetzes nicht mehr festgehalten werden könne. Häufig wird von einem Paradigmenwechsel im Recht des Elternunterhalts gesprochen.
Teilweise wird ein Wertungswiderspruch zwischen der sozialhilferechtlichen und der unterhaltsrechtlichen Bewertung konstatiert, zu dessen Auflösung eine – möglicherweise deutliche – Anhebung des unterhaltsrechtlichen Selbstbehalts geboten sei6.
Hierbei wird zum Teil der auch vom Oberlandesgericht München zugrunde gelegte Betrag von 5.000 Euro angeführt, weil dies dem ungefähren monatlichen Nettoeinkommen aus einem jährlichen Bruttoeinkommen von 100.000 Euro entspreche7.
Alternativ wird vorgeschlagen, den höchsten Einkommensbetrag der zehnten Einkommensstufe der Düsseldorfer Tabelle anzusetzen8.
Teils wird eine völlige Neuorientierung gefordert, für die es Vorüberlegungen gebe, aber keine verallgemeinerungsfähigen Vorfestlegungen9.
Gegen solche Vorschläge wird eingewandt, die Übertragung der Jahreseinkommensgrenze von 100.000 Euro auf den Selbstbehalt der Düsseldorfer Tabelle wäre systemwidrig10.
In der Düsseldorfer Tabelle hat diese Diskussion insoweit Niederschlag gefunden, als sie für den Selbstbehalt gegenüber Eltern seit 2021 nur noch einen „angemessenen“ Betrag vorsieht, bei dessen Bemessung Zweck und Rechtsgedanken des Angehörigen-Entlastungsgesetzes zu beachten seien.
Die Leitlinien der meisten Oberlandesgerichte enthalten eine vergleichbare Bestimmung.
Die Leitlinien der Oberlandesgerichte Braunschweig, Dresden, Koblenz, Rostock und Schleswig geben weiterhin einen Sockelbetrag an; dieser liegt im Jahr 2024 bei 2.650 Euro.
Die Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm verhalten sich zu dieser Frage nicht.
Für die Entscheidung des Streitfalls kann diese Frage offen bleiben. Selbst wenn § 94 Abs. 1a SGB XII Auswirkungen auf die Bemessung des Selbstbehalts nach § 1603 Abs. 1 und § 1610 BGB hätte, käme dem für die Bemessung des Selbstbehalts nach § 529 Abs. 2 BGB keine Bedeutung zu.
Die oben aufgezeigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der zufolge einem Beschenkten gegenüber dem Schenker grundsätzlich derselbe angemessene Unterhalt zustehen soll wie einem zum Unterhalt verpflichteten Kind gegenüber seinen Eltern, bezieht sich auf zivilrechtliche Bemessungsgrundsätze.
Im Streitfall geht es demgegenüber um die Frage, ob eine sozialhilferechtliche Wertung, der möglicherweise Ausstrahlungswirkung auf das Unterhaltsrecht zukommt, auf das Schenkungsrecht zu übertragen ist. Eine Übertragung solcher Wertungen auf das Schenkungsrecht kommt nur insoweit in Betracht, als der Sinn und Zweck der sozialhilferechtlichen Regelung auch in diesem Bereich greift.
Diese Voraussetzung ist bei der Regelung in § 94 Abs. 1a SGB XII nicht gegeben.
Wie bereits oben dargelegt wurde, knüpft § 94 Abs. 1a SGB XII an die Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren Eltern an und schließt einen Rückgriff durch Sozialhilfeträger unter bestimmten Voraussetzungen aus, während die für Ansprüche aus § 528 Abs. 1 BGB eröffnete Rückgriffmöglichkeit nach § 93 SGB XII hierdurch unberührt bleibt. Vor diesem Hintergrund muss auch eine mögliche Ausstrahlungswirkung von § 94 Abs. 1a SGB XII auf unterhaltsrechtliche Ansprüche beschränkt bleiben. Eine Übertragung auf Ansprüche aus § 528 Abs. 1 BGB scheidet hingegen aus.
Im neu eröffneten Berufungsverfahren wird das Oberlandesgericht München daher den Selbstbehalt nach den Vorgaben von § 1603 Abs. 1 und § 1610 BGB zu bemessen haben, jedoch ohne Orientierung an Zweck und Rechtsgedanken des Angehörigen-Entlastungsgesetzes. Wie es diese Bemessung im Einzelnen vornimmt und ob es hierbei von einem Sockelbetrag ausgeht, wie dies einige Oberlandesgerichte weiterhin empfehlen, obliegt gemäß § 287 ZPO seinem tatrichterlichen Ermessen. Ferner wird sich das Oberlandesgericht München erforderlichenfalls mit der bislang nicht geprüften Frage der Entreicherung zu befassen haben.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. April 2024 – X ZR 14/23
- vgl. BGH, Urteil vom 14.06.1995 – IV ZR 212/94, NJW 1995, 2287, 2288[↩]
- BGH, Urteil vom 05.11.2002 – X ZR 140/01, NJW 2003, 1384, 1387[↩]
- BGH, Urteil vom 11.07.2000 – X ZR 126/98, NJW 2000, 3488, 3489; Urteil vom 05.11.2002 – X ZR 140/01, NJW 2003, 1384, 1387[↩]
- BGH, Urteil vom 11.07.2000 – X ZR 126/98, NJW 2000, 3488, 3489[↩]
- BGH, Urteil vom 28.07.2010 – XII ZR 140/07, NJW 2010, 3161 Rn. 23[↩]
- vgl. den Überblick zum Meinungsstand und die Nachweise bei Grüneberg/von Pückler, 83. Aufl.2024, § 1601 Rn. 14; BeckOGKBGB/Selg, Stand 1.11.2023, § 1601 Rn. 82; Staudinger/Klinkhammer (2022) § 1602 Rn. 74; MünchKomm-.BGB/Langeheine, 9. Aufl.2024, § 1603 Rn. 8[↩]
- Erman/Hammermann, 17. Aufl.2023, § 1603 Rn. 129; Doering-Striening/Hauß/Schürmann, FamRZ 2020, 137, 139; Hauß FamRB 2020, 76, 77; Schürmann FF 2020, 48, 57[↩]
- Doering-Striening/Hauß/Schürmann, FamRZ 2020, 137, 139; Schürmann FF 2020, 48, 57[↩]
- Schürmann FamRZ 2020, 209, 213[↩]
- Hußmann in Heiß/Born, Unterhaltsrecht, 63. Ergänzungslieferung März 2023, 13. Kap. Elternunterhalt und sonstiger Verwandtenunterhalt Rn. 45[↩]