Mit dem Recht des Landesjugendamtes auf Erteilung von Auskünften oder Gewährung von Akteneinsicht betreffend ein nach § 154 Abs. 1 StPO eingestelltes Ermittlungsverfahren gegen den Betreiber einer Jugendhilfeeinrichtung wegen möglicher Vermögensstraftaten hatte sich aktuell das Oberlandesgericht Karlsruhe zu befassen:

Die rechtlichen Voraussetzungen des § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO lagen dabei in Bezug auf das Ersuchen des Landesjugendamtes Baden-Württemberg grundsätzlich vor, da § 14 Abs. 1 Nr. 5 EGGVG die Möglichkeit eröffnet, von Amts wegen personenbezogene Daten aus dem Strafverfahren an die ersuchende Stelle zu übermitteln.
Der Verein O. e. V., dessen Vorstand der Antragsteller ist, bedarf für den Betrieb der Einrichtung der Erlaubnis, da in dieser Kinder oder Jugendliche ganztägig betreut werden oder Unterkunft erhalten (§ 45 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Die Erlaubnis, über die der O. e. V. verfügt, ist zu erteilen, wenn das Wohl der Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung gewährleistet ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Dies ist in der Regel anzunehmen, wenn – unter anderem – die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Betrieb erfüllt sind (§ 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII). Aus dieser gesetzlichen Regelung ist zu entnehmen, dass für das Wohl der Kinder und Jugendlichen nicht nur die räumlichen, fachlichen und personellen Voraussetzungen von Bedeutung sind, sondern dieses auch durch die wirtschaftliche Situation des Betriebs beeinträchtigt werden kann.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse bleiben auch nach Erteilung einer Erlaubnis weiterhin von Bedeutung. Zum einen können zur Sicherung des Wohls der Kinder und Jugendlichen nachträgliche Auflagen erteilt werden (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII). Zum anderen kommen bei festgestellten Mängeln eine Beratungspflicht zur Beseitigung der Mängel (§ 45 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII) und bei Erfolglosigkeit die Erteilung von Auflagen in Betracht (§ 45 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII). Schließlich kann die Erlaubnis zurückgenommen oder widerrufen werden, wenn das Wohl der Kinder oder der Jugendlichen in der Einrichtung gefährdet und der Träger der Einrichtung nicht bereit oder nicht in der Lage ist, die Gefährdung abzuwenden (§ 45 Abs. 7 Satz 1 SGB VIII).
Darüber hinaus kann dem Träger einer erlaubnispflichtigen Einrichtung die weitere Beschäftigung – unter anderem – des Leiters untersagt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er die für die Tätigkeit erforderliche Eignung nicht besitzt (§ 48 SGB VIII). Die Eignung kann auch wegen persönlicher Unzuverlässigkeit fehlen, wozu auch Wirtschafts- und Verwaltungsangelegenheiten gehören1.
Die Bedeutung auch der wirtschaftlichen Verhältnisse einer solchen Einrichtung zeigt sich schließlich daran, dass das Landesjugendamt im Rahmen einer örtlichen Prüfung (§ 46 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) Mitteilungen auch über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Einrichtung verlangen kann, soweit sie für das Wohl der betreuten Kinder und Jugendlichen von Bedeutung sind oder sein können (§ 22 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LKJHG).
Angesichts dieser dem Landesjugendamt gesetzlich obliegenden Überwachungspflicht in Bezug auf das Wohl der Kinder und Jugendlichen sind die Voraussetzungen für eine Datenübermittlung nach § 14 Abs. 1 Nr. 5 EGGVG grundsätzlich gegeben. Da in dem Ermittlungsverfahren dem Antragsteller zahlreiche Straftaten im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Vorstand des O. e. V. zur Last gelegt wurden, er Vertretungsberechtigter eines Gewerbebetriebes ist und die Daten auf eine – mögliche – Verletzung von Pflichten schließen lassen, die bei Ausübung des Gewerbes geeignet sind, Zweifel an der Eignung, Zuverlässigkeit oder Befähigung hervorzurufen, werden die gesetzlichen Vorgaben grundsätzlich erfüllt2.
Ungeachtet der rechtlichen Ausgangslage, war die Verfügung der Staatsanwaltschaft Heidelberg vom 07.04.2015 gleichwohl aufzuheben, da sie die gesetzlich einschränkenden Vorgaben nicht hinreichend berücksichtigt; sie stützt sich ausschließlich auf § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO, ohne die diese Vorschrift überhaupt erst eröffnende Regelung des § 14 Abs. 1 Nr. 5 EGGVG in den Blick zu nehmen.
Zunächst wurde außer Acht gelassen, dass bei einer Verfahrenseinstellung (hier: § 154 StPO) die Übermittlung in den Fällen des § 14 Abs. 1 Nr. 5 EGGVG unterbleibt, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalls die Übermittlung erfordern; sie ist insbesondere erforderlich, wenn die Tat bereits ihrer Art nach geeignet ist, Zweifel an der Zuverlässigkeit oder Eignung des Betroffenen für die gerade von ihm ausgeübte berufliche und gewerbliche Tätigkeit hervorzurufen (§ 14 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EGGVG). Ferner ist im Falle der Einstellung zusätzlich zu prüfen, wie gesichert die zu übermittelnden Erkenntnisse sind (§ 14 Abs. 2 Satz 4 EGGVG); auch hierzu verhält sich die Entscheidung nicht.
Darüber hinaus berücksichtigte die angefochtene Verfügung im Rahmen der Prüfung des § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO nicht, dass nach § 474 Abs. 3 StPO die beabsichtigte Gewährung von Akteneinsicht nur ausnahmsweise für den Fall in Betracht kommt, dass die Erteilung von Auskünften (ggf. auch durch die Überlassung von Abschriften aus den Akten, § 477 Abs. 1 StPO) einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern würde oder die ersuchende Stelle die Notwendigkeit der Akteneinsicht gesondert begründet3. Die Entscheidung, ob Akteneinsicht gewährt oder Auskunft erteilt wird, steht im pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft4.
Für die zu ergehende erneute Entscheidung weist das Oberlandesgericht auf Folgendes hin:
Das Ersuchen des Landesjugendamtes Baden-Württemberg über den Umfang seines Begehrens ist jedenfalls unklar. Im ursprünglichen Schreiben vom 21.08.2014 wurde um „Einsicht in die Ermittlungsakten bzw. um eine Kopie des Ermittlungsergebnisses“ gebeten, wohingegen es nach dem späteren Schreiben vom 28.10.2014 nur „den abschließenden Ermittlungsbericht“ betreffen sollte. Diese Unklarheiten des Ersuchens wurden vor der Entscheidung nicht abgeklärt. Insoweit könnten die Schreiben so zu verstehen sein, dass die die Akteneinsicht begehrende Stelle gerade nicht erklärt, dass die Erteilung einer Auskunft zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht ausreichen würde (vgl. § 474 Abs. 3 StPO). Ungeachtet dessen entschied die Staatsanwaltschaft, (vollständige) Akteneinsicht zu gewähren.
Im Hinblick auf Teile des Akteninhalts wird für den Fall der Gewährung von Akteneinsicht zu berücksichtigen sein, dass das Steuergeheimnis (§ 30 Abs. 1 und 2 AO) einer Übersendung der vollständigen Akten entgegenstehen dürfte.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 8. Juli 2015 – 2 VAs 6/15