Magen-Bypass-Operation auf Kassenrezept

Ein Anspruch auf Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer Magen-Bypass-Operation wegen krankhaften Übergewichts besteht in der GKV nur, wenn alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Dazu gehört auch die Durchführung einer 6 bis 12 Monate dauernden ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapie, welche unter anderem Diätmaßnahmen, Schulungen des Essverhaltens und des Ernährungsverhaltens, Bewegungstherapie usw. umfasst.

Magen-Bypass-Operation auf Kassenrezept

Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr 5 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung ua auch die Krankenhausbehandlung. Nach § 39 Abs 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen1.

Ein Anspruch auf Krankenhausbehandlung nach § 27 Abs 1 Satz 1, § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V hängt mithin davon ab, dass die Krankenhausbehandlung der Klägerin allein aus medizinischen Gründen erforderlich war2 . Die Erforderlichkeit richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen (vgl Großer Senat, aaO, RdNr 15) . In jedem Fall bedarf es neben der generellen auch und gerade der individuellen Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung im Einzelfall3. An der individuellen Erforderlichkeit einer Krankenhausbehandlung der Klägerin fehlte es im hier vom Landessozialgericht Baden-Württemberg entschiedenen Fall, da sie die bestehenden konservativen Behandlungsmethoden im Sinne eines ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapiekonzepts, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, ggfs pharmakologisch-ärztliche Behandlung und eine kombinierte psychotherapeutische Intervention umfasst und als Langzeitbehandlung auch konsequent und nachhaltig durchzuführen und zu dokumentieren ist, nicht vollständig ausgeschöpft hat.

Der Magen der Klägerin als solcher war gesund; er bedurfte keiner Operation mittels einer Bypass-Operation. Mithin sind hier die für eine mittelbare Krankenbehandlung maßgebenden Kriterien zu prüfen. Da das von der Klägerin mit der Operation erstrebte Behandlungsziel einer Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen hätte erreicht werden können, kommt es darauf an, ob eine vollstationäre chirurgische Behandlung unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen (diätische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie, Psychotherapie) notwendig und wirtschaftlich war. Sodann ist zu untersuchen, ob nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen für eine chirurgische Intervention gegeben waren. Nach den vorliegenden Leitlinien der Fachgesellschaften (beispielsweise Leitlinie der deutschen Adipositas-Gesellschaft) kommt die Magen-Bypass-Operation als chirurgische Behandlung der extremen Adipositas nur als Ultima Ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen (BMI > 40 oder 35 mit erheblichen Begleiterkrankungen; Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten; tolerables Operationsrisiko; ausreichende Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung; Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung4.

Die Klägerin litt unstreitig an Übergewicht in krankhaftem Ausmaß. Die Krankheitswertigkeit der (morbiden) Adipositas per magna mit einem BMI von 47 kg/m² belegen die übereinstimmenden Angaben der behandelnden Ärzte und die Ausführungen des MDK. Aufgrund der (morbiden) Adipositas per magna litt die Klägerin an Beschwerden des Bewegungsapparates mit Verspannungen in der Wirbelsäule und schmerzhaften Problemen in den Füßen, an einer Kurzatmigkeit und an einer reaktive Depression.

Allerdings waren bei der Klägerin unabhängig von der bestehenden (morbiden) Adipositas per magna und den genannten Folgeerkrankungen nicht sämtliche alternativen konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Denn es fehlt an einem ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapiekonzept, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, ggfs pharmakologisch-ärztliche Behandlung und eine kombinierte psychotherapeutische Intervention umfasst und als Langzeitbehandlung auch konsequent und nachhaltig durchgeführt und dokumentiert worden ist. Eine derartige qualitativ anspruchsvolle Therapie hätte anhand bestimmter Qualitätskriterien erfolgen und über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten durchgeführt werden müssen. Dieses Erfordernis wird so ua auch von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin aufgestellt5. In entschiedenen Verfahren haben die bei der Klägerin nach ihren eigenen Angaben durchgeführten Maßnahmen keinen Hinweis darauf ergeben, dass bei ihr ein ärztlich koordiniertes und geleitetes Gesamttherapiekonzept über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten durchgeführt worden ist. Abgesehen von der Betreuung durch „Weight Watchers“ und „Treffpunkt Wunschgewicht“ sind die Diäten nach den eigenen Angaben der Klägerin nicht unter Beteiligung eines Ernährungsberaters bzw unter Aufsicht eines Facharztes für Ernährungstherapie durchgeführt worden. Dass die Klägerin durch ihre Ausbildung als Arzthelferin in einer internistischen Arztpraxis und ihre berufliche Tätigkeit genauere Kenntnisse über die „richtige Ernährung“ erlangt hat, genügt nicht. Denn es hat sich gezeigt, dass sie zwar in der Lage war, ihr Gewicht um bis zu 20 kg zu reduzieren. Sie konnte diese Reduktion aber nicht halten. Genau dieser Umstand zeigt jedoch deutlich, dass eine konsequente Verhaltenstherapie auch unabhängig vom Vorliegen psychischer Erkrankungen (hierzu sogleich) notwendig gewesen wäre.

Des Weiteren hat eine koordinierte Bewegungstherapie nicht stattgefunden. Die täglichen Spaziergänge mit ihren Hunden, das zweimal wöchentliche Schwimmen und das Training auf dem Hometrainer/Laufband bzw die Nutzung des Treppenhauses zum täglichen Bewegungstraining stellen kein geeignetes und fachkundig geleitetes (Gesamt-)Bewegungstherapiekonzept dar.

Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass nach der bereits genannten Leitlinie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft6 eine psychologische oder psychosomatische Therapie vor einer operativen Behandlung zwar nicht prinzipiell erforderlich ist. Bei Patienten mit Verdacht auf Depression, Psychose, Suchterkrankung oder Essstörung muss aber zwingend ein Psychiater oder Psychotherapeut hinzugezogen werden7.

Vor diesem Hintergrund ist das Landessozialgericht der Ansicht, dass die pauschale Behauptung des behandelnden Arztes, die Klägerin habe die konservativen Behandlungsansätze voll ausgeschöpft, nicht zutrifft. Das Gegenteil ist der Fall. Der Hinweis des Sachverständigen auf die vielen erfolgreichen Diäten bei der Klägerin zeigt, dass eine Gewichtabnahme bei der Klägerin durch nichtoperative Maßnahmen durchaus möglich und lediglich der Erfolg nicht von Dauer war (Jo-Jo-Effekt). Gerade dieser Umstand belegt aber die Notwendigkeit einer ärztlich geleiteten bzw koordinierten Gesamttherapie zur Sicherung eines dauerhaften Behandlungserfolges. Das Landessozialgericht verkennt nicht, dass es solch eine ärztlich geleitete koordinierte Gesamttherapie als einheitliche Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht gibt. Dies allein rechtfertigt aber noch nicht die Kostenübernahme für eine nur mittelbare Krankenbehandlung. Denn die im Rahmen der GKV zur Verfügung stehenden ärztlichen Leistungen einschließlich der ärztlich veranlassten Leistungen (z.B. Verordnung von Heilmitteln) machen es ohne Weiteres möglich, mit Hilfe ärztlicher Untersuchungs- und Beratungsleistungen über mehrere Monate eine strukturierte Therapie zur Gewichtsreduktion durchzuführen. Ohne eine solche – einer Operation als letzte verbleibende Behandlungsmöglichkeit (ultima ratio) unmittelbar vorausgehende – Gesamttherapie werden im Übrigen auch die Erfolge der operativen Behandlung überschätzt. Wenn es den Versicherten durch ärztlich überwachte Maßnahmen gelingt, das Gewicht deutlich zu reduzieren, können sich die beschriebenen Erfolge der Adipositaschirurgie – Gewichtsabnahme von bis zu 75 % des Übergewichts – nicht mehr einstellen.

Ein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung, dass eine konkret lebensbedrohliche Erkrankung die grundrechtskonforme Auslegung des Leistungsanspruchs nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V erfordert, liegt im Fall der Klägerin nicht vor. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich ihr Übergewicht in absehbarer Zeit lebensbedrohend ausgewirkt hätte.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2011 – L 11 KR 3560/09

  1. BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KR 11/08 R – Liposuktion[]
  2. vgl BSG (GrS), Beschluss vom 25.09.2007 – GS 1/06, SozR 4-2500 § 35 Nr 10; ebenso BSG, Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 5/05 R, BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, jeweils RdNr 23[]
  3. vgl BSG, Beschluss vom 07.11.2006 – B 1 KR 32/04 R – RdNr 28 und 37 f mwN; Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R, mwN[]
  4. vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2003 – B 1 KR 1/02 R, BSGE 90, 289 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1; auch BSG, Urteil vom 18.12.2008 – B 1 KR 2/08 R[]
  5. vgl die Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“, Version 2007 Nr 6.4.7 mit Tabelle Nr 5 [Qualitätskriterien für ambulante Adipositasprogramme]; siehe auch die „Evidenzbasierte Leitlinie chirurgische Therapie der extremen Adipositas“ der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas e.V. und der Deutschen Adipositas Gesellschaft e.V. vom 01.12.2006[]
  6. Nr 6.4.7[]
  7. vgl Nr 6.4.7, S 17: „[…] bei Patienten mit Verdacht auf Depression, Psychose, Suchterkrankung oder Essstörung muss ein Psychiater oder Psychotherapeut hinzugezogen werden.“[]