Die Pflicht zur Nutzung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs war nicht für sämtliche unter die Nutzungspflicht fallende Steuerberater bis zu dem Zeitpunkt aufgeschoben, zu dem der Versand der für die Erstanmeldung an diesem Postfach erforderlichen Registrierungsbriefe abgeschlossen war.
Gemäß § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO haben die nach der Finanzgerichtsordnung vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht, vorbereitende Schriftsätze, deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.
Zu den vertretungsberechtigten Personen im Sinne des § 52d Satz 2 FGO gehören unter anderem Steuerberater (§ 62 Abs. 2 Satz 1 FGO). Als sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO ist der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a, 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts genannt. Zu diesen auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfächern gehört auch das beSt; die entsprechenden Regelungen waren ab dem 01.01.2023 anzuwenden (§ 157e StBerG a.F.).
Nach der Rechtsprechung der meisten Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) stand den Steuerberatern das beSt unabhängig vom Zeitpunkt der Zugangs des für sie bestimmten Erstregistrierungsbriefs ab dem 01.01.2023 „zur Verfügung“, weil sie die „Fast Lane“ hätten nutzen können1.
Im hier entschiedenen Streitfall kommt es darauf jedoch nicht an. Jedenfalls stand der S im Zeitpunkt der Klageerhebung am 09.02.2023 -dieses Datum stellt zugleich den letzten Tag der Klagefrist gegen die Einspruchsentscheidung vom 04.01.2023 dar- das beSt als sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung. Der Brief mit den für die Erstanmeldung am beSt erforderlichen Zugangsdaten ist ihr bereits am 05.01.2023 zugegangen. Auch wenn man dem einzelnen Steuerberater für die Erstanmeldung einen Zeitraum von einigen wenigen Tagen zubilligen mag, wäre ein solcher kurzer Zeitraum am 09.02.2023 abgelaufen gewesen.
Der Auffassung des erstinstanzlich mit dem vorliegenden Fall befassten Niedersächsischen Finanzgerichts2, aus verfassungsrechtlichen Gründen müsse § 52d Satz 2 FGO dahingehend ausgelegt werden, dass das beSt -unabhängig vom Zeitpunkt des Zugangs des Erstregistrierungsbriefs beim jeweiligen Steuerberater- erst nach dem Versand des letzten Registrierungsbriefs am 17.03.2023 zur Verfügung gestanden habe, folgt der X. Senat des Bundesfinanzhofs nicht. Zwar hält es auch der X. Senat für verfassungsrechtlich geboten, dass die -nicht vom einzelnen Steuerberater zu vertretenden- Verzögerungen bei der Einführung des beSt im Zeitraum von Januar bis März 2023 nicht zu einer Verkürzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz führen dürfen. Hieraus folgt aber keine allgemeine Verschiebung des gesetzlich festgelegten Anwendungszeitpunktes des § 52d Satz 2 FGO auf den 17.03.2023. Vielmehr wäre dem verfassungsrechtlich Erforderlichen schon dann Genüge getan, wenn § 52d Satz 2 FGO -was im Streitfall offenbleiben kann- dahingehend ausgelegt wird, dass es auf das „zur Verfügung stehen“ beim einzelnen Steuerberater ankommt, oder -so die Lösung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 23.06.20253)) der Bedeutung der Grundrechte und Prozessgrundrechte „jedenfalls“ im Rahmen der Prüfung von Wiedereinsetzungsgründen Rechnung getragen wird.
Darüber hinaus hat der hier entscheidende X. Senat in seinem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 06.08.20254 geäußert, dass er seine -in nicht entscheidungstragenden Erwägungen des Beschlusses vom 17.04.20245 vertretene- Auffassung, die Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung sei aus formellen Gründen unwirksam, nicht weiterverfolgt.
Eine Prozesshandlung, bei deren Vornahme die Regelung des § 52d FGO nicht beachtet wird, ist unwirksam6. Danach ist die vorliegende Klage im Streitfall innerhalb der einmonatigen Klagefrist nicht wirksam erhoben worden.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. September 2025 – X R 12/23
- vgl. BFH, Entscheidungen vom 28.04.2023 – XI B 101/22, BFHE 279, 523, BStBl II 2023, 763; vom 11.08.2023 – VI B 74/22, BFH/NV 2023, 1221, Rz 14; vom 31.10.2023 – IV B 77/22, BFH/NV 2024, 20; vom 16.01.2024 – VIII B 141/22, BFH/NV 2024, 405; vom 02.02.2024 – IX B 26/23, BFH/NV 2024, 415; vom 13.03.2024 – I B 28/23, BFH/NV 2025, 1293; und vom 08.05.2024 – II R 3/23, BFH/NV 2024, 804, Rz 16, beide m.w.N.[↩]
- Nds. FG, Urteil vom 14.04.2023 – 9 K 10/23[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 23.06.2025 – 1 BvR 1718/24, DStR 2025, 1698[↩]
- BFH, Urteil vom 06.08.2025 – X R 13/23, DStR 2025, 2080, Rz 41[↩]
- BFH, Beschlusses vom 17.04.2024 – X B 68, 69/23, BFHE 284, 237, Rz 19 ff.[↩]
- BFH, Beschluss vom 23.08.2022 – VIII S 3/22, BFHE 276, 566, BStBl II 2023, 83, Rz 9[↩]











