Der Bundesfinanzhof sieht es als zweifelhaft an, ob ein Versicherungsvermittler, der neben seiner Vermittlungstätigkeit der Versicherungsgesellschaft auch das vermittelte Versicherungsprodukt zur Verfügung stellt, umsatzsteuerfreie Leistungen erbringt. Er hat daher ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung dieser Frage gerichtet.

Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Liegt eine zu den zu Versicherungs- und Rückversicherungsumsätzen dazugehörige Dienstleistung vor, die von Versicherungsmaklern und -vertretern i.S. von Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL steuerfrei erbracht wird, wenn ein Steuerpflichtiger, der für eine Versicherungsgesellschaft eine Vermittlungstätigkeit ausübt, dieser Versicherungsgesellschaft zusätzlich auch das vermittelte Versicherungsprodukt zur Verfügung stellt?
In dem beim Bundesfinanzhof anhängigen Verfahren hatte die Assekuradeurin ein Versicherungsprodukt entwickelt, mit dem Schiffe und deren Crews gegen Piraterie bei der Durchfahrt durch den Golf von Aden versichert werden konnten. Sie gewährte einer Versicherungsgesellschaft eine Lizenz für die Nutzung dieses Versicherungsprodukts. Zusätzlich übernahm sie die Vermittlung dieser Versicherungen sowie weitere Leistungen bei der Durchführung der Versicherungsverträge wie etwa im Bereich der Schadensabwicklung.
Das Finanzamt ging davon aus, dass keine einheitliche Leistung, sondern drei getrennte Leistungen vorliegen. Dabei sei -unter Berücksichtigung einer verbindlichen Auskunft- nur die unmittelbare Tätigkeit der Versicherungsvermittlung nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei. Die Lizenzüberlassung unterliege dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG, während auf weitere Leistungen zur Vertragsdurchführung einschließlich Schadensregulierung der Regelsteuersatz anzuwenden sei. Daher unterwarf das Finanzamt 25% der Gesamtvergütung für die Lizenzüberlassung dem ermäßigten Steuersatz und 8% der Gesamtvergütung für die verwaltungsbezogenen Leistungen dem Regelsteuersatz. Demgegenüber begehrte die Assekuradeurin die volle Umsatzsteuerfreiheit. Die Klage vor dem Finanzgericht hatte keinen Erfolg, da umsatzsteuerrechtlich nur eine Leistung vorliege, die insgesamt steuerpflichtig sei.
Auch der Bundesfinanzhof geht von einer einheitlichen Leistung aus. Der BFH hat aber Zweifel an der zutreffenden Auslegung des unionsrechtlichen Steuerbefreiungstatbestandes für die Versicherungsvermittlung. Nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG (Mehrwertsteuersystemrichtlinie) sind Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazu gehörenden Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden, steuerfrei. Der Unionsgerichtshof soll hierzu klären, ob eine einheitlichen Leistung bestehend aus Versicherungsvermittlung, Lizenzgewährung zur Bereitstellung eines Versicherungsprodukts sowie weiteren Leistungen zur Vertragsdurchführung einschließlich Schadensregulierung insgesamt steuerfrei ist, obwohl nur eine Nebenleistung (Versicherungsvermittlung) bei eigenständiger Betrachtung steuerfrei wäre.
Vorbemerkungen zur Vorlagefrage[↑]
Besteuerung einheitlicher Leistungen
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist „eine einheitliche Leistung …, die aus zwei separaten Bestandteilen, einem Haupt- und einem Nebenbestandteil, besteht, für die bei getrennter Erbringung unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gälten, nur zu dem für diese einheitliche Leistung geltenden Mehrwertsteuersatz zu besteuern, der sich nach dem Hauptbestandteil richtet, und zwar auch dann, wenn der Preis jedes Bestandteils, der in den vom Verbraucher für die Inanspruchnahme dieser Leistung gezahlten Gesamtpreis einfließt, bestimmt werden kann“1.
Der Bundesfinanzhof entnimmt dem zweierlei: Zum einen unterliegt die einheitliche Leistung nicht entsprechend ihren Bestandteilen unterschiedlichen Steuersätzen, sondern nur einem Steuersatz. Zum anderen bestimmt sich die -somit einheitlich vorzunehmende- Besteuerung der einheitlichen Leistung nach ihrem Hauptbestandteil.
Im Streitfall handelt es sich um eine Leistung, die mehrere Bestandteile umfasst. Diese sind
- die Versicherungsvermittlung,
- die Lizenzgewährung zur Bereitstellung eines Versicherungsprodukts und
- die Leistungen zur Vertragsdurchführung einschließlich Schadensregulierung.
Damit liegt nach den Maßstäben der EuGH-Rechtsprechung in Bezug auf diese Tätigkeiten eine einheitliche Leistung vor, deren Hauptbestandteil in der Lizenzgewährung zur Bereitstellung eines Versicherungsprodukts besteht und bei der die weiteren Bestandteile, die in der Versicherungsvermittlung und den Leistungen zur Vertragsdurchführung einschließlich Schadensregulierung bestehen, nur Nebenleistungen sind. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es ohne die Lizenzgewährung nicht zu einer Versicherungsvermittlungstätigkeit gekommen wäre und der Assekuradeurin ein Vergütungsanspruch auch für den Fall zugesagt war, dass Dritte Versicherungen aufgrund der gewährten Lizenz vermittelten, ohne dass es dabei darauf ankam, ob derartige Vermittlungen später tatsächlich erfolgten.
Danach wären die Leistungen der Assekuradeurin insgesamt steuerpflichtig. Denn ebenso wie in Bezug auf den Steuersatz einheitlicher Leistungen kann auch über die Steuerfreiheit einheitlicher Leistungen nur einheitlich entschieden werden, wobei sich dies wie bei der Bestimmung des Steuersatzes nach dem Hauptbestandteil richtet. Dieser besteht in der Lizenzgewährung zur Bereitstellung eines Versicherungsprodukts. Diese Leistung ist für sich genommen nicht nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL steuerfrei, da die Bereitstellung des Versicherungsprodukts zur Sacharbeit der Versicherungsgesellschaft gehört, die bei einer Auslagerung auf Dritte nicht nach dieser Bestimmung steuerfrei ist2. Dies gilt zudem ebenso für die Nebenleistungen zur Vertragsdurchführung einschließlich Schadensregulierung.
Allerdings hat der Bundesfinanzhof Zweifel, ob diese Auslegung unter Berücksichtigung des EuGH, Urteils Aspiro vom 17.03.2016 – C-40/153 zutreffend ist und bittet den GErichtshof der Europäischen Union daher um Beantwortung der Vorlagefrage:
Zur Vorlagefrage[↑]
Nach dem EuGH, Urteil Aspiro4 setzt die Steuerfreiheit nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL voraus, dass erstens der Dienstleistungserbringer sowohl mit dem Versicherer als auch mit dem Versicherten in Verbindung steht und zweitens seine Tätigkeit wesentliche Aspekte der Versicherungsvermittlungstätigkeit, wie Kunden zu suchen und diese mit dem Versicherer zusammenzubringen, umfasst. Nicht steuerfrei ist es daher, wenn der Unternehmer die Schadensregulierung im Namen und für Rechnung eines Versicherungsunternehmens übernimmt5. Es fehlt dann der erforderliche Zusammenhang mit der Kundensuche und dem Zusammenbringen der Kunden mit dem Versicherer im Hinblick auf den Abschluss von Versicherungsverträgen6.
Der zu beurteilende Streitfall unterscheidet sich von dem der Rechtssache Aspiro dadurch, dass sich die Tätigkeit des Steuerpflichtigen in der Rechtssache Aspiro darauf beschränkte, Schäden zu regulieren und er damit eine ausschließlich steuerpflichtige Tätigkeit ausübte. Demgegenüber ging die Assekuradeurin in der hier vorliegenden Streitsache Tätigkeiten bei einer jeweils eigenständigen Betrachtung -ohne Vorliegen einer einheitlichen Leistung- unterschiedlicher Art nach.
- Zu den steuerpflichtigen Tätigkeiten gehörte die Lizenzgewährung zur Bereitstellung eines Versicherungsprodukts und die Leistungen zur Vertragsdurchführung einschließlich Schadensregulierung.
- Daneben übte die Assekuradeurin aber auch eine Versicherungsvermittlungstätigkeit aus, die bei eigenständiger Beurteilung nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL steuerfrei wäre.
Der Bundesfinanzhof sieht es als vom EuGH klärungsbedürftig an, welche Bedeutung Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL für die Steuerfreiheit einheitlicher Leistungen zukommt.
Nach allgemeinen Grundsätzen ist über die Besteuerung einer einheitlichen Leistung einheitlich und dabei nach ihrem Hauptmerkmal zu entscheiden. Danach ist die einheitliche Leistung insgesamt entweder steuerfrei oder steuerpflichtig, wobei die Steuerfreiheit der einheitlichen Leistung voraussetzt, dass ihr Hauptbestandteil die Anforderungen des Befreiungstatbestandes erfüllt. Danach wäre von einer vollständigen Steuerpflicht der von der Assekuradeurin erbrachten Leistung auszugehen, da der Hauptbestandteil ihrer Leistung in der Überlassung eines Versicherungsprodukts, nicht aber in der Versicherungsvermittlung bestand.
Der Bundesfinanzhof hat aber Zweifel, ob dies unter Berücksichtigung des EuGH, Urteils Aspiro3 auch für die Steuerfreiheit nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL gilt. Dieses EuGH, Urteil könnte dahingehend zu verstehen sein, dass eine einheitliche Leistung auch dann steuerfrei ist, wenn lediglich eine Nebenleistung die Anforderungen des Befreiungstatbestandes erfüllt.
Damit stellt sich die Frage, ob die einheitliche Leistung bestehend aus
- Versicherungsvermittlung,
- Lizenzgewährung zur Bereitstellung eines Versicherungsprodukts und
- Leistungen zur Vertragsdurchführung einschließlich Schadensregulierung
insgesamt steuerfrei ist, obwohl nur eine Nebenleistung (Versicherungsvermittlung) bei eigenständiger Betrachtung steuerfrei wäre, diese Nebenleistung aber im unmittelbaren Zusammenhang mit den anderen Leistungen steht, die zum wesentlichen Inhalt der Tätigkeit eines Versicherungsunternehmens beitragen. Die Eigenschaft des Versicherungsvertreters wird dadurch mit Blick auf das erhöhte zu versichernde Risiko weiter ausgebaut.
Reicht es für die Steuerfreiheit der einheitlichen Leistung nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL aus, dass nur eine Nebenleistung nach dieser Bestimmung steuerfrei ist, ist das Urteil des Finanzgericht aufzuheben und der Klage stattzugeben. Ansonsten erweist sich die Klageabweisung durch das Finanzgericht als zutreffend.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 5. September 2019 – V R 58/17
- EuGH, Urteil Stadion Amsterdam vom 18.01.2018 – C-463/16, EU:C:2018:22, Antwort auf die Vorlagefrage[↩]
- EuGH, Urteil Arthur Andersen vom 03.03.2005 – C-472/03, EU:C:2005:135, Rz 32 ff.[↩]
- EU:C:2016:172[↩][↩]
- EU:C:2016:172, Rz 37[↩]
- EuGH, Urteil Aspiro, EU:C:2016:172, Antwort auf die Vorlagefrage[↩]
- EuGH, Urteil Aspiro, EU:C:2016:172, Rz 40[↩]