Außerordentliche Kündigung – wegen langjähriger Strafhaft

Die langjährige Arbeitsverhinderung aufgrund einer Strafhaft kann einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist darstellen.

Außerordentliche Kündigung – wegen langjähriger Strafhaft

Ein personenbedingter Grund für eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses liegt grundsätzlich – unbeschadet einer abschließenden Interessenabwägung, zumindest dann vor, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt noch eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen hat und eine vorherige Entlassung nicht sicher zu erwarten steht. In einem solchen Fall kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten. Dabei ist ua. bedeutsam, dass bei zunehmender Haftdauer die Verwirklichung des Vertragszwecks in Frage gestellt wird. Eine mehrjährige Abwesenheit des Arbeitnehmers geht typischerweise mit einer Lockerung seiner Bindungen an den Betrieb und die Belegschaft sowie dem Verlust von Erfahrungswissen einher, das aus der täglichen Routine resultiert. Dementsprechend muss der Arbeitgeber bei der Rückkehr eines langjährig inhaftierten Arbeitnehmers mit Einarbeitungsaufwand rechnen1.

Bei einer haftbedingten Arbeitsverhinderung kommt auch eine außerordentliche Kündigung eines tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers mit einer der – fiktiven – ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist in Betracht. Ein „an sich“ wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB für eine solche Kündigung besteht jedenfalls dann, wenn die vorübergehende Unmöglichkeit der Arbeitsleistung iSv. § 275 Abs. 1 BGB mit einer „endgültigen“ Unmöglichkeit gleichzusetzen ist. Ein zeitweiliges Erfüllungshindernis kommt einem dauernden gleich, wenn die Erreichung des Vertragszwecks durch die vorübergehende Unmöglichkeit in Frage gestellt wird und deshalb dem Vertragspartner nach dem Grundsatz von Treu und Glauben unter Abwägung der Belange beider Vertragsteile die Einhaltung des Vertrags nicht zugemutet werden kann2. Das ist bei einem Dauerschuldverhältnis wie dem Arbeitsverhältnis wenigstens dann der Fall, wenn die vom Arbeitnehmer selbst zu vertretende Arbeitsverhinderung zu einer kompletten Entfremdung von Betrieb, Belegschaft und Arbeitsaufgaben führt und sich deshalb die „Wiederaufnahme“ der Tätigkeit lediglich formal als Fortsetzung ein und desselben Arbeitsverhältnisses darstellt. So liegt es regelmäßig dann, wenn die Dauer von zwei Jahren Freiheitsstrafe, die dem Arbeitgeber die Vornahme von Überbrückungsmaßnahmen zur Vermeidung einer ordentlichen Kündigung in jedem Fall unzumutbar macht, um ein Mehrfaches überschritten wird.

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Danach sind die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist erfüllt.

Es besteht in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall ein „an sich“ wichtiger Grund:

Der Arbeitnehmer ist rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Er hatte die Haft erst knapp einen Monat vor Zugang der Kündigung angetreten. Auf die zu verbüßende Strafe ist kein bereits erlittener Freiheitsentzug in nennenswertem Umfang anzurechnen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB). Der Arbeitnehmer hatte sich nur in der Zeit vom 01.07.bis zum 25.08.2011 in Untersuchungshaft befunden.

Im Streitfall liegen keine Besonderheiten vor, die zu einer abweichenden Beurteilung Anlass gäben.

Der Arbeitnehmer hat die haftbedingte Arbeitsverhinderung selbst zu vertreten. Seine Auseinandersetzung mit der Beweiswürdigung im Strafurteil ist rudimentär. Seine punktuellen Angriffe sind nicht geeignet, deren Richtigkeit in Frage zu stellen. Erst recht stellt es eine subjektive, tatsächlich durch nichts belegte Einschätzung des Arbeitnehmers dar, wenn er meint, es sei mit einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu rechnen. Ein Wiederaufnahmegrund iSv. § 359 StPO ist nicht ersichtlich. Durch das bloße Anbringen eines entsprechenden Antrags würde die Vollstreckung des Strafurteils nicht gehemmt (§ 360 StPO).

Im Kündigungszeitpunkt stand nicht etwa aufgrund konkreter Angaben in einem Vollzugsplan iSv. § 7 StVollzG, § 10 StVollzG NRW sicher zu erwarten, dass der Arbeitnehmer den „Freigängerstatus“ erlangen (§ 11 StVollzG, §§ 12, 53 ff. StVollzG NRW) oder vorzeitig aus der Haft entlassen würde (§ 57 StGB). Ebenso wenig kann das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen schon für Jahre im Voraus abgeschätzt werden3.

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Eine möglicherweise vom Arbeitgeber vorgehaltene Personalreserve diente jedenfalls nicht dem Zweck, haftbedingte Ausfälle zu überbrücken4. Deshalb spielt es keine Rolle, dass der Arbeitnehmer während der Dauer einer Arbeitsunfähigkeit, die der Strafhaft vorausgegangen war, aus einem solchen „Pool“ vertreten worden sein will.

Es ist nicht davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer auf einem Telearbeitsplatz in der Justizvollzugsanstalt beschäftigt werden könnte. Der von ihm in Bezug genommene § 149 StVollzG, § 94 StVollzG NRW befasst sich mit sog. Arbeitsbetrieben, dh. mit in den Anstalten unterhaltenen Einrichtungen privater Unternehmen, die der Umsetzung der Arbeitspflicht der Gefangenen gemäß § 41 StVollzG, § 29 StVollzG NRW dienen. Im Übrigen wären die Beschränkungen von Außenkontakten nach §§ 23 ff. StVollzG, §§ 18 ff. StVollzG NRW zu beachten. Insofern hätte der Arbeitnehmer allenfalls einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Er hat aber weder vorgetragen, dass er einen Antrag auf Einrichtung eines „sicheren“ Telearbeitsplatzes gestellt habe, noch ist ersichtlich, aufgrund welcher Umstände eine Ablehnung durch die Anstaltsleitung ermessensfehlerhaft sein müsste.

Das Bundesarbeitsgericht kann die Interessenabwägung an Stelle des Landesarbeitsgerichts vornehmen, weil der maßgebliche Sachverhalt feststeht5. Sie führt nicht zu einem Überwiegen der Belange des Arbeitnehmers. Zwar ist zu seinen Gunsten eine nahezu 24-jährige Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen, deren beanstandungsfreier Verlauf unterstellt werden kann. Zudem mag auf seine Unterhaltspflichten, seine Behinderung und seine Arbeitsmarktchancen Bedacht genommen werden. Gleichwohl geht das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers vor. Der Arbeitnehmer hat seinen außergewöhnlich langen Ausfall selbst verschuldet. Die Freiheitsstrafe, die er im Kündigungszeitpunkt gerade erst angetreten hatte, beläuft sich auf mehr als das Dreieinhalbfache des für eine ordentliche Kündigung regelmäßig ausreichenden Zweijahreszeitraums. Es kommt hinzu, dass der Arbeitgeber nach dem Urteil des Landgerichts vom Juli 2011 trotz des Ausfalls durch die Untersuchungshaft und die nachfolgende Arbeitsunfähigkeit noch über 20 Monate zugewartet und bereits dadurch in nicht unbedeutendem Umfang auf die Belange des Arbeitnehmers Rücksicht genommen hat. Im Rahmen der Interessenabwägung erhebliche, ihn entlastende besondere Umstände hat der Arbeitnehmer demgegenüber nicht vorgetragen. Insbesondere kann mit Blick auf die von ihm geschuldete Tätigkeit als Verwaltungsfachwirt nicht angenommen werden, dass nach einer Rückkehr aus der Haft keine beträchtliche „Wiedereinarbeitung“ erforderlich würde. Angesichts dessen kann von dem Arbeitgeber nicht verlangt werden, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 2 AZR 381/14

  1. vgl. BAG 23.05.2013 – 2 AZR 120/12, Rn.20 ff., insbes. Rn. 37; 24.03.2011 – 2 AZR 790/09, Rn. 12 ff., insbes. Rn. 23; 25.11.2010 – 2 AZR 984/08, Rn. 11 ff., insbes. Rn. 25, BAGE 136, 213[]
  2. BGH 8.05.2014 – VII ZR 203/11, Rn. 23, BGHZ 201, 148; siehe auch Picker RdA 2012, 40, 45[]
  3. vgl. BAG 24.03.2011 – 2 AZR 790/09, Rn. 18; 25.11.2010 – 2 AZR 984/08, Rn. 17[]
  4. vgl. BAG 24.03.2011 – 2 AZR 790/09, Rn. 22; zustimmend Picker RdA 2012, 40, 45[]
  5. vgl. BAG 27.01.2011 – 2 AZR 825/09, Rn. 38, BAGE 137, 54[]