Kindstötung und die Einweisung in die Psychiatrie

Die Unterbringung einer Frau, die im Zustand der Schuldunfähigkeit ihre vier Jahre alte Tochter getötet hat, im psychiatrischen Krankenhaus ist gemäß § 63 StGB anzuordnen, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass die Beschuldigte in absehbarer Zeit erneut schwanger und dann aufgrund ihrer psychischen Erkrankung erneut zu einer Todesgefahr für ihr heute noch nicht existierendes Kind werden wird.

Kindstötung und die Einweisung in die Psychiatrie

Eine nur allgemeine Möglichkeit, dass die Beschuldigte zukünftig in eine ähnliche Konfliktlage kommen könnte, wie sie der Anlasstat zugrunde lag, und dann aufgrund ihrer Störung erneut eine gleichartige Tat begehen könnte, reicht für die Annahme ihrer Gefährlichkeit für die Allgemeinheit nicht aus1.

Nach Literaturmeinung könne die Unterbringung einer wegen Totschlags ihres Kindes verurteilten Frau daher nicht mit der Befürchtung gerechtfertigt werden, ohne Unterbringung und Behandlung könne die Verurteilte wieder schwanger werden und es erneut „zur Katastrophe kommen“2. Die vorgenannten Literaturstimmen verweisen jeweils auf die nicht veröffentlichte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 19953. Dieser Entscheidung lag ein dem hiesigen ähnlicher Fall zu Grunde, in dem die dort Angeklagte ihre drei Monate alte Tochter mit einem Kissen erstickt hatte. Das Landgericht verurteilte die dort Angeklagte wegen Totschlags und ordnete ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Mit der genannten Entscheidung hob der BGH den Maßregelausspruch auf. Dazu enthält das Urteil die folgende Begründung:

„Der Maßregelausspruch kann aber nicht bestehen bleiben. Der Senat teilt die Bedenken des Generalbundesanwalts gegen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Dabei kann offenbleiben, ob es bereits an dem von § 63 StGB vorausgesetzten länger dauernden psychischen Mangel fehlt. Jedenfalls rechtfertigt die Befürchtung, daß die Angeklagte ohne Unterbringung und die dadurch ermöglichte Behandlung erneut schwanger werde und es dann in vergleichbarer Weise wieder „zur Katastrophe komme“, nicht die Unterbringung.“

Eine weitere Begründung enthält das Urteil zu dieser Frage nicht.

Dem gegenüber steht die neuere Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. April 20084. Mit dieser Entscheidung hob der BGH ein landgerichtliches Urteil auf, mit dem die dort Angeklagte wegen schwerer Misshandlungen ihrer Tochter als Säugling und im Alter von 1 Jahr verurteilt worden war. Zur Nichtanordnung der Unterbringung der dort Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus und der (dort unzureichenden) Begründung der Gefährlichkeitsprognose enthält der Beschluss die folgenden Ausführungen:

„Die Annahme, die Angeklagte sei nicht mehr gefährlich, weil eine Gefährdung sich nur auf ein Kind der Angeklagten auswirken könnte, sie aber verhüte, wird den besonderen Umständen in der Person der Angeklagten nicht gerecht. Denn auch wenn das geschädigte Mädchen nunmehr in einer Pflegefamilie lebt und die Angeklagte gegenwärtig den Willen haben mag, kein Kind mehr zu bekommen, bietet dies zumal angesichts ihrer unterdurchschnittlichen Intelligenz und überdauernden Persönlichkeitsstörung keine Gewähr, dass sie nicht in absehbarer Zeit erneut schwanger werden oder auf sonstige Weise wieder in näheren Kontakt mit Kleinstkindern kommen kann, die dann ihren zerstörerischen Impulsen ausgesetzt sind. Entgegen der Annahme der Strafkammer kann der Annahme einer solchen – vor dem Hintergrund der abgeurteilten Straftaten nicht nur theoretischen – Gefahr nicht mit der Erwägung begegnet werden, dass die zunehmend sensibilisierten Jugendämter und Familiengerichte das Erforderliche veranlassen würden, falls die Angeklagte wider Erwarten erneut Mutter werden würde. Denn wie sich angesichts der Taten gezeigt hat, waren diese Stellen gerade nicht in der Lage, die schwerwiegenden Übergriffe der Angeklagten zu verhindern.“

Das Landgericht Frankfurt (Oder) entnimmt und teilt mit der letztgenannten Entscheidung den Rechtsgedanken, dass jedenfalls dann, wenn die konkrete Gefahr besteht, die Beschuldigte werde in absehbarer Zeit erneut schwanger und dann aufgrund ihrer psychischen Erkrankung erneut zu einer Todesgefahr für ihr heute noch nicht existierendes Kind werden, eine Gefährlichkeit der Beschuldigten für die Allgemeinheit iSd § 63 StGB angenommen werden kann.

So ist es hier. Es kann nicht zugelassen werden, dass die Beschuldigte unbehandelt ein weiteres Kind tötet. Es besteht nicht nur eine allgemeine Möglichkeit, sondern die konkrete Gefahr, dass die Beschuldigte ohne Unterbringung binnen kurzer Zeit wieder schwanger wird und in eine ähnliche Konfliktlage gerät, wie sie der Anlasstat zugrunde lag. Diese konkrete Gefahr ergibt sich aus der fortbestehenden psychotischen Grunderkrankung der Beschuldigten und ihrem wahnhaften Wunsch, wieder schwanger zu werden.

Es mag sein, dass der derzeitige Freund der Beschuldigten – wie von ihr behauptet – verlässlich ist. Allein diese Partnerschaft vermag die Gefährlichkeit der Beschuldigten nicht zu beseitigen. Die Beschuldigte hat seit der Tat bereits viermal ihre Lebenspartner gewechselt. Zwar hat die Beschuldigte im Zusammenhang mit der Erörterung ihrer letzten Schwangerschaft in der Hauptverhandlung erklärt, dass sie zunächst die Schule machen wolle, der Kinderwunsch müsse daher „zunächst“ zurücktreten. Zudem verhütet sie zurzeit mittels Depotspritze. Diese Umstände sind aber nicht geeignet, die Gefahr einer erneuten Schwangerschaft vor ausreichender Behandlung und Einbindung der Beschuldigung in ein Hilfesystem zu beseitigen. Auch der Umstand, dass die Beschuldigte zurzeit im geschützten und hoch strukturierten Rahmen der Unterbringung sich krankheitseinsichtig und therapiebereit zeigt, gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Gewähr dafür, dass sie dieses Verhalten auch außerhalb der Unterbringung zeigt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Krankheitseinsicht wechselhaft ist, wie der Vorfall der verheimlichten Verweigerung der Medikamenteneinnahme zeigt. Die Beschuldigte ist bereits zweimal stationär wegen ihrer gezeigten psychischen Auffälligkeiten behandelt worden, ohne dass die erforderliche ambulante Nachbehandlung zustande gekommen ist. Auch dies ist ein Beleg für die fehlende stabile Krankheitseinsicht der Beschuldigten. Zu berücksichtigen sind neben der Drogenvergangenheit der Beschuldigten auch die Vorfälle in der Unterbringungseinrichtung in Teupitz. Gegenwärtig ist danach eine nur ambulante Betreuung, wie der Sachverständige und die sachverständigen Zeuginnen übereinstimmend erklärt haben, nicht ausreichend, um die Beschuldigte therapeutisch zu behandeln.

Bei einem Unterbleiben der Unterbringungsanordnung müsste danach damit gerechnet werden, dass die Beschuldigte bei einer Entlassung aus dem psychiatrischen Krankenhaus die Medikation absetzt, wieder Drogen konsumiert und wieder Wahngedanken und psychotisches Erleben entwickelt. Im Falle einer solchen Krankheitsverschlechterung ist es wahrscheinlich, dass die Beschuldigte erneut nicht nur suizidale Impulse verspürt, sondern auch versuchen könnte, ihre Situation durch einen erweiterten Suizid zu klären. Im Fall einer erneuten Schwangerschaft und Geburt eines Kindes wäre danach dieses Kind unmittelbar gefährdet.

Das Landgericht Potsdam ist sich bei der Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB der Schwere des damit verbundenen Eingriffs bewusst. Auch unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes der Verhältnismäßigkeit erweist sich eine Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus als unabdingbar. Bei der Abwägung der Folgen für die Beschuldigte gegenüber den Gefahren für die Allgemeinheit ist eine Unterbringung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten angezeigt. Angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass sie sich nach einer erneuten Schwangerschaft wieder gegenüber ihrem (zukünftigen) Kind in vergleichbarer Weise fremdgefährdend verhält, hat im Interesse der Allgemeinheit ihre persönliche Freiheit gegenüber dem Schutz des noch ungeborenen Kindes zurückzustehen.

Landgericht Frankfurt (Oder), Urteil vom 21. Januar 2013 – 23 KLs 24/12

  1. vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 63 Rn.19 m.w.N[]
  2. Schöch, Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Auflage, § 63 Rn. 99; Fischer aaO[]
  3. BGH, Urteil vom 22.06.1995 – 5 StR 166/95[]
  4. BGH, Beschluss vom 22.04.2008 – 4 StR 136/08[]