Die bloße Berufung des Angeklagten auf einen Verbotsirrtum nötigt nicht dazu, einen solchen als gegeben anzunehmen. Es bedarf vielmehr einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Angeklagten von Bedeutung waren1.

Denn der Täter hat bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt. Es genügt mithin das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen2.
Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben.
Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sachund Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen3.
Der Beratende muss vollständige Kenntnis von allen tatsächlich gegebenen, relevanten Umständen haben. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen4.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. Juli 2019 – 1 StR 433/18
- vgl. BGH, Urteil vom 11.10.2012 – 1 StR 213/10, BGHSt 58, 15 Rn. 63[↩]
- st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 23.12 2015 – 2 StR 525/13, BGHSt 61, 110 Rn. 53; vom 11.10.2012 – 1 StR 213/10, BGHSt 58, 15 Rn. 65; und vom 16.05.2017 – – VI ZR 266/16 Rn. 22, jew. mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit, vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.03.2006 – 2 BvR 954/02 Rn. 25 f.[↩]
- BGH, Urteile vom 11.10.2012 – 1 StR 213/10, BGHSt 58, 15 Rn. 69 ff.; und vom 04.04.2013 – 3 StR 521/12 Rn. 10 f.[↩]
- BGH, Urteil vom 11.10.2012 – 1 StR 213/10, BGHSt 58, 15 Rn. 74 mwN[↩]
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