Der Vollzug eines außer Vollzug gesetzten Haftbefehls kann nicht angeordnet werden, wenn annähernd sechs Monate Untersuchungshaft bereits vollzogen sind und die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO wegen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots nicht vorliegen (hier: etwa sechsmonatige Untätigkeit der Staatsanwaltschaft).

Das Vorliegen der Haftvoraussetzungen ist stets von Amts wegen zu prüfen [1]; es kommt daher nicht darauf an, dass der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde nicht ausdrücklich den Haftbefehl angreift, sondern lediglich dessen Invollzugsetzung. Denn die Invollzugsetzung des Haftbefehls würde den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzen, wenn der Vollzug der Haft auf einen Haftbefehl gestützt wird, dessen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Es wäre angesichts der knapp sechs Monate vollzogenen Untersuchungshaft auch widersinnig, wenn das Oberlandesgericht zunächst die Invollzugsetzung des Haftbefehls – wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO – bestätigen würde, um kurz darauf den Haftbefehl – wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots – aufzuheben. Der Haftbefehl darf daher hier nur dann wieder in Vollzug gesetzt werden, wenn wichtige Gründe iSd. § 121 Abs. 1 StPO ein Urteil bisher nicht zugelassen haben, woran es bei einem erheblichen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz – auch erst nach Außervollzugsetzung des Haftbefehls – fehlt [2].
Der Haftbefehl nterfällt der Aufhebung, weil das sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK ergebende Beschleunigungsgebot in einem Maße verletzt wurde, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt ist. Eine Strafsache ist dabei auch dann wie eine Haftsache zu behandeln, wenn der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt ist [3].
Die pauschale Behauptung der Staatsanwaltschaft eine frühere Anklageerhebung sei wegen des Umfangs und der Komplexität des Verfahrens sowie wegen der Bearbeitung anderer Haftsachen nicht möglich gewesen, kann eine solch langdauernde Verzögerung nicht rechtfertigen. Ggfs. hätte durch behördeninterne Geschäftsverteilungsmaßnahmen oder den Einsatz weiterer Staatsanwälte eine deutlich zügigere Bearbeitung sichergestellt werden müssen [4]. Unter Berücksichtigung der bereits knapp sechs Monate vollzogenen Untersuchungshaft und der den Angeklagten nicht unerheblich einschränkenden Auflage, sich drei Mal in der Woche bei der Polizei zu melden, ist die Nichtbearbeitung des Verfahrens für einen Zeitraum von nahezu sechs Monaten als so gravierende Verletzung des Beschleunigungsgebots anzusehen, dass der Haftbefehl vom 04.11.2013 keinen Bestand mehr haben kann [5].
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 13. April 2015 – 2 Ws 126/15
- Meyer-Goßner/Schmitt, 57. Aufl.2014, § 120 StPO, Rn. 2[↩]
- OLG Köln, Beschluss vom 21.12.2006, 43 HEs 31/06, BeckRS 2007, 04341; KK-StPO/Schultheis, 7. Aufl.2013, § 121 StPO, Rn. 26[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 29.11.2005, 2 BvR 1737/05; KG, Beschluss vom 18.08.2003, 3 Ws 370/03, BeckRS 2014, 12484; OLG Dresden, Beschluss vom 19.11.2013, 2 Ws 599/13, BeckRS 2014, 03545; OLG Köln, Beschluss vom 21.12.2006, 43 HEs 31/06[↩]
- KK-StPO/Schultheis, 7. Aufl.2013, § 121 StPO, Rn.19[↩]
- OLG Köln, Beschluss vom 21.12.2006, 43 HEs 31/06, BeckRS 2007, 04341; OLG Dresden, Beschluss vom 19.11.2013, 2 Ws 599/13, BeckRS 2014, 03545[↩]