Anhörungsrüge – undd die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde

Auch wenn der Beschwerdeführer weder ausdrücklich noch der Sache nach eine Gehörsverletzung zum Gegenstand seiner Verfassungsbeschwerde macht, kann eine Anhörungsrüge mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) geboten sein.

Anhörungsrüge – undd die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde

Der Grundsatz verlangt, dass Beschwerdeführende alle nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung schon im fachgerichtlichen Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen1. Das kann auch bedeuten, im fachgerichtlichen Verfahren eine Gehörsverletzung mit den gegebenen Rechtsbehelfen und insbesondere mit einer Anhörungsrüge selbst dann anzugreifen, wenn Beschwerdeführende im Rahmen der ihnen insoweit zustehenden Dispositionsfreiheit mit der Verfassungsbeschwerde zwar keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG rügen wollen, durch den fachgerichtlichen Rechtsbehelf aber die Möglichkeit wahren, dass bei Erfolg der Gehörsverletzungsrüge in den vor den Fachgerichten gegebenenfalls erneut durchzuführenden Verfahrensschritten auch diejenigen Grundrechtsverletzungen beseitigt werden, durch die sie sich beschwert fühlen. Anders ist es, wenn sich die Erhebung der Anhörungsrüge als unzumutbar erweist. Davon ist aber nicht auszugehen, wenn den Umständen nach ein Gehörsverstoß durch die Fachgerichte nahe liegt und zu erwarten wäre, dass vernünftige Verfahrensbeteiligte mit Rücksicht auf die geltend gemachte Beschwer bereits im gerichtlichen Verfahren einen entsprechenden Rechtsbehelf ergreifen würden2.

Danach wäre es im vorliegenden Fall dem Beschwerdeführer nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts zumutbar gewesen, Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG zu erheben, denn diese war statthaft und auch begründet. Die Anhörungsrüge war nicht entbehrlich. Eine Beseitigung der gerügten Rechtsverletzungen war auf diesem Wege möglich. Stellt das Gericht auf eine Anhörungsrüge hin fest, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde, hat es der Rüge nach § 78a Abs. 5 Satz 1 ArbGG abzuhelfen, indem es das Verfahren fortführt. Hier hätte das Landesarbeitsgericht Wiedereinsetzung gewähren müssen, womit die Berufung – vorbehaltlich des Fehlens anderer Zulässigkeitsmängel – jedenfalls zulässig gewesen wäre. Damit wären auch die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Grundrechtsverletzungen geheilt worden.

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Da der statthafte Rechtsbehelf der Anhörungsrüge nicht eingelegt worden ist, erweist sich die Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf die in Rede stehende Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG, deren Heilung die Anhörungsrüge bezweckt, sondern insgesamt als unzulässig. Dies gilt jedenfalls hier, weil sich die behauptete Gehörsverletzung auf den gesamten Streitgegenstand des fachgerichtlichen Verfahrens erstreckt3.

Damit war hier die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist, da der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts keine Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG erhoben hatte.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. August 2015 – 1 BvR 1528/14

  1. vgl. BVerfGE 107, 395, 414; 112, 50, 60[]
  2. vgl. BVerfGE 134, 106, 115 f. Rn. 27 f.[]
  3. vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.04.2005 – 1 BvR 644/05 10[]