Legalisierungswirkung der Baugenehmigung bei Abweichungen des errichteten Gebäudes

Ob ein abweichend von einer Baugenehmigung errichtetes Gebäude noch von ihrer Legalisierungswirkung erfasst wird oder aber als aliud einem gänzlich neuen Baugenehmigungsverfahren zu unterziehen ist, richtet sich danach, ob sich das errichtete Vorhaben in Bezug auf baurechtlich relevante Kriterien von dem ursprünglichen Vorhaben unterscheidet. Dies gilt unabhängig davon, ob die baurechtliche Zulässigkeit des abgewandelten Vorhabens als solche im Ergebnis anders zu beurteilen ist1.

Legalisierungswirkung der Baugenehmigung bei Abweichungen des errichteten Gebäudes

Die Untersagung der Nutzung eines gesamten Gebäudes wegen formeller Illegalität setzt tatbestandlich voraus, dass entweder das gesamte Gebäude in der zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Gestalt ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet wurde oder aber seine Nutzung insgesamt einer erteilten Baugenehmigung nicht entspricht.

Handelt es sich bei dem errichteten Gebäude um ein „aliud“ zu dem genehmigten Gebäude, wird es von der Legalisierungswirkung der Genehmigung nicht erfasst; es handelt sich insgesamt um einen „Schwarzbau“, gegen den die Bauaufsichtsbehörde einschreiten darf.

Ob ein abweichend von einer Baugenehmigung errichtetes Gebäude noch von ihrer Legalisierungswirkung erfasst wird oder aber als „aliud“ einem gänzlich neuen Baugenehmigungsverfahren zu unterziehen ist, richtet sich danach, ob sich das errichtete Vorhaben in Bezug auf baurechtlich relevante Kriterien von dem ursprünglichen Vorhaben unterscheidet. Dies gilt unabhängig davon, ob die baurechtliche Zulässigkeit des abgewandelten Vorhabens als solche im Ergebnis anders zu beurteilen ist. Ein baurechtlich relevanter Unterschied zwischen dem ursprünglichen und dem abgewandelten Bauvorhaben ist immer dann anzunehmen, wenn sich für das abgewandelte Bauvorhaben die Frage der Genehmigungsfähigkeit wegen geänderter tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen neu stellt, d. h. diese geänderten Voraussetzungen eine erneute Überprüfung der materiellen Zulässigkeitskriterien erfordern. Ist dies der Fall, ist für das errichtete Gebäude ein selbstständiges (neues) Genehmigungsverfahren durchzuführen. Die Erteilung einer bloßen Nachtragsbaugenehmigung zu der für das ursprüngliche Vorhaben erteilten Baugenehmigung scheidet aus2.

Dies zugrunde gelegt handelt es sich im vorliegenden; vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht entschiedenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei dem von den Antragstellern realisierten Vorhaben um ein „aliud“ zu dem genehmigten Bau. Die Abweichungen von der Baugenehmigung vom 10.02.2012 sind derart umfassend, dass sich die Genehmigungsfrage insgesamt gänzlich neu stellt und der erteilten Baugenehmigung in Bezug auf das errichtete Gebäude keine Rechtswirkungen zuzubilligen sind. Das errichtete Gebäude wahrt zwar in weiten Teilen die genehmigte Kubatur sowie – möglicherweise – die Nutzungsart. Damit sind die wesentlichen Gemeinsamkeiten indes erschöpft. Die Veränderungen der nördlichen Fassade mit der Abgrabung zur Belichtung der Kellerräume, der Ersatz der zwei kleinen Gauben durch ein mehr als die Hälfte der Dachbreite einnehmendes Zwerchhaus, die vielfachen Änderungen der Fenster, die veränderte Raumaufteilung im Inneren, die Änderung der Zugänge und Treppen, die Stellplatzanordnung sowie nicht zuletzt auch die deutliche intensivierte Nutzung selbst stellen allesamt keine geringfügigen Abweichungen dar, sondern werfen baurechtlich relevante Fragen auf, die in einem neuen Baugenehmigungsverfahren zu beantworten sind. Zu berücksichtigen sind neben der nachbarrelevanten Stellplatzproblematik insbesondere Fragen des Brandschutzes aufgrund der neuen Aufteilung der Wohneinheiten, Eingriffe in die Statik nicht nur aufgrund der Führung der dritten Dachtreppe sowie die Vereinbarkeit der nördlichen Fassade mit Bauordnungsrecht.

Anlass zu einer differenzierten Betrachtung gab es auch unter Ermessensgesichtspunkten nicht. Die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens ist nicht offensichtlich zu bejahen; nur wenn es geradezu handgreiflich wäre und keiner näheren Prüfung bedürfte, dass das errichtete Gebäude dem öffentlichen Baurecht vollständig entspricht, wäre die Nutzungsuntersagung ermessenswidrig3. Das ist nicht der Fall. Die Genehmigungsfähigkeit des gesamten Vorhabens ist ungeachtet der vom Rat der Stadt E. zwischenzeitlich beschlossenen Veränderungssperre in dem – bislang noch – als allgemeines Wohngebiet (§ 4 BauNVO) festgesetzten Gebiet im Gegenteil fraglich. Den Bauvorlagen ist die angestrebte Nutzung nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen. Die Errichtung von zu vermietenden Ferienwohnungen – als solche sind die Wohnungen jedenfalls im Oktober 2013 offenbar genutzt worden – ist im allgemeinen Wohngebiet unzulässig4. Hinzu tritt die Problematik der gemäß § 47 NBauO erforderlichen Stellplätze, deren Anordnung entlang der rückwärtigen Grundstücksgrenze im Hinblick auf das Rücksichtnahmegebot einer näheren Betrachtung bedarf5.

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 16. Juni 2014 – 1 ME 70/14

  1. wie OVG NRW, Beschluss vom 22.04.2013 2 A 1891/12 7 = BauR 2013, 1668; Beschluss vom 13.12.2012 2 B 1250/12 15 = NVwZ RR 2013, 500 = BRS 79 Nr. 153, beide m. w. N.[]
  2. vgl. OVG Münster, Beschluss vom 22.04.2013 – 2 A 1891/12 7 = BauR 2013, 1668; Beschluss vom 13.12.2012 – 2 B 1250/12 15 = NVwZ-RR 2013, 500 = BRS 79 Nr. 153; beide zur Abgrenzung von Baugenehmigung und Nachtragsbaugenehmigung und jeweils m. w. N.[]
  3. vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 12.03.2003 – 1 ME 342/02 10 = BauR 2003, 1205 = BRS 66 Nr.201[]
  4. vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 18.07.2008 – 1 LA 203/07 12 = BauR 2008, 2022 = BRS 73 Nr. 168; Beschluss vom 22.11.2013 – 1 LA 49/13 18 f. = NVwZ-RR 2014, 255[]
  5. vgl. zu dieser Frage zusammenfassend jüngst Nds. OVG, Beschluss vom 28.05.2014 – 1 ME 47/14[]