Der zivilrechtliche Entschädigungsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB wegen Lärmbelästigungen tritt auch dann hinter die im Planfeststellungsverfahren gegebenen Rechtsbehelfe zurück, wenn der Vorhabenträger die den Nachbar schützenden Planvorgaben nicht einhält1.

Nach Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens ist, wie der Bundesgerichtshof aktuell entschied, für einen zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auch dann kein Raum, wenn die durch den Planfeststellungsbeschluss gezogenen Grenzen zulässiger Einwirkungen auf Anliegergrundstücke überschritten werden.
Mit dem Planfeststellungsverfahren hat der Gesetzgeber für bestimmte Immissionen im Vorfeld ein spezifisches Verfahren zur Vermeidung von Eigentumsbeeinträchtigungen im nachbarlichen Bereich geschaffen. Hinter die sich daraus ergebenden Rechtsschutzmöglichkeiten tritt der Anspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB unabhängig davon zurück, ob die konkrete Planfeststellung ausreichende Schutzvorkehrungen zu Gunsten der betroffenen Grundstückseigentümer und -nutzer enthält; ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Vorgaben des Beschlusses eingehalten werden. Denn der Vorrang des Planfeststellungsverfahrens rechtfertigt sich aus seiner generellen Eignung, Beeinträchtigungen des Eigentums zu vermeiden oder jedenfalls angemessen auszugleichen. Er findet seine Grenze deshalb erst dort, wo die im Planfeststellungsverfahren zu Gebote stehenden Möglichkeiten nicht geeignet sind, dem berechtigten Interesse des benachbarten Grundstückseigentümers ausreichend Rechnung zu tragen2.
Für Beeinträchtigungen, die aus einer Überschreitung der durch das öffentliche Recht festgesetzten und im Planfeststellungsbeschluss in Bezug genommenen Richtwerte für Immissionen folgen, gilt dies nicht. Die im Planfeststellungsverfahren zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe (§§ 74 Abs. 2 und 75 Abs. 2 VwVfG) ermöglichen es dem Betroffenen, auch hierfür Schutzmaßnahmen oder, wo diese untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sind, eine Entschädigung in Geld durchzusetzen.
Sind Überschreitungen einschlägiger Richtwerte – wie sie hier in der auf der Grundlage von § 3 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutz gegen Baulärm vom 9. September 19653 erlassenen und in dem Planfeststellungsbeschluss in Bezug genommenen AVwV Baulärm enthalten sind – zu erwarten, ist vorauszusehen, dass das Vorhaben zu Beeinträchtigungen der Anlieger führen wird, die die Grenze des Zumutbaren übersteigen. In einem solchen Fall muss die Planfeststellungsbehörde dem Träger des Vorhabens Schutzmaßnahmen, etwa die Errichtung eines Lärmschutzwalls oder den Einbau von Schallschutzfenstern, auferlegen4. Soweit solche Vorkehrungen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sind, hat der Betroffene einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld (§ 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG); über die Entschädigungspflicht ist zumindest dem Grunde nach bereits in dem Planfeststellungsbeschluss zu entscheiden5.
Dem Betroffenen obliegt es, rechtzeitig zu prüfen, ob der Planfeststellungsbeschluss diesem Gebot genügt. Ist dies nicht der Fall, kann er zum Schutz seiner Rechte innerhalb der Rechtsmittelfrist gegen den Planfeststellungsbeschluss Klage insbesondere mit dem Ziel erheben, den Plan um eine Schutzvorkehrung im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG oder eine Entschädigungsregelung gemäß § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG zu ergänzen6. Sieht er hiervon ab und wird der Planfeststellungsbeschluss bestandskräftig, sind Ansprüche aus § 74 Abs. 2 VwVfG gegen den Träger des Vorhabens verbindlich aberkannt7.
Im Zeitpunkt der Planung nicht voraussehbare Wirkungen eines Vorhabens, d.h. nachteilige Entwicklungen, die sich erst später zeigen und mit denen die Beteiligten bei der Planfeststellung verständigerweise nicht rechnen konnten, werden von § 75 Abs. 2 Satz 2 und 4 VwVfG erfasst8. Nach dieser Vorschrift kann der Betroffene, auch nachdem der Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar geworden ist, Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, durch welche Einwirkungen, die die Grenze des Unzumutbaren überschreiten, ausgeschlossen werden. Sind solche Vorkehrungen oder Anlagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, kann der Betroffene eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Dieser, gegen die Planfeststellungsbehörde gerichtete und im Verwaltungsrechtsweg durchzusetzende9, Anspruch stand der Klägerin zur Verfügung, soweit mit unzumutbaren Beeinträchtigungen des Gewerbebetriebs infolge einer Überschreitung der in den Beschluss festgelegten Grenzwerte im Zeitpunkt der Planfeststellung nicht gerechnet werden konnte.
Der Betroffene ist schließlich nicht schutzlos, wenn die in dem Planfeststellungsbeschluss enthaltenen Schutzvorkehrungen nicht eingehalten werden. Soweit Anordnungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG getroffen worden sind, durch die nachteilige Einwirkungen des Vorhabens auf sein Eigentum verhindert oder ausgeglichen werden sollen, steht ihm ein subjektiv-öffentliches Recht auf Vollzug der Anordnung gegen den Vorhabenträger zu10.
Verweist der Planfeststellungsbeschluss lediglich auf eine bestehende Lärmverordnung, liegt dem die – von dem Betroffenen entweder nicht angegriffene oder aber von den Verwaltungsgerichten bestätigte – Einschätzung der Planfeststellungsbehörde zugrunde, dass mit unzumutbaren Beeinträchtigungen nicht zu rechnen ist, weil sich die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte mit dem dafür vorgesehenen Instrumentarium – hier durch die in der AVwV Baulärm vorgesehenen Maßnahmen zur Lärmminderung bis hin zur Stilllegung von Baumaschinen (vgl. Ziffer 4 und 5 AVwV Baulärm) – sicherstellen lässt und deshalb keine die (fachplanerische) Zumutbarkeitsschwelle übersteigenden Beeinträchtigungen zu erwarten sind. Kommt es im Einzelfall zu Überschreitungen der Grenzwerte, kann der Betroffene den Einsatz dieses Instrumentariums mit den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfen, gerichtet auf ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde, erzwingen11. Erweist sich dagegen die Einschätzung der Planfeststellungsbehörde als unzutreffend – hier also das Instrumentarium der Baulärmverordnung als ungeeignet, um unzumutbare Beeinträchtigungen zu verhindern -, kann der Betroffene gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 bis 4 VwVfG die nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen oder einer Entschädigung verlangen. Für einen Anspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB bleibt daher auch in diesen Fällen kein Raum.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 30. Oktober 2009 – V ZR 17/09
- Fortführung von BGHZ 161, 323[↩]
- vgl. BGHZ 161, 323, 330[↩]
- BGBl. I 1214[↩]
- § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG; vgl. BVerwGE 110, 370, 392 sowie Jarass, DÖV 2004, 633, 634 f.[↩]
- vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 74 Rdn. 198[↩]
- vgl. BVerwGE 104, 123, 129; BVerwG NVwZ 1998, 846[↩]
- vgl. BVerwGE 77, 295, 296 f.; OVG Lüneburg, NdsRpfl. 2001, 416, 417[↩]
- vgl. BVerwGE 128, 177, 182[↩]
- vgl. BGHZ 140, 285, 296 f.[↩]
- vgl. BVerwG Buchholz 316 § 76 VwVfG Nr. 14 Rdn. 11 f.; OVG Lüneburg NuR 1999, 353[↩]
- vgl. BVerwG NVwZ 2005, 330, 332 a.E.[↩]