Flugroutenfestlegung – und die Lärmbelästigung

§ 29b Abs. 2 LuftVG enthält für die vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung bei der Festlegung von Flugverfahren zu treffende Abwägungsentscheidung keine Direktiven, wenn sämtliche in Betracht kommenden Routen mit unzumutbarem Fluglärm verbunden sind1.

Flugroutenfestlegung – und die Lärmbelästigung

Für die gerichtliche Kontrolle kommt es allein auf die Rechtmäßigkeit des Ergebnisses des Rechtsetzungsverfahrens an und nicht auf mögliche Mängel im Abwägungsvorgang2.

Unzumutbar sind Lärmwirkungen, die durch das Qualifikationsmerkmal der Erheblichkeit die Schädlichkeitsgrenze überschreiten3. Da die einfachgesetzliche Grenzlinie der Unzumutbarkeit bei der Festlegung von Flugverfahren nicht anders zu ziehen ist als im luftrechtlichen Planungsrecht, gelten die nach § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG in der Planfeststellung für Flughäfen zu beachtenden Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG auch hier4. In Übereinstimmung damit hat das Oberverwaltungsgericht mit der Beklagten die Grenze, bei der der Lärm die Zumutbarkeitsschwelle überschreitet, bei einem Dauerschallpegel von 55 dB(A) gezogen. Als Folge der festgelegten Flugrouten werden in der Ortsmitte der Klägerin Betroffenheiten hinsichtlich des Gesamtfluglärms bis in das Pegelband zwischen 60 und 65 dB(A) erwartet.

Nach § 29b Abs. 2 LuftVG haben die Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisation auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Lärm hinzuwirken. Die Vorschrift verbietet nicht, die Bevölkerung mit unzumutbarem Lärm zu belasten, normiert aber eine Regelverpflichtung, die Ausnahmen nur zulässt, wenn sich hierfür überwiegende Gründe der geordneten, sicheren und flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs ins Feld führen lassen5.

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Die Abwägungsdirektive des § 29b Abs. 2 LuftVG zu Gunsten des Schutzes der Bevölkerung vor unzumutbarem Lärm ist allerdings auf die Situation zugeschnitten, in der neben Flugverfahren mit Lärmwirkungen oberhalb der Zumutbarkeitsschwelle auch Flugverfahren zur Verfügung stehen, mit der sich unzumutbare Lärmbelastungen vermeiden lassen. Um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht, weil die vom BAF untersuchten Alternativ-Routen, mit deren Festlegung sich die Doppelbelastung der Ortsmitte der Klägerin umgehen ließe, anderweitig zu unzumutbaren Belastungen führen würden. Die von der Klägerin geforderte NOOST-Alternative 5 zur Nordumkurvung, die nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts mit einer Reduzierung der Zahl der von An- und Abfluglärm Betroffenen in den hohen Pegeln zwischen 60 und 65 dB(A) um 1 680 einherginge, riefe 3 488 zusätzlich Betroffene in den Pegeln 55 bis 60 dB(A) im besiedelten nördlichen Teil des Gemeindegebiets hervor. Bei der NOOST-Alternative 6 käme es insgesamt zu einer Zunahme der Anzahl von durch unzumutbarem Lärm Betroffenen. Da die NOOST-Alternative 6 in ihrem Anfangsteil denselben Verlauf nehme wie die NOOST-Alternative 5, seien die für diesen Streckenabschnitt angestellten Berechnungen insoweit übertragbar.

Bringen alle in Betracht kommenden Flugverfahren unzumutbaren Lärm mit sich, ist § 29b Abs. 2 LuftVG für die Abwägungsentscheidung unergiebig. Die Vorschrift verlangt weder eine Bündelung der Flugverfahren mit einer damit einhergehenden starken Belastung einer geringeren Anzahl Betroffener noch eine Auffächerung der Flugverfahren mit einer geringeren, aber immer noch unzumutbaren Belastung einer höheren Anzahl Betroffener. Sie regelt auch nicht, wie „schwach unzumutbarer“ Fluglärm zu „stark unzumutbarem“ Fluglärm und die Zahl der jeweils Betroffenen rechnerisch ins Verhältnis gesetzt werden könnten. Namentlich gibt sie keine Antwort auf die Frage, ob etwa der Halbierung der Zahl stark unzumutbar Betroffener vor der gleichzeitigen Verdoppelung der Zahl schwach unzumutbar Betroffener der Vorzug gebührt. Das BVerwG, Beschluss vom 18.10.2005 – 4 B 43.05 – (juris), auf den sich die Klägerin beruft, hilft ihr nicht weiter. Der auf die Ermittlungspflicht der Behörde bezogene Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts, das Luftfahrt-Bundesamt habe umso eingehender zu prüfen, ob sich Streckenalternativen anbieten, die Abhilfe versprechen, je deutlicher die Zumutbarkeitsschwelle voraussichtlich überschritten wird, gibt für eine Binnendifferenzierung nach verschiedenen Intensitäten unzumutbaren Lärms bei der Abwägungsentscheidung nichts her.

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Dem BAF obliegt die Entscheidung, ob bei der Bewertung der Belastungsstärke auf den Umfang der räumlichen Betroffenheit oder die Zahl der betroffenen Bewohner abgestellt und welches Gewicht dabei der Stärke der Lärmereignisse zuerkannt werden soll. Es kann nach Maßgabe der Flugsicherheitserfordernisse Flugbewegungen bündeln oder streuen und die Lärmbelastung nach Art eines großräumigen Lastenausgleichs aufteilen oder bestimmte Gebiete möglichst verschonen6. Einen Rechtsverstoß begeht das BAF nur dann, wenn es die Augen vor Alternativen verschließt, die sich unter Lärmschutzgesichtspunkten als eindeutig vorzugswürdig aufdrängen, ohne zur Wahrung der für den Flugverkehr unabdingbaren Sicherheitserfordernisse weniger geeignet zu sein7. Einen solchen Rechtsverstoß verneint das Bundesverwaltungsgericht. Der Nachteil der Doppelbelastung durch die Konzentration des Fluglärms auf einen Korridor über dem Ortszentrum der Klägerin steht nicht in einem eklatanten Missverhältnis zu dem Vorteil, dass im Vergleich mit den NOOST-Alternativen 5 oder 6 die Anzahl der von unzumutbarem Fluglärm Betroffenen deutlich kleiner ist.

Auch wenn der Planfeststellungsbeschluss die Anordnung von Flugverfahren, die einen unabhängigen Parallelbahnbetrieb ausschließen, für verkehrsarme Tageszeiten zulassen sollte, durfte sich das BAF auf die Betrachtung der in den Blick genommenen Alternativrouten beschränken. Das BAF ist nach den Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses gehalten, Flugverfahren festzulegen, die während der ganzen Betriebszeit einen unabhängigen Parallelbahnbetrieb des Flughafens Berlin Brandenburg ermöglichen. Neben den gewählten, den Vorgaben gerecht werdenden Flugverfahren musste es deshalb Alternativen untersuchen, die das Gleiche zu leisten imstande sind. Nicht zum Auftrag des Planfeststellungsbeschlusses gehört die Festlegung von Flugverfahren für einen abhängigen Parallelbahnbetrieb. Solche Verfahren musste das BAF daher nicht in die Alternativenbetrachtung einbeziehen. Ob das BAF für Zeiträume, in denen ein unabhängiger Parallelbahnbetrieb mangels entsprechenden Verkehrsaufkommens nicht notwendig ist, Flugverfahren zur Südumkurvung des Ortszentrums der Klägerin hätte festlegen dürfen, bedarf keiner Entscheidung.

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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. November 2014 – 4 C 37.2013 –

  1. Abgrenzung zu BVerwG, Urteil vom 24.06.2004 – 4 C 11.03, BVerwGE 121, 152[]
  2. vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.2014 – 4 C 3.13 – LKV 2014, 460 Rn. 25[]
  3. BVerwG, Urteil vom 24.06.2004 – 4 C 11.03, BVerwGE 121, 152, 161[]
  4. vgl. Wöckel, Festlegung von Flugverfahren, 2013, S. 172[]
  5. BVerwG, Urteil vom 24.06.2004 a.a.O. S. 162[]
  6. BVerwG, Urteil vom 24.06.2004 – 4 C 15.03 40[]
  7. BVerwG, Urteil vom 24.06.2004 – 4 C 11.03 – a.a.O. S. 164[]