Der Kudzuwurzel-Extrakt als Nahrungsergänzungsmittel

Der Vertrieb und die Bewerbung eines Nahrungsergänzungsmittels, das ein Extrakt der Kudzuwurzel enthält, verstößt gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 259/97 (Novel-Food-Verordnung), wenn für das Mittel keine Zulassung oder Notifizierung bzw. keine Festlegung nach der Novel-Food-Verordnung besteht.

Der Kudzuwurzel-Extrakt als Nahrungsergänzungsmittel

Die Erteilung des Status „FS“ im Novel-Food-Katalog bedeutet nicht, dass das Lebensmittel oder die Lebensmittelzutat im nennenswerten Umfang bereits vor dem 15.05.1997 für den menschlichen Verzehr verwendet wurde.

Die Aufnahme eines Lebensmittels oder einer Lebensmittelzutat in den Novel-Food-Katalog ist für die nationalen Gerichte nicht bindend.

Der Vertrieb eines Erzeugnisses, das in den Anwendungsbereich der Novel-Food-Verordnung fällt, und ohne die nach dieser Verordnung erforderliche Genehmigung (vgl. Art. 3 Abs. 2, Art. 4 der Novel-Food-Verordnung) erfolgt, stellt nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG ein unlauteres und unzulässiges Wettbewerbsverhalten dar. Die genannten lebensmittelrechtlichen Bestimmungen regeln das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer, weil sie gemäß der Zweiten Begründungserwägung der Novel-Food-Verordnung dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienen1. Die Verletzung der genannten Vorschriften stellt auch keinen Bagatellverstoß im Sinne § 3 Abs. 1 UWG dar2.

§ 3 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten (Neuartige-Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung – NLV) bestimmt, dass „Lebensmittel und Lebensmittelzutaten im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 vorbehaltlich des Absatzes 2 von demjenigen, der für das Inverkehrbringen verantwortlich ist, nicht ohne eine nach den in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 genannten Verfahren erteilte Genehmigung in den Verkehr gebracht werden dürfen (Genehmigungsverfahren)“. Nach § 3 Abs. 2 Novel-Food-Verordnung dürfen die in Art. 3 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 genannten Lebensmittel und Lebensmittelzutaten von demjenigen, der für das Inverkehrbringen verantwortlich ist, nur in den Verkehr gebracht werden, wenn er dies spätestens zum Zeitpunkt des ersten Inverkehrbringens der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 5 Satz 1 und 2 i. V. mit Art. 3 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 angezeigt hat (Notifizierungsverfahren). Im Streitfall liegt weder eine Genehmigung vor noch ist eine Notifizierung oder Festlegung nach Art. 1 Abs. 3 Noval-Food-Verordnung erfolgt.

Der Anwendungsbereich der Novel-Food-Verordnung (und des § 3 NLV) ist eröffnet. Es kommt darauf an, dass ein nennenswerter Verzehr von Kudzu oder kudzuhaltigen Produkten vor dem 15.05.19973 in den Mitgliedstaaten nicht erfolgt ist4.

Dass ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat in der Gemeinschaft noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurde, ist der Fall, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls feststeht, dass dieses Lebensmittel oder diese Lebensmittelzutat vor dem Bezugszeitpunkt in keinem Mitgliedstaat in erheblicher Menge für den menschlichen Verzehr verwendet wurde5. Eine in diesem Sinne erhebliche Menge der Verwendung für den menschlichen Verzehr ist dementsprechend gegeben, wenn es nach dem Umfang, in dem das betreffende Mittel von Menschen verzehrt worden ist, zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung nicht (mehr) erforderlich erscheint, das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft erst nach einer Sicherheitsprüfung nach den Bestimmungen der Novel-Food-Verordnung zuzulassen2. So liegt es hier nicht.

Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 01.03.20126 über die mit dem Status „FS“ versehenen Stoffe Glucosaminsulfat und Chondroitinsulfat ausgeführt, die Aufnahme einer Substanz in den Novel-Food-Katalog dokumentiere, dass die Substanz bereits vor dem 15.05.1997 in der Europäischen Union in „nennenswertem“ Umfang als Nahrungsergänzungsmittelzutat für den menschlichen Verzehr verwendet worden und daher nicht als neuartige Lebensmittelzutat im Sinne der Novel-Food-Verordnung anzusehen sei. Das lässt sich dem Wortlaut des Novel-Food-Katalogs aber so nicht entnehmen, da nur die Verwendung als Nahrungsergänzungsmittel vor dem 15.05.1997 beschrieben wird; über den Umfang der Verwendung findet sich hingegen keine Aussage7. Zudem spricht das Vorhandensein des mit einem „Häkchen auf grünem Grund“ gekennzeichneten Status, wonach das Produkt „to a significant degree“, also in nennenswertem Umfang vor dem 15.05.1997 als Lebensmittel genutzt wurde, gegen die Ansicht der Beklagten, denn eine solche Qualifizierung erfordert die Erteilung des Status „FS“ („According to information available to Member States competent authorities this product was used only as or in food supplements before 15. May 1997 …“) gerade nicht.

Die Aufnahme in den Novel-Food-Katalog ist für die nationalen Gerichte auch nicht bindend, da Art. 13 Novel-Food-Verordnung nur ein behördeninternes Verfahren beschreibt. Ausweislich der Einleitung soll es sich bei dem Katalog auch nur um eine nicht abschließende erste Orientierung handeln („non-exhaustive, and serves as orientation on whether a product will need authorisation under the Novel Food Regulation. EU countries may restrict the marketing of a product through specific legislation”), die auf Informationen der Mitgliedstaaten beruhen.

Der Europäische Gerichtshof hat nicht entschieden, dass die Frage, ob ein Stoff unter die Novel-Food-Verordnung fällt, nur über das sog. Komitologieverfahren und nicht auch durch nationale Behörden geklärt werden kann. Vielmehr stellt das Komitologieverfahren eine Möglichkeit dar, die dem Unternehmer allerdings nicht zugänglich ist4. Nichts anderes folgt aus der Entscheidung in der Rechtssache C-236/01. Zwar ist im Ansatz zuzustimmen, dass die Zulassung des Nahrungsergänzungsmittels zum Verzehr nur von den dazu berufenen Stellen ausgesprochen werden kann. Um eine solche Zulassung geht es hier aber nicht. Hier steht allein im Raum, dass ein unstreitig nicht zugelassenes und nicht notifiziertes Nahrungsergänzungsmittel, das dem Lebensmittel im Übrigen gleichsteht (vgl. Art. 2 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit – BasisVO), nicht mehr vertrieben werden soll. Es geht allein um einen Verstoß gegen eine Marktverhaltensregel i. S. des § 4 Nr. 11 UWG, die den Vertrieb neuartiger, nicht unbedenklicher Lebensmittel verbietet, die nicht nach Art. 3 Abs. 2 Novel-Food-Verordnung zugelassen oder nach Art. 5 Novel-Food-Verordnung notifiziert worden sind. Solche Verstöße können auch und gerade vor den Wettbewerbsgerichten verfolgt werden8.

Darüber hinaus kann sich der In-den-Verkehr-Bringer nicht auf den Umstand berufen, dass er das Nahrungsergänzungsmittel bei dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, der nach § 1 Abs. 1 NLV zuständigen Lebensmittelprüfstelle zur Durchführung der Erstprüfungen im Sinne des Art. 4 Abs. 2 der Novel-Food-Verordnung, im Jahr 2009 angemeldet hat. Soweit das Bundesamt in den darauf folgenden Jahren keine Beanstandungen gegen die Rechtmäßigkeit erhoben hat, folgt daraus auch unter Hinweis auf die Prüfungspflicht des Bundesamts nicht die Feststellung, die Novel-Food-Verordnung finde keine Anwendung.

Die Anzeige der Beklagten nach § 5 Abs. 1 NemV ersetzt gerade nicht das Genehmigungs- oder Notifizierungsverfahren nach der Novel-Food-Verordnung bzw. § 3 NLV9. Denn nach § 2 Abs. 1 NLV werden zwar die Anträge auf Genehmigung nach Art. 4 Novel-Food-Verordnung an die Behörde des Mitgliedstaats gerichtet und wird das Bundesamt die Befugnis nach Art. 6 der Novel-Food-Verordnung haben (vgl. auch § 1 Abs. 1 NLV). Dass die Beklagte hier das Antragsverfahren eingeleitet hat, ist jedoch nicht dargetan.

Das Vorliegen des Ausnahmetatbestands Art. 1 Abs. 2 Buchst. e Hs. 2 Novel-Food-Verordnung („erfahrungsgemäß unbedenklich“) erfordert einen empirischen Nachweis, um davon auszugehen, dass ein Lebensmittel bzw. eine Zutat diese Voraussetzung erfüllt10. Die Unbedenklichkeit setzt Erfahrungen mit dem Verzehr gerade in den Mitgliedstaaten voraus11.

Das Nahrungsergänzungsmittel wäre selbst bei teleologischer Reduktion des Art. 1 Novel-Food-Verordnung12 von der Anwendung nicht ausgenommen. Denn hier geht es nicht um den Verzehr von unveränderten Teilen der Pflanze, sondern um aus der Wurzel extrahierte Stoffe. Zudem ist der Anwendungsbereich aus Gründen der Verbrauchersicherheit eher weit zu fassen und es sollen auch Veränderungen in der physikalischen Struktur der Pflanze erfasst werden13.

Etwas anderes folgt auch nicht aus § 54 Abs. 1 Satz 1 LFGB mit Blick auf den Vertrieb in Österreich. Aus § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LFGB ergibt sich, dass die Bestimmung des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LFGB im Streitfall nicht anwendbar ist. Danach gilt § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LFGB nicht für Erzeugnisse, die anderen zum Zweck des § 1 Abs. 1 Nr. 1 LFGB, auch in Verbindung mit § 1 Abs. 3 LFGB, erlassenen Rechtsvorschriften nicht entsprechen. Dazu zählen Rechtsvorschriften, die bei Lebensmitteln den Schutz der Verbraucher sicherstellen, indem sie Gefahren für die menschliche Gesundheit vorbeugen oder solche Gefahren abwehren14. Hierzu zählen die Neuartige-Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung (NLV) und erst recht die Novel-Food-Verordnung. Auf die Frage der Gesundheitsschädlichkeit nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. a BasisVO kommt es mithin nicht an.

Oberlandesgericht Celle – Urteil vom 30. Januar 2014 – 13 U 183/12

  1. vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2007 – I ZR 77/05 – Fruchtextrakt; OLG Hamm, Urteil vom 06.05.2010 – 4 U 222/09[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2007, a. a. O.[][]
  3. vgl. EuGH, Urteil vom 09.06.2005 – C-211/03[]
  4. vgl. EuGH, Urteil vom 15.01.2009 – C-383/07[][]
  5. vgl. EuGH, Urteil vom 09.06.2005 – C-211/03, a. a. O.[]
  6. BVerwG vom 01.03.2012 – 3 C 15/11[]
  7. so auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.11.2013 – 6 W 31/13; LG Berlin, Urteil vom 20.11.2012 – 91 O 102/12[]
  8. vgl. OLG Hamm Urteil vom 06.05.2010 – 4 U 222/09[]
  9. vgl. auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.05.2011 – 3 U 650/11; OLG Hamm, Urteil vom 06.05.2010, a. a. O.[]
  10. OLG München, Urteil vom 06.08.2009 – 6 U 5717/07[]
  11. vgl. EuGH, Urteil vom 15.01.2009 – C-383/07; OLG München, Urteil vom 06.08.2009, a. a. O.[]
  12. vgl. Nabrotzky, DLR 2002, 257, 258 f.[]
  13. vgl. EuGH, Urteil vom 15.01.2009, a. a. O.[]
  14. vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2012 – I ZR 72/11 – Barilla[]