Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 GG verpflichtet den Landkreis vor der Festlegung der Höhe des Kreisumlagesatzes auch den Finanzbedarf der umlagepflichtigen Gemeinden zu ermitteln und seine Entscheidungen offenzulegen. Eine Verpflichtung, die umlagepflichtigen Gemeinden vor der Entscheidung über die Höhe des Kreisumlagesatzes förmlich anzuhören, lässt sich dem Grundgesetz hingegen nicht entnehmen.

Das Selbstverwaltungsrecht der Klägerin wird nicht nur verletzt, wenn die Erhebung einer Kreisumlage dazu führt, dass deren finanzielle Mindestausstattung unterschritten wird1, sondern auch dann, wenn der Landkreis bei der Erhebung der Kreisumlage seine eigenen finanziellen Belange gegenüber den finanziellen Belangen seiner kreisangehörigen Gemeinden einseitig und rücksichtslos bevorzugt und damit den Grundsatz des Gleichrangs der finanziellen Interessen der kommunalen Gebietskörperschaften Gemeinden und Landkreis auf eine aufgabenangemessene Finanzausstattung verletzt2.
Die Wahrung des Grundsatzes des Gleichrangs der finanziellen Interessen der kommunalen Gebietskörperschaften verpflichtet den Landkreis bei der Erhebung einer Kreisumlage, nicht nur seinen eigenen Finanzbedarf, sondern auch denjenigen der umlagepflichtigen Gemeinden zu ermitteln und seine Entscheidungen in geeigneter Form – etwa im Wege einer Begründung der Ansätze seiner Haushaltssatzung – offenzulegen, um den Gemeinden und gegebenenfalls den Gerichten eine Überprüfung zu ermöglichen3.
Allerdings ist Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 GG nicht zu entnehmen, in welcher Art und Weise die Landkreise den Finanzbedarf ihrer Gemeinden zu ermitteln und offenzulegen haben und ob solchen Verfahrenspflichten entsprechende Verfahrensrechte der betroffenen Gemeinden korrespondieren. Die Verpflichtung des Landkreises zur Ermittlung und Offenlegung des finanziellen Bedarfs seiner kreisangehörigen Gemeinden hat das Bundesverwaltungsgericht aus der Institutsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung abgeleitet, die der gesetzlichen Ausgestaltung und Formung bedarf4. Es obliegt daher dem jeweiligen Landesgesetzgeber, das Verfahren der Erhebung von Kreisumlagen zu regeln. Soweit derartige Regelungen fehlen, haben die Landkreise die Befugnis zur Gestaltung ihrer Verfahrensweise. Sie tragen damit die Verantwortung dafür, hierbei ein Verfahren zu beobachten, welches sicherstellt, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in bestimmten Fällen aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ein verfassungsunmittelbares Recht einer Gemeinde auf Anhörung entnommen. Diese Rechtsprechung lässt sich aber auf die Festsetzung des Kreisumlagesatzes durch einen Landkreis nicht übertragen.
So sind gesetzliche Bestands- und Gebietsänderungen von Gemeinden ebenso wie staatlich angeordnete Änderungen des Namens von Gemeinden nur nach vorheriger Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaften zulässig5. Ferner sind Eingriffe in die gemeindliche Planungshoheit mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nur vereinbar, wenn eine Güterabwägung ergibt, dass schutzwürdige überörtliche Interessen die Einschränkung der gemeindlichen Planungshoheit erfordern, was wiederum eine Anhörung der betroffenen Gemeinden voraussetzt6. Schließlich kann bei der Verlagerung von Aufgaben mit relevanter kommunaler Bedeutung auf eine andere staatliche Ebene7 und bei der staatlichen Entscheidung über die Verteilung knapper Mittel oder Güter zwischen konkurrierenden Kommunen8 der Gedanke des Rechtsgüterschutzes durch Verfahren auf ein Anhörungsrecht der betroffenen Kommunen führen.
Mit all diesen Fallkonstellationen ist die vorliegende nicht vergleichbar. Hier geht es nicht um einen rechtfertigungsbedürftigen staatlichen Eingriff in die Selbstverwaltungshoheit einzelner Gemeinden, sondern um die Entscheidung einer kommunalen Gebietskörperschaft über die Verteilung der finanziellen Mittel innerhalb des kommunalen Raums zwischen Gemeinden und Landkreis. Bei dieser Entscheidung können sich sowohl der Landkreis, der über die Mittelverteilung entscheidet, als auch die Gemeinden, denen Finanzmittel entzogen werden, auf die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung und ihren daraus abgeleiteten Anspruch auf aufgabenadäquate Finanzierung aus Art. 28 Abs. 2 GG berufen. Die Festsetzung des Kreisumlagesatzes dient nicht dazu, dem kommunalen Raum Finanzmittel zu entziehen, sondern dem Ausgleich der im kommunalen Raum konkurrierenden finanziellen Interessen. Eine gewachsene Anhörungstradition ist zudem bei der Festlegung von Kreisumlagesätzen nicht erkennbar. Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass die Einhaltung der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten rechtlichen Grenzen für die Festsetzung von Kreisumlagesätzen9 im gerichtlichen Verfahren nicht oder nur eingeschränkt überprüft werden könnte.
Ob sich ein solches formelles Anhörungsrecht der Gemeinde aus der Landesverfassung (hier: Art. 72 Abs. 1 LVerf M-V) ergibt, ist vom Bundesverwaltungsgericht nicht zu entscheiden.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. Mai 2019 – 10 C 6.18
- vgl. BVerwG, Urteil vom 30.01.2013 – 8 C 1.12, BVerwGE 145, 378 Rn. 18 ff.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 30.01.2013 – 8 C 1.12, BVerwGE 145, 378 Rn. 13 ff.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 30.01.2013 – 8 C 1.12, BVerwGE 145, 378 Rn. 14[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 30.01.2013 – 8 C 1.12, BVerwGE 145, 378 Rn. 13[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.11.2002 – 2 BvR 329/97, BVerfGE 107, 1, 24 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 07.10.1980 – 2 BvR 584/76 u.a., BVerfGE 56, 298, 314, 320; und vom 23.06.1987 – 2 BvR 826/83, BVerfGE 76, 107, 122[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 – 2 BvL 2/13, BVerfGE 138, 1 Rn. 60[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 07.10.2014 – 2 BvR 1641/11, BVerfGE 137, 108 Rn. 110 f.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 30.01.2013 – 8 C 1.12, BVerwGE 145, 378 Rn. 14, 16, 19 ff.[↩]
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