Bindungswirkung des Haftpflichtprozesses für den Deckungsprozess

Der für den Deckungsprozess bindende Haftungstatbestand umfasst lediglich die vom Tatrichter des Haftpflichtprozesses festgestellten und seiner Entscheidung zugrunde gelegten tatsächlichen Elemente; seine rechtliche Einordnung ist dagegen ohne Belang.

Bindungswirkung des Haftpflichtprozesses für den Deckungsprozess

Richtig ist, dass sich aus dem rechtskräftigen Haftpflichturteil Bindungswirkung für den nachfolgenden Deckungsrechtsstreit ergibt, soweit es um den dort festgestellten Haftungstatbestand geht. Dies ist eine notwendige Ergänzung des in der Haftpflichtversicherung geltenden Trennungsprinzips, wonach grundsätzlich im Haftpflichtprozess zu entscheiden ist, ob und in welcher Höhe der Versicherungsnehmer dem geschädigten Dritten gegenüber haftet. Damit wird verhindert, dass die im Haftpflichtprozess getroffene Entscheidung und die zugrunde liegenden Feststellungen im Deckungsprozess erneut in Frage gestellt werden können1.

Die Bindungswirkung geht aber nicht weiter, als eine für die Entscheidung im Deckungsprozess maßgebliche Frage sich auch im Haftpflichtprozess nach dem vom Haftpflichtgericht gewählten rechtlichen Begründungsansatz bei objektiv zutreffender rechtlicher Würdigung als entscheidungserheblich erweist, also Voraussetzungsidentität vorliegt. Nur dann ist es gerechtfertigt anzunehmen, eine Feststellung sei Grundlage für die Entscheidung im Haftpflichtprozess. Die Begrenzung der Bindungswirkung auf die Fälle der Voraussetzungsidentität ist insbesondere deshalb geboten, weil der Versicherungsnehmer und der Versicherer keinen Einfluss darauf haben, dass der Haftpflichtrichter „überschießende“, nicht entscheidungserhebliche Feststellungen trifft oder nicht entscheidungserhebliche Rechtsausführungen macht2.

Die Bindung an eine im Haftpflichtprozess festgestellte schadenverursachende Pflichtverletzung ist auch dann gegeben, wenn daneben noch andere Pflichtverletzungen bestehen mögen; dem Haftpflichtversicherer ist es verwehrt, sich zur Begründung eines Ausschlusstatbestands auf eine andere als die festgestellte Pflichtverletzung zu berufen3.

Aus alldem folgt, dass der für den Deckungsprozess bindende Haftungstatbestand lediglich die vom Tatrichter des Haftpflichtprozesses festgestellten und seiner Entscheidung zugrunde gelegten tatsächlichen Elemente umfasst4. Maßgeblich ist der äußere Tatbestand der Pflichtwidrigkeit, nicht dessen rechtliche Einordnung. Dies muss auch deshalb gelten, weil sich beide Parteien des Haftpflichtprozesses nicht mit einem Rechtsmittel allein ge-gen eine fehlerhafte rechtliche Begründung des ergangenen Urteils weh-ren können. Ein Rechtsmittel, mit dem bei gleichem Ergebnis nur eine andere Entscheidungsbegründung erstrebt würde, wäre mangels Beschwer unzulässig5.

Anderes ergibt sich auch nicht aus dem BGH-Urteil vom 28. September 20056. Auch dort ist zur Reichweite der Bindungswirkung ausdrücklich auf die der Haftung des Versicherungsnehmers im Haftpflichturteil zugrunde gelegten tatsächlichen Elemente abgestellt. Soweit der dem Versicherungsnehmer anzulastende Pflichtenverstoß anschließend gesondert genannt ist, ging es im dort entschiedenen Fall nicht um die rechtliche Einordnung unter eine von mehreren möglichen Anspruchsgrundlagen, sondern allein um die Abgrenzung, ob dem Versicherungsnehmer überhaupt ein derartiger, einen Schadensersatzanspruch und damit einen Haftpflichtfall auslösender Verstoß zur Last zu legen war oder ob in Wahrheit ein vertraglicher Erfüllungsanspruch geltend gemacht wurde. Insoweit nimmt die tatsächliche Feststellung, dass in dem Handeln des Versicherungsnehmers eine Pflichtverletzung lag, an der Bindungswirkung teil.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 8. Dezember 2010 – IV ZR 211/07

  1. BGH, Urteil vom 30.09.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119, 276, 278[]
  2. BGH, Urteile vom 24.01.2007 – IV ZR 208/03 , VersR 2007, 641 und vom 18.02.2004 – IV ZR 126/02, VersR 2004, 590[]
  3. BGH, Urteile vom 19.03.2003 – IV ZR 233/01, VersR 2003, 635; vom 17.07.2002 – IV ZR 268/01, VersR 2002, 1141 = NJW-RR 2002, 1539; vom 20.06.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001, 1103[]
  4. BGH, Urteil vom 20.06.2001, aaO[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 02.03.1994 – XII ZR 207/92, NJW 1994, 2697[]
  6. BGH, Urteil vom 28.09.2005 – IV ZR 255/04, NJW 2006, 289[]