Der Reiserücktritt in Coronazeiten – und die Stornogebühr

Die Regelung des § 651h BGB zum Rücktritt vor Reiseantrag lässt für eine ergänzende Anwendung von § 326 BGB keinen Raum.

Der Reiserücktritt in Coronazeiten – und die Stornogebühr

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall beansprucht buchten die klagenden Eheleute im Januar 2020 für sich und ihre drei Kinder bei der beklagten Reiseveranstalterin eine Reise nach Australien und Neuseeland, die vom 20.07. bis zum 9.08.2020 stattfinden und insgesamt 19.952,05 € kosten sollte. Die Kunden leisteten eine Anzahlung in Höhe von 12.563, 40 €. Im März 2020 erklärten die Kunden den Rücktritt von der Reise, da sie aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation als Augenärzte davon ausgingen, dass die für Juli 2020 gebuchte Reise aufgrund der andauernden Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Die Reiseveranstalterin behielt eine Stornierungsgebühr in Höhe von 3.886,25 € (20 % des Reisepreises) ein. 

Das Amtsgericht Düsseldorf hat die Klage auf Zahlung der einbehaltenen 3.886, 25 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten abgewiesen1. Auf die Berufung der Kunden hat das Landgericht Düsseldorf die Reiseveranstalterin antragsgemäß zur Zahlung des genannten Betrags nebst Zinsen verurteilt2. Auf die Revision der Reiseveranstalterin hob der Bundesgerichtshof dieses Berufungsurteil auf und verwies die Sache zurück an das Landgericht Düsseldorf:

Die Reiseveranstalterin hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil die Kunden nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten sind. Damit ist die Reiseveranstalterin zur Rückzahlung der restlichen Anzahlung an die Kunden verpflichtet.

Mit der vom Landgericht Düsseldorf gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Reiseveranstalterin dem Anspruch der Kunden entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.

Zu Recht hat das Landgericht Düsseldorf allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.

Wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen3. Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union4 und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im Juli/August 2020.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts Düsseldorf darf eine erhebliche Beeinträchtigung nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt bzw. nicht durchgeführt worden ist.

Nach der auf Vorlage des Bundesgerichtshofs ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist5

Entgegen der Auffassung des Landgerichts Düsseldorf ist der Entschädigungsanspruch der Reiseveranstalterin auch nicht nach § 326 BGB entfallen.

§ 651h BGB lässt für eine ergänzende Anwendung von § 326 BGB keinen Raum.

Gegen eine Anwendung von § 326 BGB sprechen bereits der Wortlaut und die Systematik von § 651h BGB.

§ 651h BGB enthält eine umfassende Regelung über die Voraussetzungen und Folgen eines Rücktritts des Reisenden oder des Reiseveranstalters vor Beginn der Pauschalreise. Für den Fall eines Rücktritts durch den Reisenden sieht § 651h Abs. 1 BGB einen Anspruch des Reiseveranstalters auf angemessene Entschädigung vor. Dieser Anspruch entfällt nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB unter den dort normierten Voraussetzungen.

Mit dieser Systematik wäre es kaum vereinbar, die in § 651h BGB vorgesehenen Rechtsfolgen durch eine Anwendung von § 326 BGB zu modifizieren.

Der Nichtanwendung von § 326 BGB entspricht auch Sinn und Zweck des § 651h BGB.

Wie der Bundesgerichtshof bereits an anderer Stelle ausgeführt hat, dient § 651h BGB dem Zweck, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem berechtigten Vergütungsinteresse des Reiseveranstalters und dem Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus zu erzielen6.

Mit diesem Ziel ist es nicht vereinbar, die in § 651h BGB geregelte Risikoverteilung durch ergänzende Anwendung von § 326 BGB zu modifizieren.

Eine Anwendung von § 326 BGB stünde zudem in Widerspruch zu Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302, dessen Umsetzung § 651h Abs. 3 BGB dient.

Nach der bereits oben zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darf das Recht, von einem Pauschalreisevertrag ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr zurückzutreten, nicht von der Situation abhängen, die zu einem Zeitpunkt nach dem Rücktritt bestand. Ereignisse nach dem Rücktritt dürfen weder dazu führen, dass das Recht zum Rücktritt ohne Zahlung einer Gebühr rückwirkend entfällt, noch dazu, dass ein solches Recht nachträglich entsteht5.

Mit dieser Vorgabe ist es nicht vereinbar, dem Reiseveranstalter durch Anwendung von § 326 BGB aufgrund von Umständen, die erst nach dem Rücktritt eingetreten sind, die in § 651h Abs. 1 BGB vorgesehene Entschädigung zu versagen. 

Die Erwägungen, mit denen das Landgericht Düsseldorf auf der Grundlage der Verhältnisse im Zeitpunkt des Rücktritts einen Ausschluss des Entschädigungsanspruchs gemäß § 651h Abs. 3 BGB verneint hat, hielten der rechtlichen Überprüfung durch den Bundesgerichtshof ebenfalls nicht stand. 

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist maßgeblich, ob ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsreisender vernünftigerweise annehmen konnte, dass die Umstände, auf die sich der Reisende beruft, die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort wahrscheinlich erheblich beeinträchtigen würden7.

Wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden hat, lässt sich die Frage, ob eine pandemische Lage am Bestimmungsort eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise zur Folge hat, nicht pauschal beantworten. Maßgeblich sind die Umstände des jeweiligen Falls, insbesondere die Gefahren, die dem Reisenden bei Durchführung der Reise drohen. Von Bedeutung ist insbesondere, ob die Durchführung der Reise dem Reisenden trotz der außergewöhnlichen Umstände und der daraus resultierenden Risiken zumutbar ist. Die Beurteilung dieser Frage obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter8.

Die tatrichterliche Würdigung dieser Frage ist in der Revisionsinstanz lediglich darauf zu überprüfen, ob ein zutreffender rechtlicher Maßstab angelegt wurde, alle maßgeblichen Umstände des konkreten Einzelfalls in die Würdigung eingeflossen sind, Denkgesetze und Erfahrungssätze berücksichtigt wurden und keinem Umstand eine offensichtlich unangemessene Bedeutung beigemessen worden ist9.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären10

Wie der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich s entschieden hat, kommt ein Ausschluss des Entschädigungsanspruchs nach § 651h Abs. 3 BGB auch dann in Betracht, wenn der Reisende bereits mehrere Monate vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Für den Ausschluss der Entschädigungspflicht kommt es alleine darauf an, ob die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB nach der zum Zeitpunkt des Rücktritts zu treffenden Prognoseentscheidung vorliegen. Ist dies der Fall, ist es dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten11.

Das Landgericht Düsseldorf hat seine Entscheidung demgegenüber auf die Erwägung gestützt, den Kunden sei es zumutbar gewesen, den weiteren Verlauf abzuwarten. Dies steht in Widerspruch zu der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht Düsseldorf auf der Grundlage des zutreffenden rechtlichen Maßstabs zu einer den Kunden günstigeren Beurteilung gelangt wäre. 

Das Landgericht Düsseldorf wird daher auf der Grundlage der oben aufgezeigten Rechtsprechung nochmals zu beurteilen haben, ob die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB im Zeitpunkt des Rücktritts erfüllt waren. Hierbei wird es allerdings auf besondere Kenntnisse der Kunden als Ärzte nicht ankommen. 

Wie bereits oben aufgezeigt wurde, sind nicht die konkreten Kenntnisse des jeweiligen Reisenden maßgeblich, sondern die Erkenntnismöglichkeiten eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsreisenden.

Auch wird es nicht zwingend des Vortrags belastbarer Tatsachen bedürfen, aufgrund derer im Rücktrittszeitpunkt am Bestimmungsort der Reise mit einer höheren Ansteckungsgefahr als am Heimatort zu rechnen war. 

Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, ist § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen12

Desweiteren wird das Fehlen einer Reisewarnung der Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung nach § 651h Abs. 3 BGB nicht zwingend entgegenstehen. Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, können Beeinträchtigungen durch außergewöhnliche Umstände im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB auch dann vorliegen, wenn eine Reisewarnung nicht ergangen ist13.

Wenn das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Entschädigungsanspruch der Reiseveranstalterin nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen ist, steht der Reiseveranstalterin auch nach dem Rechtsgedanken des § 242 BGB kein Anspruch auf vollständige oder teilweise Entschädigung zu.

Wie das Landgericht Düsseldorf zu Recht ausgeführt hat, ist die Rechtsprechung zu § 651j BGB aF, wonach Kosten, die dem Reiseveranstalter aufgrund der Stornierung einer Hotelreservierung entstanden sind, nach einer Kündigung wegen höherer Gewalt gemäß § 242 BGB beiden Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen sind14, auf § 651h BGB nF nicht übertragbar. 

Diese Rechtsprechung beruht auf der Regelung in § 651j Abs. 2 BGB aF, nach der dem Reiseveranstalter auch nach einer Kündigung wegen höher Gewalt ein Anspruch auf Entschädigung und auf Erstattung von Mehrkosten zustand.

§ 651h Abs. 3 Satz 1 BGB sieht eine solche Differenzierung nicht vor. 

Ebenfalls zu Recht ist das Landgericht Düsseldorf davon ausgegangen, dass die Reiseveranstalterin eine Rückzahlungspflicht nicht durch Gewährung eines Gutscheins oder durch ein Angebot zur Umbuchung erfüllen darf.

Wie der Gerichtshof der Europäischen Union mittlerweile entschieden hat, ist unter einer Erstattung im Sinne von Art. 12 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie (EU) 2015/2302 eine Zahlung in Geld zu verstehen15.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. Januar 2025 – X ZR 43/22

  1. AG Düsseldorf, Urteil vom 06.05.2021 – 27 C 14/20[]
  2. LG Düsseldorf, Urteil vom 21.03.2022 – 22 S 273/21[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 28.03.2023 – X ZR 78/22, NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom 14.11.2023 – X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom 23.01.2024 – X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom 23.04.2024 – X ZR 58/23 Rn. 21[]
  4. vgl. EuGH, Urteil vom 08.06.2023 – C-407/21, RRa 2023, 183 Rn. 45 – UFC; Urteil vom 29.02.2024 – C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 48 – Kiwi Tours[]
  5. EuGH, Urteil vom 29.02.2024 – C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. – Kiwi Tours[][]
  6. BGH, Urteil vom 30.08.2022 – X ZR 66/21, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 35[]
  7. EuGH, Urteil vom 29.02.2024 – C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 32 – Kiwi Tours[]
  8. vgl. nur BGH, Urteil vom 15.10.2024 – X ZR 79/22, MDR 2024, 1570 Rn. 26[]
  9. BGH, Beschluss vom 02.08.2022 – X ZR 53/21, RRa 2022, 278 Rn. 21 f.[]
  10. BGH, Urteil vom 30.08.2022 – X ZR 66/21, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 62 ff.; Urteil vom 23.01.2024 – X ZR 4/23, NJWRR 2024, 466 Rn. 31 ff.[]
  11. BGH, Urteil vom 15.10.2024 – X ZR 79/22, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.[]
  12. BGH, Beschluss vom 30.08.2022 – X ZR 3/22 Rn. 22[]
  13. vgl. nur BGH, Urteil vom 28.03.2023 – X ZR 78/22, NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 28[]
  14. BGH, Urteil vom 23.11.1989 – VII ZR 60/89, BGHZ 109, 224 = NJW 1990, 572, 573[]
  15. EuGH, Urteile vom 08.06.2023 – C-407/21, RRa 2023, 183 Rn. 26, 35 – UFC; – C-540/21, RRa 2023, 175 Rn. 72 – Kommission ./. Slowakische Republik[]

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