Dem Beklagten ist Prozesskostenhilfe auch nach Klagerücknahme zu bewilligen, wenn Rechtsverteidigung und Prozesskostenhilfeantragstellung bereits zuvor erfolgt waren und die Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte.

Die Frage, ob bei Vorliegen der sachlichen und persönlichen Voraussetzungen auch nach Rücknahme der Klage vor Entscheidungsreife noch Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung zu bewilligen ist, war vom Bundesgerichtshof bislang nicht entschieden. In Rechtsprechung und Literatur ist sie bislang umstritten.
Die vom Bundesgerichtshof1 bereits im Jahr 1981 entschiedene Fallgestaltung ist mit der vorliegenden nicht vergleichbar. Dort ging es um die Frage, ob dem Revisionsbeklagten noch – das seinerzeit geltende – „Armenrecht“ bewilligt werden könne, wenn der Revisionskläger seine Revision bereits zurückgenommen hat. Der BGH hat in der Entscheidung die Auffassung vertreten, dass dem Revisionsbeklagten im Allgemeinen das Armenrecht erst zu gewähren sei, wenn die Revision begründet worden sei und die Voraussetzungen für eine Verwerfung des Rechtsmittels nicht gegeben seien. Da der Revisionskläger die Revision vor ihrer Begründung zurückgenommen hatte, hat der BGH seinerzeit der Revisionsbeklagten das Armenrecht – außer für das Verfahren über die Verlustigkeitserklärung und die Kosten der Revision – versagt. Das Revisionsverfahren habe bis zur Zurücknahme des Rechtsmittels durch den Revisionskläger keinen Stand erreicht, in dem die Revisionsbeklagte zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Vertretung durch einen Revisionsanwalt bedurft habe2. Im Ausschluss mutwilliger Rechtsverfolgung komme der Grundsatz zum Ausdruck, dass das Armenrecht nur in dem Umfang in Anspruch genommen werden könne, als es für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung (oder Rechtsverteidigung) notwendig sei. Der Partei, die auf Kosten der Allgemeinheit das Armenrecht in Anspruch nehme, müsse zugemutet werden, zulässige Maßnahmen erst dann vorzunehmen, wenn diese im Einzelfall wirklich notwendig würden3. Die Entscheidung kann daher für die vorliegende Fallgestaltung nicht herangezogen werden.
Für die vorliegende Fallgestaltung wird zum einen vertreten, dass Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung nicht mehr bewilligt werden kann, wenn die Klage bereits bei Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs zurückgenommen worden war4. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn die Klage nach Entscheidungsreife zurückgenommen wird. Hat das Gericht die Bewilligungsentscheidung durch nachlässige Bearbeitung verzögert und ist dadurch eine ursprünglich bestehende Erfolgsaussicht nachträglich weggefallen, so soll Prozesskostenhilfe bewilligt werden können5.
Dabei wird u.a. darauf abgestellt, dass der Rechtsstreit gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO nach Klagrücknahme als nicht anhängig geworden anzusehen sei, so dass eine Rechtsverteidigung nicht mehr möglich sei6.
Nach der Gegenmeinung kann dem Beklagten auch nach Rücknahme der Klage und damit nach Abschluss des Verfahrens Prozesskostenhilfe für seine Rechtsverteidigung bewilligt werden7. Diese Auffassung wird u.a. damit begründet, dass man dem Beklagten die Möglichkeit für seine Rechtsverteidigung entziehen würde, wenn man die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung nach Klagrücknahme ablehnen würde. Dass das Verteidigungsvorbringen so überzeugend sei, dass der Kläger mit der sofortigen Klagrücknahme reagiere, dürfe nicht zu Lasten des Beklagten gehen und zur Folge haben, dass dieser seinen Rechtsanwalt selbst bezahlen müsse8. Ferner wird darauf hingewiesen, dass die Bescheidung des Prozesskostenhilfeantrages nicht vor-aussetze, dass der Rechtsstreit schon oder noch anhängig sei; vielmehr handele es sich um zwei verschiedene Verfahren9.
Das Oberlandesgericht München10 vertritt eine vermittelnde Auffassung. Zwar kann auch seiner Ansicht nach die Rücknahme eines Antrages die Erfolgsaussicht entfallen lassen. Es stellt dabei aber maßgeblich darauf ab, ob das Gericht (zugunsten der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei) bereits eine Kostenentscheidung erlassen habe11; sei dies nicht der Fall, habe die Rechtsverteidigung noch Aussicht auf Erfolg, weil das Verfahren noch nicht endgültig abgeschlossen sei12.
Der Bundesgerichtshof folgt nun der Auffassung, wonach dem Beklagten auch noch nach Rücknahme der Klage und damit nach Abschluss des Verfahrens Prozesskostenhilfe für seine Rechtsverteidigung bewilligt werden kann. Dies gilt ebenso, wenn der Beklagte gegen den Kläger einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch hat, dieser aber nicht durchsetzbar ist.
Gemäß § 114 Satz 1 ZPO ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn Rechtsverteidigung und Prozesskostenhilfeantragstellung bereits vor Klagerücknahme erfolgt waren und die Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte.
Zwar weist die Gegenauffassung zutreffend darauf hin, dass mit der Klagrücknahme der Rechtsstreit gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO als nicht anhängig bzw. rechtshängig geworden anzusehen sei13. Dieser Umstand steht einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe indes nicht entgegen. Denn § 114 Satz 1 ZPO setzt für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe die bereits oder noch bestehende Anhängigkeit des entsprechenden Hauptsacheverfahrens nicht voraus. Insoweit handelt es sich bei dem Prozesskostenhilfeverfahren einerseits und dem Hauptsacheverfahren andererseits um zwei verschiedene Verfahren14.
Der Bewilligung von Prozesskostenhilfe steht auch nicht entgegen, dass die Rechtsverteidigung bereits erfolgt ist. Denn § 114 Satz 1 ZPO setzt nicht voraus, dass die Rechtsverteidigung, für die um Prozesskostenhilfe nachgesucht wird, im Zeitpunkt der Entscheidung noch aussteht. Die Rechtsverteidigung kann vielmehr bei Antragsstellung auch schon begonnen haben15. Dem Beklagten ist es regelmäßig nicht zumutbar, sich auf eine Prüfung der Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren zu beschränken. Zutreffend weist das Oberlandesgericht Hamm16 darauf hin, dass man – folgte man der Gegenauffassung – dem Beklagten die Möglichkeit für seine Rechtsverteidigung entzöge. Denn in einem bereits anhängigen Verfahren, in dem Fristen laufen, wird er sich regelmäßig bereits in der Sache verteidigen müssen, will er nicht Rechtsnachteile hinnehmen. Um sich sachgerecht verteidigen zu können, wird er vielfach einen Rechtsanwalt beauftragen und dadurch Kosten verursachen müssen.
Dies gilt umso mehr, wenn sich die beklagte Partei gegen ein bereits erlassenes Versäumnisurteil verteidigen will, weil dieses gemäß § 709 Nr. 2 ZPO ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist. Insoweit hat das Verfahren – anders als etwa bei einer noch nicht begründeten Revision17 – einen Stand erreicht, in dem die beklagte Partei zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Vertretung eines Anwaltes bedurfte.
Zudem spricht einiges dafür, dass die Klägerseite erst das – Erfolg versprechende – Verteidigungsvorbringen dazu veranlasst hat, die Klage zurückzunehmen18. Würde man hier Prozesskostenhilfe versagen, hinge es schließlich vom Zufall ab, nämlich vom Zeitpunkt der Klagerücknahme (vor oder nach Prozesskostenhilfebewilligung), ob der hilfsbedürftigen Partei der Anspruch auf Gewährung einer staatlichen Sozialleistung rückwirkend genommen wird.
Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Beklagtenseite im Zeitpunkt der Klagerücknahme lediglich Prozesskostenhilfe beantragt, sich in der Sache aber noch nicht verteidigt hatte. Denn in diesem Fall fehlt es an einer Rechtsverteidigung. Da die Klage zurückgenommen wurde, bleibt auch kein Raum mehr für eine beabsichtigte Rechtsverteidigung. Würde man hier Prozesskostenhilfe bewilligen, liefe das auf Prozesskostenhilfe für das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren hinaus, worauf nach den §§ 114 ff. ZPO indes kein Anspruch besteht19.
Der Bewilligung von Prozesskostenhilfe steht auch der Umstand nicht entgegen, dass die Beklagte bei der hier gegebenen besonderen Fallgestaltung gegen den Kläger bereits einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch erlangt hatte.
Es kann dahin stehen, ob der prozessuale Kostenerstattungsanspruch, der daraus resultiert, dass das Gericht dem Gegner der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei die Kosten des Rechtsstreits auferlegt hat, einsetzbares Vermögen im Sinne von § 115 ZPO darstellt20. Denn der Einsatz dieses Anspruchs ist jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn er gegen den Gegner nicht durchsetzbar ist21. Nicht durchsetzbar ist der Kostenerstattungsanspruch auch, wenn dem Gegner gegen diesen Anspruch – wie hier – eine Aufrechnungsmöglichkeit zusteht22.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18. November 2009 – XII ZB 152/09
- BGH, Beschluss vom 30.09.1981 – IVb ZR 694/80, NJW 1982, 446[↩]
- aaO S. 446[↩]
- aaO S. 447[↩]
- OLG Hamburg OLGR 1997, 13; jeweils zur teilweisen Klagerücknahme: OLG Hamm [Beschluss vom 31. Januar 2003 – 11 WF 364/02 -] FamRZ 2003, 1761; OLG Celle OLGR 1999, 215; OLG Brandenburg OLGR 2007, 246; s. auch Sächsisches OVG, Beschluss vom 16. März 2004 – 5 E 27/04 – Juris; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 67. Aufl. § 114 Rdn. 94; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe 4. Aufl. Rdn. 483 [Fn. 10]; Zöller/Philippi aaO § 119 Rdn. 45 [s. aber auch § 117 Rdn. 2 c und § 114 Rdn. 25][↩]
- OLG Hamm aaO; OLG Hamburg aaO[↩]
- vgl. OLG Hamburg aaO[↩]
- OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2004 – 11 WF 4/04, FamRZ 2005, 463; OLG Köln MDR 1997, 690; OLG Frankfurt NJW-RR 1995, 703; Zimmermann Prozesskostenhilfe 3. Aufl. Rdn. 265[↩]
- OLG Hamm aaO[↩]
- OLG Köln aaO; OLG Frankfurt aaO[↩]
- OLG München, FamRZ 2001, 1309[↩]
- s. auch OLG Hamm FamRZ 2003, 1761[↩]
- OLG München aaO[↩]
- vgl. etwa OLG Hamburg OLGR 1997, 13[↩]
- vgl. BGHZ 91, 311, 312; OLG Frankfurt NJW-RR 1995, 703; OLG Köln MDR 1997, 690[↩]
- Musielak/Fischer ZPO 7. Aufl. § 114 Rdn. 13[↩]
- OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2004 – 11 WF 4/04, FamRZ 2005, 463[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 30.09.1981 – IVb ZR 694/80, NJW 1982, 446[↩]
- vgl. dazu auch OLG Hamm Beschluss vom 17.03.2004 – 11 WF 4/04, FamRZ 2005, 463[↩]
- BGHZ 91, 311; Musielak/Fischer aaO § 114 Rdn. 17[↩]
- so OLG Celle OLGR 2009, 532; OLG Köln FamRZ 1990, 642; Zöller/Philippi aaO § 115 Rdn. 49 b; a.A. LG Siegen MDR 1993, 1116[↩]
- OLG Celle aaO; OLG Köln aaO; LG Siegen aaO[↩]
- OLG Köln aaO[↩]