Zahlungen von Ablöseberechtigten im Zwangsversteigerungsverfahren

Gehen mehrere zur einstweiligen Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens nach § 75 ZVG geeignete Zahlungen ein, ist Grundlage der Einstellung die zuerst eingegangene ordnungsgemäße Zahlung. Ordnungsgemäß ist die Zahlung eines Ablösungsberechtigten nur, wenn dieser seine Ablösungsberechtigung vor der Zahlung nachweist.

Zahlungen von Ablöseberechtigten im Zwangsversteigerungsverfahren

Besteht Streit darüber, welche Zahlung in diesem Sinne maßgeblich ist, muss das Vollstreckungsgericht – gegebenenfalls auch nach Aufhebung des Verfahrens – dem Schuldner und den anderen Einzahlern rechtliches Gehör gewähren und eine beschwerdefähige Entscheidung treffen. Danach bestimmen sich die materiell-rechtlichen Wirkungen der erfolgten Zahlungen.

Das Vollstreckungsgericht darf zwischen mehreren geeigneten Zahlungen auswählen und dabei etwa regelmäßig der des Schuldners den Vorrang geben. Dem Vollstreckungsgericht steht ein solches Auswahlrecht vielmehr nicht zu.

Wie bei Eingang mehrerer zur einstweiligen Einstellung des Verfahrens nach § 75 ZVG führenden Ablösungszahlungen vorzugehen ist, ist allerdings umstritten. Nach einer Ansicht, der auch das Vollstreckungsgericht und das Beschwerdegericht inhaltlich folgen, hat das Vollstreckungsgericht dann ein Ermessen. Es habe dabei nicht die ersteingegangene, sondern die Zahlung vom Bestberechtigten, regelmäßig dem Schuldner, entgegenzunehmen1. Nach der Gegenansicht schließt der zuerst Zahlende die anderen aus2. Nach einer vermittelnden Ansicht soll die Reihenfolge des Eingangs maßgeblich sein, wenn gezahlt wird, dagegen ein Ermessen bestehen, wenn, was allerdings nach § 75 ZVG in der heute geltenden Fassung nicht mehr möglich ist, die Zahlung lediglich angeboten wird3. Der Bundesgerichtshof folgt der zweiten Meinung mit der Einschränkung, dass die zuerst eingegangene Zahlung die anderen nur ausschließt, wenn die nach § 75 ZVG erforderlichen Nachweise vorliegen.

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Außerhalb des Zwangsversteigerungsverfahrens ist, wie schon angesprochen, nach §§ 362, 268 BGB die Zahlung maßgeblich, die den Gläubiger als erste erreicht. Die frühere Zahlung des Schuldners führt zur Erfüllung und lässt die spätere Zahlung des ablösungsberechtigten Dritten ins Leere gehen. Erhält der Gläubiger dessen Zahlung zuerst, kann der Schuldner Erfüllung nicht mehr durch Zahlung an den Gläubiger erreichen, weil die Forderung mit der Zahlung des Dritten kraft Gesetzes auf diesen übergegangen ist. Daran ändert sich mit der Anordnung der Zwangsversteigerung zunächst nichts. Nach § 775 Nr. 5 ZPO ist das Verfahren einzustellen, wenn der zur Befriedigung des Gläubigers erforderliche Betrag gezahlt wird. Auch dafür kommt es auf die Zahlung an den Gläubiger und damit auf die materielle Rechtslage an. Das ändert sich bei der in § 75 ZVG a.F. vorgesehenen Zahlung im Versteigerungstermin und der heute nur noch möglichen Zahlung zum Termin nach § 75 ZVG n.F. Beide können nicht an den Gläubiger selbst, sondern nur an das Vollstreckungsgericht bzw. heute an die Gerichtskasse geleistet werden. Vollstreckungsgericht und Gerichtskasse werden dadurch mangels entsprechender gesetzlicher Anordnung oder Bestimmung durch den Gläubiger nicht zur Zahlstelle des Gläubigers. Sie erlangen vielmehr eine Stellung, die der des Empfängers eines Zahlungsauftrags vergleichbar ist. Dieser hat die eingegangenen Zahlungen formell zu prüfen und die rechtlich maßgebliche Zahlung an den Gläubiger weiterzuleiten. Er ist nicht berechtigt, von der Ausführung des Zahlungsauftrags Abstand zu nehmen, etwa um anderen Zahlungs- oder Ablösungsberechtigten den Vortritt zu lassen. Ein sachlicher Grund, Zahlungen an das Vollstreckungsgericht oder die Gerichtskasse nach § 75 ZVG anders zu behandeln, ist nicht erkennbar.

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Es fehlten auch Kriterien, an denen die Entscheidung über eine Zurückweisung ordnungsgemäßer Zahlungen ausgerichtet werden könnte. Das Kriterium soll zwar die bessere Zahlungs- oder Ablösungsberechtigung sein. Das setzt aber gedanklich voraus, dass die Zahlungs- und Ablösungsberechtigungen in eine Rangordnung eingeordnet sind oder wenigstens eingeordnet werden könnten. Das ist nicht der Fall. Nach §§ 362, 268 BGB hängt die Erfüllungs- oder Ablösungswirkung einer Zahlung nur von der Reihenfolge des Eingangs der Zahlungen bei dem Gläubiger ab. Einen Vorrang bestimmter Zahlungs- und Ablösungsberechtigungen sieht das materielle Recht nicht vor. Die Unterscheidung zwischen sicher verloren gehenden und nur gefährdeten Rechten4 findet weder im Verfahrensrecht noch im materiellen Recht eine Stütze, welches die Ablösungsberechtigung in beiden Fällen ohne Unterschied gewährt. Auch eine Bevorzugung des zahlungswilligen Schuldners, auf die sich das Vollstreckungsgericht beruft, ist nicht zu rechtfertigen. Die Ablösungsberechtigung Dritter hängt materiellrechtlich allein von der Gefahr ab, ein Recht an dem Gegenstand zu verlieren, nicht jedoch (auch) davon, dass der Schuldner nicht zahlungswillig oder fähig ist. Auch die Verfassungsgarantie des Eigentums erfordert einen solchen Vorrang nicht. Der Schuldner verliert zwar als Folge der Versteigerung sein Eigentum. Schon das muss ihn nicht härter treffen als etwa einen Mieter, der als Folge der Versteigerung auf Grund des Sonderkündigungsrechts nach § 57a ZVG seine Existenzgrundlage verliert. Vor allem aber trifft die Annahme nicht zu, der Schuldner, dessen in diesem Sinne verspätete Ablösungszahlung hinter die frühere eines Ablösungsberechtigten zurücktritt, müsse damit sein Eigentum verlieren. Die Folge einer solchen „Verspätung“ wäre nicht ein Eigentumsverlust, sondern die einstweilige Einstellung des Verfahrens auf Grund der anderen Zahlung. Die Zwangsversteigerung könnte zwar durch den ablösenden Gläubiger fortgesetzt werden. Dabei wäre der Schuldner aber nach § 775 Nr. 5 ZPO, § 75 ZVG wiederum berechtigt, die auf den Ablösungsberechtigten übergegangene Forderung mit dem zurückzuzahlenden Ablösungsbetrag zu erfüllen und den Eigentumsverlust jedenfalls wegen dieser Forderung zu vermeiden. Es würde sich zudem die Frage stellen, womit eine Bevorzugung des Schuldners zu rechtfertigen ist, wenn sich – wie im vorliegenden Fall – alle Einzahler erklärtermaßen einig sind, dass die ersteingegangene Zahlung des Dritten, nicht aber die des Schuldners maßgeblich sein soll.

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Die Reihenfolge, in der mehrere (Ablösungs-)Zahlungen bei der Einstellung nach § 75 ZVG zu berücksichtigen sind, wird allerdings nicht allein von ihrem Eingang bei der Gerichtskasse bestimmt. Die Einstellung setzt nach § 75 ZVG nicht nur den Nachweis der Zahlung, sondern auch den Nachweis der Ablösungsberechtigung voraus. Die nicht nachgewiesene Ablösungsberechtigung wäre zwar von Amts wegen aufzuklären, wenn eine einstweilige Einstellung trotz behaupteter Zahlung zurückgewiesen und ein Zuschlag erteilt werden soll5. Anders liegt es aber, wenn die Einstellung erfolgen soll und nur zu klären ist, welche Zahlung als erste eingegangen ist. Dafür kann nicht allein der frühere Eingang maßgeblich sein. Erforderlich ist auch, dass diese Zahlung ohne weitere Aufklärung oder Ergänzung eine Einstellung nach § 75 ZVG erlaubt. Bei der Zahlung eines Ablösungsberechtigten, der seine Ansprüche im Verfahren bislang nicht angemeldet und belegt hat, erfordert das die Vorlage eines Nachweises seiner Ablösungsberechtigung. Fehlt dieser, ist seine Zahlung rechtlich nicht die erste, die die Einstellung erlaubt, sondern nachrangig.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 6. Oktober 2011 – V ZB 68/11

  1. Hintzen in: Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 75 Rn. 8; Jaeckel/Güthe, ZVG, 7. Aufl., § 75 Anm. 3 aE; Stöber, ZVG, 18. Aufl., § 75 Anm.02.3; mit Einschränkungen auch Storz, ZIP 1980, 159, 164: keine Unterscheidung zwischen mehreren ablösungsberechtigten Gläubigern[]
  2. Böttcher, ZVG, 5. Aufl., § 75 Rn. 2; Storz/Kiderlen, Praxis des Zwangsversteigerungsverfahrens, 11. Aufl., S. 296 und für diesen Fall Steiner/Storz, ZVG, 9. Aufl., § 75 Rn. 76[]
  3. Steiner/Storz wie vor[]
  4. Jaeckel/Güthe, aaO, § 75 Anm. 3 aE[]
  5. BGH, Beschluss vom 05.10.2006 – V ZB 2/06, NJW-RR 2007, 165[]
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