Ein in der Revision beachtlicher Rechtsfehler nach § 338 Nr. 4, § 6a StPO, § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG liegt nicht nur dann vor, wenn das Tatgericht seine Zuständigkeit auf der Grundlage objektiv willkürlicher Erwägungen angenommen hat [1]. Die Ausnahmeregelung des § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG greift unabhängig davon ein, ob neben einem Betäubungsmitteldelikt weitere Straftaten mit der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit stehen.

Nach den §§ 337, 338 StPO prüft das Revisionsgericht grundsätzlich in vollem Umfang, ob die geltend gemachte Gesetzesverletzung vorliegt. Ein Ausnahmefall, bei dem eine Revision nur im Falle willkürlichen Handelns des Tatgerichts Erfolg haben kann, liegt nicht vor. Den Gesetzesmaterialien zu § 6a StPO, der Regelungen zur Zuständigkeit besonderer Strafkammern enthält, ist ein Wille des Gesetzgebers dahin, die revisionsrechtliche Überprüfung an dem Willkürmaßstab auszurichten, nicht zu entnehmen [2]. Diese Bestimmung ist dem die örtliche Zuständigkeit regelnden § 16 StPO nachgebildet. Die Nachprüfung der örtlichen Zuständigkeit ist in der Revision indes gerade nicht auf Fälle der Willkür beschränkt [3]. Vielmehr prüft das Revisionsgericht, ob der Beschwerdeführer den Zuständigkeitseinwand rechtzeitig erhoben und das Gericht seine Zuständigkeit in der Sache zu Recht angenommen hat [4].
Auch in den Fällen, in denen es um die Zuständigkeit einer Jugend- oder Erwachsenenstrafkammer geht oder in denen das Oberlandesgericht in einer Staatsschutzstrafsache die Anklage des Generalbundesanwalts zur Hauptverhandlung zugelassen hat, prüft der Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren – in der zweiten Fallgruppe sogar von Amts wegen – ob das Tatgericht seine Zuständigkeit rechtsfehlerfrei angenommen hat [5].
Die vorliegend vom Bundesgerichtshof zu beurteilende Fallkonstellation weicht in den für die Beurteilung wesentlichen Punkten erheblich von denjenigen Fällen ab, in denen die Rechtsprechung einen auf objektiv willkürliches Handeln des Tatgerichts beschränkten Prüfungsumfang bezüglich der gerichtlichen Zuständigkeit annimmt.
Eine solche eingeschränkte Überprüfung kann etwa in Betracht kommen, wenn eine vorangegangene Entscheidung der Beurteilung des Revisionsgerichts nach § 336 Satz 2 StPO [6] oder nach § 269 StPO [7] grundsätzlich entzogen ist. In diesen Fällen dient die Eröffnung der Rügemöglichkeit mit dem Prüfungsmaßstab der Willkür allein dem Zweck, den Angeklagten zur Wahrung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht auf die Verfassungsbeschwerde zu verweisen, sondern den Verstoß gegen die grundrechtliche Gewährleistung bereits im Verfahren vor den Fachgerichten zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren [8].
Ein derartiger Fall ist hier nicht gegeben. Zwar hatte die Staatsschutzkammer mit dem für den Angeklagten nach § 336 Satz 2, § 210 Abs. 1 StPO unanfechtbaren Eröffnungsbeschluss die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. Allerdings hatte sie gemäß § 6a Satz 2 StPO ihre Zuständigkeit in der Hauptverhandlung (erneut) zu überprüfen, da beide Angeklagte einen entsprechenden Einwand rechtzeitig im Sinne des § 6a Satz 3 StPO geltend gemacht hatten. Damit steht in der Revisionsinstanz nicht der Eröffnungsbeschluss, sondern die Behandlung der Zuständigkeitseinwände durch das Landgericht zur Nachprüfung [9].
Soweit die Rechtsprechung in anderen Konstellationen verschiedentlich die Zuständigkeitsrügen in der Revision nur nach dem Maßstab geprüft hat, ob das erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit willkürlich angenommen hat, betraf dies die Bewertung normativer Zuständigkeitsmerkmale durch das Tatgericht, beispielsweise die Erforderlichkeit besonderer Kenntnisse des Wirtschaftslebens nach § 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GVG [10], die notwendige Mitwirkung eines dritten Richters aufgrund Umfangs oder Schwierigkeit der Sache nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG [11] oder tatrichterliche wertende Prognoseentscheidungen wie die Höhe der zu erwartenden Strafe nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG [12]. Derartige normative, einer wertenden Betrachtung zugängliche Gesichtspunkte sind hier nicht von maßgebender Relevanz. Vielmehr geht es um die klar eingrenzbare Frage, ob die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer aufgrund der Art der den Angeklagten zur Last gelegten Taten gegeben ist. Die Zuständigkeit des Gerichts hängt somit nicht von einer richterlichen Entscheidung ab [13], sondern allein von den verfahrensgegenständlichen Taten.
Für die somit umfassend vorzunehmende Überprüfung der Zuständigkeit der Staatsschutzkammer gilt:
Die Ausnahme von der Sonderzuständigkeit der Staatsschutzkammer nach § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG trotz eines Anklagevorwurfs nach § 129 StGB ist gegeben, wenn die Zuwiderhandlung gegen ein Vereinigungsverbot mit einem Betäubungsmitteldelikt zusammentrifft. Aus dem auf die Formulierung in § 52 Abs. 1 StGB zurückgreifenden Gesetzeswortlaut („dieselbe Handlung“) ergibt sich, dass der Ausnahmetatbestand Tateinheit zwischen dem Vereinigungs- und dem Betäubungsmitteldelikt voraussetzt [14]. Diese Voraussetzung ist hier – wie auch vom Landgericht zutreffend angenommen – erfüllt, da jedenfalls ein Teil der Erlöse aus den Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz in die Gemeinschaftskasse der Vereinigung fließen sollte und die Taten mithin in Verfolgung der Vereinigungsziele begangen wurden [15].
Die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer wird nicht dadurch begründet, dass dem Angeklagten M. auch noch Erpressungstaten zur Last liegen; denn die Ausnahmeregelung des § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG greift unabhängig davon ein, ob neben einem Betäubungsmitteldelikt weitere Straftaten mit der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit stehen [16].
§ 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG sieht nach seinem Wortlaut als einzige Voraussetzung für die Ausnahmeregelung vor, dass dieselbe Handlung, die den Verstoß gegen das Vereinigungsdelikt nach § 129 StGB begründet, eine Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz darstellt; unerheblich ist dagegen, ob zusätzlich noch weitere Delikte verwirklicht sind.
Sinn und Zweck der Regelung sowie die Intention des Gesetzgebers sprechen ebenfalls nicht dafür, es bei weiteren hinzukommenden Delikten bei der Zuständigkeit der Staatsschutzkammer zu belassen. Der der Einführung des § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG zugrunde liegende Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen von SPD und FDP [17] enthält dazu zwar keine Begründung. In einer Stellungnahme des Bundesrates zu einem vorangegangenen Entwurf der Bundesregierung wurde die mit demselben Gesetz eingeführte ähnliche Regelung zur Zuständigkeit bei Steuerstraftaten in § 391 Abs. 4 AO jedoch darauf gestützt, dass bei der Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität der Kenntnis der örtlichen Verhältnisse besondere Bedeutung zukomme [18]. Der Ausschluss der Sonderzuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer im Falle zugleich verwirklichter Betäubungsmitteldelikte in § 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GVG beruht ausweislich der einschlägigen Gesetzesmaterialien unter anderem auf der Erwägung, dass dadurch eine Überlastung der Spezialkammern verhindert werden solle [19].
Diese beiden Gesichtspunkte sind mit Blick auf die vergleichbare Konstellation auch bei der Frage der Zuständigkeit der Staatsschutzkammer von Bedeutung. Sie sprechen dafür, dass die Ausnahmeregelung des § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG auch in den Fällen gilt, in denen zu den Betäubungsmitteltaten weitere Delikte hinzutreten [20]. Die vom Gesetzgeber bei Betäubungsmittelstraftaten angenommene große Relevanz der ortsnahen Verhandlung wird nicht dadurch vermindert, dass der Täter noch andere Delikte verwirklicht hat. Begründet die drohende Überlastung der Spezialkammer durch Betäubungsmitteldelikte eine Ausnahme von deren Zuständigkeit, so muss dies erst recht gelten, wenn die Spezialkammer außerhalb ihres eigentlichen Aufgabenbereichs neben Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz noch weitere „fachfremde“ Taten aufzuklären hat. Vor diesem Hintergrund kommt dem Umstand keine entscheidende Bedeutung zu, ob zum Zeitpunkt der Gesetzgebung „Fragen der Mischkriminalität“ eine Rolle spielten [21].
Aus den dargelegten Gründen folgt auch, dass die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer nach § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG nicht davon abhängen kann, welches Gewicht die zu dem Betäubungsmitteldelikt hinzukommende Straftat hat [22]. Für eine nach diesem Kriterium auszurichtende Differenzierung bieten weder der Gesetzeswortlaut noch der erkennbare Wille des Gesetzgebers einen Anhaltspunkt. Zudem ist es aus Gründen der Rechtssicherheit und klarheit nicht angebracht, die gerichtliche Zuständigkeit und damit eine wesentliche Verfahrensfrage von einem derartigen, gesetzlich nicht vorgesehenen und weitgehend unbestimmten Kriterium abhängig zu machen; auf diese Weise entstünden erhebliche, der Anwendungspraxis nicht zuträgliche Abgrenzungsschwierigkeiten [23]. Auch aus praktischen Erwägungen erscheint die Differenzierung nach dem Gewicht der zusätzlich begangenen Straftat[24] nicht erforderlich; denn einer möglicherweise sachwidrigen Zuständigkeit der allgemeinen Strafkammer ließe sich für den Fall, dass das Betäubungsmitteldelikt von völlig untergeordneter Bedeutung ist, etwa durch eine Beschränkung des Verfahrensstoffes nach § 154a StPO spätestens mit dem Eröffnungsbeschluss begegnen [25].
Die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer lässt sich schließlich nicht daraus herleiten, dass die dem Angeklagten M. vorgeworfenen Erpressungstaten nicht in Tateinheit zu den Betäubungsmitteldelikten stehen. Die Erpressungsstraftaten werden durch das fortdauernde Vereinigungsdelikt zwar nicht mit den Betäubungsmitteltaten zu einer einzigen tateinheitlichen Tat verklammert, da die zu verklammernden Taten angesichts der Strafandrohung im Verhältnis zur Bildung einer kriminellen Vereinigung nicht leichter oder gleichwertig sind [26]. Es bleibt allerdings dabei, dass es sich bei der fortdauernden Zuwiderhandlung gegen ein Vereinigungsverbot um dieselbe Tat handelt, diese Tat tateinheitlich mit Betäubungsmitteldelikten zusammentrifft und daher die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer insgesamt nicht gegeben ist.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. September 2011 – 3 StR 196 /11
- vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 338 Rn. 33; LR/Hanack, StPO, 25. Aufl., § 338 Rn. 74, 67; LR/Erb, StPO, 26. Aufl., § 6a Rn. 26; aA SK-StPO/Frisch, § 338 Rn. 95 [Stand: Januar 2005]; Radtke/Hohmann/Rappert, StPO, 2011, GVG § 74a Rn. 6[↩]
- vgl. BT-Drucks. 8/976 S. 32 f.[↩]
- vgl. etwa BGH, Urteil vom 10.01.1958 – 5 StR 487/57, BGHSt 11, 130 ff.; OLG Köln, Beschluss vom 18.11.2008 – 82 Ss 89/08, StraFo 2009, 162[↩]
- vgl. SK-StPO/Frisch, § 338 Rn. 85 [Stand: Januar 2005][↩]
- BGH, Beschluss vom 17.08.2010 – 4 StR 347/10, StraFo 2010, 466; BGH, Urteil vom 22.12.2000 – 3 StR 378/00, BGHSt 46, 238, 247 ff.[↩]
- vgl. zu einem unanfechtbaren Eröffnungsbeschluss BGH, Urteil vom 11.12.1980 – 4 StR 503/80, GA 1981, 321[↩]
- s. etwa BGH, Urteil vom 22.12.2000 – 3 StR 378/00, BGHSt 46, 238, 241[↩]
- BGH, Urteil vom 22.12.2000 – 3 StR 378/00, BGHSt 46, 238, 241 mwN[↩]
- vgl. Rieß, NStZ 1981, 447, 448; LR/Hanack, StPO, 25. Aufl., § 336 Rn. 15; SK-StPO/Frisch, § 336 Rn.19 [Stand: Mai 2003]; BT-Drucks. 8/976, 32, 33[↩]
- BGH, Urteil vom 21.03.1985 – 1 StR 417/84, NStZ 1985, 464, 466[↩]
- BGH, Urteil vom 23.12.1998 – 3 StR 343/98, BGHSt 44, 328, 333 f.[↩]
- BGH, Urteil vom 08.12.1992 – 1 StR 594/92, NStZ 1993, 197[↩]
- vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14.06.2005 – 3 StR 446/04, NJW 2005, 3434, 3435 f.[↩]
- vgl. LR/Siolek, StPO, 26. Aufl., GVG § 74a Rn. 13; s. auch zu ähnlichen Normen MeyerGoßner, StPO, 54. Aufl., GVG § 74c Rn. 4; Radtke/Hohmann/Rappert, StPO, 2011, GVG § 74c Rn. 2; Franzen/Gast/Joecks/Randt, AO, 7. Aufl., § 391 Rn. 33 ff.; HilgersKlautzsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, AO § 391 Rn. 87 [Stand: 03.2010]; Klein/Jäger, AO, 10. Aufl., § 391 Rn. 25[↩]
- st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 11.06.1980 – 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 290; vgl. auch LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn.194[↩]
- ebenso OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.02.1989 – 1 HEs 23/89; LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25.10.1989 – 5/23 KLs 80 Js 20257/88, StV 1990, 490; SK-StPO/Frister, GVG § 74a Rn. 17 [Stand: Oktober 2009]; Kissel/Mayer, GVG, 6. Aufl., § 74a Rn. 3; aA LR/Siolek, StPO, 26. Aufl., GVG § 74a Rn. 13[↩]
- BT-Drucks. 9/27[↩]
- BT-Drucks. 8/3551 S. 48[↩]
- BT-Drucks. 8/976 S. 67[↩]
- vgl. OLG Karlsruhe aaO[↩]
- vgl. LR/Siolek, StPO, 26. Aufl., GVG § 74a Rn. 13[↩]
- wohl aA OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.12.2003 – HEs 41/03, NStZ-RR 2004, 174, 175; MeyerGoßner, StPO, 54. Aufl., GVG § 74a Rn. 4[↩]
- vgl. SK-StPO/Frister aaO Rn. 17[↩]
- en[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 26.09.1980 – StB 32/80, BGHSt 29, 341 ff.; vom 20.04.2005 – 3 StR 106/05, NStZ 2005, 650; OLG Karlsruhe aaO; LR/Siolek aaO Rn. 15[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 20.04.2006 – 3 StR 284/05, NStZ-RR 2006, 232, 233[↩]