Alturlaub im Sabbatical – und die Reduzierung des Urlaubsentgelts

Es stellt eine Diskriminierung eines teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers dar, wenn das Urlaubsentgelt für Alturlaub, der in der Phase der Vollzeittätigkeit erworben wurde, in der Ansparphase eines Sabbaticals auf das Maß der Teilzeitbeschäftigung reduziert wird.

Alturlaub im Sabbatical – und die Reduzierung des Urlaubsentgelts

Dies entschied jetzt das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein für den Fall eines beim Land Schleswig-Holstein beschäftigten Informatikers, dessen Arbeitsverhältnis sicht sich kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme und beiderseitiger Tarifgebundenheit nach dem TV-L regelte.

Der Anspruch des Arbeitnehmers ergibt sich aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag in Verbindung mit §§ 21, 26 TV-L. Der Arbeitnehmer ist teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, weil er für die Dauer von 8 Jahren durchschnittlich 87, 5 % der vollen wöchentlichen Arbeitszeit arbeitet und auch entsprechend vergütet wird.

In europarechtskonformer Auslegung der §§ 21, 26 TV-L hat der Arbeitnehmer Anspruch darauf, dass der in den Jahren 2015 und anteilig 2016 erworbene Urlaub auf Basis des seinerzeit gültigen Vollarbeitsverhältnisses mit 38, 7 Wochenstunden abgerechnet und ausgezahlt wird.

Ein Anspruch des Arbeitnehmers ergibt sich unter Berücksichtigung der unionskonformen Auslegung aus den §§ 21, 26 TV-L.

Das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers regelt sich kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme und beiderseitiger Tarifgebundenheit nach dem TV-L. Danach wird gemäß § 21 Satz 1 TV-L in den Fällen der Entgeltfortzahlung nach § 26 TV-L das Tabellenentgelt sowie die sonstigen in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile weitergezahlt.

In der Tradition des nationalen Urlaubsrechts wurde dies bisher so verstanden, dass das Entgelt während des Urlaubs zu zahlen ist, dass der Beschäftigte vor und nach seinem Urlaub verdient (Lohnausfallprinzip). In diesem Sinne hat auch das beklagte Land diese Tarifnorm verstanden und daher dem Arbeitnehmer während der Monate, in denen der Arbeitnehmer seinen in der Vollzeitarbeitsphase entstandenen Urlaub genommen hat, lediglich das ihm in diesen Monaten auch ohne Urlaub zustehende Tabellenentgelt in Höhe von 87, 5 % – entsprechend der Vereinbarung aus dem Änderungsvertrag vom 21.01.2016 – gezahlt. 12, 5 % des Tabellenentgelts sind in das Ansparkonto für die Freistellungsphase im Sabbatical geflossen.

Diese bisherige Auslegung der §§ 21, 26 TV-L führt allerdings zu einer unionsrechtswidrigen Diskriminierung des Arbeitnehmers als teilzeitbeschäftigtem Arbeitnehmer.

Paragraph 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15.12.1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 07.04.1998 geänderten Fassung (Diskriminierungsverbot bei Teilzeitbeschäftigung), ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung entgegensteht, nach der bei einer Verringerung des Beschäftigungsausmaßes eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs in der Weise angepasst wird, dass der Arbeitnehmer diesen Urlaub nunmehr nur mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann1.

Im nationalen Recht sieht § 4 Abs. 1 TzBfG ebenfalls ein Diskriminierungsverbot für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer vor. Mit der Regelung des § 4 Abs.1 TzBfG hat der deutsche Gesetzgeber das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot bei Teilzeitbeschäftigten in nationales Recht umgesetzt. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen die Gerichte bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auslegen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen2. Hiervon geht auch das Bundesarbeitsgericht aus3.

Da das Diskriminierungsverbot für Teilzeitbeschäftigte unionsrechtlich vorgesehen ist, kommt es bei der Rechtsanwendung entscheidend auf das Verständnis und die Deutung des Diskriminierungsverbots für Teilzeitbeschäftigte durch den Gerichtshof der Europäischen Union an.

Nach dem Rechtsverständnis des Gerichtshofs baut der Entgeltanspruch für Urlaubstage auf dem Einkommen auf, das die Beschäftigten in der Zeit erzielen, in der ihr Urlaubsanspruch entsteht. Der Gerichtshof hat zur Verdeutlichung mehrfach betont, dass das Entgelt, das ein Beschäftigter für die Urlaubstage zu beanspruchen habe, keinerlei Verbindung mit dem Entgelt habe, das der Beschäftigte in dem Zeitraum der Urlaubsgewährung für seine Arbeit erhalte4. Der Gerichtshof verwendet dafür das Bild der nachgeholten Ruhezeit. Urlaub ist nach diesem Verständnis eine besondere Form der Ruhezeit, die sich dadurch auszeichnet, dass sie angespart werden kann und vergütungspflichtig ist5.

Unter Berücksichtigung dieses unionrechtlichen Verständnisses von Urlaub wird der Arbeitnehmer bei der bisher üblichen Auslegung der §§ 21, 26 TV-L wegen seiner Teilzeitarbeit diskriminiert. Der Arbeitnehmer bekommt seine Alturlaubstage nur mit 87, 5 % seines Tabellenentgelts vergütet, obwohl er in der Zeit, als der Urlaub erarbeitet wurde, 100 % des Tabellenentgelts ausgezahlt bekommen hätte. Das beklagte Land kann auch nicht damit gehört werden, dass der Arbeitnehmer 100 % seines Anspruches erhalten hätte, nämlich 87, 5 % ausgezahlt und 12, 5 % Anteil, welches auf sein Ansparkonto für die Freistellungsphase im Sabbatical geflossen ist. Der Arbeitnehmer erhält den Anteil von 12, 5 % gerade nicht ausgezahlt und hat diesen Teil der ihm zustehenden Entgeltfortzahlung nicht zur Verfügung; er kann ihn nicht frei verwenden. Hinsichtlich dieses Anteils von 12, 5 % arbeitet der Arbeitnehmer für seine Freistellungsphase vor, denn er erhält im Rahmen der Freistellung genau 87, 5 % Entgelt, welches sich aus den angesparten 12, 5 % monatlich aus den vergangenen Jahren zusammensetzt. In dieser Konstellation besteht zwischen Teilzeitbeschäftigten, die ihre Arbeitszeit von einer Vollzeitbeschäftigung in eine Teilzeitbeschäftigung reduziert haben, wertmäßig kein Unterschied. Vorliegend lässt sich daher die Argumentation des Gerichtshofes, die dazu ergangen ist, wie die Urlaubstage nach einem Wechsel von Voll- in Teilzeit zu berechnen sind, auch auf die Fälle übertragen, in denen es um die Verringerung der Entgeltzahlung bei einer Verringerung von Voll- auf Teilzeit geht6.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Darlegungen sind § 21 und § 26 TV-L unionskonform auszulegen.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln7. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut jedoch nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann8.

Folgt man dem Verständnis des Gerichtshofs, dass Urlaub nachgeholte Ruhezeit ist, ist die Formulierung in § 21 Satz 1 TV-L „werden das Tabellenentgelt und die sonstigen … Entgeltbestandteile weitergezahlt“ auch und gerade auf die Zeiten zu beziehen, in denen der Urlaubsanspruch erworben wurde und demgemäß in der Form weiterzubezahlen ist, wie er seinerzeit bei Erwerb bezahlt wurde.

Nach Ansicht der Kammer kam es vorliegend auch nicht streitentscheidend darauf an, dass der Arbeitnehmer seinen Alturlaub in den Zeiten seiner Vollbeschäftigung hätte nehmen können. Nach dem unstreitigen Vortrag entsprach es der Absprache der Parteien, dass der Arbeitnehmer zunächst sein Gleitzeitguthaben in der Vollzeitarbeitsphase abgebaut hat und sodann in der Ansparphase des Sabbaticals seinen Urlaub in natura genommen hat. Diese einvernehmliche Absprache kann dem Arbeitnehmer nicht zum Nachteil gereichen, dass er nunmehr eine Benachteiligung durch geringere Entgeltzahlung hinnehmen muss. Auch insoweit würde eine Diskriminierung eines Teilzeitbeschäftigten vorliegen.

Der Anspruch des Arbeitnehmers war auch nicht nach § 37 TV-L verfallen. Der Arbeitnehmer hat mit seinem ausdrücklichen Zahlungsverlangen der Differenzvergütung im Schreiben vom 20.07.2016 die Ausschlussfrist des § 37 TV-L von sechs Monaten nach Fälligkeit eingehalten.

Dem Arbeitgeber ist zuzugestehen, dass er einen Anteil von 12, 5 % Tabellenentgelt in das Ansparkonto übertragen hat, auf den der Arbeitnehmer im Rahmen der Gewährung des Alturlaubs keinen Anspruch hat. Insoweit wäre der Arbeitnehmer besser als jeder andere Arbeitnehmer gestellt. Hierauf hat er keinen Anspruch; er ist insoweit ungerechtfertigt bereichert (§ 812 Abs. 1 BGB).

Landesarbeitsgericht Schleswig -Holstein, Urteil vom 6. Februar 2018 – 2 Sa 359/17

  1. grundlegend EuGH vom 22.04.2010 – C 486/08 – Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols – Abl. EU 2010, Nr. C 161, 9, NZA 2010, 557, AP Nr. 1 zu Richtlinie 97/81/EG[]
  2. EuGH vom 24.01.2012 – C 282/10 – Dominguez – Abl. EU 2012, Nr. C 73, 2, NJW 2012, 509, AP Nr. 7 zu Richtlinie 2003/88/EG; LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 12.09.2017, – 2 Sa 16/17, Rn. 31, Juris[]
  3. BAG vom 10.02.2015 – 9 AZR 53/14 (F), Rn.20, Juris[]
  4. EuGH vom 22.04.2010, a. a. O.; EuGH vom 11.11.2015 – C 219/14 – Greenfield – Abl. EU 2016 ; Nr. C 16, 9, NZA 2015, 1501, AP Nr. 17 zu Richtlinie 2003/88/EG; EuGH vom 13.06.2013 – C 415/12 – Brandes – Abl. EU 2013, Nr. C 225, 50, NZA 2013, 775, AP Nr. 12 zu Richtlinie 2003/88/EG; LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 12.09.017, a. a. O., R. 33[]
  5. LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 12.09.2017, a. a. O., Rn. 33[]
  6. vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern, a. a. O., Rn. 36[]
  7. st. Rechtspr. vgl. nur BAG v. 23.02.2011 AP Nr. 22 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bewachungsgewerbe; BAG v. 31.08.2010 AP Nr. 47 zu § 1 TVG Tarifverträge: Lufthansa; BAG v. 07.10.2007 AP Nr. 40 zu § 1 TVG, NZA 2008, 713[]
  8. BAG vom 14.12.1994 – 4 AZR 865/93 – BAGE 79, 21, AP Nr. 121 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie, DB 1995, 1669; BAG vom 23.09.1992 – 4 AZR 66/92 – AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel; BAG vom 21.07.1993 – 4 AZR 468/92 – AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung; LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 12.09.2017, a. a. O., Rn. 38[]