Der „equal pay“-Anspruch des Leiharbeitnehmers – und die Frage des vergleichbaren Arbeitnehmers

Nimmt ein Leiharbeitnehmer beim Entleiher (arbeitsvertragskonform) Tätigkeiten wahr, die weniger qualifiziert sind als die im Arbeitsvertrag mit dem Verleiher vereinbarte Funktion, richtet sich der Vergütungsanspruch nach § 10 Abs. 4 AÜG nicht nur nach der beim Entleiher wahrgenommenen Tätigkeit, sondern auch nach der im Arbeitsvertrag vereinbarten Funktion. Der Leiharbeitnehmer ist mit einem Arbeitnehmer zu vergleichen, der im Betrieb des Entleihers die im Arbeitsvertrag vereinbarte Funktion innehat.

Der „equal pay“-Anspruch des Leiharbeitnehmers – und die Frage des vergleichbaren Arbeitnehmers

Der Verleiher ist nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz grundsätzlich verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer das gleiche Entgelt zu zahlen, das der Entleiher vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt1. Von diesem Gebot kann durch Tarifvertrag oder durch arbeitsvertragliche Vereinbarungen abgewichen werden, wenn sich Letztere darauf beschränken, innerhalb des Geltungsbereichs eines abweichenden Tarifvertrags auf dessen Regelungen zu verweisen (§ 9 Nr. 2 AÜG). Die Arbeitsvertragsparteien können ohne Verweis auf einen gültigen Tarifvertrag nicht zu Lasten des Leiharbeitnehmers andere Entgeltbedingungen als die des Entleihers vereinbaren.

Im hier vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschiedenen Fall war der Arbeitnehmer damit im Sinne des § 10 Abs. 4 AÜG mit einem PC-Techniker der Entleiherin vergleichbar.

Dabei kann offenbleiben, ob zwischen den Tätigkeiten eines PC-Technikers und denen eines Rollout-Technikers zu unterscheiden ist oder ob Rollout-Tätigkeiten grundsätzlich auch den Arbeitsbereich eines PC-Technikers zuzurechnen sind. Ebenso unerheblich sind die Absprachen zwischen dem Arbeitgeberin und der Entleiherin. Sie können einen gesetzlichen oder vertraglichen Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers nicht mindern (kein wirksamer Vertrag zu Lasten Dritter).

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Maßgeblich ist, dass der Leiharbeitgeberin der Entleiherin einen PC-Techniker zur Verfügung stellte und der Arbeitnehmer als solcher mit dem PC-Techniker der Entleiherin vergleichbar ist. Ein PC-Techniker der Entleiherin, der auf Anweisung der Entleiherin Rollout-Aufgaben wahrnehmen würde, würde deshalb nicht seinen Vergütungsanspruch als PC-Techniker verlieren. Dementsprechend war der Arbeitnehmer auch bei Einsatz im Rollout-Bereich gem. § 10 Abs. 4 AÜG wie ein PC-Techniker der Entleiherin als solcher zu bezahlen.

Dem Arbeitgeberin ist zwar einzuräumen, dass der Gesetzgeber die Frage, ob ein Leiharbeitnehmer mit einem Stammarbeitnehmer des Entleihers vergleichbar ist, vornehmlich anhand der jeweiligen Arbeitsaufgaben beantworten wollte2. Schon der Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen (§§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2 und 10 Abs. 4 AÜG) geht aber über den reinen Tätigkeitsvergleich hinaus. Es sind Personen, ggf. abstrakt Funktionsträger, miteinander zu vergleichen. Neben der konkreten Tätigkeit fließen daher – soweit vergütungsrelevant – auch persönliche Merkmale wie Qualifikation und Berufserfahrung oder wie hier die vertraglich festgelegte Funktion mit ein3.

Auch eine Auslegung des § 10 Abs. 4 AÜG anhand der Vorgaben der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit bestätigt, dass sich die Vergleichbarkeit nicht auf einen Tätigkeitsvergleich beschränkt. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie fordert, dass für den Leiharbeitnehmer während der Überlassung zumindest die Arbeitsbedingungen gelten, die für ihn gelten würden, wenn der Entleiher ihn für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt hätte. Aus zwei Gründen hätte die Entleiherin den Arbeitnehmer als PC-Techniker eingestellt. Zum einen bestand eine entsprechende Vertragsabsprache mit dem Verleiher, die im Rahmen des Vergleichs zur Ermittlung der Vergütungspflicht des Verleihers auf den Entleiher tätigkeitsunabhängig zu übertragen ist. Zum anderen konnte die Entleiherin den Arbeitnehmer nur als PC-Techniker sowohl als solchen am Standort H. als auch an anderen Standorten mit Rollout-Tätigkeiten beschäftigen.

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Schließlich läuft es nicht dem Gleichheitsgebot der §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2 und 10 Abs. 4 AÜG zuwider, in den geforderten Vergleich zwischen Leiharbeitnehmer und Stammarbeitnehmer auch die vertraglich festgelegte Funktion des Leiharbeitnehmers miteinzubeziehen. Es geht entgegen der Ansicht des Arbeitgeberin nicht darum, „gleichen Lohn für niedrigere Arbeit zu erhalten“. Im Gegenteil, das Gleichheitsgebot des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes erfordert immer dann, wenn der tatsächliche Einsatz beim Entleiher hinter den vertraglichen Aufgaben zurückbleibt, eine vorrangige Berücksichtigung der mit dem Verleiher vereinbarten Aufgaben. Anderenfalls wäre der Leiharbeitnehmer gegenüber dem Stammarbeitnehmer schlechtergestellt. Während der Vergütungsanspruch des Stammarbeitnehmers nicht durch die einseitige Zuweisung weniger qualifizierter Tätigkeiten gemindert werden kann, würde beim Leiharbeitnehmer genau dieser Effekt eintreten, würde man zur Bestimmung des Vergütungsanspruchs nach § 10 Abs. 4 AÜG allein auf die jeweils tatsächlich übertragene Tätigkeit des Leiharbeitnehmers abstellen. Es geht daher nicht um „gleichen Lohn für niedrigere Arbeit“, sondern um den gleichen Lohn, wie ihn der auch auf Grund seiner vertraglichen Rechte vergleichbare Stammarbeitnehmer erhält, wenn er die gleiche – ggf. auch weniger qualifizierte – Arbeit verrichtet.

Der Arbeitnehmer war während seiner Überlassung mit einem PC-Techniker der Entleiherin vergleichbar.

Im Übrigen hätte der Arbeitnehmer während der Überlassung an die Entleiherin einen vertraglichen Anspruch auf die Vergleichsvergütung eines PC-Technikers der Entleiherin gehabt, würde man den entsprechenden gesetzlichen Vergütungsanspruch nach § 10 Abs. 4 AÜG verneinen, weil der Arbeitnehmer zeitweise Rollout-Aufgaben wahrnahm. Es ist zwar richtig, dass der Arbeitsvertrag der Parteien in Nr. 1 die einseitige Zuweisung weniger qualifizierter Tätigkeiten vorsieht. Zudem hat der Leiharbeitgeberin – wenn auch pauschal – vorgetragen, der Arbeitnehmer sei im August 2009 mit einem Einsatz als Rollout-Techniker einverstanden gewesen. Gem. Nr. 1 letzter Absatz des Arbeitsvertrags vom 24.08.2009 wird der Arbeitnehmer jedoch unverändert als PC-Techniker bezahlt, auch wenn er geringerwertige Aufgaben wahrnimmt. Dabei kann sich der Leiharbeitgeberin nicht darauf berufen, der Arbeitnehmer habe unabhängig von seinen Aufgaben stets denselben Stundenlohn erhalten. Die Regelung in Nr. 1 letzter Absatz des Arbeitsvertrags greift nur bei Überlassung des Arbeitnehmers an einen Entleiher. In diesen Fällen ist aber nicht der vereinbarte Stundenlohn, sondern § 10 Abs. 4 AÜG maßgebend. Hätte der Arbeitnehmer entgegen der hier vertretenen Ansicht keinen gesetzlichen Anspruch auf die Vergütung eines PC-Technikers der Entleiherin, so hätte er gem. Nr. 1 letzter Absatz des Arbeitsvertrags zumindest einen vertraglichen Anspruch auf diese Vergütung, weil die Zuweisung geringer qualifizierter Tätigkeiten nach den Vereinbarungen der Parteien das Entgelt des Arbeitnehmers nicht mindern darf.

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Ausschlussfrist für Equal-pay-Ansprüche in der Leiharbeit

Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2014 – 12 Sa 36/13

  1. „equal-pay“[]
  2. Gesetzentwurf, BT- Drucks. 15/25, S. 38, Zu Nr. 3: „Vergleichbarer Arbeitnehmer ist der mit gleicher oder ähnlicher Tätigkeit beim Entleiher beschäftigte Stammarbeitnehmer.“[]
  3. vgl. zu Ersterem: BAG, Urteil vom 23.03.2011, 5 AZR 7/10, NZA 2011, 850, Rn. 36; Mengel, in: Thüsing, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 3. Aufl.2012, § 9 Rn. 24; Schüren, in Schüren/Hamann, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 4. Aufl.2010, § 9 Rn. 121; a.A. Lembke, in: Boemke/Lembke, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 3. Aufl.2013, § 9 Rn. 105, der diese Merkmale erst nach Feststellung der Vergleichbarkeit im Rahmen der Rechtsfolgen berücksichtigt wissen will[]