Der Betriebsrat kann individuelle Ansprüche der Arbeitnehmer, die in einer Betriebsvereinbarung ihre Grundlage haben (hier: Freistellungs- und Vergütungsansprüche an den rheinischen Karnevalstagen), nicht zum Gegenstand eines Durchführungsanspruchs machen.

Ist der Arbeitgeber bereit, den Arbeitnehmern zur Teilnahme an Karneval in dem bisherigen Umfang Freizeit zu gewähren, so fehlt es hinsichtlich der Frage der Vergütungspflicht an einem Verfügungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Das Bundesarbeitsgericht hat in zwei Entscheidungen vom 17. Oktober 198891 zu der Frage der Abgrenzung von Durchführungsansprüchen des Betriebsrats aus einer Betriebsvereinbarung und der Geltendmachung von normativ begründeten Individualansprüchen der Arbeitnehmer folgendes ausgeführt: Der Betriebsrat könne nicht die Feststellung eines zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer bestehenden Rechtsverhältnisses im Beschlussverfahren verlangen. Die Feststellung individualrechtlicher Ansprüche der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber sei keine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz im Sinne von § 80 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Der Individualrechtschutz des einzelnen Arbeitnehmers könne nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung dem Betriebsrat übertragen werden.
Anders könne nur dann entschieden werden, wenn über eigene betriebsverfassungsrechtliche Ansprüche des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber zu entscheiden wäre. Dementsprechend beträfen die Entscheidungen, in denen dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch bzw. ein Anspruch auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung zugesprochen worden sei, Handlungen und Maßnahmen des Arbeitgebers, zu denen sich der Arbeitgeber dem Betriebsrat gegenüber in der Betriebsvereinbarung verpflichtet habe2.
Von diesem Anspruch auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung zu unterscheiden seien diejenigen Fälle, in denen durch Betriebsvereinbarung normativ Ansprüche des Arbeitnehmers begründet würden. Dem Betriebsrat komme nicht die Rolle eines gesetzlichen Prozesstandschafters der Arbeitnehmer zu. Die Betriebsvereinbarung sei wie der Tarifvertrag ein Normenvertrag und kein schuldrechtlicher Vertrag zugunsten Dritter3.
Auch im vorliegenden Fall geht es der Sache nach um individualrechtliche Ansprüche der Arbeitnehmer in Gestalt von Zeitgutschriften für die genannten Karnevalstage. Das Begehren des Betriebsrats läuft darauf hinaus, den Arbeitgeber zu verpflichten, den Arbeitnehmern wie bisher auch für die Zeit der Arbeitsfreistellung die volle Vergütung zu zahlen. Es geht damit um individuelle Ansprüche, die in einer normativen Regelung ihre Grundlage haben. Für die Durchsetzung dieser Ansprüche ist der Betriebsrat nicht zuständig. Er kann dieses Begehren auch nicht zum Gegenstand eines Durchführungsanspruchs machen.
Jedenfalls fehlt es an einem Verfügungsgrund für die beantragte einstweilige Verfügung.
Es muss die Besorgnis bestehen, dass die Verwirklichung eines Rechts ohne alsbaldige Regelung vereitelt oder wesentlich erschwert wird (§§ 920 Abs. 2, 935 ZPO). Davon kann hier keine Rede sein.Der Betriebsrat selbst sieht den Verfügungsgrund in der objektiv begründeten Besorgnis, dass sein Anspruch auf Durchführung der Karnevalsbestimmungen in der Betriebsvereinbarung von 1990 durch eine entgegengesetzte und vereinbarungswidrige Praxis der Antragsgegnerin im Jahre 2006 unheilbar vereitelt werde. Das ist wegen der ausdrücklichen Ankündigung der Arbeitgeberin, man sei nach wie vor bereit, den Mitarbeitern an den gleichen Tagen wie im Vorjahr Freizeit zu gewähren – jedoch ohne entsprechende Zeitgutschrift – , nicht der Fall. Was diesen Vorbehalt zur Vergütungsseite betrifft, so handelt es sich um eine reine Rechtsfrage, die auch in einem Hauptsacheverfahren über die Weitergeltung bzw. Nachwirkung der Betriebsvereinbarung zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens wie auch in Individualprozessen der betroffenen Arbeitnehmer geklärt werden kann.
Eine Vereitelung oder auch nur wesentliche Erschwerung der in der Betriebsvereinbarung geregelten Arbeitszeitgestaltung für die Karnevalstage, die nur hinsichtlich der Vergütungsseite im Streit ist, ist daher nicht zu befürchten. Wenn die tatsächliche Freistellung wie in den Vorjahren praktiziert wird, dann ist dem Primärinteresse, die Teilnahme am rheinischen Karneval zu ermöglichen, Rechnung getragen. Das Risiko des Wegfalls der Vergütungsgutschrift und einer etwa anderen Verrechnung mit vergüteten Freizeitansprüchen ist den Betroffenen zumutbar.
Landesarbeitsgericht Köln – Beschluss vom 17. Februar 2006 – 6 Ta 76/06