Prozessverwirkung – das verwirkte Recht, Klage zu erheben

Das Recht, eine Klage zu erheben, kann mit der Folge verwirkt werden, dass eine dennoch angebrachte Klage unzulässig ist. Dies kommt jedoch nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht.

Prozessverwirkung – das verwirkte Recht, Klage zu erheben

Das Klagerecht kann ausnahmsweise verwirkt sein, wenn der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhebt und zusätzlich ein Vertrauenstatbestand beim Anspruchsgegner geschaffen worden ist, er werde gerichtlich nicht mehr belangt werden.

Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten an der sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem Gegner die Einlassung auf die nicht innerhalb angemessener Frist erhobene Klage nicht mehr zumutbar ist.

Durch die Annahme einer prozessualen Verwirkung darf der Weg zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dies ist im Zusammenhang mit den an das Zeit- und Umstandsmoment zu stellenden Anforderungen zu berücksichtigen1.

Die Voraussetzungen der Prozessverwirkung lagen im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall nicht vor: Es kann dahinstehen, ob der Umstand, dass sich die Klägerin mehr als vier Jahre nach Aufnahme ihrer Tätigkeit im Oktober 2014 bzw. drei Jahre nach Ende ihres Einsatzes am 30.04.2016 erstmals darauf berufen hat, die Parteien verbinde ein Arbeitsverhältnis, die Annahme des Zeitmoments rechtfertigt. Jedenfalls fehlt es an dem für die Prozessverwirkung erforderlichen Umstandsmoment. Die Beklagte hat keine besonderen Umstände vorgetragen, aufgrund deren es ihr aus Vertrauensgesichtspunkten nicht zugemutet werden könnte, sich im Rahmen eines Rechtsstreits auf das Klagebegehren einzulassen und sich hiergegen zu verteidigen. Sie hat insbesondere nicht geltend gemacht, sie habe aufgrund eines bei ihr entstandenen Vertrauens, die Klägerin werde keine Klage erheben, Beweismittel nicht gesichert oder sie habe sonstige Schwierigkeiten bei der Verteidigung ihrer Rechtsposition im Prozess, die ihr bei früherer Klageerhebung nicht entstanden wären2.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. April 2022 – 9 AZR 228/21

  1. BAG 13.10.2020 – 3 AZR 246/20, Rn. 22; 25.08.2020 – 9 AZR 373/19, Rn. 16[]
  2. vgl. BAG 25.08.2020 – 9 AZR 373/19, Rn. 17; 20.03.2018 – 9 AZR 508/17, Rn. 21[]