Die Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens.

Sie setzt voraus, dass
- der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage war (Zeitmoment) und
- der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment).
Der Berechtigte muss dabei unter Umständen untätig gewesen sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Die Inanspruchnahme von Vertrauen setzt die Kenntnis des Schuldners von einem möglichen Anspruch gegen ihn voraus. Fehlt es hieran, kann der Schuldner auf das Ausbleiben einer entsprechenden Forderung allenfalls allgemein, nicht aber konkret hinsichtlich eines bestimmten Anspruchs vertrauen. Den Schutz vor unbekannten Forderungen hat das Verjährungsrecht zu gewährleisten, nicht aber Treu und Glauben1.
Danach fehlt es in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall an dem erforderlichen Umstandsmoment. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass die Arbeitgeberin Kenntnis von etwaigen Ansprüchen des Arbeitnehmers hatte. Der widerspruchslose Vollzug der Maßgaben einer aus Rechtsgründen unwirksamen Betriebsvereinbarung genügt nicht. Der Umstand, dass die Arbeitgeberin in den vergangenen Jahren keine Lohnerhöhungen gewährt hätte, wenn klar gewesen wäre, dass der Arbeitnehmer einen „Ausgleich für angebliche Mehrarbeit“ beanspruchen würde, führt zu keiner anderen Bewertung.
Auch ein Verstoß des Arbeitnehmers gegen den aus § 242 BGB folgenden Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (sog. venire contra factum proprium) liegt nicht vor. Widersprüchliches Verhalten ist erst dann missbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen2. Beides ist hier nicht der Fall.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. August 2021 – 1 AZR 338/20
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