Zugang der Kündigung per Post

Im Verfahren über den Antrag einer nachträglichen Klagezulassung gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 KSchG ist der strittige Zugang der Kündigung festzustellen1.

Zugang der Kündigung per Post

Aufgrund gewandelter Verkehrsanschauung (liberalisierte Briefzustellung) ist von allgemeinen arbeitstäglichen Postzustellzeiten bis mindestens 14.00 Uhr auszugehen. Erst ein deutlich späterer Einwurf in den privaten Briefkasten bewirkt keinen taggleichen Zugang mehr.

Auch nach der zum 1. April 2008 in Kraft getretenen Neuregelung des § 5 KSchG setzt eine Vorabentscheidung über den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 u. 2 KSchG voraus, dass die Klagefrist tatsächlich versäumt ist. Sind Zugang oder Zugangszeitpunkt der Kündigung streitig, darf das Gericht über einen hilfsweise gestellten Antrag auf nachträgliche Klagezulassung vorab nur entscheiden, wenn es die Überzeugung gewonnen hat, die Klagefrist sei versäumt2.

Auch bei einer ausnahmsweisen Vorabentscheidung durch Zwischenurteil im nunmehrigen Verbundverfahren muss das Gericht weiterhin Feststellungen zur verspäteten Klageerhebung bzw. dazu treffen, ob überhaupt eine dem Arbeitgeber zurechenbare schriftliche Kündigung vorliegt, ob und wann die Kündigungserklärungen dem Arbeitnehmer zuge-gangen und wann die Klage beim Arbeitsgericht eingegangen ist. Für dieses Verständnis der Norm des § 5 KSchG spricht der Umstand, dass eine Verfristung für den Kündigungsschutzantrag präjudizielle Bindungswirkung hat. Hinzu kommen Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung, mit der eine Verfahrensbeschleunigung beabsichtigt war. Schließlich sprechen auch prozessökonomische Gründe hierfür3.

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Trotz der gegenteiligen Auffassung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg4 gebieten die verschiedenen verfahrensrechtlichen Beweislastregelungen zur verschuldeten verspäteten Klageerhebung und dem Zugang der Kündigung keine abweichende Bewertung. Im Gegenteil: Das vorliegende Verfahren macht deutlich, dass gerade aus Gründen der Prozessökonomie es nicht gerechtfertigt ist, unter Umständen einen Streit über eine nachträgliche Klagezulassung, isoliert auf das „Vertretenmüssen“ durch den Kläger, ggf. über drei Instanzen zu führen, ohne dass dessen Basis, nämlich ob überhaupt die Klage verspätet erhoben wurde, geklärt ist5.

Daher war vorliegend der zwischen den Parteien strittige Zugangszeitpunkt der außerordentlichen Kündigung vom 25.06.2009 zu klären. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass das streitgegenständli-che Kündigungsschreiben vom 25.06.2009 noch am selben Tage etwa gegen 13.00 Uhr in den Postbriefkasten des Klägers geworfen wurde und damit noch am selben Tage gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen ist.

Nach § 130 Abs. 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklä-rung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine schriftliche Willenserklärung ist zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines anderen, der ihn nach der Verkehrsan-schauung bei der Empfangnahme von Briefen vertreten konnte, gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen6.

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Da es alleine darauf ankommt, dass für den Empfänger diese Möglichkeit unter gewöhnli-chen Verhältnissen besteht, ist es unerheblich, wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat oder ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände zunächst gehindert war. Dies gilt auch bei urlaubsbedingter Abwesenheit des Arbeitnehmers7. Dabei kann ein an die Heimatanschrift des Arbeitnehmers gerichtetes Kündigungsschreiben dem Arbeitnehmer grundsätzlich selbst dann wirksam zugehen, wenn der Arbeitgeber die urlaubsbedingte Ortsabwesenheit seines Arbeitnehmers kennt8.

Erreicht eine Willenserklärung die Empfangseinrichtungen des Adressaten zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme oder Abholung durch den Adressaten nicht mehr erwartet werden kann, so ist die Willenserklärung an diesem Tag nicht mehr zugegangen9.

Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 2. Februar 2011 – 11 Sa 17/10

  1. Anschluss an BAG 28.05.2009 – 2 AZR 732/08[]
  2. vgl. BAG, 28.05.2009 – 2 AZR 732/08, NZA 2009, 1229; LAG Rheinland-Pfalz, 27.03.2009 – 9 Sa 737/08; ErfK/Kehl, 9. Aufl., § 5 KSchG Rn. 29; aA: LAG Berlin-Brandenburg, 28.04.2009 – 16 Sa 164/09[]
  3. vgl. BAG, 28.05.2009, aaO m. w. N.[]
  4. LAG Berlin-Brandenburg, 28.04.2009, aaO[]
  5. vgl. BAG, 28.05.2009, aaO[]
  6. vgl. BAG, Urteil vom 08.12.1983 – 2 AZR 337/82; und 16.03.1988 – 7 AZR 587/87[]
  7. vgl. BAG, Urteil vom 16.03.1988, aaO; und 11.08.1988 – 2 AZR 11/88[]
  8. vgl. BAG, 24.06.2004- 2 AZR 461/03[]
  9. vgl. BAG, 08.12.1983, aaO m. w. N.[]
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