Ohne rechtswirksame Einwilligung des Betroffenen ist eine Maßnahme immer dann als unterbringungsähnlich im Sinn des § 1906 Abs. 4 BGB einzustufen, wenn sie, ohne eine Unterbringung zu sein, die Bewegungsfreiheit des Betroffenen über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig begrenzt und dies zumindest auch bezweckt. Ein „regelmäßiges“ Hindern i.S.d. § 1906 Abs. 4 BGB liegt vor, wenn es stets zur selben Zeit oder aus wiederkehrendem Anlass erfolgt. Es kommt nicht auf die Dauer der jeweiligen Einzelmaßnahme an, so dass auch kurzzeitige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit genehmigungspflichtig sind, wenn sie regelmäßig vorgenommen werden. Lediglich diejenigen regelmäßigen Einschränkungen der Fortbewegungsfreiheit unterfallen nicht § 1906 Abs. 4 BGB, bei denen es sich um nur unerhebliche Verzögerungen handelt. Das regelmäßige Verschließen der Eingangstür während der Nachtstunden kann eine unterbringungsähnliche Maßnahme darstellen, wenn der Betroffene weder einen Schlüssel erhält noch ein Pförtner das jederzeitige Verlassen der Einrichtung ermöglicht.

Es stellt keine Unterbringung im Sinn des § 1906 Abs. 1 BGB dar, wenn die Wohngruppentür zur Nachtzeit abgesperrt wird, ohne dass Heimpersonal in einer einem Pförtner vergleichbaren Funktion zur jederzeitigen Öffnung bereitsteht oder die Bewohner Schlüssel erhalten, sondern erst Pflegepersonal zum Öffnen der Tür geholt werden muss.
Eine freiheitsentziehende Unterbringung im Sinn des § 1906 Abs. 1 BGB ist gegeben, wenn der Betroffene gegen seinen Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit in einem räumlich begrenzten Bereich eines geschlossenen Krankenhauses, einer anderen geschlossenen Einrichtung oder dem abgeschlossenen Teil einer solchen Einrichtung festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht und die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb des Bereichs eingeschränkt wird. Die Vorschrift geht von einem engen Begriff der mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung aus und erfasst nur solche Maßnahmen, die die persönliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen nicht nur kurzfristig auf einen bestimmten räumlichen Lebensbereich begrenzen1.
Gemessen daran ist die Betroffene in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nicht untergebracht. Denn ihre Bewegungsfreiheit würde so sie zur Nachtzeit den Wohnbereich verlassen wollte zwar durch die verschlossene Tür begrenzt, dies jedoch nicht über den Zeitraum hinaus, der erforderlich wäre, um Pflegepersonal zum Öffnen der Tür zu holen, und damit nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen für höchstens 30 Minuten. Dabei handelt es sich nicht um eine Zeitspanne, die aufgrund § 1906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB eine Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich macht. Allerdings besteht eine unterbringungsähnliche Maßnahme und damit ein Genehmigungsbedürfnis nach § 1906 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 BGB:
Gemäß § 1906 Abs. 4 BGB gelten die Vorschriften über die Unterbringung eines Betreuten (Absätze 1 und 2 der Vorschrift) und damit auch das Genehmigungserfordernis des § 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB entsprechend, wenn einem Betroffenen, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.
Diese Regelung schützt ebenso wie Absatz 1 und 2 der Vorschrift die körperliche Bewegungsfreiheit und die Entschließungsfreiheit zur Fort- bewegung im Sinne der Aufenthaltsfreiheit2. Die Vorschrift ist weit gefasst3 und ergänzt sich mit Absatz 1 dahingehend, dass in dem in Absatz 4 genannten räumlichen Bereich Anstalt, Heim, sonstige Einrichtung jede gezielte Behinderung des Betroffenen in seinem Wunsch, den bisherigen Aufenthaltsort zu verlassen, genehmigungsbedürftig ist4. Der Gesetzgeber wollte mit § 1906 Abs. 4 BGB die Rechtsstellung Betroffener stärken, indem er solche Maßnahmen ebenfalls unter betreuungsgerichtliche Kontrolle und Genehmigungspflicht stellte5.
Erforderlich ist für § 1906 Abs. 4 BGB nicht, dass es sich um eine individuelle, nur auf die Bedürfnisse des einzelnen Betroffenen abgestimmte, also personenbezogene Einzelmaßnahme handelt6. Auch Maßnahmen, die sich auf eine Mehrzahl der oder gar alle Bewohner einer Einrichtung dahingehend auswirken, dass sie die Bewegungsfreiheit begrenzen, aber etwa unterhalb der zeitlichen Schwelle für ein Eingreifen von § 1906 Abs. 1 BGB bleiben, sind nach dem Willen des Gesetzgebers von § 1906 Abs. 4 BGB erfasst7. Dies machen die in den Gesetzesmaterialien genannten Beispiele deutlich, bei denen es sich zum Teil nicht um personenbezogene Einzelmaßnahmen handelt8.
Fehlt es an einer rechtswirksamen Einwilligung des Betroffenen, ist eine Maßnahme daher immer dann als unterbringungsähnlich im Sinn des § 1906 Abs. 4 BGB einzustufen, wenn sie, ohne eine Unterbringung zu sein, die Bewegungsfreiheit des Betroffenen über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig begrenzt und dies zumindest auch bezweckt9.
Ein „regelmäßiges“ Hindern liegt dabei vor, wenn es stets zur selben Zeit die Gesetzesbegründung nennt das Absperren der Tür jeweils zur Nachtzeit oder aus wiederkehrendem Anlass erfolgt, wie etwa bei Einsperren eines Betroffenen immer dann, wenn er die Nachtruhe stört10. Daraus, dass das Gesetz als weitere Alternative „über einen längeren Zeitraum“ nennt, erhellt, dass es bei der regelmäßigen Freiheitsentziehung nicht auf die Dauer der jeweiligen Einzelmaßnahme ankommen soll, so dass auch kurzzeitige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit genehmigungspflichtig sind, wenn sie regelmäßig vorgenommen werden. Mithin unterfallen lediglich diejenigen regelmäßigen Einschränkungen der Fortbewegungsfreiheit nicht § 1906 Abs. 4 BGB, die sich als nur unerhebliche Verzögerungen darstellen11.
Darüber hinaus erfordert § 1906 Abs. 4 BGB, dass dem Betroffenen „die Freiheit entzogen werden soll“. Eine unterbringungsähnliche Maßnahme liegt daher nur dann vor, wenn mit der Maßnahme zumindest auch auf eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit des Betroffenen abgezielt wird. Denn der Gesetzgeber wollte nur solche Maßnahmen erfassen, deren Auswirkungen denen einer Unterbringung vergleichbar sind12.
Das Verschließen der Wohngruppentür jeweils in der Zeit von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr kann eine unterbringungsähnliche Maßnahme für die Betroffene darstellen, nachdem es nach den tatrichterlichen Feststellungen bis zu 30 Minuten dauern kann, bis einem Öffnungsverlangen der Bewohner nachgekommen wird. Die Betroffene wird mithin jeweils bis zu 30 Minuten daran gehindert, ihre Fortbewegungsfreiheit durch Verlassen des Wohnbereichs zu betätigen. Der Zeitraum von 30 Minuten liegt deutlich oberhalb einer unerheblichen Verzögerung.
Dabei kann dahinstehen, dass die angefochtene Entscheidung keine konkreten Feststellungen dazu enthält, ob die Betroffene in der Lage ist, von der Möglichkeit, den Notrufknopf zu betätigen, gezielt Gebrauch zu machen und auf diese Weise nicht auf der Station befindliches Personal zum Öffnen der Tür herbeizurufen. Denn die Einschätzung, es handele sich im Ergebnis nur um eine von § 1906 Abs. 4 BGB nicht erfasste kurzfristige Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit, ist schon mit Blick auf die unbeschadet der individuellen Fähigkeiten der Betroffenen festgestellten Wartezeiten rechtsfehlerhaft. Sie wird im Übrigen auch nicht von der Erwägung getragen, dass die Beschränkung der Bewegungsfreiheit Folge der Einrichtungsorganisation und insbesondere des vorhandenen Personals und damit gewissermaßen zwangsläufig sei. Finanzielle Erwägungen, wie sie insbesondere dem für eine Einrichtung geltenden Personalschlüssel zugrunde liegen, können einer Maßnahme nicht den Charakter einer Freiheitsentziehung im Sinn des § 1906 BGB nehmen13.
Dementsprechend hat der Gesetzgeber den Fall des zeit- weiligen insbesondere nächtlichen Verschließens der Eingangstür, ohne dass der Betroffene einen Schlüssel erhält oder ein Pförtner das jederzeitige Verlassen der Einrichtung ermöglicht, ausdrücklich als Anwendungsfall des § 1906 Abs. 4 BGB genannt14. Er hatte mithin bei Einführung der Vorschrift auch die Situation vor Augen, dass eine Einrichtung bzw. ein Teil hiervon zeitweise nicht verlassen werden kann, weil zwar15 zur Türöffnung fähiges und bereites (Pflege)Personal zugegen ist, aber nicht in der Art eines Pförtners jeweils sofort dem Öffnungswunsch eines Bewohners nachkommen kann. Die hiermit verbundene Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit ist daher grundsätzlich genehmigungsbedürftig.
Mit der Maßnahme ist im hier entschiedenen Fall auch die Begrenzung der Bewegungsfreiheit bezweckt. Denn nach der Mitteilung der Pflegeeinrichtung erfolgt das Absperren der Wohngruppentür mit der Zielrichtung, die Betroffene wie auch die anderen Bewohner der Wohngruppe an einem Verlassen der Wohngruppe zu hindern und so einer Selbstgefährdung vorzubeugen.
Es ist daher zu prüfen, ob die fragliche Maßnahme mit Einwilligung der Betroffenen erfolgt. Eine solche kann zwar nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent erfolgen16. Sie setzt allerdings voraus, dass der Betroffene mit natürlichem Willen die Tragweite der freiheitsentziehenden Maßnahme zu erfassen vermag17.
Auch wenn es an einer rechtswirksamen Einwilligung der Betroffenen fehlen sollte, werden darüber hinaus Feststellungen dazu zu treffen sein, ob die Betroffene die Wohngruppe während der Nachtstunden verlassen will. Zwar ist eine objektiv freiheitsentziehende Maßnahme im Zweifel genehmigungspflichtig18. Kann aber mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Betroffene seine Bewegungs- freiheit so betätigen wird, dass die Maßnahme eine Beschränkung darstellt, dann besteht für eine betreuungsgerichtliche Genehmigung kein Bedürfnis19.
In diese Richtung könnte im vorliegenden Fall weisen, dass bei der Betroffenen nach der vom Beschwerdegericht wiedergegebenen Stellungnahme der Pflegeeinrichtung „seit Öffnung der Wohngruppe kein willkürliches Verlassen des Wohnbereichs beobachtet worden“ sei, zumal die Betroffene aufgrund ihres erheblich eingeschränkten Sehvermögens und des unsicheren Gangbildes ohnehin außerhalb der Wohngruppe immer auf Begleitung und Handführung angewiesen sei.
Sofern das Gericht nach alledem zu dem Ergebnis gelangt, dass eine unterbringungsähnliche Maßnahme vorliegt, wird es deren materiellrechtliche Voraussetzungen entsprechend § 1906 Abs. 1 BGB nach den verfahrensrechtlichen Maßgaben der §§ 312 ff. FamFG zu klären haben.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. Januar 2015 – XII ZB 395/14
- BGH, Beschlüsse vom 07.08.2013 ? XII ZB 559/11 FamRZ 2013, 1646 Rn. 12; vom 23.01.2008 ? XII ZB 185/07 FamRZ 2008, 866 Rn.19 und BGHZ 145, 297 = FamRZ 2001, 149 f.[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 27.06.2012 ? XII ZB 24/12 FamRZ 2012, 1372 Rn. 10 mwN und BGHZ 145, 297 = FamRZ 2001, 149, 150[↩]
- HK-BUR/Bauer/Braun [Stand: August 2014] § 1906 BGB Rn. 55[↩]
- Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1906 BGB Rn. 79; vgl. auch OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 640[↩]
- Staudinger/Bienwald BGB [2013] § 1906 Rn. 89; vgl. auch BT-Drs. 11/4528 S. 82, 148[↩]
- so aber LG Ulm FamRZ 2010, 1764, 1765; Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1906 BGB Rn. 58; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 10.06.2014] § 1906 BGB Rn. 165[↩]
- ebenso wohl auch MünchKomm-BGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 37[↩]
- BT-Drs. 11/4528 S. 148[↩]
- vgl. Knittel Betreuungsrecht [Stand: 10.06.2014] § 1906 BGB Rn. 172; MünchKomm-BGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 42; BT-Drs. 11/4528 S. 149[↩]
- vgl. BT-Drs. 11/4528 S. 149[↩]
- zur Freiheitsberaubung i.S.d. § 239 StGB vgl. auch Fischer StGB 61. Aufl. § 239 Rn. 6; MünchKomm-StGB/Wieck-Noodt 2. Aufl. § 239 Rn. 17; SSW-StGB/Schluckebier 2. Aufl. § 239 Rn. 6[↩]
- BGH, Beschluss BGHZ 145, 297 = FamRZ 2001, 149, 150; BT-Drs. 11/6949 S. 76[↩]
- zur Berücksichtigung dieser Umstände im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vgl. etwa OLG München OLGR 2006, 73, 75[↩]
- BT-Drs. 11/4528 S. 148; vgl. auch: Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1906 BGB Rn. 90; Erman/Roth BGB 14. Aufl. § 1906 Rn. 34; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1906 BGB Rn. 45; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 10.06.2014] § 1906 BGB Rn. 161; MünchKomm-BGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 35; Staudinger/Bienwald BGB [2014] § 1906 Rn. 91[↩]
- wie bei derartigen Einrichtungen üblich[↩]
- Staudinger/Bienwald BGB [2014] § 1906 Rn. 30; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 15.07.2013] § 1906 BGB Rn. 59, auch zu den Anforderungen an die Feststellung der Einwilligung[↩]
- BayObLG MDR 1994, 922; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1906 BGB Rn. 95; HK-BUR/Bauer/Braun [Stand: August 2014] § 1906 BGB Rn. 40; Staudinger/Bienwald BGB [2014] § 1906 Rn. 88; zweifelnd MünchKomm-BGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 45[↩]
- Knittel Betreuungsrecht [Stand: 15.07.2013] § 1906 BGB Rn. 174; MünchKomm-BGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 42[↩]
- vgl. Knittel Betreuungsrecht [Stand: 15.07.2013] § 1906 BGB Rn. 57; Palandt/Götz BGB 74. Aufl. § 1906 Rn. 35; vgl. auch Erman/Roth BGB 14. Aufl. § 1906 Rn. 34 a[↩]