Kindeswohlgefährdung durch Vernachlässigung – und ihre Feststellung

Eine Trennung des Kindes von seiner Familie gegen den Willen der Sorgeberechtigten ist erst dann zulässig, wenn das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind bei einem Verbleiben in oder einer Rückkehr in die Familie in seinem körperlichen, geis-tigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist. Dies ist der Fall, wenn bereits ein Schaden eingetreten ist, oder wenn eine Gefahr gegenwärtig und in einem solchen Maß vorhanden ist, dass sich bei seiner weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Si-cherheit voraussehen lässt.

Kindeswohlgefährdung durch Vernachlässigung – und ihre Feststellung

Werden Kinder im Haushalt der Eltern hochgradig vernachlässigt und sind unzweifelhaft vorhandene Schädigungen auf physische Entbehrungen und fehlende emotionale Zuwendung zurückzuführen, ist von mangelnder Erziehungseignung auszugehen. Eine Kindeswohlgefährdung, die Anlass zu einem familiengerichtlichen Eingriff in das elter-liche Sorgerecht gibt, kann sich auch aus der Summe einer Vielzahl von Einzelaspekten erge-ben.

Nach § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht in Fällen, in denen das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet wird, und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

Da der Sorgerechtsentzug als Eingriff in das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts strenger Überprüfung unterliegt, ist ein Sorgerechtsentzug nur bei einer gegenwärtigen, in einem solchen Maß vorhandenen Gefahr, dass sich bei weiterer Entwicklung ohne Intervention eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt, gerechtfertigt1.

Dabei dient der staatliche Eingriff nach § 1666 BGB nicht dazu, dem Kind optimale Entwicklungsbedingungen zu verschaffen2. Ob die Voraussetzungen des § 1666 BGB vorliegen, entscheidet sich in Fällen der Vernachlässigung vielmehr nach deren Ausmaß, der Schutzbedürftigkeit des Kindes und inwieweit bereits schädigende Folgen für das Kind eingetreten sind3. Die bloße Besorgnis künftiger Gefährdungen genügt nicht4. Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre, das ist unter anderem bei einer wiederholten körperlichen Misshandlung der Fall, da Kindesmisshandlungen grundsätzlich einen schwerwiegenden Eingriff in das körperliche und seelische Wohlbefinden eines Kindes darstellen5.

Zudem gebietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die anzuordnende Maßnahme zur Gefahrenabwehr effektiv geeignet ist6 Eine Maßnahme, die mit einer Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, ist nach § 1666a BGB darüber hinaus nur zulässig, wenn der Gefahr für das Kindeswohl nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen begegnet werden kann.

Bei der Bewertung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme ist auch der Grad der Wahrscheinlichkeit der Gefährdung zu überprüfen. Eine auch teilweise Entziehung der elterlichen Sorge ist nur bei einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, nämlich mit ziemlicher Sicherheit, verhältnismäßig7.

Auch sind die negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern und einer Fremdunterbringung zu berücksichtigen, sie müssen durch die hinreichende Aussicht auf Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung bessert8.

In dem hier vom Oberlandesgericht Braunschweig entschiedenen Fall hielt die Entscheidung des erstinstanzlich hiermit befassten Amtsgerichts Northeim9 einer Überprüfung anhand dieser Maßstäbe stand. Eine für den Eingriff in die Rechte der Mutter erforderliche Kindeswohlgefährdung liegt weiterhin vor, denn es steht zweifelsfrei fest, dass die fünf Kinder in der Obhut ihrer Mutter in der Entwicklung sowohl körperlich, emotional als auch seelisch schwerwiegende Schäden erlitten haben und ihnen bei Rückkehr in die Obhut der Mutter gleichgerichtete Schäden drohen, weil die Mutter nichts zur Veränderung der häuslichen Situation unternommen hat und dazu auch nicht willens ist.

Dass die fünf Kinder in der Obhut ihrer Mutter in der Entwicklung sowohl körperlich, emotional als auch seelisch schwerwiegende Schäden erlitten haben, ergibt sich aufgrund der Zusammenschau und des Zusammenhangs insbesondere folgender Aspekte.

Aufgrund des unstreitigen Befundberichts betreffend alle fünf Kinder bei Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt steht zunächst zweifelsfrei fest, dass die Kinder dort durchgehend nicht ausreichend mit Essen versorgt wurden. Dies ergibt sich aus dem festgestellten Ernährungszustand sowie den von allen Kindern gezeigten Verhaltensauffälligkeiten bei ihrer Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt.

Unstreitig gab es im Laufe der Jahre wiederholt Meldungen an die jeweils örtlich zuständigen Jugendämter, dass die Kinder im elterlichen Haushalt nicht ausreichend mit Nahrung versorgt seien. Soweit die Mutter pauschal bestreitet, dass die Kinder in der Vergangenheit in ihrem Haushalt nur unzureichend mit Nahrung versorgt worden seien, ist dieses prozesstaktische Verhalten unbeachtlich, denn nach dem unstreitigen Bericht der Verfahrensbeiständin kannten alle Kinder bei Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt auffallend wenige Nahrungsmittel, insbesondere kannten sie keine Obst- und Gemüsesorten. K4 konnte darüber hinaus mit fünf Jahren noch nicht mit Besteck umgehen. Sie war auch auffallend zart und kraftlos, K5 war leicht untergewichtig. K2 und K3 waren für ihr Alter ebenfalls auffallend klein und zierlich. Alle Kinder zeigten sich in den Erziehungsstellen und Wohngruppen, in denen sie untergebracht wurden, verunsichert und rückversicherten sich zunächst stets, ob sie es annehmen dürfen, wenn ihnen Essen angeboten wurde. K4 hortete nach Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt anfangs Essen in der Erziehungsstelle, K1 gab gegenüber der Verfahrensbeiständin an, es habe zu Hause eher unregelmäßige Mahlzeiten gegeben.

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In einer Gesamtschau lassen diese geschilderten unstreitigen Umstände nur den Rückschluss zu, dass die Kinder im elterlichen Haushalt nur unzureichend mit Nahrung versorgt wurden.

Darüber hinaus steht aufgrund der Behandlungsunterlagen des Hausarztes Dr. R. zweifelsfrei fest, dass es der Mutter in der Vergangenheit nicht gelang, ihre Kinder ausreichend vor Krankheiten zu schützen und sie im Fall einer Erkrankung nicht hinreichend schnell und konsequent einer Behandlung zuzuführen. Alle Kinder waren mehrfach und teilweise längere Zeit andauernd mit Scabies („Krätze“) sowie mit Augengrippe infiziert und von Kopfläusen befallen. Der Umstand, dass dieser Befall mit Scabies und Läusen sowie die Infektion mit Augengrippe über einen längeren Zeitraum mehrfach in den ärztlichen Behandlungsunterlagen vermerkt wurde, lässt auf eine nicht hinreichend gründliche und konsequente medizinische Behandlung aus dem elterlichen Haushalt heraus schließen. Dieser Rückschluss wird auch dadurch gestützt, dass der bei allen Kindern bereits länger andauernde Scabiesbefall nach ihrer Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt in der Wohngruppe beziehungsweise den Erziehungsstellen bei allen Kindern binnen weniger Tage erfolgreich behandelt werden konnte.

Auch die Harnwegsinfekte, die K5 vor ihrer Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt derart häufig erlitt, dass diese nicht mehr mit Antibiotika kuriert werden konnten, sind darauf zurückzuführen, dass es den Eltern nicht gelang, Rahmenbedingungen für ein gesundes Aufwachsen der Kinder in ihrem Haushalt zu schaffen. Denn die wiederholten Harnwegsinfekte K5s hatten ihre Ursache darin, dass diese bis zu ihrer Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt mit vier Jahren dauerhaft eine Windel trug, ohne dass sie mitteilen konnte, wenn sie Kot abgesetzt hatte. Dieser für K5 gesundheitsgefährdende Zustand ist ebenfalls auf ein unzureichendes Erziehungsverhalten der Eltern zurückzuführen und liegt nicht in organischen Ursachen begründet, denn in der Erziehungsstelle erzielte K5 beim Toilettentraining sehr schnell solche Fortschritte, dass sie bereits nach kurzer Zeit keine Windel mehr benötigte und danach auch keine Harnwegsinfekte mehr erlitt.

Weiterhin steht aufgrund der unstreitigen massiven schulischen Fehlzeiten der Kinder vor ihrer Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt fest, dass es der Mutter nicht gelang, einen regelmäßigen Schulbesuch ihrer Kinder sicherzustellen. Die massiven Fehlzeiten der zum damaligen Zeitpunkt schulpflichtigen Kinder K1, K2 und K3 führten zu erheblichen Lernrückständen bei allen drei Kindern. Diese Lernrückstände hatten zur Folge, dass K2 und K3 jeweils ein Schuljahr wiederholen mussten und K1 nach der Grundschule zur Vermeidung einer Überforderung zunächst in der 5. Klasse der Hauptschule angemeldet wurde, sie aber im Sommer 2021 wegen sehr guter Lernfortschritte nach ihrer Herausnahme aus dem Haushalt der Eltern in die 6. Klasse des Realschulzweigs ihrer Schule wechseln konnte.

Darüber hinaus steht aufgrund des unstreitigen Berichts der Verfahrensbeiständin sowie der ärztlichen Behandlungsunterlagen fest, dass die Kinder im elterlichen Haushalt auch sonst nicht ausreichend gefördert wurden.

In Bezug auf K4 ergibt sich die unzureichende Förderung daraus, dass sie im Zeitpunkt ihrer Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt unstreitig erheblich entwicklungsverzögert war und als im Sommer 2020 schulpflichtiges Kind vom Schulbesuch zurückgestellt werden musste, weil sie etwa lediglich bis fünf zählen und Farben nicht zuverlässig benennen konnte. Da sich bei der Bearbeitung von Frühförderungsunterlagen in der Erziehungsstelle zeigte, dass K4 über eine schnelle Auffassungsgabe verfügt und sie innerhalb kurzer Zeit große Entwicklungsfortschritte machte, steht fest, dass die Entwicklungsverzögerungen auf eine unzureichende Förderung im elterlichen Haushalt sowie den Umstand, dass sie aus dem elterlichen Haushalt heraus keinen Kindergarten besuchte, zurückzuführen sind.

Auch K5 wurde im elterlichen Haushalt nicht ausreichend gefördert und war daher im Zeitpunkt ihrer Herausnahme ebenfalls erheblich entwicklungsverzögert. So wurde bei der U8 am 06.02.2020 eine Farb, Zahlen und Sprachschwäche festgestellt. Nach dem unstreitigen Bericht der Verfahrensbeiständin war sie motorisch, kognitiv und sprachlich nicht altersgerecht entwickelt: sie kletterte Treppen zunächst auf allen vieren hoch, konnte nicht puzzeln und lernte erst in der Erziehungsstelle die Zuordnung gegensätzlicher Begriffe wie „oben – unten“, „hinten – vorne“, groß – klein“. Da auch K5 in ihrer Erziehungsstelle durch gezielte Förderung schnell erhebliche Entwicklungsfortschritte erzielte, steht fest, dass auch K5s Entwicklungsverzögerungen auf eine unzureichende Förderung im elterlichen Haushalt sowie den Umstand, dass sie aus dem elterlichen Haushalt heraus keinen Kindergarten besuchte, zurückzuführen sind.

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Alle Kinder haben einen erhöhten Förderbedarf, dem die Eltern in der Vergangenheit bereits gemeinsam nicht gerecht wurden. Entgegen dem Bekunden der Eltern, den Empfehlungen zur logopädischen Behandlung der Kinder stets nachgekommen zu sein, berichtete die Logopädin von K4, dass mehrere Termine durch die Eltern abgesagt worden seien. Ähnliches ergibt sich aus dem Schreiben der Logopädischen Praxis K. vom 16.08.2018 an den Hausarzt im Hinblick auf die Logopädietermine von K2. Bei der Beantragung der Überprüfung des Förderbedarfs von K4 wirkten die Eltern erst nach erneuter Anrufung des Familiengerichts durch das Jugendamt mit.

Auch der Umstand, dass K1, K2 und K3 ihre schulischen Rückstände seit ihrer Unterbringung außerhalb des elterlichen Haushalts aufholen konnten und auch K4 durch die Bearbeitung der Frühförderungsunterlagen mit der Bereitschaftspflegemutter und den Besuch des Sprachheilkindergartens ihre erheblichen Entwicklungsdefizite in der Zwischenzeit zu einem großen Teil kompensieren konnte, spricht dafür, dass die Förderung der Kinder zuvor im elterlichen Haushalt unzureichend erfolgte.

Schließlich steht aufgrund des unstreitigen Berichts der Verfahrensbeiständin betreffend alle fünf Kinder bei Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt zweifelsfrei fest, dass die Kinder dort auch emotional vernachlässigt worden sind und massiver Verängstigung durch Vorfälle häuslicher Gewalt ausgesetzt waren.

Dass es in der Vergangenheit wiederholt zu Vorfällen häuslicher Gewalt der Eltern untereinander kam, ergibt sich aus dem polizeilichen Einsatz am 18.02.2020, der zur Inobhutnahme der Kinder führte, sowie aus den übereinstimmenden Schilderungen beider Eltern gegenüber dem Sachverständigen und auch im Erörterungstermin vor dem Oberlandesgericht. Die Mutter hatte auch zunächst gegenüber der Verfahrensbeiständin und dem Sachverständigen selbst eingeräumt, dass es in der Vergangenheit auch wiederholt körperliche Übergriffe ihrerseits auf die Kinder in Form von „Klapsen“ und Ohrfeigen gab, sie hat dies im Erörterungstermin vor dem Oberlandesgericht dann allerdings pauschal bestritten. Wiederholte körperliche Auseinandersetzungen der Eltern untereinander, auch in Gegenwart der Kinder, sind hingegen unstreitig.

Eine emotionale Vernachlässigung und massive Verängstigung der Kinder ergibt sich aus den diversen Verhaltensauffälligkeiten, die alle fünf Kinder nach Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt in der Wohngruppe beziehungsweise Erziehungsstelle ausweislich der unstreitigen Berichte des Jugendamts N. und der Verfahrensbeiständin zeigten.

Die Einrichtungen beschreiben alle fünf Kinder durchgängig als überangepasst und kontrollierend.

K1, K2 und K3 waren anfangs sehr unsicher, rückversicherten sich etwa auch, ob sie ihnen angebotenes Essen nehmen dürfen.

K4 entwickelte im elterlichen Haushalt einen Mutismus und sprach bei Ankunft in der Bereitschaftspflege überhaupt nicht. Sie äußerte keine eigenen Bedürfnisse, schlich durchs Haus und vermied Aufmerksamkeit.

K5 versuchte zunächst, sich unsichtbar zu machen und vermied Kontakt mit den Pflegeeltern, insbesondere der Pflegemutter, vollständig. Sie war anfangs sehr verkrampft, und zeigte wenig Emotionen. Gegenüber Männern und Jungen verhält sie sich distanzlos und macht sexuelle Angebote. Sie hat ein reduziertes Schmerzempfinden und lässt sich bei Verletzungen nicht trösten, sondern versucht, die Tränen zu unterdrücken.

Keines der Kinder zeigte direkt nach der Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt Anzeichen von Trennungsschmerz. Die Umgangskontakte der Kinder mit den Eltern waren jeweils von auffallend wenig Emotionen begleitet, und zwar sowohl auf Seiten der Kinder als auch der Eltern. Es war sowohl zu Beginn kaum Freude, als auch zum Ende des Umgangs kein Trennungsschmerz zu beobachten.

Die Verhaltensauffälligkeiten der Kinder können nur auf eine emotionale Vernachlässigung im elterlichen Haushalt zurückzuführen sein, weil zum einen alle fünf Kinder die beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten zeigen und zum anderen jedenfalls K4 und K5 bis zu ihrer Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt ausschließlich von ihren Eltern betreut und versorgt wurden und beide noch keinen Kindergarten oder ähnliches besuchten.

Damit besteht ein Zustand, der ohne Handeln des Jugendamts dazu geführt hätte, dass die beschriebenen bereits entstandenen Schäden sich weiter vertieft hätten und insbesondere die von den Kindern im Rahmen ihrer außerhäuslichen Unterbringung erzielten erheblichen Entwicklungsfortschritte mangels gezielter Förderung ausgeblieben wären.

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Den festgestellten Schädigungen des Kindeswohls steht auch nicht entgegen, dass diese im Rahmen ihrer Unterbringung außerhalb des elterlichen Haushalts teilweise beseitigt werden konnten. Vielmehr liegen die erheblichen Fortschritte, die die Kinder seit ihrer Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt erzielen konnten, in ihrer gezielten Förderung begründet, die sie im Rahmen ihrer Fremdunterbringung erhalten. Aus dem Umstand, dass die Kinder die vorhandenen Defizite seit ihrer Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt so gut kompensieren konnten, ergibt sich erst recht, dass sie dort zuvor keine ausreichende Pflege, Förderung und Fürsorge erhielten.

Es besteht auch kein Zweifel, dass die Schäden sich weiter vertiefen, wenn die Kinder jetzt in den Haushalt der Mutter zurückkehren, denn die Defizite der Mutter in ihrer Erziehungsfähigkeit bestehen fort. Diese ist unstreitig psychisch krank und nicht bereit, die erforderliche Diagnose stellen und sich helfen zu lassen.

Die psychische Erkrankung der Mutter wirkt sich dahingehend aus, dass sie keine Orte aufsuchen kann, an denen sich viele fremde Menschen befinden, wie beispielsweise in einem Einzelhandelsgeschäft. Aus diesem Grund benötigt sie Unterstützung in vielen Alltagssituationen, etwa beim Erledigen von Einkäufen. In der Vergangenheit haben diese Aufgaben häufig der Vater oder K1 übernommen. Darüber hinaus kann die Mutter nicht allein bleiben, weshalb die beiden noch nicht schulpflichtigen Kinder, K4 und K5, bis zu ihrer Inobhutnahme noch keinen Kindergarten besuchten, damit die Mutter auch tagsüber, wenn die älteren Kinder die Schule besuchten, in Gesellschaft war. Die Mutter verließ den eigenen Haushalt in der Vergangenheit nie ohne Begleitung durch jedenfalls eines ihrer Kinder. Der Vater, der bis zu K1s Geburt durchgängig berufstätig war, gab seine Erwerbstätigkeit anlässlich der Geburt K1s auf, um die Mutter im Haushalt und bei der Kinderbetreuung zu unterstützen. Durch diese krankheitsbedingten Einschränkungen ist die Mutter außerstande, den Alltag für ihre fünf Kinder entsprechend deren Bedürfnissen eigenverantwortlich zu organisieren. Sie selbst hat gegenüber dem Oberlandesgericht im Termin eingeräumt, mit ihren fünf Kindern manchmal überfordert gewesen zu sein. Die Eltern leben innerhalb der Ehewohnung getrennt voneinander, das Ehescheidungsverfahren ist anhängig, der Vater befindet sich auf Wohnungssuche. Er steht daher künftig nicht verlässlich für eine Unterstützung der Mutter im Alltag zur Verfügung.

Die Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit der Mutter bestehen auch mangels fachärztlicher Behandlung ihrer psychischen Erkrankung fort. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Mutter in der mündlichen Erörterung angab, seit etwa einem Jahr von ihrem Hausarzt ein Antidepressivum verordnet zu bekommen und für eine Psychotherapie auf einer Warteliste zu stehen. Denn sie selbst hat gegenüber dem Oberlandesgericht eingeräumt, dass zu keinem Zeitpunkt eine fachärztliche Diagnose erstellt wurde, obwohl sie unstreitig mindestens seit ihrer Jugend durchgehend im Alltag durch die Auswirkungen ihrer psychischen Erkrankung erheblich eingeschränkt ist. Die erfolgreiche Behandlung einer bereits über einen so langen Zeitraum andauernden psychischen Erkrankung, die sich dauerhaft so massiv auf den Alltag des Betroffenen auswirkt, kann jedoch nicht ohne die Erstellung einer fachärztlichen Diagnose erfolgen, weil erst auf der Grundlage einer solchen Diagnose die richtige Form der Behandlung bestimmt werden kann. Die alleinige Verordnung von Psychopharmaka ohne Begleittherapie kann den gesundheitlichen Zustand der Mutter nicht nachhaltig verbessern, erst recht nicht, wenn die Verordnung nicht von einem entsprechenden Facharzt, sondern – wie hier – ausschließlich von einem Allgemeinmediziner ohne spezifische Kenntnisse in Bezug auf psychische Erkrankungen erfolgt.

Gleiches gilt für den Umstand, dass die Mutter nach eigenen Angaben nunmehr auf einer Warteliste für eine ambulante psychotherapeutische Behandlung steht, nachdem sie einen Platz für eine psychologische Verhaltenstherapie nach wenigen Terminen wegen angeblicher sexueller Übergriffe des Therapeuten auf sich abgesagt hat. Denn zum einen ist Voraussetzung für die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Behandlungserfolgs, dass die Art der Psychotherapie auf der Grundlage einer richtigen psychiatrischen Diagnose vom Therapeuten gestaltet wird. Zum anderen ist für die Überprüfung der Option der Rückführung der Kinder in den mütterlichen Haushalt nicht maßgeblich, ob diese an der bislang fehlenden erfolgreichen psychotherapeutischen Behandlung ein Verschulden trifft. Vielmehr kommt es ausschließlich darauf an, ob die Defizite in der Erziehungsfähigkeit der Mutter zum jetzigen Zeitpunkt fortbestehen. Dies ist der Fall, soweit diese sich aus ihrer psychischen Erkrankung ergeben, da die Erkrankung noch nicht fachärztlich und psychotherapeutisch behandelt wurde.

Darüber hinaus bestehen die Defizite der Mutter in ihrer Erziehungsfähigkeit auch fort, weil diese bislang weder Beratungsangebote, beispielsweise in einer Erziehungsbe3ratungsstelle, noch sonstige ambulante Hilfen des Jugendamts angenommen hat. Zwar hat die Mutter im Erörterungstermin vor dem Oberlandesgericht erklärt, dass sie nunmehr zur Zusammenarbeit beispielsweise mit einer sozialpädagogischen Familienhilfe bereit sei, um die Fremdunterbringung ihrer Kinder zu beenden. Bei dieser Erklärung handelt es sich jedoch erkennbar lediglich um ein prozesstaktisches Verhalten. Aus dem Verhalten und den Äußerungen der Mutter insgesamt ergibt sich vielmehr, dass diese nach wie vor nicht ernsthaft zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und mit in ihrem Haushalt installierten Hilfen bereit ist. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die Mutter die ihr im Laufe der Jahre wiederholt angebotene Unterstützung durch ambulante Hilfen mehrfach abgelehnt hat und auch in der mündlichen Verhandlung ihr fortbestehendes Misstrauen gegenüber dem Jugendamt erneut deutlich zum Ausdruck gebracht hat, indem sie erklärte, mit dem Jugendamt am liebsten nichts zu tun haben zu wollen aus Angst, ihre Kinder zu verlieren. Die Installation einer sozialpädagogischen Familienhilfe und sonstige Zusammenarbeit scheiterte in der Vergangenheit unstreitig daran, dass die Mutter mehr noch als der Vater eine Zusammenarbeit verweigerte. Auf dieser Grundlage ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Jugendamt, installierten Hilfen und Elternhaus auch künftig nicht möglich.

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Die Mutter stellt daher ihre Befindlichkeiten über das Wohl der Kinder.

Die getroffenen Maßnahmen sind auch verhältnismäßig.

Eine Maßnahme, die mit einer Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, ist nach § 1666a BGB darüber hinaus nur zulässig, wenn der Gefahr für das Kindeswohl nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen begegnet werden kann. Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre. Die Annahme einer solchen Gefährdung setzt voraus, dass bereits ein Schaden eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit erheblicher Sicherheit voraussehen lässt10.

Der vorgenommene Sorgerechtsentzug mit dem Ziel der Fremdunterbringung der Kinder ist zur Abwendung der bestehenden Kindeswohlschädigungen geeignet. Die Entziehung und Übertragung des Sorgerechts ist zur Beseitigung einer Gefahr für ein Kind grundsätzlich nur dann geeignet, wenn der Ergänzungspfleger oder Vormund mithilfe der übertragenen Teilbereiche des Sorgerechts konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation des Kindes einleiten, das heißt den als gefährlich definierten Zustand beenden oder wenigstens zu dessen Beendigung beitragen kann11. Diese Voraussetzung ist erfüllt: mit Hilfe der entzogenen Teilbereiche der elterlichen Sorge konnten die bereits eingetretenen Schädigungen des Kindeswohls seit der Fremdunterbringung der Kinder durch gezielte Fördermaßnahmen jedenfalls teilweise kompensiert werden, alle Kinder haben seit ihrer Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt erhebliche Entwicklungsfortschritte erzielt.

Dabei dürfen die Folgen der Fremdunterbringung für die Kinder nicht gravierender sein als ein Verbleib im elterlichen Haushalt12. Die negativen Folgen der Trennung des Kindes von seinen Eltern und der Fremdunterbringung müssen durch die Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessern würde13. Angenommen werden kann das, wenn sich der Zustand des Kindes während der Fremdunterbringung im Vergleich zum Aufenthalt im Haushalt der Eltern verbessert14.

Dies ist der Fall. Bemerkenswert ist insoweit, dass zu Beginn der Fremdunterbringung keines der Kinder Anzeichen von Trennungsschmerz zeigte. Auch anlässlich der Umgangskontakte waren sowohl auf Seiten der Eltern als auch der Kinder auffallend wenig Emotionen erkennbar, weder Freude zu Beginn, noch Trennungsschmerz zum Ende der Umgänge. In den Kindesanhörungen durch das Oberlandesgericht wurde deutlich, dass alle fünf Kinder sich in der jeweiligen Wohngruppe beziehungsweise Erziehungsstelle, in der sie gerade leben, gut eingelebt haben und wohlfühlen. K1 hat als einziges Kind den Wunsch geäußert, in den mütterlichen Haushalt zurückzukehren. Diesen Wunsch äußerte sie allerdings auch erst auf gezielte Nachfrage. Zunächst hatte sie auf Vorhalt der Trennung ihrer Eltern lediglich ihre Vorstellung zum Ausdruck gebracht, die Eltern dann an den Wochenenden abwechselnd aus der Einrichtung heraus besuchen zu wollen. Insgesamt gewann das Oberlandesgericht in der Anhörung den Eindruck, dass K1 sich in der Wohngruppe gut eingelebt hat und wohlfühlt. Darüber hinaus wurde deutlich, dass K1 als ältestes Kind die familiäre Situation vor ihrer Inobhutnahme bewusst positiv darzustellen versuchte und angab, sich an früher von ihr gemachte Angaben, wonach sie erheblich in die Versorgung der kleinen Geschwister einbezogen war, nicht mehr erinnern zu können. Alle anderen Kinder haben keinen Rückkehrwunsch zu den Eltern formuliert, K3 hat sich sogar ausdrücklich gewünscht, dass alles so bleibe, wie es ist. Aus der Anhörung aller fünf Kinder hat das Oberlandesgericht jeweils den Eindruck gewonnen, dass sie sich jeweils sehr wohl fühlen, wo sie inzwischen leben, und dass sie die Rahmenbedingungen der Fremdunterbringungen mit den festen Tagesstrukturen, Mahlzeiten und dem gebotenen Freizeitangebot sehr zu schätzen wissen.

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Der vorgenommene Sorgerechtsentzug mit dem Ziel der Fortführung der Fremdunterbringung der Kinder ist zur Abwendung der bestehenden Kindeswohlschädigungen auch erforderlich, denn mildere, gleich geeignete Mittel stehen nicht zur Verfügung.

Als milderes, gleich geeignetes Mittel kommt grundsätzlich die Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern zur Fortdauer der Fremdunterbringung der Kinder in Betracht, eine solche verweigerte die Mutter jedoch mehrfach und nachdrücklich.

Ein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung ist insbesondere nicht die Installation ambulanter Hilfen. Die bloße verbale Bereitschaft der Mutter unter dem Druck des laufenden Verfahrens, öffentliche Hilfen anzunehmen, ist nicht ausreichend. Wenn von Seiten der Eltern keine Bereitschaft oder auch keine Fähigkeit zur aktiven Mitarbeit beim Hilfeprozess besteht, um ihre Erziehungskompetenz zu verbessern, sind entsprechende Jugendhilfemaßnahmen zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung nicht mehr geeignet15. So liegt der Fall hier, denn die Mutter hat noch im Erörterungstermin vor dem Oberlandesgericht mehrfach ihr Misstrauen gegenüber dem Jugendamt und einer sozialpädagogischen Familienhilfe deutlich zum Ausdruck gebracht.

Die erneute Gefährdung des körperlichen und seelischen Kindeswohls durch weitere Vorfälle häuslicher Gewalt kann im Fall einer Rückführung der Kinder in den mütterlichen Haushalt auch nicht durch ambulante Hilfen allein abgewendet werden, da jede ambulante Hilfe, selbst wenn sie engmaschig installiert wird, lediglich einen Zeitraum von wenigen Stunden pro Woche abdeckt und Eskalationen von Konflikten außerhalb dieser Zeitfenster hierdurch nicht verhindert werden können.

Der Sachverständige hat darüber hinaus nachvollziehbar ausgeführt, dass wegen der Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit bei beiden Elternteilen und deutlich erhöhten Erziehungsanforderungen durch ihre fünf Kinder, die jeweils einen erhöhten Förderbedarf aufweisen, ambulante Unterstützungs- und Kontrollmaßnahmen nicht ausreichend seien, um die elterlichen Defizite zu kompensieren und eine chronische Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Weder Vater noch Mutter seien derzeit für sich allein geeignet, wesentliche Prinzipien der Erziehungsfähigkeit (Förderprinzip und Kontinuitätsprinzip) zu gewährleisten. Das Gericht schließt sich insoweit den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen nach eigener kritischer Prüfung an. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass die Mutter in ihrem Alltag durch ihre nicht fachärztlich behandelte psychische Erkrankung nach wie vor erheblich eingeschränkt ist.

Der Sorgerechtsentzug ist schließlich auch angemessen, die Schwere des Eingriffs steht dabei in einem ausgewogenen Verhältnis zu dem erstrebten Schutz der Rechtsgüter auf Seiten der Kinder, nämlich deren körperlicher, geistiger und seelischer Unversehrtheit. Die Angemessenheit des Eingriffs in das Erziehungsrecht der Eltern ergibt sich aus der Intensität der Kindeswohlgefährdung, denn es sind – wie bereits ausgeführt – schon Schädigungen des Kindeswohls bei allen fünf Kindern eingetreten, und zwar in körperlicher, seelischer und geistiger Hinsicht, die durch die getroffenen sorgerechtlichen Maßnahmen teilweise beseitigt, jedenfalls aber deren Vertiefung abgewendet werden konnten.

Über die bereits durch das Amtsgericht entzogenen Sorgerechtsteile Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitssorge und Antragsrecht nach SGB VIII hinaus war der Mutter für K1, K2, K3, K4 und K5 jeweils auch der Sorgerechtsteil der schulischen Angelegenheiten gemäß §§ 1666, 1666a BGB zu entziehen.

Auch im Bereich der schulischen Angelegenheiten liegt eine Kindeswohlgefährdung vor, die den Entzug des Sorgerechtsteils der Mutter erfordert. K1, K2 und K3 wiesen im Haushalt der Eltern massive Fehlzeiten in der Schule auf, die ganz überwiegend jeweils durch nachträglich ausgestellte ärztliche Atteste des Hausarztes der Familie entschuldigt wurden. Der Hausarzt meldete dem Jugendamt anschließend telefonisch, besorgt zu sein. Seit der Herausnahme der Kinder aus dem elterlichen Haushalt am 19.02.2019 versäumten sie nur noch an wenigen Tagen krankheitsbedingt den Unterricht und konnten ihre Lernrückstände inzwischen weitestgehend aufholen. Auch die für die Ermittlung des Förderbedarfs von K4 erforderlichen Anträge stellten die Eltern erst nach erneuter Anrufung des Familiengerichts durch das Jugendamt.

Auch insoweit besteht die unzureichende Erziehungsfähigkeit der Mutter fort und es ist mit einer weiteren Vertiefung der bereits entstandenen Schäden zu rechnen, sofern sie den Sorgerechtsteil der schulischen Angelegenheiten für ihre Kinder weiterhin ausübt. Die schulische Fürsorge für den einzelnen Schüler erstreckt sich gemäß § 55 NSchG unter anderem darauf, entwicklungsspezifische Problemstellungen frühzeitig zu erkennen, um diese gemeinsam mit den Erziehungsberechtigten zu bewältigen. Dafür ist neben den aus der unmittelbaren Wahrnehmung des Kindes gewonnenen Erkenntnissen gemäß § 55 Abs. 2 NSchG der schulische Dialog mit den Erziehungsberechtigten zentrale Grundlage. Ob im Bedarfsfall eine rechtzeitige, angemessene und wirksame Intervention gelingt, ist dabei nicht nur von schulischen Aktivitäten, sondern zugleich stets und wesentlich von der Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit sowie von der Erziehungsfähigkeit der Erziehungsberechtigten abhängig. Nehmen die Erziehungsberechtigten ihre Pflichten im Zusammenhang mit dem Schulbesuch ihres Kindes nicht oder nur unzureichend wahr, kann dies bereits in der Primarstufe zu erheblichen Beeinträchtigungen der weiteren kindlichen Entwicklung führen, insbesondere dann, wenn bereits Entwicklungsverzögerungen oder -störungen mit nur bedingt reversiblen Manifestationen vorliegen, deren Behebung nur in intensiver Kooperation mit den Erziehungsberechtigten und unter Hinzuziehung professioneller Hilfen möglich ist.

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Die Mutter verneinte die Frage des Oberlandesgerichts nach einem Kontakt ihrerseits mit den Schulen ihrer Kinder und führte zur Begründung aus, dass sie die Weiterleitung von Informationen an sich über die Einrichtungen erwarte. Daraus ergibt sich, dass die Mutter bislang keinerlei Kontakt zu den Schulen ihrer Kinder unterhielt, was den von § 55 Abs. 2 NSchG vorausgesetzten Austausch zwischen Schule und Erziehungsberechtigtem als Grundlage für eine konstruktive Zusammenarbeit und damit die Ausübung des Sorgerechtsteils der schulischen Angelegenheiten dem Kindeswohl entsprechend durch die Mutter ausschließt.

Der Vater ist nach dem erfolgten Sorgerechtsentzug der Mutter für den Sorgerechtsteil schulische Angelegenheiten gemäß § 1680 Abs. 3, Abs. 1 BGB nunmehr alleiniger Sorgerechtsinhaber. Das Oberlandesgericht geht dabei davon aus, dass dieser sich auch weiterhin gegenüber dem Jugendamt und den Erziehungsstellen von K5 und K4 sowie der Einrichtung von K1, K2 und K3 mitwirkungsbereit zeigen und insbesondere gegebenenfalls benötigte Vollmachten zeitnah erteilen wird.

Angesichts der oppositionellen Haltung der Mutter der Fremdunterbringung ihrer Kinder gegenüber und der fehlenden Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt sowie den Erziehungsstellen, in denen K5 und K4 untergebracht sind, sowie der Einrichtung, in der K1, K2 und K3 untergebracht sind, bestehen erhebliche Bedenken, inwieweit eine am Kindeswohl orientierte Zusammenarbeit der Mutter mit der Einrichtung, den Erziehungsstellen und dem Jugendamt in den ihr nicht entzogenen Sorgerechtsbereichen möglich sein soll. Allerdings darf das Sorgerecht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur so weit entzogen werden, wie es zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung erforderlich ist. Über die der Mutter entzogenen Sorgerechtsbereiche hinaus ist bei keinem der Kinder ein sorgerechtlicher Handlungsbedarf konkret abzusehen, weshalb ein weitergehender Entzug der elterlichen Sorge zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung zum jetzigen Zeitpunkt nicht angezeigt ist. Dass der Mutter für ihre Kinder ihre sorgerechtliche Verantwortung nicht vollständig entzogen wird, ist für die Kinder zudem ein wichtiges Signal, dass ihre Mutter auch weiterhin Verantwortung für sie trägt.

Schließlich sind nach der erneuten persönlichen Anhörung aller Beteiligten durch das Oberlandesgericht auch keine weiteren Aufklärungsmaßnahmen nach § 26 FamFG veranlasst. Insbesondere ist die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht erforderlich. Es kann dabei dahinstehen, ob die vom Sachverständigen bei der Mutter festgestellte Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und abhängigen Anteilen die zutreffende psychiatrische Diagnose ist. Der Teilsorgerechtsentzug stützt sich nicht auf eine konkrete psychiatrische Diagnose, sondern auf die konkret festgestellten und fortbestehenden Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit der Mutter, die sie überwiegend auch selbst beschreibt.

Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – 2 UF 74/21

  1. BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014, 1 BvR 1178/14, FamRZ 2015, 112 Rn. 23; Beschluss vom 28.02.2012, 1 BvR 3116/11, FamRZ 2012, 1127, Rn.15; BGH, Beschluss vom 06.07.2016, XII ZB 47/15, FamRZ 2016, 1752, Rn. 28[]
  2. BVerfG Beschluss vom 19.11.2014, 1 BvR 1178/14, FamRZ 2015, 112 Rn. 29[]
  3. Kindler, NZFam 2020, 376; Splitt, FF 2021, 92, 93[]
  4. BVerfG, Beschluss vom 28.02.2012, 1 BvR 3116/11, FamRZ 2012, 1127 Rn. 15[]
  5. BVerfG, Beschluss vom 31.03.2010, 1 BvR 2910/09, FamRZ 2010, S. 865; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.03.2017, 18 UF 159/16, []
  6. BVerfG, Beschluss vom 27.08.2014, 1 BvR 1822/14, FamRZ 2014, 1772 ff.[]
  7. BGH, Beschluss vom 07.02.2019, XII ZB 408/18, []
  8. BGH a.a.O.[]
  9. AG Northeim, Beschluss vom 04.03.2021 – 2 F 61/20[]
  10. BGH, Beschluss vom 06.07.2016, XII ZB 47/15, FamRZ 2016, 1752 Rn.28[]
  11. BVerfG, Beschluss vom 17.03.2014, 1 BvR 2695/13, FamRZ 2014, 1177 Rn. 33[]
  12. BVerfG, Beschluss vom 24.03.2014, 1 BvR 160/14, Rn. 38, []
  13. BVerfG, Beschluss vom 22.09.2014, 1 BvR 2108/14, FamRZ 2015, 208[]
  14. BVerfG, Beschluss vom 23.04.2018, 1 BvR 383/18, FamRZ 2018, 1084, Rn. 25[]
  15. BVerfG, Beschluss vom 27.04.2017, 1 BvR 563/17, FamRZ 2017, 1055, Rn. 27[]

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