Unterliegt die Ehescheidung türkischem Recht, ist derjenige Ehegatte, den das alleinige oder überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trägt, nicht berechtigt, einen Scheidungsantrag zu stellen.

Ist die Ehescheidung nach türkischem Recht zu beurteilen (Art. 17 Abs. 1 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB), wobei nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch dessen internationales Privatrecht anzuwenden ist (vgl. Palandt-Thorn, EGBGB, 71. Aufl., Art. 4 Rn. 1), so findet damit auch das türkische Gesetz Nr. 5718 vom 27.11.2007 über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht Anwendung. Nach Art. 14 Ziffer 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten anzuwenden. Das türkische Recht nimmt somit die Verweisung an. Eine Rückverweisung erfolgt nur bei verschiedener Staatsangehörigkeit und einem gemeinsamen Aufenthalt.
Nach Art. 166 Abs. 1 des türkischen Zivilgesetzbuches (tZGB) in der Fassung vom 22.11.2001 (Gesetz Nr. 40721) ist jeder der Ehegatten berechtigt, den Scheidungsantrag zu erheben, sofern die eheliche Gemeinschaft so grundlegend zerrüttet ist, dass dem Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden kann.
Allerdings ist nach der Rechtsprechung des türkischen Kassationshofs [1] der Scheidungsgrund der Zerrüttung nur gegeben, wenn neben der objektiven Zerrüttung der Ehe festgestellt werden kann, dass dem anderen nicht scheidungswilligen Ehegatten wenigstens in geringfügigem Umfang ein Verschulden hieran trifft; dabei obliegen dem scheidungswilligen Ehegatten nicht nur Darlegung und Beweis der Zerrüttung, sondern auch eines mindestens geringfügigen Mitverschuldens des anderen Ehegatten. Denn der Ehegatte, der das alleinige oder überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trägt, ist nicht berechtigt, einen Scheidungsantrag nach Art. 166 Abs. 1 tZGB zu stellen [2]. Somit ist die Ehe auch dann nicht zu scheiden, wenn aus (objektiver) Sicht des Gerichts eine grundlegende Zerrüttung eingetreten ist. Nachdem im hier vom Oberlandesgericht Stuttgart entschiedenen Fall die Ehefrau ausdrücklich den Widerspruch erklärt hat, kommt es nicht auf die Streitfrage an, ob die Ehe auch dann nicht geschieden werden kann, wenn sich die Ehefrau der Scheidung nicht widersetzt [3].
Im entschiedenen Fall hat der Ehemann ein wenigstens geringfügiges Verschulden der Ehefrau an der Zerrüttung allerdings nicht nachgewiesen:
Der Ehemann ist 2005 aus der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen, ohne dass hierfür beachtliche Gründe ersichtlich sind. Eine Mitschuld seiner Ehefrau an dem unberechtigten Auszug konnte der Antragsgegner jedoch nicht nachweisen. Seinen bestrittenen Vortrag, seine Ehefrau sei ihm gegenüber gewalttätig geworden sei, vermochte der antragstellende Ehemann nicht zu beweisen. Demgegenüber hat er sich einer neuen Partnerin zugewandt. Dass die Ehefrau damals selbst einen – inzwischen zurückgenommenen – Scheidungsantrag gestellt hat, kann ihr nicht als Verschulden angelastet werden. Für ihre damalige Vorgehensweise hat sie im Interesse der beiden Kinder vernünftige Gründe angeführt. Hinzu kommt, dass sich die Ehefrau nie zur Stellung eines Scheidungsantrags vor Gericht durchringen konnte. Das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe ist deshalb alleine dem Ehemann anzulasten, weshalb er nicht berechtigt ist, einen Scheidungsantrag nach Maßgabe des Art. 166 Abs. 1 tZGB zu stellen.
Unabhängig von dem Vorliegen einer Zerrüttung würde das Scheidungsbegehren darüber hinaus – ohne dass es bei der gegebenen Sachlage noch darauf ankäme – auch am Widerspruch der Ehefrau nach Art. 166 Abs. 2 Satz 1 tZGB scheitern.
Nach dieser Vorschrift kann der Ehegatte, den an dem Scheitern der Ehe weniger Schuld trifft, dem Scheidungsantrag widersprechen, und zwar auch dann wenn die eheliche Gemeinschaft voraussichtlich nicht wieder hergestellt werden kann [4]. Ein überwiegendes Verschulden des Ehemanns ergibt sich bereits aus dem Auszug aus der Ehewohnung, ohne dass er substantiiert vorgetragen hätte, wonach ihm die Ehefrau für ein derartiges Verhalten hinreichend Veranlassung gegeben hat [5], zumal ihn die Ehefrau zur Rückkehr aufgefordert hat. Überdies hat der Antragsgegner trotz bestehender Ehe seit längerem eine neue Partnerin und keine hinreichende Gründe seinerseits vorgetragen, wonach er sich um eine Wiederherstellung der Ehe bemüht.
Die Erhebung des Widerspruchs ist auch nicht rechtsmissbräuchlich.
Dem widersprechenden Ehegatten steht ein Widerspruchsrecht gem. Art. 166 Abs. 2 Satz 2 tZGB nicht zu, wenn sein Widerspruch ohne ersichtlichen Grund eingelegt wurde, obwohl dem Widersprechenden in Wahrheit nichts am Fortbestand der Ehe liegt [6]. Will der Widersprechende den anderen Ehegatten nur bestrafen oder quälen, liegt ein Rechtsmissbrauch nahe [7].
Die Antragsgegnerin, die immer wieder betont hat, sie wolle an der Ehe trotz der ihr zugefügten Tätlichkeiten weiter festhalten, weil sie ihren Mann noch liebe, hat ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Ehe – jedenfalls gegenwärtig – noch nicht geschieden wird. Nach der türkischen Rechtswirklichkeit genießt eine noch verheiratete Frau gegenüber einer geschiedenen Ehefrau ein wesentlich höheres Ansehen [8]. Es ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn die Ehefrau nicht das „Stigma“ der geschiedenen Ehefrau auf sich nehmen will. Ihre soziale Stellung ist damit weitaus gefestigter [9].
Ein Verstoß gegen den deutschen „ordre public“ liegt nicht vor. Mit der Abweisung des Scheidungsantrages aufgrund des türkischen Rechtes dem Ehemann das Recht, sich zukünftig scheiden zu lassen, nicht genommen. Nach Art. 166 Abs. 4 des türkischen Zivilgesetzbuches kann der Ehemann nach Abweisung des Antrages drei Jahre nach Rechtskraft erneut einen Scheidungsantrag stellen, sofern die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder hergestellt worden ist.
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 3. April 2012 – 17 UF 352/11
- FamRZ 1993, 1208, 1209[↩]
- vgl. u.a. OLG Hamm, FamRZ 2011, 220; OLG Stuttgart, Urteil vom 19.06.2007 – 17 UF 150/07, n.v.; OLG München FamRZ 1995, 935, OLG Oldenburg FamRZ 1994, 1113[↩]
- vgl. einerseits Öztan, FamRZ 2007, 1517, 1518, andererseits Rumpf FamRZ 1993, 1208, 1210[↩]
- vgl. insoweit auch OLG Köln, Beschluss vom 02.08.2011 – 4 UF 110/11[↩]
- vgl. u.a. OLG Frankfurt, FamRZ 2005, 1681[↩]
- OLG Hamm, FamRZ 1996, 1148; KG, FamRZ 2006, 1386[↩]
- Türkischer Kassationshof, FamRZ 2001, 99[↩]
- vgl. u.a. OLG Hamm, FamRZ 2011, 220; OLG Hamm, NJWE-FER 2000, 49, 50 sowie OLG Stuttgart, Urteil vom 19.06.2007 – 17 UF 45/07[↩]
- vgl. OLG Köln, Beschluss vom 2.8.2011 – 4 UF 110/11[↩]