Das Arbeitslosengeld und die Tätigkeit beim ausländischen Tochterunternehmen

Wenn das Beschäftigungsverhältnis ruht und der Arbeitnehmer in den Betrieb eines ausländischen Unternehmens eingegliedert wird, gegen das sich die Entgeltansprüche richten, liegt auch bei Entsendung in ein hundertprozentiges Tochterunternehmen eine Ausstrahlung des inländischen Beschäftigungsverhältnisses nicht vor. Insoweit kommt es nicht auf die gesellschaftsrechtlichen Beteiligungsverhältnisse an.

Das Arbeitslosengeld und die Tätigkeit beim ausländischen Tochterunternehmen

Mit dieser Begründung hat das Sozialgericht Karlsruhe in dem hier vorliegenden Fall die Klage auf ein höheres Arbeitslosengeld auf Grundlage des in den Vereinigten Staaten von Amerika erzielten Entgelts abgewiesen. Der 1957 geborene Kläger war seit dem 1. August 2000 als Direktor PC Services versicherungspflichtig beschäftigt. In einem „Foreign Assignment Agreement“ vom 23. August 2009 mit Änderungsvertrag vom 18. November 2009 und „Side Letters“ vom 21. August 2009 und vom 3. September 2009 vereinbarte der Kläger mit seinem damaligen Arbeitgeber und dessen hundertprozentige Tochtergesellschaft, dass er ab dem 1. März 2010 für einen Zeitraum von drei Jahren die Position als „General Manager“ und „Vice President“ derselben in den Vereinigten Staaten von Amerika übernimmt. Im „Foreign Assignment Agreement“ wird die Tochtergesellschaft America als „Employer“ bezeichnet. Es wurde vereinbart, dass das „Foreign Assignment Agreement“ den Arbeitsvertrag mit der AG in Deutschland für die Dauer des Auslandsaufenthaltes verdrängt (§ 3). Der Kläger verpflichtete sich, sich in die örtliche Organisationen und Berichtsstruktur von America einzugliedern (§ 11). Alle Kosten der … im Zusammenhang mit dem Auslandsaufenthalt des Klägers waren von in … Amerika zu tragen (§ 12). Das Arbeitsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag vom 7. April 2011 zum 31. Dezember 2011 beendet. Darin wird das Arbeitsverhältnis zur … als „abgetreten“ bezeichnet.

Für die Dauer seines Auslandsaufenthalts in den Vereinigten Staaten von Amerika war der Kläger auf Antrag gemäß § 28a SGB III nach dem Recht der Arbeitsförderung und freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert. Für das Jahr 2011 wurden insoweit Beiträge in Höhe von 459,96 Euro entrichtet. Am 2. Januar 2012 meldete sich der Kläger bei der Beklagten mit Wirkung zum 1. Januar 2012 arbeitslos. Hierzu legte er eine Arbeitsbescheinigung vor, in der durchgängig bis zum 31.12.2011 gezahltes beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 5.500,00 Euro monatlich (= Beitragsbemessungsgrenze) ausgewiesen wird. Mit Bescheid vom 19.01.2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 1. Januar 2012 Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit für die Dauer von 450 Tagen mit einem täglichen Leistungsbetrag von 38,95 Euro (= 1.168,50 Euro monatlich). Hiergegen wandte sich der Kläger mit Widerspruch vom 22. Februar 2012 und trug vor, er habe immer die Höchstsätze zur Arbeitslosenversicherung eingezahlt und während der Zeit seiner Entsendung ins Ausland durch den deutschen Arbeitgeber freiwillig weiter Beitragszahlungen geleistet. Er begehre daher ein höheres Arbeitslosengeld auf Grundlage des tatsächlich in den Vereinigten Staaten von Amerika erzielten Entgelts. Von der Leistungsabteilung der Beklagten sei ihm mündlich mitgeteilt worden, er werde ein Arbeitslosengeld in Höhe von ca. 1.740,00 Euro im Monat bekommen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2012 zurück. Darin wird ausgeführt, auch in dem auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2011 seien keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festzustellen. Deshalb sei der Bemessung des Arbeitslosengeldes ein fiktives Arbeitsentgelt nach Qualifikationsgruppe 1 zu Grunde zu legen. Mit Änderungsbescheid vom 26. März 2012 gewährte die Beklagte dem Kläger zusätzlich Zuschüsse zu den Beiträgen für die private Kranken- und Pflegeversicherung. Am 27. März 2012 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Er trägt vor, die Höhe des im Ausland erzielten Arbeitsentgelts sei ohne Weiteres feststellbar und bezifferbar, so dass sich die Bemessung des Arbeitslosengelds hieran zu orientieren habe.

In seiner Urteilsbegründung verweist das Sozialgericht Karlsruhe darauf, dass das Arbeitslosengeld gemäß § 129 SGB III in der hier anwendbaren, bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, sowie für Arbeitslose, deren Ehegatte oder Lebenspartner mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes hat, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz) beträgt, für die übrigen Arbeitslosen 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F.). Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr und endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F.). Er verlängert sich unter anderem dann auf zwei Jahre, wenn der einjährige Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F.). Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (§ 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F.). Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III).

Nach diesen Grundsätzen ist die von der Beklagten vorgenommene Bemessung des Arbeitslosengeldes mit dem allgemeinen Leistungssatz und einer fiktiven Bemessung nach Maßgabe der (höchsten) Qualifikationsgruppe 1 (§ 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB III a.F.) mit einem Bemessungsentgelt von 105,00 Euro (ein Dreihundertstel der maßgeblichen Bezugsgröße von 31.500,00 Euro, vgl. § 18 Abs. 1 SGB IV i.V.m. § 2 Abs. 1 Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2012). Denn der Kläger hatte auch in dem auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen (§ 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F.) vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2011 keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt. Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (§ 14 SGB VI). Hierunter sind allerdings nur Einnahmen aus einer im Inland versicherungspflichtigen Beschäftigung zu verstehen (§ 3 Nr. 1 SGB IV1). Eine Bemessung nach dem in den Vereinigten Staaten von Amerika gezahlten Gehalt hat die Beklagten dem Kläger nach dessen Angaben im Vorverfahren demgegenüber auch nicht schriftlich und damit gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X bindend zugesagt.

Die Beitragspflichtigkeit des in den Vereinigten Staaten von Amerika erzielten Einkommens kann der Kläger nicht daraus ableiten, dass während der Zeit seines Auslandsaufenthalts eine Versicherungspflicht auf Antrag gemäß § 28a SGB III bestand. Denn diese setzt gerade voraus, dass die antragstellende Person nicht als Beschäftigter (§ 25 SGB III) oder als sonstiger Versicherungspflichtiger (§ 26 SGB III) der Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt (§ 28a Abs. 2 Satz 1 SGB III). Dementsprechend ist eine fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes nach Versicherungszeiten im Sinne von § 28a SGB III nachgerade typisch, wenn eben keine 150 Tage einer im Inland (nach § 25 SGB III) versicherungspflichtigen Beschäftigung im auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen vorhanden sind. Denn das Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag wirkt ausschließlich anwartschaftserhaltend, was unter anderem auch in dem vom tatsächlichen Verdienst unabhängigen Beitragsbemessung nach Maßgabe der monatlichen Bezugsgröße (§ 345b SGB III) zum Ausdruck kommt.

Der Kläger stand in den Vereinigten Staaten von Amerika auch nicht nach den Grundsätzen der Ausstrahlung in einem im Inland versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis (§ 25 SGB III) und hat somit damit dort nicht als „Entsandter“ beitragspflichtiges Arbeitsentgelt erzielt.

Der Begriff des „unechten Grenzgängers“, auf den sich der Kläger insoweit bezieht, entstammt dem europäischen Gemeinschaftsrecht und ist daher im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika ohne Belang. Ohnedies definiert das Europarecht als Grenzgänger nur Personen, die – außer dass sie in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausüben und in einem anderen Mitgliedstaat wohnen – in der Regel täglich, mindestens jedoch einmal wöchentlich zurückkehren (Art. 1 f Verordnung (EG) Nr. 883/2004). Das im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika geltende Abkommen über Soziale Sicherheit enthält keine Regeln über die Arbeitslosenversicherung.

Der Kläger kann höheres Arbeitslosengeld daher allenfalls bei Vorliegen einer Ausstrahlung seines Beschäftigungsverhältnisses verlangen. Eine Ausstrahlung mit der Folge einer fortbestehenden Versicherungspflicht im Inland gilt nur für Personen, die im Rahmen eines im Inland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses ins Ausland entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich beschränkt ist (§ 4 Abs. 1 SGB IV). Der Aufenthalt des Klägers in den Vereinigten Staaten von Amerika war vertraglich zwar auf die Dauer von drei Jahren beschränkt. Auch war er davor im Inland versicherungspflichtig beschäftigt, aus dem heraus er für die Tätigkeit bei der amerikanischen Tochtergesellschaft abgestellt wurde.

Darüber hinaus ist für eine Ausstrahlung aber Voraussetzung, dass die Entsendung ins Ausland „im Rahmen“ eines inländischen Beschäftigungsverhältnisses erfolgt und damit der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Merkmale des Beschäftigungsverhältnisses für die Dauer des Auslandsaufenthalts weiter im Inland liegt2. Das setzt regelmäßig voraus, dass der im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer organisatorisch in den Betrieb des inländischen Arbeitgebers eingegliedert bleibt und wesentliche Elemente eines Beschäftigungsverhältnisses (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV) erfüllt werden sowie der Anspruch auf Arbeitsentgelt gegen den inländischen Arbeitgeber gerichtet ist3. Dies war beim Kläger nicht der Fall.

Für die Dauer des Aufenthalts in den Vereinigten Staaten wurde der inländische Arbeitsvertrag durch die Regeln des „Foreign Assignment Agreement“ verdrängt (§ 3). Der Kläger verpflichtete sich, sich in die örtliche Organisation und Berichtsstruktur von … America, die auch als „Employer“, d.h. Arbeitgeber, bezeichnet wurde, zu integrieren (§ 11). Dementsprechend ist im Aufhebungsvertrag von einem „abgetretenen“ Arbeitsverhältnis die Rede. Unter diesen Umständen kann von einer fortbestehenden Inlandsintegration mit entsprechenden – arbeitsvertraglich vermittelten – Weisungsrechten der … (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV) nicht ausgegangen werden. Der Kläger war vielmehr als Angestellter der … America in deren Betrieb eingegliedert und auch nur insoweit weisungsgebunden. Irrelevant ist insoweit, ob die … kraft gesellschaftsrechtlicher Beherrschung maßgebenden Einfluss auf die Entscheidungen ihres US-amerikanischen Tochterunternehmens nehmen konnte und dies wie vorgetragen auch getan hat. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Kläger als „General Manager“ und „Vice President“ Adressat entsprechender Weisungen war. Denn die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse besagen nichts über die sozialversicherungsrechtliche Einordnung der jeweils handelnden Personen aus. Das Auftreten des Klägers für … America in Gesprächen mit dem Mutterunternehmen … indiziert allenfalls sogar dessen arbeitsvertragliche Zuordnung zum Tochterunternehmen. So haben es alle Beteiligten im Übrigen offensichtlich auch im Vorfeld des Auslandsaufenthalts gesehen und freiwillige Weiterversicherungen nach dem Recht der Arbeitsförderung und in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet. Schließlich besagt auch die Anzahl der Heimflüge des Klägers nach Deutschland nichts über die fortbestehende Integration in ein inländisches Arbeitsverhältnis, zumal auch unter deren Berücksichtigung der Lebensmittelpunkt des Klägers ganz offensichtlich ohnehin in den Vereinigten Staaten von Amerika lag.

Ferner richtete sich der Entgeltanspruch des Klägers während seines USA-Aufenthalts nach dem „Foreign Assignment Agreement“ ausschließlich gegen die … America (§ 5), die intern im Verhältnis zur … sogar verpflichtet war, dem Mutterunternehmen alle Kosten im Zusammenhang mit der Durchführung desselben zu erstatten (§ 12). Daher ist das an den Kläger gezahlte Gehalt in der Lohnbuchhaltung auch nicht als inländisches Arbeitsentgelt behandelt worden und die … hat insoweit keine Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung abgeführt. Nichts anderes ergibt sich aus den besonderen Vereinbarungen, die der Kläger mit dem Vorstandsvorsitzenden der … hinsichtlich seiner Vergütung in den Vereinigten Staaten von Amerika (fester Wechselkurs) getroffen hat. Denn dieser konnte derartige Zusagen nur kraft seiner gleichzeitigen Stellung als „Chief Executive Officer“ der … America machen.

Da der Kläger in ein rechtlich verselbständigtes Tochterunternehmen seines bisherigen inländischen Arbeitgebers eingegliedert war und dieses auch sein Arbeitsentgelt zahlte, lag eine Ausstrahlung nach § 4 Abs. 1 SGB IV im Abstellungszeitraum nicht vor4. Dementsprechend stellt das in den Vereinigten Staaten von Amerika im Bemessungszeitraum erzielte Einkommen kein Arbeitsentgelt im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. dar und ist somit bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes nicht zu berücksichtigen.

Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 28. Januar 2013 – S 16 AL 1195/12

  1. vgl. hinsichtlich der Voraussetzung der Versicherungspflicht auch § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F.[]
  2. vgl. BSG, Urteil vom 05.12.2006 – B 11a AL 3/06 R, Rdnr. 18; Urteil vom 01.07.1999 – B 12 KR 2/99 R, Rdnr. 17; Urteil vom 07.11.1996 – 12 RK 79/94, Rdnr. 24; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.07.2012 – L 11 EG 2929/10, Rdnr. 21; Seewald, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 75. Ergl. 2012, § 4 SGB IV Rdnr. 9[]
  3. vgl. BSG, Urteil vom 05.12.2006 – B 11a AL 3/06 R[]
  4. vgl. hierzu weiter BSG, Urteil vom 05.12.2006 – B 11a AL 3/06 R[]