Als Einkommen im Sinne von § 21 Abs. 1 BAföG zählt auch das Taschengeld, das einem Freiwilligen nach dem „weltwärts“-Programm gewährt wird.

Mit dieser Begründung verneinte jetzt das Verwaltungsgericht Sigmaringen den Anspruch eines Klägers, der die Bewilligung von Ausbildungsförderung für den Monat September 2010 und den Zeitraum Oktober 2010 bis Juli 2011 ohne Anrechnung von Einkommen des Bruders bei der Ermittlung des Freibetrags nach § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG begehrt. Der Bruder absolviere vom 04.08.2010 bis 04.08.2011 einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst im Rahmen des weltwärts-Programms des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit. Die Teilnehmer an diesem entwicklungspolitischen Freiwilligendienst sind nach dem Jugendfreiwilligendienstgesetz kindergeldberechtigt. Sie erhielten ein monatliches Taschengeld von 100 Euro.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts hat der Kläger keinen Anspruch darauf, dass bei der Berechnung der Ausbildungsförderung Einkommen des Bruders völlig unberücksichtigt bleibt. Er kann jedoch Ausbildungsförderung unter Anrechnung von Einkommen des Bruders von nicht mehr als EUR 36,95 bei der Ermittlung des Freibetrags nach § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG beanspruchen. Soweit ein höheres Einkommen des Bruders berücksichtigt wurde, sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG erhöht sich der Freibetrag für Kinder des Einkommensbeziehers um je 470 Euro (bis September 2010) bzw. 485 Euro (ab Oktober 2010). Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 mindert sich dieser Freibetrag um das Einkommen des Kindes. Was Einkommen im Sinne dieser Vorschrift ist, richtet sich nach § 21 BAföG, in dem der Einkommensbegriff für das gesamte Gesetz definiert ist1. Maßgeblich sind die Einkommensverhältnisse im Bewilligungszeitraum (§ 22 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BAföG). Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 BAföG gilt als Einkommen – vorbehaltlich der Sätze 3 und 4, der Absätze 2a, 3 und 4 dieser Vorschrift – die Summe der positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 EStG. Da die Summe der positiven Einkünfte maßgeblich ist, kommt es nicht darauf an, ob auf das Einkommen tatsächlich Steuern zu entrichten sind oder ob dies, z.B. wegen Unterschreitens von Steuerfreibeträgen, nicht der Fall ist. Als Einkommen gelten gemäß § 21 Abs. 2a BAföG auch nur ausländischem Steuerrecht unterliegende Einkünfte eines Einkommensbeziehers, der seinen ständigen Wohnsitz im Ausland hat. Auf die Frage, ob … während seines Auslandsaufenthaltes weiterhin dem deutschen Steuerrecht unterliegt, kommt es daher ebenfalls nicht an.
Bei dem Taschengeld und den Sachbezügen (freie Unterkunft und Verpflegung), die der Bruder des Klägers während seiner Teilnahme am „weltwärts“-Programm erhalten hat, handelt es sich um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes2 gehören hierzu neben Gehältern und Löhnen auch andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Dabei ist gleichgültig, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie gewährt werden. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist zu bejahen, wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen, d.h. wenn sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist.
So liegt der Fall hier. Nach der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 01.08.2007 zur Umsetzung des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes „weltwärts“3 arbeiten die Freiwilligen in entwicklungswichtigen Projekten der einheimischen Partnerorganisationen in den Entwicklungsländern (Partnerprojekte) volldienstlich mit (in der Regel 40 Wochenstunden) und sind in diese einheimischen Trägerorganisationen voll integriert. Der Einsatz ist zugleich Bildungszeit und aktive Mitarbeit mit hoher Verbindlichkeit (Ziffer 4 der Richtlinie). Die Freiwilligen erhalten von den Entsendeorganisationen u.a. ein Taschengeld in Höhe von mindestens 100 Euro pro Monat sowie eine angemessene Unterkunft und Verpflegung (Ziffer 7 der Richtlinie). Dementsprechend hat sich in der vorgelegten Vereinbarung zwischen der Diözese, der örtlichen Partnerorganisation und dem Freiwilligen über den Freiwilligendienst weltwärts u.a. zur Mitarbeit beim örtlichen Projektträger nach Weisung des Mentors verpflichtet (Ziffer 1.3 der Vereinbarung). Die Diözese und die Partnerorganisation haben sich u.a. zur Zahlung eines Taschengeldes in Höhe von 100 Euro (Ziffer 3.4 der Vereinbarung) und zur Bereitstellung von Unterkunft und Verpflegung verpflichtet (Ziffer 2 der Vereinbarung).
Das Taschengeld und die freie Unterkunft und Verpflegung während des Auslandsaufenthalts wurden nicht von den Eltern finanziert und können daher nicht einer Unterhaltsleistung der Eltern gleichgestellt werden. In der mündlichen Verhandlung wurde geklärt, dass die von den Eltern des Klägers an den Träger des Projekts überwiesenen 150,00 Euro monatlich nicht der Finanzierung des Taschengeldes und der Unterkunft und Verpflegung dienten. Vielmehr wurde dieses Geld zusätzlich zur Verfügung gestellt.
Das Taschengeld und die Sachbezüge sind auch nicht schon deshalb keine Einkünfte im Sinne von § 2 Abs. 1 und 2 EStG, weil sie für eine ehrenamtliche Tätigkeit gewährt wurden. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes können auch Entschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG sein4. Die erforderliche Absicht der Überschusserzielung ist dann anzunehmen, wenn in der Regel Überschüsse aus der Beschäftigung tatsächlich erzielt werden. Umgekehrt ist von dem Fehlen einer Überschusserzielungsabsicht dann auszugehen, wenn die Einnahmen in Geld oder Geldeswert lediglich dazu dienen, in pauschalierender Weise die tatsächlichen Selbstkosten zu decken. Der Gesichtspunkt, dass die gezahlten Entschädigungen bei einer Umrechnung in einen Stundenlohn als gering zu bewerten sind, ist kein geeignetes Merkmal dafür, tatsächlich aus dieser Tätigkeit erzielte Überschüsse der steuerlich unerheblichen Sphäre zuzuordnen5.
Vorliegend konnte das Gericht nicht feststellen, dass den Sachbezügen und dem Taschengeld Aufwendungen in entsprechender Höhe gegenüber standen, welche durch den Freiwilligendienst veranlasst waren. Wie in der mündlichen Verhandlung auch von Klägerseite eingeräumt wurde, sind die Kosten für die Hin- und Rückreise nach Brasilien und Fahrtkosten zu den Seminaren von der Entsendeorganisation erstattet worden. Nicht erstattete, durch den Freiwilligendienst veranlasste Reisekosten oder sonstige Aufwendungen sind nicht belegt. Privat getätigte Aufwendungen, etwa für Besuche bei Freunden oder die Freizeitgestaltung während seines Auslandsaufenthalts, sowie Kosten für Besuchsreisen seiner Angehörigen können nicht berücksichtigt werden. Dass das Taschengeld nicht ausreichte, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, steht der Überschusserzielungsabsicht und damit der Zuordnung zu den Einkünften nicht entgegen. Denn der allgemeine Lebensunterhalt ist nicht durch den Freiwilligendienst veranlasst und wäre auch sonst entstanden.
Die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 9. Dezember 2010 führt nicht zu einer anderen Einschätzung. Die Bescheinigung befasst sich nur mit der Einordnung im Sozialversicherungsrecht und beim Kindergeld, nicht aber mit der Frage, ob es sich bei den im Rahmen des „weltwärts“-Programms gewährten Leistungen um positive Einkünfte im Sinne von § 2 Abs. 1 und 2 EStG und damit um ausbildungsförderungsrechtlich berücksichtigungsfähiges Einkommen handelt.
Auch die Einbeziehung des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes „weltwärts“ in § 2 Abs. 2 Nr. 2 d) Bundeskindergeldgesetz und § 32 Abs. 4 Nr. 2 d) EStG lässt nicht den Schluss zu, dass das Taschengeld und die Sachbezüge im Rahmen eines solchen Dienstes keine Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG sind. Vielmehr regeln diese Vorschriften lediglich die grundsätzliche Gewährung von Kindergeld bzw. des steuerlichen Freibetrags für ein Kind, das einen solchen Dienst leistet. Im Übrigen geht auch das Bundeszentralamt für Steuern in der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienlastenausgleichs nach dem … Abschnitt des Einkommensteuergesetzes6 davon aus, dass Sachbezüge und Taschengeld, die ein Kind im Zusammenhang mit der Leistung eines in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG genannten Freiwilligendienstes erzielt, Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG sind.
Die Sachbezüge (Unterkunft und Verpflegung) können jedoch nur in Höhe von 75,00 Euro monatlich als Einkommen berücksichtigt werden. In dieser Höhe entstehen nach der vorgelegten Bestätigung der Projektleiterin vom 14.02.2011 in Brasilien Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung. Die Heranziehung der höheren Beträge nach § 2 der Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (SvEV), erscheint im vorliegenden Fall, in dem die Sachbezüge im Ausland gewährt und die tatsächlichen Aufwendungen nachweislich erheblich niedriger sind, nicht angemessen. Auch nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG sind für die Bewertung von Einnahmen, die nicht in Geld bestehen, die Preise am Abgabeort – hier also Brasilien – maßgebend.
Das monatlich anrechenbare Einkommen des Bruders beträgt 36,95 Euro. Der Freibetrag nach § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG für … ist daher gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 BAföG nur um Einkommen in Höhe 36,95 Euro monatlich zu mindern.
Auch für den Monat September 2010 ergibt sich kein höheres anrechenbares Einkommen. Der Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht das Einkommen des … aus dem Monat August 2010 dem Einkommen im Monat September 2010 hinzugerechnet. Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass die Änderung durch den am 04. August 2010 begonnenen Freiwilligendienst des … zuungunsten des Klägers erst ab September 2010 zu berücksichtigten ist (vgl. § 53 Satz 1 Nr. 1 und Satz 5 BAföG). Es kann dann aber auch erst das ab September 2010 erzielte Einkommen des … berücksichtigt werden.
Verwaltungsgericht Sigmaringen, Urteil vom 14. Dezember 2011 – 1 K 482/11
- vgl. Kreutz in Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Stand: März 2011, § 25 Rn. 24[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 20.05.2010 – VI R 41/09[↩]
- abrufbar im Internet unter www.weltwaerts.de[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 04.08.1994 – VI R 94/93; 03.12.1987 – IV R 41/85; 28.02.1975 – VI R 28/73 und vom 05.02.1971 – VI R 82/68[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 04.08.1994 – VI R 94/93[↩]
- DA-FamEStG, Stand 2011, Ziffer 63.4.2.1 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 3[↩]