Wird ein Unternehmen im Sinne des § 75 AO von mehreren Personen zu Miteigentum nach Bruchteilen erworben, so haften sie aufgrund der gemeinsamen Tatbestandsverwirklichung als Gesamtschuldner.

Der Haftungsschuldner kann Einwendungen nicht nur gegen die Haftungsschuld, sondern auch gegen die Steuerschuld erheben, für die er als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird, soweit nicht die Voraussetzungen des § 166 AO erfüllt sind.
Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Wird ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen übereignet, so haftet der Erwerber gemäß § 75 AO u.a. für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet, vorausgesetzt, dass die Steuern seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahrs entstanden sind und bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebs durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet werden.
Der Erwerb „im Ganzen“ bedeutet, dass das Unternehmen bzw. der gesondert geführte Betrieb mit seinen wesentlichen Betriebsgrundlagen übergehen muss und der Erwerber dieses bzw. diesen ohne nennenswerte Investitionen fortführen kann [1]. Kann der Betrieb ohne nennenswerte Investitionen fortgeführt werden, steht der Haftung auch nicht entgegen, dass –wie im Streitfall– der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Veräußerin mangels Masse abgelehnt worden war [2].
Der Unternehmensbegriff des § 75 AO entspricht dem des § 2 Abs. 1 UStG, so dass auch –wie im Streitfall– die Übereignung steuerpflichtig vermieteter oder verpachteter Grundstücke erfasst wird [3].
Insoweit steht dem nicht der Einwand entgegen, es sei kein „lebendes“ Unternehmen übertragen worden, weil das zuständige Amtsgericht noch zuvor den Antrag auf Konkurseröffnung über das Vermögen der GmbH mangels Masse abgelehnt habe. Denn die Vermietung des Grundstücks konnte ohne weiteres fortgeführt werden. Der Kläger war auch Erwerber i.S. des § 75 AO. Er hat zwar nicht das bebaute Grundstück und die mitverkauften beweglichen Gegenstände, sondern nur das Bruchteilseigentum (§ 1008 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) daran erworben. Er hat aber durch den gemeinsamen Abschluss des Kaufvertrages mit den beiden anderen Käufern den Tatbestand des Erwerbs i.S. des § 75 AO gemeinsam mit diesen erfüllt.
Diese gemeinsame Tatbestandsverwirklichung begründet eine Haftung der Miteigentümer als Gesamtschuldner i.S. des § 44 AO. Es ist in Rechtsprechung [4] und Literatur [5] anerkannt, dass eine Gesamtschuld insbesondere durch eine gemeinsame Tatbestandsverwirklichung begründet wird, auch wenn dies im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist. Nach § 38 AO entstehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehört gemäß § 37 Abs. 1 AO nicht nur der Steueranspruch, sondern auch der Haftungsanspruch. Deshalb haften mehrere Personen, die einen gesetzlichen Haftungstatbestand gemeinsam verwirklicht haben, als Gesamtschuldner.
Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und des Bundesverfassungsgerichts, dass der Haftungsschuldner Einwendungen nicht nur gegen die Haftungsschuld, sondern grundsätzlich auch gegen die Steuerschuld erheben kann, für die er als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird [6].
Zwar sind gemäß § 166 AO dem Haftungsschuldner ausnahmsweise Einwendungen gegen die Steuerschuld dann abgeschnitten, wenn diese unanfechtbar gegenüber dem Steuerpflichtigen festgesetzt worden ist und der Haftungsschuldner entweder Gesamtrechtsnachfolger des Steuerschuldners ist oder er rechtlich in der Lage gewesen wäre, den gegen diesen erlassenen Steuerbescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten.
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall aber nicht vor. Das FG hat nicht festgestellt, dass der Kläger eine Position innegehabt hat, aufgrund deren er befugt gewesen sei, den gegen die GmbH erlassenen Umsatzsteuerbescheid für 1998 anzufechten.
Der Kläger ist auch nicht Gesamtrechtsnachfolger der GmbH. Die Fälle der Gesamtrechtsnachfolge (§ 45 AO) sind gesetzlich abschließend geregelt [7]. Der Fall der Betriebsübernahme i.S. des § 75 AO gehört nicht dazu [8].
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist die Haftung des Erwerbers nicht dadurch eingeschränkt, dass er einen nicht wesentlichen Betriebsbestandteil nicht übernommen hat [9]. Auch hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass für die Haftung nach § 75 AO nicht die Übertragung solcher Grundlagen erforderlich sei, die zu einem früheren, vor der Übernahme liegenden Zeitpunkt zum Betrieb gehört haben, von dem vorherigen Unternehmer aber bereits vor der Übertragung aus irgendeinem Grund veräußert, weggegeben oder sonst aufgegeben sind [10].
Etwas Anderes giltejedoch dann, wenn durch die Einstellung eines Teils der bisherigen unternehmerischen Tätigkeiten die Identität des Unternehmens in Frage gestellt ist. An dieser Identität kann es fehlen, wenn der Unternehmer sein Unternehmen auf einen Kernbestand reduziert und nur diesen an einen Erwerber übereignt [11].
Bundesfinanzhof, Urteil vom 12. Januar 2011 – XI R 11/08
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 07.11.2002 – VII R 11/01, BFHE 200, 31, BStBl II 2003, 226[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFH/NV 1993, 215[↩]
- vgl. BFH, Entscheidungen vom 10.12.1992 – V R 90/92, BFHE 170, 299, BStBl II 1993, 700; und vom 07.03.1996 – VII B 242/95, BFH/NV 1996, 726, m.w.N.[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 02.02.1994 II R 7/91, BFHE 173, 306, BStBl II 1995, 300[↩]
- vgl. z.B. Pahlke/Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 44 Rz 10; Klein/Ratschow, AO, 10. Aufl., § 44 Rz 5 und 6; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 44 AO Rz 7 und 8; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 44 AO Rz 11[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 13.01.2005 – V R 44/03, BFH/NV 2005, 998, m.w.N.; BVerfG, Beschluss in BStBl II 1997, 415[↩]
- vgl. Klein/Ratschow, a.a.O., § 45 Rz 2[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 28.05.1963 – V 224/60 U, BFHE 77, 148, BStBl III 1963, 371; und vom 02.05.1984 – VIII R 239/82, BFHE 141, 312, BStBl II 1984, 695[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 10.12.1991 – VII R 57/89, BFH/NV 1992, 712[↩]
- vgl. Urteil in BFHE 200, 31, BStBl II 2003, 226[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 200, 31, BStBl II 2003, 226[↩]