Nach der ab 2010 geltenden Rechtslage sind Beiträge zur Basis-Krankenversicherung, die zur Erlangung eines sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus erforderlich ist, und zur gesetzlichen Pflegeversicherung in voller Höhe als Sonderausgaben abziehbar.
Der Sonderausgabenabzug von Beiträgen für eine freiwillige private Pflegezusatzversicherung, die der (teilweisen) Absicherung von nicht durch die Pflege-Pflichtversicherung gedeckten Kosten wegen dauernder Pflegebedürftigkeit dient, ist verfassungsrechtlich nicht geboten, da der Gesetzgeber sich bewusst für ein Teilleistungssystem entschieden hat.
Das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums erfordert lediglich, dass der Staat diejenigen Beiträge für Pflegeversicherungen steuerlich freistellen muss, die der Gesetzgeber als verpflichtende Vorsorge ansieht und die nicht über das sozialhilferechtliche Niveau hinausgehen.
Die Regelung in § 10 Abs. 4 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG), nach welcher Beiträge für eine freiwillige private Pflegezusatzversicherung (§ 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG) unberücksichtigt bleiben, wenn der (gemeinsame) Höchstbetrag (§ 10 Abs. 4 Satz 1 bis 3 EStG) bereits durch die Beiträge zur Basisabsicherung der Kranken- und Pflegeversicherung (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG) ausgeschöpft wird, ist daher verfassungsrechtlich unbedenklich.
Demgegenüber werden Aufwendungen für einen darüberhinausgehenden Kranken- oder Pflegeversicherungsschutz und sonstige Vorsorgeaufwendungen mit Ausnahme von Altersvorsorgebeiträgen (also z.B. Arbeitslosen, Unfall, Erwerbsunfähigkeits, Haftpflicht- und Risikoversicherungen) nur im Rahmen eines gemeinsamen Höchstbetrags steuerlich berücksichtigt, der allerdings regelmäßig bereits durch die Beiträge zur Basisabsicherung ausgeschöpft wird. Die Abziehbarkeit der Beiträge zu einer freiwilligen Pflegezusatzversicherung als Sonderausgaben ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofs auch verfassungsrechtlich nicht geboten.
In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatten die klagenden Ehegatten jeweils eine freiwillige private Pflegezusatzversicherung abgeschlossen, mithilfe derer sie die finanziellen Lücken schließen wollten, die sich im Falle dauernder Pflegebedürftigkeit vor allem bei höheren Pflegegraden aufgrund der den tatsächlichen Bedarf nicht abdeckenden Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung ergäben. Die hierfür aufgewendeten Beiträge blieben im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung aufgrund der anderweitigen Ausschöpfung des Höchstbetrags ohne steuerliche Auswirkung. Hiergegen wandten sich die Eheleute und machten im Kern geltend: So, wie der Sozialhilfeträger die Heimpflegekosten des Sozialhilfeempfängers übernehme, müssten auch die Beiträge für ihre Zusatzversicherungen, die lediglich das sozialhilfegleiche Versorgungsniveau im Bereich der Pflege gewährleisteten, zur Wahrung der Steuerfreiheit des Existenzminimums einkommensteuerrechtlich berücksichtigt werden.
Das Hessische Finanzgericht hat die Klage der Eheleute abgewiesen1, der Bundesfinanzhof die Revision der Eheleute zurückgewiesen; von den geltend gemachten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen könne kein höherer als der vom Finanzamt im angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 2015 angesetzte Betrag von 5.951 € steuermindernd berücksichtigt werden. Der Bundesfinanzhof hat die gesetzliche Beschränkung des Sonderausgabenabzugs für verfassungsgemäß erachtet und von einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht abgesehen.
Dies hat der Bundesfinanzhof unter anderem damit begründet, dass der Gesetzgeber die gesetzlichen Pflegeversicherungen bewusst und in verfassungsrechtlich zulässiger Weise lediglich als Teilabsicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit ausgestaltet habe, bei welcher nicht durch die gesetzliche Pflegeversicherung abgedeckte Kosten in erster Linie durch Eigenanteile der pflegebedürftigen Personen aus ihren Einkommen oder ihrem Vermögen auszubringen seien. Dementsprechend bestehe für den Gesetzgeber keine verfassungsrechtliche Pflicht, auch die über das Teilleistungssystem hinausgehenden Leistungen steuerlich zu fördern und insoweit mitzufinanzieren. Das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums erfordere lediglich, dass der Staat diejenigen Beiträge für Pflegeversicherungen steuerlich freistellen müsse, die der Gesetzgeber als verpflichtende Vorsorge ansehe und die nicht über das sozialhilferechtliche Niveau hinausgingen. Dies sei bei einer freiwilligen privaten Pflegezusatzversicherung nicht der Fall.
Der vom Finanzamt als Sonderausgabenabzug berücksichtigte Betrag ergibt sich aus dem -nach geltendem Recht- höchstmöglichen Sonderausgabenabzug, den das Finanzgericht zutreffend ermittelt hat. Da insoweit zwischen den Beteiligten auch kein Streit besteht, sieht der Bundesfinanzhof -mit Ausnahme der nachfolgenden Erläuterungen- von weiteren Ausführungen namentlich zur Höchstbetragsberechnung nach § 10 Abs. 4a EStG ab. Die in Rede stehenden Beiträge für eine freiwillige private Pflegezusatzversicherung bei M sind -wie das Finanzgericht zutreffend erkannt hat- keine Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG, sondern solche im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG.
Dies folgt bereits aus dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschriften.
Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG sind die „Beiträge zu gesetzlichen Pflegeversicherungen (soziale Pflegeversicherung und private Pflege-Pflichtversicherung)“. Die Klammerdefinition lässt erkennen, dass zu den „gesetzlichen Pflegeversicherungen“ die soziale Pflegeversicherung für gesetzlich Krankenversicherte im Sinne des § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB XI einerseits sowie die private Pflege-Pflichtversicherung für privat Krankenversicherte im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 23 SGB XI andererseits gehören2.
Demgegenüber erfasst § 10 Abs. 1 Nr. 3a Halbsatz 1 EStG „Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen, soweit diese nicht nach Nummer 3 zu berücksichtigen sind“, also auch die Beiträge für zusätzlich abgeschlossene, über die Basisabsicherung hinausgehende private Pflegeversicherungen3.
Der Abzug der Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG ist nach Maßgabe von § 10 Abs. 4 EStG auf einen Höchstbetrag begrenzt. Während Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG ohne Betragsbeschränkung abziehbar sind, können nach § 10 Abs. 4 Satz 4 EStG Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG nur abgezogen werden, wenn sie gemeinsam mit den nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigenden Vorsorgeaufwendungen die in § 10 Abs. 4 Satz 1 bis 3 EStG definierten Höchstbeträge (bei zusammenveranlagten Ehegatten insgesamt maximal 5.600 €) nicht übersteigen. Je höher die Pflichtversicherungsbeiträge sind, desto geringer ist folglich das für den Abzug sonstiger Vorsorgeaufwendungen einschließlich freiwilliger Kranken- und Pflegeversicherungen zur Verfügung stehende Volumen, um von einer gewissen Einkommenshöhe an auf Null zu sinken.
Nach der Entstehungsgeschichte dieser Regelungen entspricht es dem Willen des Gesetzgebers, dass Beiträge für zusätzlich abgeschlossene, über die Basisabsicherung hinausgehende freiwillige private Pflegeversicherungen lediglich nach § 10 Abs. 1 Nr. 3a Halbsatz 1 EStG abziehbar sind und der vorbeschriebenen Deckelung nach § 10 Abs. 4 Satz 4 EStG unterliegen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Beschluss vom 13.02.20084 entschieden, dass die den Sonderausgabenabzug betreffenden Regelungen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a (Beiträge zu Kranken- und Pflege, Unfall- und Haftpflichtversicherungen, zu den gesetzlichen Rentenversicherungen und an die Bundesanstalt für Arbeit) i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG (Höchstbeträge für Vorsorgeaufwendungen) in allen seit dem Veranlagungszeitraum 1997 geltenden Fassungen (EStG 1997) mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar waren, soweit der Sonderausgabenabzug die Beiträge zu einer privaten Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) und einer privaten Pflege-Pflichtversicherung, die dem Umfang nach erforderlich sind, um dem Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung zu gewährleisten, nicht erfasst. Es hatte den Gesetzgeber verpflichtet, spätestens mit Wirkung zum 01.01.2010 eine Neuregelung zu treffen.
Mit dem Gesetz zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen vom 16.07.20095 -Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung (BürgEntlG KV)- hat der Gesetzgeber die steuerliche Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen ab dem Veranlagungszeitraum 2010 in § 10 EStG neu geregelt.
Dabei sollten insbesondere die vom Steuerpflichtigen tatsächlich geleisteten Beiträge zur privaten und gesetzlichen Kranken- und Pflege-Pflichtversicherung auf sozialhilferechtlich gewährleistetem Leistungsniveau ab dem 01.01.2010 in vollem Umfang berücksichtigt werden können6.
Bereits der vorstehend genannte Gesetzentwurf7 sah vor, dass in § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG Beiträge zu Krankenversicherungen, soweit diese zur Erlangung eines durch das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch bestimmten sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus erforderlich sind (Satz 1 Buchst. a), sowie (Satz 1 Buchst. b) Beiträge zu gesetzlichen Pflegeversicherungen (soziale Pflegeversicherung und private Pflege-Pflichtversicherung) als Sonderausgaben abziehbar sein sollen.
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens schlug der Finanzausschuss unter anderem die Einfügung einer Nr. 3a in § 10 Abs. 1 EStG vor, die einen Sonderausgabenabzug auch für Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen vorsah, soweit diese nicht nach Nr. 3 zu berücksichtigen seien. Außerdem empfahl er, § 10 Abs. 4 EStG um einen Satz 4 dahingehend zu ergänzen, die Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG vollumfänglich zum Abzug zu bringen, sofern sie die in Abs. 4 genannten Höchstbeträge übersteigen sollten; ein Abzug von Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG sollte in diesem Fall ausscheiden8. Beide Empfehlungen sind Gesetz geworden.
Die empfohlene Einfügung von Nr. 3a in § 10 Abs. 1 EStG begründete der Finanzausschuss damit, dass es sich um die Definition der sonstigen Vorsorgeaufwendungen handele. Hierzu gehörten auch die nicht nach Abs. 1 Nr. 3 zu berücksichtigenden Beitragsbestandteile einer Krankenversicherung (Mehrleistungen, Wahltarife, Krankengeld). Anzusetzen seien insoweit auch Beiträge für zusätzlich abgeschlossene private Pflegeversicherungen. Als Begründung zu der empfohlenen Ergänzung des § 10 Abs. 4 EStG um einen Satz 4 wurde ausgeführt, die Abziehbarkeit weiterer sonstiger Vorsorgeaufwendungen sei zwar verfassungsrechtlich nicht geboten. In bestimmten Fallkonstellationen könne eine steuerliche Berücksichtigung der entsprechenden Aufwendungen aber einen sozialpolitisch sinnvollen Anreiz setzen. Die Beiträge zu der existentiell notwendigen Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherung seien ungeachtet ihrer Höhe stets voll abziehbar. Die zusätzliche Absicherung gegen andere Lebensrisiken könne aber gerade für Arbeitnehmer mit kleineren und mittleren Einkommen sinnvoll sein. Das gemeinsame Abzugsvolumen für Pflichtversicherungen und sonstige Vorsorgeaufwendungen eröffne diesen eine entsprechende Abzugsmöglichkeit, während die Bezieher höherer Einkommen, die entsprechend höhere Krankenversicherungsbeiträge zu leisten hätten, zusätzliche Vorsorge für andere Lebensrisiken aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen auch ohne eine Beteiligung des Fiskus finanzieren könnten9.
Ein Abzug der nicht als Sonderausgaben abziehbaren Pflegeversicherungsbeiträge als außergewöhnliche Belastung scheidet ebenfalls aus.
§ 33 Abs. 2 Satz 2 EStG ordnet an, dass Aufwendungen, die zu den Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben gehören, bei der Ermittlung der außergewöhnlichen Belastungen außer Betracht zu bleiben haben. Dies bewirkt einen Nachrang der Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung gegenüber dem Sonderausgabenabzug. Aufwendungen, die ihrer Art nach Sonderausgaben sind, können nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden. Unerheblich ist, ob die Aufwendungen im Einzelfall als Sonderausgaben abziehbar sind oder ob sie sich wegen Überschreitens der gesetzlichen Höchstgrenzen steuerlich nicht auswirken10. Dies trifft auch bei Beiträgen zu einer privaten Pflegezusatzversicherung zu.
Die teilweise antragsgemäße Durchführung des Sonderausgabenabzugs in den Vorjahren begründet schon deshalb keinen Anspruch auf Vertrauensschutz in der Weise, dass diese Praxis fortgeführt werden müsste, weil nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung (§ 25 Abs. 1 EStG) das Finanzamt für jeden Veranlagungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen hat11.
Der Bundesfinanzhof ist nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Deckelung des Sonderausgabenabzugs für eine freiwillige private Pflegezusatzversicherung durch den beschriebenen gemeinsamen Höchstbetrag, der auch zum Ausschluss des Abzugs führen kann, verfassungswidrig ist. Die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht waren daher nicht geboten.
Der Bundesfinanzhof hat bereits mit Urteil vom 29.11.2017 entschieden, dass die Neuregelung des Abzugs der Beiträge (auch) zu privaten Krankenversicherungen verfassungsgemäß ist und der Gesetzgeber die Vorgaben des BVerfG im Rahmen der gesetzlichen Neuregelung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG durch das BürgEntlG KV beachtet hat12. Er hat inzident sowohl dieser Entscheidung als auch seinem Urteil vom 29.11.201713 auch die Anwendbarkeit des § 10 Abs. 4 Satz 4 EStG zugrunde gelegt, mithin auch insoweit die Neukonzeption des BürgEntlG KV nicht beanstandet. Eine spezifische Auseinandersetzung mit der Abziehbarkeit freiwilliger Pflegezusatzversicherungen und der Anwendbarkeit des § 10 Abs. 4 Satz 4 EStG gerade auf solche Beiträge hat er bisher nicht vorgenommen.
Die im Streitjahr und bis heute geltenden Regelungen über die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung der hier in Rede stehenden Beiträge zu einer freiwilligen privaten Pflegezusatzversicherung zur (teilweisen) Deckung der nicht durch die Pflege-Pflichtversicherung abgedeckten Pflegekosten als Sonderausgaben widersprechen nicht den Maßstäben, die das BVerfG in seinem Beschluss vom 13.02.2008 – 2 BvL 1/0614 aufgestellt hat.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.02.20084 betraf eine Vorlage des Bundesfinanzhofs zur Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG 1997 im Hinblick auf den begrenzten Abzug von Beiträgen zu Krankenversicherungen15, die das Bundesverfassungsgericht -erweiternd- dahingehend auslegte, dass sie sich nicht nur auf Beiträge zu privaten Krankenversicherungen, sondern auch zu privaten Pflege(pflicht)versicherungen beziehe. Dabei erfasste § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 1997 sämtliche Beiträge zu Kranken, Pflege, Unfall- und Haftpflichtversicherungen, zu den gesetzlichen Rentenversicherungen und an die Bundesanstalt für Arbeit. § 10 Abs. 3 EStG 1997 enthielt einen einheitlichen Höchstbetrag für alle sogenannten Vorsorgeaufwendungen, ohne dass aus der Gesetzgebungsgeschichte oder der Normstruktur erkennbar gewesen wäre, welcher Anteil des Gesamtbetrags und des Vorwegabzugs auf Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen entfallen sollte. Lediglich der Teilbetrag des § 10 Abs. 3 Nr. 3 EStG 1997 bezog sich auf eine bestimmte Versicherungsart, die freiwillige Pflegezusatzversicherung.
Nach dem Tenor der Entscheidung erklärte das BVerfG die vorstehenden Regelungen mit Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art.20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG für unvereinbar, soweit nach Maßgabe der Gründe der Sonderausgabenabzug die Beiträge zu einer privaten Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) und einer privaten Pflege-Pflichtversicherung nicht ausreichend erfasse, die dem Umfang nach erforderlich seien, um dem Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung zu gewährleisten. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, spätestens mit Wirkung zum 01.01.2010 eine Neuregelung zu treffen; bis zu diesem Zeitpunkt sollten die bisherigen Höchstbetrags-Regelungen weiterhin anwendbar bleiben. In Ermangelung einer Neuregelung seien ab dem Veranlagungszeitraum 2010 Beiträge zu einer privaten Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) und zur privaten Pflege-Pflichtversicherung bei der Einkommensteuer in vollem Umfang als Sonderausgaben abzugsfähig.
In seinem Beschluss vom 13.02.20084 hat das Bundesverfassungsgericht zur Begründung dieser Entscheidung auf das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums abgestellt, welches aus den genannten Artikeln des Grundgesetzes abzuleiten ist. Danach hat der Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Einem Grundgedanken der Subsidiarität, wonach Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge hat, entspricht es, dass sich die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau richtet. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Einkommens entziehen. Die somit von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Aufwendungen zur Sicherung des Existenzminimums sind vom Steuergesetzgeber nach dem tatsächlichen Bedarf realitätsgerecht zu bemessen, was allerdings typisierende Regelungen nicht ausschließt.
Neben dem sächlichen Existenzminimum können ebenso Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Kranken- und Pflegeversorgung, insbesondere entsprechende Versicherungsbeiträge, Teil des einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimums sein. Auch bei Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversorgung ist allerdings streng auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene abzustellen. Das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums gewährleistet dem Steuerpflichtigen einen Schutz des Lebensstandards nicht auf Sozialversicherungs-, sondern nur auf Sozialhilfeniveau.
Die Kranken- und Pflegeversorgung ist integraler Bestandteil des Leistungskatalogs der Sozialhilfe. Der Sozialhilfeträger ist regelmäßig zur Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen verpflichtet; alternativ wird Kranken- und Pflegeversorgung gewährleistet. Dabei ist es für die verfassungsrechtliche Beurteilung unerheblich, ob die Kranken- und Pflegeversorgung indirekt über die Finanzierung einer Versicherungsmitgliedschaft oder direkt über die Bereitstellung von Versorgungsleistungen sichergestellt wird. Maßgeblich ist allein, dass sie dem leistungsberechtigten Empfänger von Sozialhilfe aus allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert wird.
Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der hinreichenden einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung von Beiträgen zu privaten Kranken- und Pflegeversicherungen setzt die Bestimmung des einkommensteuerrechtlichen Entlastungsbetrags einerseits und des sozialhilferechtlich maßgeblichen Vergleichsbetrags andererseits voraus, wobei sich die Quantifizierung des sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus im Bereich Krankheit und Pflege als schwierig erweist.
Da nicht auf die im Mittel getätigten Aufwendungen der Leistungsträger abgestellt werden kann, muss die steuerrechtliche Berücksichtigung des Existenzminimums vielmehr auf der Beitragsseite ansetzen. Dazu bietet es sich an, die Beiträge der Steuerpflichtigen zu privaten Kranken- und Pflegeversicherungen jeweils gesondert daraufhin zu betrachten, ob die konkreten Versicherungsbeiträge zur Erlangung eines sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus nach Art und Umfang erforderlich sind. Hierzu nicht erforderliche Versicherungsarten und Tarifgestaltungen sind aus der Betrachtung auszuscheiden. Im Übrigen ist es Aufgabe des Gesetzgebers, bei den als erforderlich anzusehenden Versicherungen eine sachgerechte Typisierung hinsichtlich des Umfangs der abzugsfähigen Beträge vorzunehmen, die am Ziel der Steuerfreiheit des Existenzminimums ausgerichtet ist.
Die privaten Kranken- und Pflegeversicherungen bieten eine Vielzahl von Tarifarten mit ganz unterschiedlichen Funktionen an. In Ermangelung des Zugangs zu einem sozialhilfegleichen Standard- oder Basistarif bedarf es zur Erlangung eines sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus dabei mindestens des Abschlusses einer Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) sowie einer privaten Pflege-Pflichtversicherung.
Nach einer -zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung der Entlastungswirkung von § 10 EStG genügenden- Evidenzkontrolle konnte das BVerfG eine dem Umfang nach hinreichende steuerliche Freistellung der zur Sicherung des Existenzminimums erforderlichen Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung durch § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG 1997 nicht feststellen.
Der Gesetzgeber hatte die in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 1997 angelegte Entlastungsgrundentscheidung in den Höchstbeträgen des § 10 Abs. 3 EStG 1997 für die Krankheitskostenversicherungen bezogen auf das Ziel einer realitätsgerechten Freistellung des Existenzminimums nicht folgerichtig umgesetzt. Derselbe Mangel an folgerichtiger Ausgestaltung war auch im Hinblick auf die Beiträge zur privaten Pflege-Pflichtversicherung festzustellen.
Im Hinblick auf die angeordnete Neuregelung des § 10 EStG hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, bei der Neuordnung des Abzugs von Sonderausgaben sei klarzustellen, welcher Anteil eines Höchstbetrags ausschließlich oder vorrangig für existenznotwendige Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zur Verfügung stehe. Der Gesetzgeber hat auch die Anforderungen an eine folgerichtige steuerrechtliche Verschonung des Existenzminimums der gesetzlich kranken- und pflegeversicherten Steuerpflichtigen zu beachten und dabei zu berücksichtigen, wie weit das Leistungsniveau dieser Sozialversicherungszweige dem der Sozialhilfe beziehungsweise der Grundsicherung für Arbeitsuchende angenähert ist.
Die Eheleute weisen im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass bei dem von ihnen angesprochenen Fall einer vollstationären Pflege (vgl. § 43 SGB XI) der Sozialhilfeträger die Heimpflegekosten eines Sozialhilfeempfängers ohne entsprechendes Vermögen übernimmt (vgl. § 61 i.V.m. § 63 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 65 SGB XII) und damit aus allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert, soweit die Leistungen der Pflegeversicherung den tatsächlichen Bedarf nicht decken16. Sie folgern daraus, diese etwaigen Aufwendungen seien daher Teil des sozialhilferechtlichen Versorgungsniveaus. Nach den Maßstäben des BVerfG gewährleiste eine allein zur Deckung der andernfalls vom Sozialhilfeträger geschlossenen Lücke bei den Pflegekosten vereinbarte private Pflegezusatzversicherung deshalb lediglich das sozialhilfegleiche Versorgungsniveau im Bereich der Pflege. Die hierfür aufgewendeten Beiträge müssten daher von Verfassungs wegen zur Wahrung der Steuerfreiheit des Existenzminimums als Sonderausgaben abziehbar sein.
Der Bundesfinanzhof hat im Gegenteil erwogen, ob nicht umgekehrt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.02.20084 die Verfassungskonformität der hier streitigen Regelungen wenn nicht entschieden, so doch vorgeprägt hat. Das BVerfG hatte die Vorlage dahin erweitert, dass sie sich nicht nur auf Beiträge zu privaten Krankenversicherungen, sondern auch auf solche zu privaten Pflegeversicherungen beziehe. Das deutet darauf hin, dass das Gericht umfassende Vorgaben zur Neuregelung des Sonderausgabenabzugs im Zusammenhang mit Beiträgen zu Kranken- und Pflegeversicherungen machen wollte. Gleichzeitig entnimmt der Bundesfinanzhof dem Entscheidungsausspruch des Beschlusses unter 1. und 3., dass nach Auffassung des BVerfG in Bezug auf Pflegeversicherungen der vollständige Abzug der Beiträge zur privaten Pflege-Pflichtversicherung als Sonderausgaben (bereits) eine verfassungskonforme gesetzliche Ausgestaltung darstellt.
Andernfalls hätte das BVerfG möglicherweise auch entsprechende Beiträge für eine private Pflegezusatzversicherung, die es in seiner Entscheidung selbst angesprochen hat und deren Bedeutung zur Deckung der nicht durch die Pflege-Pflichtversicherung übernommenen Pflegekosten ihm bekannt war17, in seinen Entscheidungsausspruch unter 3. mitaufgenommen, sei es aufgrund weitergehender Auslegung der Vorlage, sei es nach dem Grundsatz, dass eine zulässigerweise zur Prüfung vorgelegte Norm unter allen denkbaren verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Gegenstand des Verfahrens wird.
Gegen die gegenteilige Lesart des verfassungsgerichtlichen Beschlusses spricht in rechtlicher Hinsicht vor allem, dass ein solches Verständnis einer grundlegenden Entscheidung des Gesetzgebers zur Ausgestaltung des Sozialstaats zuwiderlaufen würde, dass nämlich die mit Wirkung zum 01.01.1995 eingeführte Pflegeversicherung bewusst lediglich als Teilleistungssystem konzipiert worden ist.
Die Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit in der schließlich Gesetz gewordenen Regelung erfolgte durch Errichtung eines neuen eigenständigen Zweiges der Sozialversicherung (soziale Pflegeversicherung) und durch die Schaffung einer privaten Pflege-Pflichtversicherung im Elften Buch Sozialgesetzbuch, welches durch Art. 1 des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit vom 26.05.199418 -Pflege-Versicherungsgesetz- dem Sozialgesetzbuch angefügt wurde19.
Das Risiko der Pflegebedürftigkeit wurde vom Gesetzgeber als eigenständiges, unabhängig vom Lebensalter bestehendes, allgemeines Lebensrisiko angesehen20. Mit den Leistungen der Pflegeversicherung sollte allerdings eine Vollversorgung der Pflegebedürftigen weder angestrebt noch erreicht werden. Sie waren vielmehr als soziale Grundsicherung in Form von unterstützenden Hilfeleistungen gedacht, die Eigenleistungen der Versicherten nicht entbehrlich machen21.
Das BVerfG hat sich frühzeitig und wiederholt mit Fragen der Verfassungsmäßigkeit der Pflegeversicherung selbst und verschiedener Einzelregelungen des Elften Buches Sozialgesetzbuch befasst22. Es hat bereits -in zeitlicher Hinsicht deutlich- vor seinem Beschluss vom 13.02.20084 erkannt, dass die Pflegeversicherung keine Vollversicherung in dem Sinne ist, dass ein etwaiger Bedarf des Pflegebedürftigen in jedem Fall umfassend durch Leistungen gedeckt würde. Diese reichten im stationären Sektor je nach Pflegesatz und Pflegestufe (heute: Pflegegrad) teilweise oder sogar ganz überwiegend nicht aus, um die Pflegekosten abzudecken, zu denen noch nicht unerhebliche Kosten für Unterkunft und Verpflegung hinzutraten17. Das BVerfG hat diese Ausgestaltung der gesetzlichen Pflegeversicherungen dennoch gebilligt und dies mit der großen gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit bei der Festlegung der leistungsrechtlichen Grundentscheidungen eines Sozialleistungssystems begründet. Da die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise nur als Teilabsicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit ausgestaltet worden sind, hatte der Gesetzgeber festzulegen, was die soziale Pflegeversicherung zu leisten hat und was nicht23.
Angesichts der bewussten und verfassungsrechtlich zulässigen gesetzgeberischen Ausgestaltung der gesetzlichen Pflegeversicherungen als Teilleistungssystem kann die von den Eheleuten geforderte uneingeschränkte steuerliche Abziehbarkeit der streitigen Beiträge als Sonderausgaben nach Ansicht des Bundesfinanzhofs verfassungsrechtlich ebenfalls nicht geboten sein. Dabei ist nicht zuletzt zu bedenken, dass die nicht durch die gesetzliche Pflegeversicherung gedeckten Pflegekosten in erster Linie durch Eigenanteile der pflegebedürftigen Personen aus ihren Einkünften oder ihrem Vermögen aufzubringen sind und in vielen Fällen auch aufgebracht werden. Der Sozialhilfeträger tritt erst subsidiär ein. Es kann dahinstehen, ob es dem Gesetzgeber freistünde, Beiträge zu einer Versicherung steuerlich zu fördern, mit denen die dem Teilleistungskonzept der Pflege-Pflichtversicherung immanente Belastung von Einkünften und Vermögen durch Eigenanteile gemildert oder beseitigt wird. Das betrifft lediglich die Frage, ob der Gesetzgeber zu einer steuerlichen Förderung solcher Versicherungsbeiträge berechtigt wäre. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, sie steuerlich zu fördern. Wenn der Gesetzgeber sich bewusst und in verfassungsrechtlich zulässiger Weise auf der sozialversicherungsrechtlichen Ebene für ein Teilleistungssystem entschieden hat, wäre es nicht folgerichtig, die steuerliche Förderung eines Vollleistungssystems für eine verfassungsrechtliche Pflicht zu halten. Auf diese Weise würde die Mitfinanzierung der über das sozialversicherungsrechtliche Teilleistungssystem hinausgehenden Leistungen durch die Allgemeinheit erzwungen und so die Grundentscheidung des Gesetzgebers für ein bestimmtes Vorsorgemodell unterlaufen.
Der Bundesfinanzhof verkennt nicht, dass ungeachtet der sozialversicherungsrechtlichen Lage für das mit der streitigen Pflegezusatzversicherung versicherte Risiko im Bedarfsfall der Sozialhilfeträger einträte, wenn die Eheleute im gegebenen Zeitpunkt nicht über Einkünfte oder Vermögen einschließlich etwaiger Unterhaltsansprüche verfügen sollten. Es verhält sich aber insofern entscheidend anders als in der dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.02.20084 zugrunde liegenden Konstellation, als es sich um eine Zusatzversicherung handelt, die außerdem freiwillig ist.
Die Eheleute verfügen über einen Pflegeversicherungsschutz in einem der gesetzlichen Sozialversicherung entsprechenden Umfang und erhalten dafür ohne Weiteres den uneingeschränkten Sonderausgabenabzug. Sie begehren darüber hinaus den Sonderausgabenabzug für Beiträge einer Versicherung, deren Leistungsumfang über den der Pflichtversicherung hinausgeht.
Die Versicherungsbeiträge, um deren Abzug es den Eheleuten des Verfassungsbeschwerdeverfahrens 2 BvL 1/06 ging, traten hingegen jedenfalls zu einem erheblichen Teil nicht zu dem gesetzlichen Pflichtversicherungsumfang hinzu, sondern an dessen Stelle. Es waren deshalb keine Vorsorgeaufwendungen zu beurteilen, die für ein höheres Leistungsniveau als dasjenige der gesetzlichen Versicherungen erbracht wurden. Es ging um Vorsorgeaufwendungen, mit denen die damaligen Eheleute erst mit dem durch die gesetzlichen Versicherungen vorgesehenen Leistungssystem gleichziehen konnten. Im vorliegenden Fall begehren die Eheleute jedoch einen Sonderausgabenabzug, der über die in dem bewusst als Teilleistungssystem konzipierten Modell der gesetzlichen Versicherung vorgesehene Basisabsicherung hinausgeht.
Der Abschluss einer Krankenversicherung und einer Pflegeversicherung sind nach § 193 Abs. 3 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) seit dem 01.01.2009 grundsätzlich im Umfang der Basisabsicherung gesetzlich verpflichtend, wohingegen die Eheleute die Pflegezusatzversicherung freiwillig abgeschlossen haben. Bei den verpflichtend abzuschließenden Versicherungen fallen unvermeidlich Beiträge an, deren Belastungswirkung zwangsläufig die Frage einer aktuellen steuerlichen Entlastung durch einen Sonderausgabenabzug zur Gewährleistung des steuerlichen Existenzminimums aufwirft.
Demgegenüber entsteht bei freiwilligen Zusatzversicherungen eine finanzielle Belastung überhaupt nur im Fall ihres Abschlusses. Der Steuerpflichtige kann frei entscheiden, ob die Belastung durch die Beiträge entsteht. Sie ist insoweit für ihn vermeidbar. Das BVerfG geht davon aus, dass allein die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen nicht dazu führt, dass diese von Verfassungs wegen von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abgezogen werden müssen24. Erst recht ist Zurückhaltung gegenüber einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung zum Abzug angebracht, wenn die Aufwendungen schon nicht zwangsläufig sind.
Richtig ist zwar, dass das BVerfG die Verpflichtung zum Sonderausgabenabzug umgekehrt nicht an eine gesetzliche Verpflichtung zu einer entsprechenden Beitragsleistung geknüpft hatte, soweit es nämlich die Krankenversicherungsbeiträge betraf. Dabei ging es aber aus den dargestellten Gründen um eine Konstellation, in der mangels einer dem § 193 Abs. 3 VVG entsprechenden Vorschrift noch nicht einmal eine Versicherungspflicht im Umfang der gesetzlichen Sozialversicherungen bestand, sodass der gesetzliche Sonderausgabenabzug zu einer erheblichen Ungleichbehandlung von gesetzlich und privat Versicherten geführt hatte. Damit ist eine freiwillige Zusatzversicherung, die ein gesetzlich wie ein privat Kranken- und Pflegeversicherter abschließen kann, um unter Verschonung von Einkünften und Vermögen Ansprüche über das im Recht der gesetzlichen Sozialversicherungen vorgesehene Teilleistungssystem hinaus zu erwerben, nicht vergleichbar.
Im Hinblick auf die oben dargelegte gesetzgeberische Grundentscheidung der Ausgestaltung der gesetzlichen Pflegeversicherungen als Teilleistungssystem bedeutet dies in Bezug auf die Steuerfreiheit des Existenzminimums daher, dass der Staat nur diejenigen Beiträge für Pflegeversicherungen steuerlich freistellen muss, die der Gesetzgeber zum einen als verpflichtende Vorsorge ansieht und die zum anderen nicht über das sozialhilferechtliche Niveau hinausgehen.
Ergänzend ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass die etwaigen Eigenanteile im Fall der Pflegebedürftigkeit gemäß § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung steuermindernd geltend gemacht werden können. So geht der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Krankheitskosten dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Dies gilt auch für Aufwendungen für die krankheits- oder pflegebedingte Unterbringung des Steuerpflichtigen in einer dafür vorgesehenen Einrichtung. Dahingehende Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig und sind daher dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG zu berücksichtigen. Es gelten die allgemeinen Grundsätze über die Abziehbarkeit von Krankheitskosten25.
Nach Einschätzung des Bundesfinanzhofs stellt es bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Sonderausgabenabzugs von Beiträgen zu Pflegeversicherungen für die Frage, ob der Gesetzgeber seinen verfassungsrechtlichen Gestaltungsrahmen überschritten hat, keinen unwesentlichen Belang dar, ob der Gesetzgeber neben dem vollständigen Abzug der verpflichtenden Beiträge zu den gesetzlichen Pflegeversicherungen während der „Beitragsphase“ nach § 10 EStG ergänzend die Möglichkeit einer steuermindernden Berücksichtigung anfallender Pflegeaufwendungen während der „Bezugsphase“ gemäß § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung vorsieht. Allerdings ist es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung von Verfassungs wegen nicht geboten, bei der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung dieser Aufwendungen auf den Ansatz der zumutbaren Belastung zu verzichten26.
Nichts anderes ergibt sich, wenn die Prüfung, ob die Steuerfreiheit des Existenzminimums gewährleistet ist, statt der Leistungsebene die Beitragsebene in den Blick nimmt.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 13.02.20084 unter anderem ausgeführt, die Kranken- und Pflegeversorgung sei integraler Bestandteil des Leistungskatalogs der Sozialhilfe. Das gelte sowohl nach dem im Streitjahr 1997 geltenden Bundessozialhilfegesetz (BSHG) als auch nach den gegenwärtig geltenden Regelungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. Nach § 13 BSHG sei der Sozialhilfeträger regelmäßig zur Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen verpflichtet gewesen. Alternativ sei Kranken- und Pflegeversorgung nach §§ 36 ff. oder §§ 68 ff. BSHG gewährleistet worden. Entsprechendes gelte nach den derzeit gültigen Regelungen der Sozialhilfe (vgl. § 32 SGB XII bzw. §§ 47 ff., 61 ff. SGB XII). Dabei sei es für die verfassungsrechtliche Beurteilung unerheblich, ob die Kranken- und Pflegeversorgung indirekt über die Finanzierung einer Versicherungsmitgliedschaft oder direkt über die Bereitstellung von Versorgungsleistungen sichergestellt werde. Maßgeblich sei allein, dass sie dem leistungsberechtigten Empfänger von Sozialhilfe aus allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert werde.
Der Bundesfinanzhof versteht die verfassungsgerichtlichen Ausführungen -anders als die Eheleute- lediglich als Hervorhebung des Umstands, dass nicht nur Versorgungsleistungen selbst, sondern auch bloße Versicherungsbeiträge zum steuerlichen Existenzminimum zählen können. Versicherungsbeiträge sind jedoch nicht bereits deshalb Teil des sozialhilferechtlichen Leistungsniveaus, weil sie einen Leistungsumfang vermitteln, der im Bedarfsfall von dem Sozialhilfeträger übernommen würde. Vielmehr bemisst sich das sozialhilferechtliche Leistungsniveau auf der Beitragsebene nach § 32 Abs. 5, 6 SGB XII. Diese Vorschriften erfassen die gesetzlichen Pflegeversicherungen27 und sehen die Übernahme von Beiträgen für eine private Pflegezusatzversicherung nicht vor28.
Im Übrigen kann zwar nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung eine private Kranken- und Pflegezusatzversicherung dem Grunde nach angemessen sein, wenn eine solche üblicherweise von Beziehern von Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze abgeschlossen wird oder die individuellen Lebensverhältnisse den Abschluss einer derartigen Versicherung bedingen29. Beiträge zu einer privaten Zusatz-Pflegeversicherung für einen Bezieher von Grundsicherungsleistungen sind im Allgemeinen aber dann nicht angemessen, wenn der Hilfeempfänger als Mitglied einer gesetzlichen Pflegekasse bereits über eine Vorsorge für den Fall einer Pflegebedürftigkeit verfügt. Die der sozialen Pflegeversicherung systemimmanenten Leistungsgrenzen begründen eine Angemessenheit privater Zusatz-Pflegeversicherungen mit Rücksicht auf die fürsorgerischen Leistungsergänzungen insbesondere durch die Hilfe zur Pflege im Allgemeinen nicht. Die individuellen Verhältnisse eines gesetzlich pflegeversicherten Hilfeempfängers begründen eine Angemessenheit einer privaten Zusatz-Pflegeversicherung unter Berücksichtigung von Vorerkrankungen dann nicht, wenn eine künftige Verbesserung der Lebenssituation des Hilfeempfängers wie eine künftige Entlastung des Grundsicherungsträgers nicht absehbar ist und wenn die Beitragsentrichtung den Lebensunterhalt einer Vergleichsperson mit Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze gefährden würde30.
Danach dürfte eine private Pflegezusatzversicherung typischerweise nicht zum sozialhilferechtlichen Leistungsniveau gehören. Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines Sonderausgabenabzugs entsprechender Versicherungsbeiträge zur Sicherung des steuerlichen Existenzminimums besteht daher nach Ansicht des Bundesfinanzhofs nicht.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 24. Juli 2025 – X R 10/20
- Hess. FG, Urteil vom 08.04.2020 – 9 K 2170/17[↩]
- vgl. auch BSG, Urteil vom 22.04.2015 – B 3 P 8/13 R, BSGE 118, 239, Rz 14[↩]
- vgl. Stöcker in Bordewin/Brandt, § 10 EStG Rz 171; Bleschick in Kirchhof/Seer, EStG, 24. Aufl., § 10 Rz 32; BeckOK EStG/Fissenewert, 21. Ed. 01.04.2025, EStG § 10 Rz 175; vgl. zu dieser Unterscheidung bereits BVerfG, Urteil vom 03.04.2001 – 1 BvR 2014/95, BVerfGE 103, 197, Rz 2[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 13.02.2008 – 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125[↩][↩][↩][↩][↩][↩][↩]
- BGBl I 2009, 1959[↩]
- vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BürgEntlG KV vom 16.03.2009, BT-Drs. 16/12254, S. 1, unter B.[↩]
- BT-Drs. 16/12254, S. 7, 21 f.[↩]
- vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses vom 17.06.2009, BT-Drs. 16/13429, S. 8 und S. 11[↩]
- vgl. BT-Drs. 16/13429, S. 44[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 29.11.2017 – X R 5/17, BFHE 260, 148, BStBl II 2018, 230, Rz 24, zu Krankenversicherungsbeiträgen[↩]
- BFH, Urteil vom 16.01.2020 – VI R 49/17, BFH/NV 2020, 762, Rz 41[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 29.11.2017 – X R 26/16, BFH/NV 2018, 424, Rz 19 ff.[↩]
- BFH, Urteil vom 29.11.2017 – X R 5/17, BFHE 260, 148, BStBl II 2018, 230[↩]
- BVerfGE 120, 125[↩]
- vgl. BFH, Vorlagebeschluss vom 14.12.2005 – X R 20/04, BFHE 211, 350, BStBl II 2006, 312[↩]
- vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 01.09.2008 – 1 BvR 887/08, BVerfGK 14, 187, Rz 2[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 03.04.2001 – 1 BvR 1629/94, BVerfGE 103, 242, Rz 6[↩][↩]
- BGBl I 1994, 1014[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 03.04.2001 – 1 BvR 2014/95, BVerfGE 103, 197, Rz 2 und Rz 15[↩]
- vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drs. 12/5262, S. 1; vgl. hierzu auch BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 25.09.2001 – 2 BvR 2566/94, Rz 15[↩]
- vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drs. 12/5262, S. 90[↩]
- vgl. unter anderem BVerfG, Urteil vom 03.04.2001 – 1 BvR 2014/95, BVerfGE 103, 197; Nichtannahmebeschluss vom 25.09.2001 – 2 BvR 2566/94; Nichtannahmebeschluss vom 22.05.2003 – 1 BvR 452/99, FamRZ 2003, 1084[↩]
- vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 22.05.2003 – 1 BvR 452/99, FamRZ 2003, 1084, Rz 17 ff.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.02.2008 – 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, Rz 112, für die Pflichtsozialversicherungsbeiträge[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 10.08.2023 – VI R 40/20, BFHE 281, 64, BStBl II 2023, 1107, Rz 13, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 02.09.2015 – VI R 32/13, BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151, Rz 9 ff.; kritisch Kosfeld, Finanz-Rundschau 2013, 359 ff.[↩]
- soziale Pflegeversicherung, private Pflege-Pflichtversicherung[↩]
- vgl. Falterbaum in Hauck/Noftz, SGB XII, § 32 Rz 83; Pfriender in Schlegel/Voelzke PraxisKommentar SGB XII, § 32 Rz 63[↩]
- vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.05.2021 – L 9 AS 1282/20 Rz 52[↩]
- vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 09.06.2006 – L 9 SO 13/06 ER, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte, 58, 228, Leitsatz 1 bis 3, Rz 31 ff., m.w.N.[↩]











