Der punktuell satzungsdurchbrechende inkongruente Vorabgewinnausschüttungsbeschluss

Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, ist als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen1. Ein Gesellschafter, an den nach einem solchen Beschluss kein Gewinn verteilt wird, verwirklicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht. Ob eine inkongruente Vorabgewinnausschüttung nach § 42 AO gestaltungsmissbräuchlich ist, ist bei zivilrechtlich wirksamen punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüssen nach denselben Maßstäben zu beurteilen, die für satzungsgemäße inkongruente Ausschüttungen gelten.

Der punktuell satzungsdurchbrechende inkongruente Vorabgewinnausschüttungsbeschluss

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall war der klagende Gesellschafter in den Streitjahren 2012 bis 2015 zu 50% an einer K-GmbH beteiligt. Weiterer 50%-Gesellschafter war eine T-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Gesellschafter war. Die Gesellschafter der K-GmbH fassten in den Streitjahren jeweils einstimmig Vorabausschüttungsbeschlüsse, mit denen die Vorabgewinne nur an die T-GmbH verteilt wurden. Der Gesellschaftsvertrag der K-GmbH enthielt keine Regelungen zur Gewinnverteilung. Diese waren daher entsprechend der Beteiligungsverhältnisse zu verteilen (§ 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG). Das Finanzamt sah die Ausschüttungsbeschlüsse wegen der inkongruenten Verteilung der Vorabgewinne als zivilrechtlich nichtig an und unterwarf die hälftigen Ausschüttungsbeträge beim Gesellschafter als Einkünfte aus verdeckten Gewinnausschüttungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG der Besteuerung.

Der Bundesfinanzhof wies die Revision des Finanzamts gegen das zugunsten der Gesellschafter ergangene Urteil des Finanzgerichts Münster2 als unbegründet zurück. Die einstimmig gefassten Ausschüttungsbeschlüsse seien als zivilrechtlich wirksame Gewinnverwendungs- und -verteilungsbeschlüsse der Besteuerung zugrunde zu legen. Es lägen daher nur offene Gewinnausschüttungen der K-GmbH an die T-GmbH und keine Ausschüttungen an den Gesellschafter vor. Eine Zurechnung der hälftigen Ausschüttungsbeträge beim Gesellschafter aufgrund eines Gestaltungsmissbrauchs gemäß § 42 AO komme nicht in Betracht. Zivilrechtlich wirksam beschlossene inkongruente Ausschüttungen seien steuerlich anzuerkennen. Dem Gesellschafter sei aufgrund der Ausschüttungen der K-GmbH nur an die T-GmbH auch kein gesetzlich nicht vorgesehener steuerlicher Vorteil i.S. des § 42 Abs. 2 Satz 1 AO entstanden.

Das Finanzgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass das Finanzamt zur Änderung der ursprünglichen bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre nach der Außenprüfung grundsätzlich befugt war. Es hat auch zu Recht entschieden, dass der Gesellschafter aufgrund der inkongruenten Vorabausschüttungen weder Einkünfte aus offenen Gewinnausschüttungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG noch Einkünfte aus vGA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erzielt hat. Eine hälftige Zurechnung der Ausschüttungsbeträge an die T-GmbH als Einkünfte des Gesellschafters gemäß § 42 AO kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Im Ergebnis zutreffend hat das Finanzgericht unterstellt, dass das Finanzamt grundsätzlich berechtigt war, die ursprünglichen bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide der Streitjahre nach der Außenprüfung zu ändern und für das Streitjahr 2015 den weiteren Änderungsbescheid vom 22.11.2018 zu erlassen. Zwar ist zweifelhaft, ob sich das Finanzamt hierzu auf die in den Änderungsbescheiden zitierte Regelung in § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG stützen kann. Nach dieser Vorschrift muss für eine rechtmäßige Korrektur des Einkommensteuerbescheids beim Gesellschafter die vGA im Steuerbescheid der Körperschaft grundsätzlich vor der Änderung des Bescheids des Gesellschafters oder zumindest zeitgleich mit dieser berücksichtigt werden3. Im Streitfall wurden aufgrund der Vorabausschüttungen auf Ebene der K-GmbH jedoch keine vGA bewirkt und die Körperschaftsteuerbescheide der Streitjahre nicht geändert. Der Bundesfinanzhof hat die Frage, ob § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG als Korrekturvorschrift auch dann auf der Ebene des Anteilseigners herangezogen werden kann, wenn die Änderung des Körperschaftsteuerbescheids gänzlich unterbleibt, noch nicht entschieden und muss sie auch hier nicht abschließend entscheiden. Die geänderten Bescheide können im Streitfall grundsätzlich jeweils auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO als Änderungsvorschrift gestützt werden4. Dem Finanzamt sind die inkongruenten Ausschüttungen erst durch die Außenprüfung und damit nachträglich bekannt geworden. Für das Streitjahr 2015 kann das Finanzamt die weitere Änderung der Einkommensteuerfestsetzung im Klageverfahren, die nur die Vermietungseinkünfte der Gesellschafter und damit einen anderen Streitpunkt betraf, auf § 165 Abs. 2 AO stützen.

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Der Gesellschafter hat aufgrund der Vorabgewinnausschüttungen keine Einkünfte aus Gewinnanteilen (Dividenden) gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt. Die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse, in denen an ihn keine Ausschüttungsbeträge verteilt wurden, sind zivilrechtlich wirksam. Der Gesellschafter hat den Einkünfteerzielungstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG jeweils nicht verwirklicht.

Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse, die nicht nichtig sind oder nicht aufgrund einer Anfechtung für nichtig erklärt werden oder von keinem der Gesellschafter angefochten werden können, sind wirksame Gewinnverwendungs- und Gewinnverteilungsbeschlüsse5. Die hierauf beruhenden Ausschüttungen sind Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG6.

Die in den Streitjahren gefassten Beschlüsse über die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungen widersprechen zwar der Satzung der K-GmbH. Sie sind aber entgegen der Auffassung des Finanzamtes und des BMF nicht nichtig, sondern als punktuell satzungsdurchbrechende Ausschüttungsbeschlüsse mangels Anfechtbarkeit zivilrechtlich wirksam und bindend.

Enthält ein Gesellschaftsvertrag -wie hier- keine gesonderte Regelung zur Gewinnverteilung und keine Öffnungsklausel i.S. des § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG, sind die Gewinne entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile zu verteilen. Wenn die Gesellschafterversammlung durch Beschluss von der subsidiären gesetzlichen Regelung in § 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG abweicht, die in der Satzung nicht aufgenommen, in ihr aber auch nicht im Rahmen einer Öffnungsklausel gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG abbedungen wird, liegt ein satzungsdurchbrechender Ausschüttungsbeschluss vor. Die gesetzliche Regelung in § 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG ist dann ein materieller, wenngleich kein formeller Satzungsbestandteil7.

Satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschlüsse, die einen vom Regelungsinhalt der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand mit Dauerwirkung (und sei es auch nur für einen begrenzten Zeitraum) begründen, sind (selbst im Fall eines einstimmig gefassten Beschlusses) nichtig, wenn bei der Beschlussfassung nicht alle materiellen und formellen Bestimmungen einer Satzungsänderung (insbesondere die notarielle Beurkundung und Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1, § 54 Abs. 1 GmbHG) eingehalten werden8.

Von satzungsdurchbrechenden Beschlüssen mit Dauerwirkung sind punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse zu unterscheiden, deren Wirkung sich in der betreffenden Maßnahme als Einzelakt erschöpft, sodass die Satzung durch den Beschluss zwar verletzt wird, aber nicht mit Wirkung für die Zukunft geändert werden soll; solche punktuell wirkenden Beschlüsse sind nicht nichtig, aber bei der GmbH entsprechend § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar9.

Ob ein satzungsdurchbrechender Beschluss eine von der Satzung abweichende Regelungslage mit (ggf. vorübergehender) Dauerwirkung begründet oder sich als punktueller Satzungsverstoß in einer einzelnen Maßnahme erschöpft, betrifft eine im Einzelfall durch das Finanzgericht auf der Grundlage der in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Wertungen zu entscheidende Tatsachenfrage. Die Würdigung des Finanzgericht, dass die von den Gesellschaftern der K-GmbH gefassten Beschlüsse über die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungen jeweils nur punktuell satzungsdurchbrechend sind, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und für den Bundesfinanzhof daher bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).

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Das Finanzgericht stellt bei seiner Würdigung maßgeblich darauf ab, dass jeder Beschlussfassung über eine Vorabausschüttung ein neuer Willensentschluss der Gesellschafter der K-GmbH zugrunde lag und diese keine neue Satzungsregelung zu einer generell von den Beteiligungsverhältnissen abweichenden Gewinnverteilung treffen wollten. Die Wirkung des jeweiligen Beschlusses habe sich im Abfluss der Ausschüttung an die T-GmbH erschöpft. Diese Würdigung des Finanzgericht ist möglich, nachvollziehbar und plausibel.

Auch der Schutz des Rechtsverkehrs verlangt -wie vom Finanzgericht zu Recht entschieden- keine Einordnung der Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse als nichtige satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung.

Nach dem BGH-Urteil in BGHZ 123, 15 haben Abweichungen von der Satzung, wenn sie Dauerwirkung entfalten, nicht nur gesellschaftsinterne Bedeutung, sondern berühren auch den Rechtsverkehr (Gläubiger, Geschäftspartner und etwaige später eintretende Gesellschafter). Da die gesamte Satzungsurkunde zum Handelsregister einzureichen ist, ist die Eintragung satzungsdurchbrechender Beschlüsse, die einen von der Satzung abweichenden Zustand begründen, geboten, denn die beim Register vorhandene Satzung gibt in einem solchen Fall entgegen dem mit der Registerpublizität verfolgten Zweck den materiellen Satzungsinhalt nicht mehr richtig und vollständig wieder10. Der Schutz des Rechtsverkehrs wird vom BGH im Urteil in BGHZ 123, 15 als maßgebliches Wertungskriterium für die Differenzierung zwischen nichtigen satzungsdurchbrechenden Beschlüssen mit Dauerwirkung und anfechtbaren satzungsdurchbrechenden Beschlüssen mit punktueller Wirkung benannt.

Eine Vorabausschüttung ist eine gesellschaftsrechtlich zulässige vorweggenommene Gewinnauszahlung (Gewinnvorschuss), die u.a. als unterjährige (wie im Streitfall) oder nachperiodische Ausschüttung (vor Feststellung des Jahresabschlusses) erfolgen kann11 und an den Vorbehalt geknüpft ist, dass nach Ablauf des Wirtschaftsjahres tatsächlich ein entsprechend hoher ausschüttungsfähiger Gewinn vorhanden ist12. Vorabgewinnausschüttungen einer GmbH stehen nach ganz herrschender Meinung nicht unter einem Satzungsvorbehalt13. Da Vorabausschüttungen auch ohne eine Satzungsgrundlage unter bestimmten weiteren Voraussetzungen zulässig sind, muss der potenzielle Erwerber eines Geschäftsanteils stets damit rechnen, dass es bei der Gesellschaft, an der er Anteile erwerben will, solche Ausschüttungen gegeben hat. Es liegt in seinem Interesse und der gebotenen Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, sich über frühere Vorabgewinnausschüttungen und deren Verteilung zu informieren, um abschätzen zu können, ob es ggf. nicht durchsetzbare Rückforderungsansprüche der Gesellschaft gegen die Ausschüttungsempfänger geben könnte. Im Streitfall war für jeden potenziellen Anteilserwerber überdies aus § 12 Nr. 2 Buchst. i und § 17 Nr. 3 des Gesellschaftsvertrags der K-GmbH ersichtlich, dass die Gesellschafter Vorabgewinnausschüttungen beschließen konnten.

Der Einordnung inkongruenter Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse als nichtige satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung bedarf es zum Schutz potenzieller Anteilserwerber danach nicht. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass in den Streitjahren inkongruente Vorabgewinnausschüttungen wiederholt beschlossen und vollzogen wurden. Ein nennenswertes Interesse des Rechtsverkehrs an einer Offenlegung der inkongruenten Vorabausschüttungen im Register -und der Annahme der Nichtigkeit der Beschlüsse, falls dies nicht geschieht- sieht der Bundesfinanzhof auch unter diesem Gesichtspunkt nicht. Das Handelsregister dient nicht dazu, über die gesellschaftsinterne Willensbildung der Gesellschafter bei früheren Vorabgewinnausschüttungen zu unterrichten14. Auch insoweit ist ein potenzieller Anteilserwerber gehalten, sich über die Häufigkeit und Verteilung früherer Vorabgewinnausschüttungen bei der K-GmbH selbst zu informieren.

Schließlich veranlasst auch der Beschluss des OLG Dresden in GmbHR 2012, 213 nicht dazu, die hier streitigen Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse zum Schutz des Rechtsverkehrs als nichtige satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung zu behandeln. Gegenstand der Entscheidung des OLG Dresden war die Frage, ob ein Beschluss, mit dem die Gesellschafterversammlung einer GmbH frühere Gewinnverwendungsbeschlüsse bestätigte, mit denen die vorgeschriebene jährliche Rücklagenbildung wiederholt missachtet worden war, zur nachträglichen Legitimation der früheren satzungswidrigen Ausschüttungen in das Register eingetragen werden durfte. Das OLG Dresden hat diesen Bestätigungsbeschluss als satzungsdurchbrechenden Beschluss mit Dauerwirkung eingestuft und dessen Eintragung in das Register zugelassen. Hierzu hat es maßgeblich darauf abgestellt, die unterbliebene satzungsmäßig vorgegebene Rücklagenbildung habe eine Dauerwirkung für die Kapitalausstattung der Gesellschaft über das Jahr der jeweiligen Ausschüttung hinaus entfaltet. Der Rechtsverkehr und potenzielle neue Gesellschafter hätten -so das OLG Dresden- das berechtigte Interesse zu erfahren, dass die aus den Bilanzen ersichtlichen Gewinnrücklagen und damit die Kapitalausstattung der Gesellschaft nicht den satzungsmäßigen Vorgaben entsprochen hätten. Diese Würdigung ist nicht sinngemäß auf die hier streitigen inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse zu übertragen. Der dortige Streitfall betrifft eine gänzlich andere Fallgestaltung als der Streitfall. Die Satzung der K-GmbH enthielt keine Verpflichtung, eine bestimmte Kapitalausstattung der K-GmbH zu gewährleisten, und erlaubte Vorabgewinnausschüttungen. Der Rechtsverkehr durfte daher von vornherein kein schützenswertes Vertrauen in eine besondere Kapitalausstattung der K-GmbH entwickeln, denn Vorabausschüttungen beruhen auf einer Gewinnprognose, die sich nachträglich als unzutreffend herausstellen kann. Die Kapitalausstattung einer Gesellschaft wird zudem auch nur über den Abfluss der Vorabausschüttung tangiert, nicht zusätzlich ins Gewicht fällt der Umstand, dass die Vorabgewinnausschüttung inkongruent verteilt worden ist15.

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Die einstimmig gefassten, jeweils nur punktuell satzungsdurchbrechenden inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse der Streitjahre sind im Ergebnis zivilrechtlich wirksam und bindend. Ob die Beschlüsse für ihre Wirksamkeit notariell zu beurkunden gewesen wären, aber nicht in das Handelsregister hätten eingetragen werden müssen16, oder ob für die Wirksamkeit der Beschlüsse die notarielle Beurkundung und Eintragung -neben der erforderlichen Beschlussmehrheit und Zustimmung der betroffenen Gesellschafter- entbehrlich waren17, braucht der Bundesfinanzhof nicht zu entscheiden. Unabhängig davon, welche formellen Anforderungen an die Wirksamkeit eines solchen Beschlusses gestellt werden, ist ein punktuell satzungsdurchbrechender inkongruenter Ausschüttungsbeschluss stets nur analog § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar18. Haben aber -wie hier- sämtliche Gesellschafter der inkongruenten Gewinnverteilung zugestimmt, kann der Beschluss von keinem der Gesellschafter angefochten werden, denn die Zustimmung aller Gesellschafter führt für jeden Gesellschafter zum Verlust der Anfechtungsberechtigung19. Die einstimmigen und nicht anfechtbaren Beschlüsse über die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungen der Streitjahre sind damit jeweils zivilrechtlich wirksam und bindend.

Da die Vorabgewinnausschüttungen im Streitjahr auf zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüssen beruhen, handelt es sich jeweils um eine offene Ausschüttung von Gewinnanteilen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG. Der Gesellschafter hat jedoch keinen Gewinnanteil zu versteuern, denn er hat den Einkünfteerzielungstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG jeweils nicht verwirklicht, da zivilrechtlich wirksam beschlossen wurde, an ihn keinen Gewinn auszuschütten20. Offen ausgeschüttete Gewinne sind stets -nur- bei demjenigen Anteilseigner der Besteuerung zu unterwerfen, dem sie in dieser Eigenschaft als Anteilseigner zufließen21.

Der Bundesfinanzhof sieht auch keine Veranlassung, dem Gesellschafter auf der Grundlage der vom BMF geforderten Fremdüblichkeitsprüfung aus den inkongruenten Vorabausschüttungen an die T-GmbH Einkünfte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG zuzurechnen. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verlangt für die Einkünfteerzielung tatbestandlich nur den Bezug von Gewinnanteilen durch den Gesellschafter (hier: nur bei der T-GmbH), enthält aber keinen Vorbehalt, dass der Bezug fremdüblich oder angemessen sein muss. Eine allgemeine steuerliche Angemessenheitskontrolle zivilrechtlich wirksam beschlossener inkongruenter Gewinnausschüttungen ist ebenfalls abzulehnen22; anderer Ansicht BMF, Schreiben vom 17.12.2013 – IV C 2-S 2750-a/11/10001, BStBl I 2014, 63)).

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Entgegen der Auffassung des Finanzamtes und des BMF hat der Gesellschafter auch keine Einkünfte aus vGA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erzielt.

Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen als sonstige Bezüge aus Anteilen an einer GmbH auch vGA. Eine vGA im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vorteil zuwendet und diese Zuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis hat. Sie kann auch ohne tatsächlichen Zufluss beim Gesellschafter verwirklicht werden, wenn der Vorteil ihm durch das Gesellschaftsverhältnis mittelbar in der Weise zugewendet wird, dass eine ihm nahestehende Person aus der Vermögensverlagerung Nutzen zieht. Das „Nahestehen“ kann familienrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher, schuldrechtlicher oder auch rein tatsächlicher Art sein. Neben dem Vorliegen eines „Näheverhältnisses“ zwischen Gesellschafter und Vorteilsempfänger setzt eine vGA ohne tatsächlichen Zufluss beim Gesellschafter voraus, dass die Vorteilszuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis der vorteilsgewährenden Gesellschaft zum Gesellschafter hat. Unerheblich ist, ob der Gesellschafter selbst ein vermögenswertes Interesse an der Zuwendung hat23.

Die inkongruenten Vorabausschüttungen an die vom Gesellschafter beherrschte T-GmbH wurden zivilrechtlich wirksam beschlossen. Es handelt sich um offene Ausschüttungen, die auf dem Gesellschaftsverhältnis der T-GmbH zur K-GmbH und nicht auf dem Gesellschaftsverhältnis des Gesellschafters zur K-GmbH beruhen. Dies schließt die Beurteilung der Ausschüttungen als vGA der K-GmbH an den Gesellschafter aus.

Das Finanzgericht hat ferner zu Recht entschieden, dass die Vorabausschüttungen nur an die T-GmbH keinen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO darstellen und nicht zu einer Zurechnung der hälftigen Ausschüttungsbeträge als Einkünfte beim Gesellschafter führen können.

Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann das Steuergesetz durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nicht umgangen werden. Beim Vorliegen eines Missbrauchs i.S. des § 42 Abs. 2 AO entsteht der Steueranspruch gemäß § 42 Abs. 1 Satz 3 AO anderenfalls so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Ein Missbrauch liegt gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 AO vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt gemäß § 42 Abs. 2 Satz 2 AO nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.

Das Finanzgericht zieht für die Prüfung eines Gestaltungsmissbrauchs gemäß § 42 AO im Streitfall, der zivilrechtlich wirksame punktuell satzungsdurchbrechende inkongruente Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse zum Gegenstand hat, zu Recht dieselben Kriterien wie in Fallgestaltungen heran, in denen inkongruente Ausschüttungen aufgrund einer abweichenden Gewinnverteilungsregel oder Öffnungsklausel satzungsgemäß zivilrechtlich wirksam beschlossen werden. Es ist kein Grund ersichtlich, zwischen diesen jeweils zivilrechtlich wirksamen Ausschüttungsbeschlüssen im Rahmen des § 42 AO zu unterscheiden24.

Das Finanzgericht hat das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs nach diesem zutreffenden Maßstab mit nicht zu beanstandenden Erwägungen verneint.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind inkongruente Gewinnverteilungen steuerrechtlich grundsätzlich anzuerkennen, wenn sie auf einem zivilrechtlich wirksam zustande gekommenen Ausschüttungsbeschluss beruhen25. Nahezu jede Gewinnausschüttung, die verdeckt erfolgt, stellt zugleich eine inkongruente Ausschüttung an den empfangenden Gesellschafter dar und wird der Besteuerung zugrunde gelegt. Es gibt keinen Grund, offene inkongruente Gewinnausschüttungen, die mit dem Gesellschaftsrecht im Einklang stehen, hiervon steuerlich abweichend zu behandeln26.

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Ferner ist bei der Prüfung des Eintritts eines steuerlichen Vorteils i.S. des § 42 Abs. 2 Satz 1 AO nur auf den Steueranspruch aus dem konkreten Steuerschuldverhältnis abzustellen27, d.h. hier auf die einkommensteuerlichen Steueransprüche für die Streitjahre. Die Würdigung des Finanzgericht, durch die Verlagerung des Ausschüttungspotenzials auf die T-GmbH sei dem Gesellschafter kein steuerlicher Vorteil entstanden, weil er davon ausgehen musste, bei einer späteren Ausschüttung der T-GmbH an ihn denselben Besteuerungsregeln zu unterliegen und eine einkommensteuerliche Besteuerung infolgedessen nur einstweilen aufgeschoben zu haben, ist nicht zu beanstanden. Ebenso zutreffend hat das Finanzgericht es abgelehnt, schenkungsteuerliche Gestaltungsmöglichkeiten des Gesellschafters in die Betrachtung einzubeziehen, da es insoweit um (vermeintliche) steuerliche Vorteile des Gesellschafters außerhalb der hier zu beurteilenden Einkommensteueransprüche geht. Ob die Ausschüttungen an die T-GmbH der Verminderung der Haftungsmasse der K-GmbH dienten und darin ein beachtlicher außersteuerlicher Grund (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO) liegen könnte, bedarf in Ermangelung eines steuerlichen Vorteils des Gesellschafters keiner weiteren Prüfung.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. September 2022 – VIII R 20/20

  1. entgegen BMF, Schreiben vom 17.12.2013, BStBl I 2014, 63[]
  2. FG Münster, 06.05.2020 – 9 K 3359/18 E, AO, EFG 2020, 1603[]
  3. BFH, Urteil vom 10.12.2019 – VIII R 2/17, BFHE 267, 361, BStBl II 2020, 679, Rz 36, 38[]
  4. vgl. hierzu BFH, Urteil vom 12.06.2018 – VIII R 38/14, BFH/NV 2018, 1141, Rz 33, zum Austausch der Änderungsvorschrift[]
  5. vgl. BFH, Urteile vom 23.07.1975 – I R 165/73, BFHE 117, 30, BStBl II 1976, 73, unter 1. [Rz 12]; vom 07.11.2001 – I R 11/01, BFH/NV 2002, 540, unter II. 3.b; vom 27.01.1977 – I R 39/75, BFHE 122, 43, BStBl II 1977, 491, unter 2.; wohl auch BFH, Urteil vom 13.03.2018 – IX R 35/16, BFH/NV 2018, 936, Rz 18[]
  6. vgl. BFH, Urteile vom 02.12.2014 – VIII R 2/12, BFHE 248, 45, BStBl II 2015, 333, Rz 19; s.a. BFH, Urteile vom 17.02.1993 – I R 21/92, BFH/NV 1994, 83, unter II. 2., zur Kapitalertragsteuer; vom 23.04.1992 – II R 40/88, BFHE 168, 365, BStBl II 1992, 790, unter II. 1.c, sowie BFH, Urteile in BFHE 122, 43, BStBl II 1977, 491; vom 18.11.1970 – I R 88/69, BFHE 100, 400, BStBl II 1971, 73, unter 2.c [Rz 16], jeweils zu § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG a.F.[]
  7. Priester, ZHR Bd. 151 (1987), 40; zu inkongruenten Gewinnverteilungsbeschlüssen Priester, ZHR Bd. 151 (1987), 40, 42 f.; Birkenmaier/Obser, GmbH-Rundschau -GmbHR- 2022, 850, 853; Strecker, Kölner Steuer-Dialog 2022, 22657, 22660 f., Rz 20, 23; Lauer/Weustenfeld, Der Betrieb -DB- 2022, 985, 987, jeweils m.w.N.[]
  8. BGH, Urteil vom 07.06.1993 – II ZR 81/92, BGHZ 123, 15, unter 1.b [Rz 12, 13]; OLG Köln, Beschluss vom 24.08.2018 – I-4 Wx 4/18, GmbHR 2019, 188, Rz 15 bis 19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.09.2016 – I-3 Wx 130/15, GmbHR 2017, 36, Rz 22; s. OLG Dresden, Beschluss vom 09.11.2011 – 12 W 1002/11, GmbHR 2012, 213, Rz 10; vgl. auch OLG Nürnberg, Urteil vom 10.11.1999 – 12 U 813/99, GmbHR 2000, 563, Rz 81, jeweils m.w.N.[]
  9. BGH, Urteile in BGHZ 123, 15, unter 1.b [Rz 12, 13]; vom 25.11.2002 – II ZR 69/01, GmbHR 2003, 171, unter I. 1.a; OLG Köln, Beschluss in GmbHR 2019, 188, Rz 13; Lauer/Weustenfeld, DB 2022, 985, 988 f.[]
  10. s.a. OLG Köln, Beschluss in GmbHR 2019, 188, Rz 16 bis 19[]
  11. vgl. MünchKomm-GmbHG/Ekkenga, 4. Aufl., § 29 Rz 95[]
  12. vgl. BFH, Urteile in BFHE 122, 43, BStBl II 1977, 491, unter 1.; in BFHE 168, 365, BStBl II 1992, 790, unter II. 1.c[]
  13. vgl. Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl., § 29 Rz 45[]
  14. vgl. auch Lauer/Weustenfeld, DB 2022, 985, 991 f.; Pöschke, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2012, 1089, 1092[]
  15. gleicher Ansicht im Ergebnis Lauer/Weustenfeld, DB2022, 985, 991; Birkenmaier/Obser, GmbHR 2022, 850, 851 f.[]
  16. so wohl BFH, Urteil in BFH/NV 2018, 936, Rz 22; offengelassen von OLG Düsseldorf, Beschluss in GmbHR 2017, 36, Rz 23; Bender/Bracksiek, DStR 2014, 121, 124 f.; wohl auch Pörschke, DB 2017, 1165, 1166[]
  17. Lauer/Weustenfeld, DB 2022, 985, 988; Birkenmaier/Obser, GmbHR 2022, 850, 853; wohl auch Grever, Rheinische Notar-Zeitschrift 2019, 1, 8[]
  18. BGH, Urteil in GmbHR 2003, 171, unter I. 1.a; OLG Köln, Beschluss in GmbHR 2019, 188, Rz 13[]
  19. vgl. MünchKomm-GmbHG/Harbarth, a.a.O., § 53 Rz 51, m.w.N.; vgl. auch Priester, ZHR Bd 151 (1987), 40, 54 und 57 f.; Lawall, DStR 1996, 1169, 1174, unter 5.1; Priester/Tebben in Scholz, GmbHG, 13. Aufl., § 53 Rz 30a; Bayer in Lutter/Hommelhoff, a.a.O., § 53 Rz 30; Noack in Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl., § 53 Rz 46; Pörschke, DB 2017, 1165, 1166; s. zum Ausschluss der Anfechtungsberechtigung auch § 15 des Gesellschaftsvertrags der K-GmbH[]
  20. vgl. auch BFH, Urteil vom 28.09.2021 – VIII R 25/19, BFHE 274, 457, Rz 15, 17, zur inkongruenten Gewinnverwendung[]
  21. BFH, Urteil vom 19.08.1999 – I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, unter II. 3. [Rz 41][]
  22. s. Schön, Fünfte Gedächtnisvorlesung für Max Hachenburg (2002), S. 17, 50 f., 53 ff., mit weiteren Argumenten[]
  23. vgl. BFH, Urteil vom 14.02.2022 – VIII R 29/18, BFHE 276, 49, BStBl II 2022, 544, Rz 12, 19, 21, zur Verlagerung von Gewinnanteilen auf eine Schwestergesellschaft im Wege des Nießbrauchs[]
  24. zustimmend Lauer/Weustenfeld, DB 2022, 985, 992[]
  25. vgl. u.a. BFH, Urteile in BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, unter II. 1.b aa aaa [Rz 28]; vom 28.06.2006 – I R 97/05, BFHE 214, 276; vom 04.12.2014 – IV R 28/11, BFH/NV 2015, 495, Rz 22, 23, zur inkongruenten Gewinnverteilung im Vorfeld einer Anteilsveräußerung; in BFH/NV 2018, 936, Rz 17, 18, zu einem Vorabgewinnverteilungsbeschluss anlässlich einer Anteilsveräußerung; BFH, Beschlüsse vom 27.05.2010 – VIII B 146/08, BFH/NV 2010, 1865; vom 04.05.2012 – VIII B 174/11, BFH/NV 2012, 1330; zur inkongruenten (gespaltenen) Gewinnverwendung s. BFH, Urteil in BFHE 274, 457, Rz 15; vgl. ferner Finanzgericht Münster, Urteil vom 30.06.2021 – 13 K 272/19 G, F, EFG 2021, 1615, Rz 47 ff., m.w.N.[]
  26. BFH, Urteil in BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, unter II. 1.b aa aaa [Rz 28][]
  27. BFH, Urteil in BFH/NV 2015, 495, Rz 23[]
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